Entscheidungsdatum: 29.06.2011
Für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach der mit Wirkung ab 1. September 2009 erfolgten Änderung des Verfahrensrechts allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten .
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Geschäftswert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
I.
Der als Einzelanwalt tätige Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12. November 2009 die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) widerrufen. Dessen hierauf erhobene Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Dabei hat der Anwaltsgerichtshof offen gelassen, ob für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung maßgebend ist oder ob auch eine nachträgliche Konsolidierung der Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen ist. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
II.
Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NVwZ 2000, 1163, 1164; NVwZ-RR 2008, 1; NJW 2009, 3642; BGH, Beschluss vom 23. März 2011 - AnwZ (Brfg) 9/10, juris Rn. 3; vgl. ferner BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542 f.; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e BRAO Rn. 77; Deckenbrock in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 112e Rn. 10). Daran fehlt es hier.
a) Der Anwaltsgerichtshof hat unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zutreffend ausgeführt, dass beim Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs (ein Widerspruchsverfahren ist nicht durchgeführt worden) Vermögensverfall eingetreten war. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind das Erwirken von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. Februar 2011 - AnwZ (B) 42/10, juris Rn. 4 m.w.N.). Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt des Widerrufs vor.
aa) Der Zulassungswiderruf ist auf die dem Bescheid vom 12. November 2009 beigefügte Aufstellung über gegen den Kläger angestrengte Klageverfahren und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gestützt. Die 64 Positionen umfassende Aufstellung belegt, dass Gläubiger des Klägers seit dem Jahr 2006 in zunehmendem Maße gezwungen waren, zur Durchsetzung ihrer Forderungen Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Kläger zu betreiben. Dies galt auch in Fällen, in denen lediglich kleinere Forderungen betroffen waren.
Zwar hat der Kläger nach Einleitung der Zwangsvollstreckungsverfahren in vielen Fällen die Verbindlichkeiten zur Abwendung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen beglichen oder zumindest Ratenzahlungen aufgenommen. Zum Zeitpunkt des Widerrufs standen aber noch - vollstreckbare - Forderungen in beträchtlicher Höhe offen. Hierbei handelt es sich zunächst um die in der Aufstellung mit Nr. 48 und Nr. 56 bezeichneten Verbindlichkeiten, von denen nach dem Vorbringen des Klägers bei Erlass der Widerrufsverfügung insgesamt 15.000 € noch nicht getilgt waren. Hinzu kamen weitere im Zeitraum von Juni 2009 bis 2. November 2009 fällig gewordene Forderungen des Finanzamts M. , die sich ausweislich dessen Aufstellung vom 12. November 2009 zum Zeitpunkt des Widerrufs auf 55.727,59 € beliefen und in Höhe von 49.409,27 € dinglich gesichert waren. Wegen dieser Forderungen hat das Amtsgericht N. auf vollstreckbaren Antrag des Finanzamts M. vom 12. November 2009 mit Beschluss vom 16. November 2009 die Zwangsversteigerung in den auf No. gelegenen Grundbesitz des Klägers angeordnet. Außerdem war der Kläger seinen Ratenzahlungsverpflichtungen gegenüber der W. nicht mehr nachgekommen, weswegen diese ihr Kreditengagement in Höhe von rund 110.000 € im Jahr 2009 aufkündigte. Diese Forderung war durch eine Grundschuld gesichert, hinsichtlich derer sich der Kläger der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hatte. Daneben betrieb die Gläubigerin L. V.V.a.G. wegen rückständiger Beiträge seit Beginn des Jahres 2009 die Zwangsvollstreckung gegen den Kläger. Nach Abzug der vom Kläger über den Gerichtsvollzieher geleisteten Teilzahlungen bestand am 30. Oktober 2009 noch ein Rückstand von 2.955,92 €. Dass die Forderungen des Finanzamts, der W. und der L. V.V.a.G. nicht im Widerrufsbescheid aufgeführt waren, ist unschädlich. Maßgeblich ist allein, dass diese Verbindlichkeiten zu diesem Zeitpunkt bestanden und vom Kläger nicht bedient werden konnten (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2011 - AnwZ (B) 13/10, juris Rn. 9).
In Anbetracht dieser Umstände ist ein Vermögensverfall des Klägers bei Erlass der Widerrufsverfügung zweifelsfrei nachgewiesen.
bb) Mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts ist nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Diese Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559 Rn. 8, und vom 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924 Rn. 8 m.w.N.). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung ausnahmsweise nicht bestand, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Gefahr hat sich im Gegenteil in mehreren Fällen verwirklicht.
b) Die gegen den Widerrufsbescheid der Beklagten vom 11. November 2009 gerichtete Anfechtungsklage ist auch nicht im Hinblick auf eine nachträgliche Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers begründet. Der Anwaltsgerichtshof hat in seiner Hinweisverfügung vom 19. Januar 2010 und in der angefochtenen Entscheidung die Frage aufgeworfen, ob die unter der Geltung des Verfahrensrechts der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 40 Abs. 4, § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F.) aus prozessökonomischen Gründen zugelassene Möglichkeit, einen nachträglichen Wegfall des Widerrufsgrundes im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, nach der mit Wirkung ab 1. September 2009 erfolgten Änderung des Verfahrensrechts unverändert fortbesteht. Diese vom Anwaltsgerichtshof offen gelassene Frage beantwortet der Senat dahin, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zulassungswiderrufs allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist (vgl. § 110 Abs. 1 JustG NRW) - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen ist; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.
aa) Der bei Anfechtungsklagen für die gerichtliche Nachprüfung eines Verwaltungsakts maßgebliche Beurteilungszeitraum bestimmt sich nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, NVwZ 1991, 372 m.w.N. aus der Rspr.; BVerwG, NJW 2010, 2901 Rn. 11). Dieses legt nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts fest, sondern bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt sie erfüllt sein müssen (vgl. etwa BVerwGE 78, 243, 244). Daher sind tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen, die erst nach Abschluss des behördlichen Verwaltungsverfahrens oder gar erst nach Beendigung des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens eintreten und die zu einer abweichenden Beurteilung führen würden, nur dann der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen, wenn das materielle Recht ihre Berücksichtigung zulässt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 30. September 2005 - 6 B 51/05, BeckRS 2005, 30305 unter 2 a; BVerwG, NVwZ 1991, 372 f. [zum Berufungsverfahren]; NVwZ 2003, 490 unter II 2 [zu neuen Tatsachen im Zulassungsverfahren]; NVwZ 2004, 744 unter II 1 [zu Rechtsänderungen im Zulassungsverfahren]).
(1) Für verwaltungsbehördliche Rücknahme- oder Widerrufsverfügungen in berufs- oder gewerberechtlichen Zulassungsverfahren gibt das materielle Recht regelmäßig den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens als maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die gerichtliche Überprüfung vor (vgl. etwa BVerwGE 65, 1, 2 ff.; BVerwG, NVwZ 1991, 372 f. [jeweils zur Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 6 Satz 1 GewO]; BVerwGE 105, 214, 220; BVerwG, Beschluss vom 9. November 2006 - 3 B 7/06, juris Rn. 10 [jeweils zum Widerruf einer ärztlichen Approbation]; BVerwG, Beschluss vom 30. September 2005 - 6 B 51/05, aaO [zur Streichung aus der Architektenliste]; BVerwG, NJW 2010, 2901, Rn. 10 f. [zum Widerruf des Führens der Berufsbezeichnung "Logopäde"]). Dies folgt vor allem daraus, dass das materielle Recht in den genannten Fällen ein - wenn auch nicht stets ausdrücklich geregeltes - eigenständiges Wiederzulassungsverfahren vorsieht, in dem alle nachträglichen Umstände Berücksichtigung finden (vgl. etwa BVerwGE 65, aaO; BVerwG, NJW 2010, 2901 Rn. 11 m.w.N.).
(2) Im Einklang mit dieser verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist der Senat schon bisher davon ausgegangen, dass im anwaltlichen Berufsrecht für die gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit einer Rücknahme- oder Widerrufsverfügung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses (ein Widerspruchsverfahren war damals nicht vorgesehen) maßgebend ist, weil der Betroffene bei nachträglichem Wegfall des Rücknahme- oder Widerrufsgrundes einen Wiederzulassungsantrag stellen kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. November 1979 - AnwZ (B) 16/79, BGHZ 79, 356, 357; vom 17. Mai 1982 - AnwZ (B) 5/82, BGHZ 84, 149, 150; vom 25. März 1991 - AnwZ (B) 80/90, NJW 1991, 2083 unter 1 a, 2; vom 2. Dezember 1991 - AnwZ (B) 40/91, juris Rn. 5, 8). Für die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nach vorangegangenem Verlust der Zulassung gelten die in §§ 6, 7 BRAO genannten Voraussetzungen. Die genannten Bestimmungen sind nicht auf die erstmalige Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beschränkt, sondern gelten für alle Zulassungsanträge, wie insbesondere die Bestimmung des § 7 Nr. 3 BRAO (Wiederzulassung nach rechtskräftigem Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft) belegt. Außerhalb des in §§ 6, 7 BRAO geregelten Verfahrens kann eine Wiederzulassung nicht erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2010 - AnwZ (B) 22/10, juris Rn. 8).
bb) Allerdings hat der Senat es nach bisher geltendem Recht aus prozesswirtschaftlichen Erwägungen zugelassen, einen zweifelsfrei feststehenden nachträglichen Wegfall des Rücknahme- oder Widerrufsgrundes bereits im laufenden Gerichtsprozess zu berücksichtigen, um eine zeit- und kostenaufwendige Verdoppelung der Verfahren in den Fällen zu vermeiden, in denen dem Rechtsanwalt zunächst die Zulassung entzogen und anschließend sofort wieder erteilt werden müsste (BGH, Beschlüsse vom 12. November 1979 - AnwZ (B) 16/79, aaO; vom 17. Mai 1982 - AnwZ (B) 5/82, aaO). Die Möglichkeit zu solchen Verfahrenserleichterungen war dem Senat deswegen eröffnet, weil das nach § 40 Abs. 4, § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F. entsprechend anwendbare Recht der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) das einzuhaltende Verfahren nur in Grundzügen regelte. Es blieb daher der Rechtsprechung überlassen, zu bestimmen, ob und welche Regelungen aus anderen Prozessordnungen, zumeist der Zivilprozessordnung, ergänzend herangezogen wurden (BT-Drucks. 16/11385, S. 28). Dabei waren die Gerichte befugt, das Verfahren, soweit nicht ausdrückliche Vorschriften oder allgemeine Grundsätze entgegenstanden, nach den Erfordernissen des konkreten Falles flexibel und sachgemäß zu gestalten (vgl. BT-Drucks. 16/11385, aaO; Bassenge/Roth, FGG/RPflG, 11. Aufl., Einl. FGG Rn. 67; Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl., § 12 Rn. 35).
cc) An dieser unter der Geltung der Verfahrensordnung der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) entwickelten verfahrensökonomischen Handhabung hält der Senat im Hinblick auf die Entscheidung des Gesetzgebers, das gerichtliche Verfahren bei verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen mit Wirkung ab 1. September 2009 weitgehend den Regeln der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO) zu unterstellen, nicht mehr fest. Die bisherige Rechtsprechungspraxis war nicht aufgrund materiell-rechtlicher Vorgaben geboten, sondern beruhte ausschließlich auf verfahrenswirtschaftlichen Erwägungen. Das anwaltliche Berufsrecht sieht in materieller Hinsicht keine Besonderheiten vor, die es in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebieten würden, bei der gerichtlichen Entscheidung über den Zulassungswiderruf einen zweifelsfreien nachträglichen Wegfall des Widerrufsgrundes zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung eines nachträglichen Wegfalls des Widerrufsgrundes im gerichtlichen Verfahren ließe sich daher - wie schon unter der Geltung des bisherigen Verfahrensrechts - nur mit verfahrensökonomischen Überlegungen begründen. Dem ist aber durch die gesetzliche Neuordnung des Prozessrechts die Grundlage entzogen worden.
(1) Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, ist nach den materiell-rechtlichen Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit eines Zulassungswiderrufs der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend. Ebenso wie zahlreichen anderen Berufsordnungen ist der Bundesrechtsanwaltsordnung eine Trennung zwischen dem Widerruf der Zulassung (§ 14 Abs. 2 BRAO) und der (Wieder-)Zulassung (§§ 6, 7 BRAO) immanent. Daher besteht eine mit dem sonstigen Berufszulassungsrecht (vgl. BVerwG, NJW 2010, aaO) oder dem Gewerberecht (vgl. BVerwGE 65, aaO) im Kern übereinstimmende Sachlage. Der Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens bewirkt auch hier eine - im gerichtlichen Verfahren zu beachtende - Zäsur, durch die eine Berücksichtigung danach eintretender Umstände einem späteren Wiedererteilungsverfahren zugewiesen wird (vgl. BVerwG, NJW 2010, aaO).
Hinzu kommt, dass der Widerruf einer Berufserlaubnis eine auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens bezogene rechtsgestaltende Wirkung entfaltet (BVerwG, aaO m.w.N.). Dies gilt auch im anwaltlichen Berufsrecht. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlischt zwar nach § 13 BRAO n.F. erst mit der Bestandskraft des Zulassungswiderrufs. Die Vorschrift trifft aber keine Aussage über den für die gerichtliche Überprüfung des Widerrufs maßgeblichen Zeitpunkt, sondern regelt nur, ab welchem Zeitpunkt die mit dem Zulassungswiderruf verbundenen Rechtswirkungen endgültig eintreten.
(2) Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine Hinausschiebung des Zeitpunkts der Beurteilung einer Widerrufsverfügung nicht geboten. Dass der Rechtsanwalt bei nachträglichen Entwicklungen auf ein Wiederzulassungsverfahren verwiesen wird, führt nicht zu unverhältnismäßigen oder gar unzumutbaren Ergebnissen und verstößt auch nicht gegen die nach Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Freiheit der Berufswahl.
Die beruflichen Nachteile, die einem Rechtsanwalt durch den Verweis auf ein erneutes Zulassungsverfahren entstehen, sind vergleichsweise gering, denn der Rechtsanwalt hat bei nachträglichem Wegfall des Widerrufsgrundes einen Anspruch auf sofortige Wiederzulassung und kann jederzeit, das heißt ohne Sperrfrist, einen entsprechenden Antrag nach §§ 6, 7 BRAO stellen (vgl. BVerwG, NVwZ 1991, 372 m.w.N.). Die Situation stellt sich bei einem Rechtsanwalt daher gänzlich anders dar als bei der Amtsenthebung eines Notars (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO). Dort hat es das Bundesverfassungsgericht aus verfassungsrechtlichen Gründen als problematisch erachtet, die gerichtliche Entscheidung allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Amtsenthebungsverfahren zu stützen und nachträgliche Veränderungen unberücksichtigt zu lassen (BVerfG, NJW 2005, 3057, 3058). Dies ist indessen allein durch die schwerwiegenden Folgen einer Amtsenthebung eines Notars bedingt, der nach dem Verlust seines Amtes nur die Möglichkeit hat, bei Vorliegen eines Bedürfnisses (§ 4 BNotO), nach Ausschreibung der Notarstelle (§ 6b BNotO) und bei Bestehen der Konkurrenz mit anderen Bewerbern (§ 6 BNotO) erneut bestellt zu werden (BVerfG, aaO). In Anbetracht dieser besonderen Zugangsbeschränkungen sind an die Amtsenthebung eines Notars und deren gerichtliche Überprüfung andere rechtliche Anforderungen zu stellen als an den Entzug einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (vgl. BVerfG, aaO).
(3) Die aus dem materiellen Recht abgeleitete Beschränkung der gerichtlichen Nachprüfung von Rücknahme- und Widerrufsverfügungen in gewerbe- und berufsrechtlichen Angelegenheiten kann im Anwendungsbereich der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht aus prozesswirtschaftlichen Gründen gelockert werden. Denn diese Verfahrensordnung gewährt den Gerichten nicht den Gestaltungsspielraum, eine vom materiellen Recht vorgegebene Trennung zwischen Widerrufsverfahren (Rücknahmeverfahren) und Wiederzulassungsverfahren aufzuheben. Nach dem - nun auch in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen anwendbaren - § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt ein belastender Verwaltungsakt der Aufhebung, wenn er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Darin kommt zum Ausdruck, dass dem Gericht (nur) die Aufgabe obliegt, die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Entscheidung zu überprüfen; es ist dabei im Hinblick auf die Gewaltenteilung und in Anbetracht der Trennung von behördlichem Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Verfahren regelmäßig nicht dazu berufen, über noch ausstehende Verwaltungsentscheidungen zu urteilen und diese vorwegzunehmen.
(aa) Eine für den Bereich des anwaltlichen Berufsrechts abweichende Handhabung ließe sich mit der vom Gesetzgeber bewusst vollzogenen Abkehr von der Verfahrensordnung der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Hinwendung zu den "bewährten Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts" (vgl. BT-Drucks. 16/11385, S. 31) nicht vereinbaren. Der Gesetzgeber sieht in der Verwaltungsgerichtsordnung eine "ausgewogene, vollständige und dem Rechtsanwender geläufige Prozessordnung" (vgl. BT-Drucks. 16/11385, S. 29). Er war bestrebt, das Recht der Freiwilligen Gerichtsbarkeit auf seinen klassischen Anwendungsbereich der vorsorgenden Rechtspflege zurückzuführen und zugleich sicherzustellen, dass Verwaltungsentscheidungen im Interesse der Vereinheitlichung und Vereinfachung von Verfahrensrechten auf der Grundlage eines allgemein für diese Entscheidungen geltenden Prozessrechts überprüft werden (BT-Drucks. 16/11385, S. 1 sowie S. 28). Dabei gab er dem Verwaltungsprozessrecht mit seinen strikteren Strukturen bewusst den Vorzug vor der von richterlicher Gestaltungsfreiheit geprägten Verfahrensordnung der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Hierzu findet sich in den Gesetzesmaterialien folgende Begründung: "Die freie gerichtliche Kompetenz zur Verfahrensgestaltung und die weitgehende Formlosigkeit des Verfahrens, die die freiwillige Gerichtsbarkeit auch künftig kennzeichnen werden, passen nicht zu den streitigen Verfahren nach der BRAO" (BT-Drucks. 16/11385, S. 28).
Dabei wurde die besondere Problematik der den Rechtsanwalt existentiell betreffenden Entscheidungen über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und deren Widerruf nicht verkannt. Vielmehr befassen sich die Gesetzesmaterialien an mehreren Stellen mit diesem Gesichtspunkt und verweisen darauf, dass zahlreiche andere verwaltungsrechtliche Verfahren etwa im Beamten- und Gewerberecht für die Betroffenen von ähnlich existentieller Bedeutung seien; eine Abweichung von den bewährten Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts könne daher - namentlich im Berufungsverfahren - nicht mit dem besonderen Gewicht der Zulassungsstreitigkeiten für Rechtsanwälte begründet werden und würden auch dem Bedürfnis nach Rechtsangleichung widersprechen (vgl. BT-Drucks. 16/11385, S. 31, 42, 28). Daher sollen neben den fortan für das behördliche und gerichtliche Verfahren geltenden allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung nach dem Willen des Gesetzgebers verfahrens- oder prozessrechtliche Sonderbestimmungen nur noch insoweit getroffen werden, als sie aufgrund von Besonderheiten des Berufsrechts unbedingt erforderlich sind (BT-Drucks. 16/11385, S. 28).
(bb) Darüber hinaus hat sich die Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten nicht bewährt. In vielen Fällen ist es deswegen zu erheblichen Verfahrensverzögerungen und zudem zu einer Häufung von Prozessen gekommen, weil die Rechtsanwaltskammern nachträglich den Sofortvollzug des Widerrufsbescheids (§ 16 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F.) ausgesprochen und die betroffenen Rechtsanwälte auch diese Verfügung angefochten haben. Die angestrebte Verfahrenserleichterung ist dementsprechend häufig nicht erreicht worden, sondern hat im Gegenteil sogar zu Erschwernissen geführt. Mit einer strikten Trennung von Widerrufs- und Wiederzulassungsverfahren ist demgegenüber kein nennenswerter zusätzlicher Zeitaufwand verbunden, weil das Anfechtungsverfahren durch die Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs deutlich beschleunigt wird.
(c) Vorliegend kann sich der Kläger somit nicht auf einen im gerichtlichen Verfahren nachträglich eingetretenen Wegfall des Widerrufsgrundes berufen. Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen daher ungeachtet dessen nicht, ob er eine nachträgliche Konsolidierung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nachgewiesen hat. Im Übrigen ist auch von einer nachträglichen Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Klägers nach wie vor nicht auszugehen. Entgegen seinem Vortrag war der Kläger nicht nur im Hinblick auf seine Rolle als allein erziehender Vater zweier Töchter einem vorübergehenden Liquiditätsengpass ausgesetzt. Dies zeigt sich bereits darin, dass beide zwischenzeitlich erwachsenen Töchter Titel auf Zahlung rückständigen Unterhalts gegen ihn erwirkt haben und eine Tochter sogar die Zwangsvollstreckung gegen ihn betreibt.
2. Die Zulassung der Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geboten. Der Kläger rügt insoweit, der Anwaltsgerichtshof habe ihn unter Missachtung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) mit der Bekanntgabe eines von der L. V.V.a.G. nach Erlass der Widerrufsverfügung erwirkten Haftbefehls überrascht. Eine Verletzung dieses Verfahrensgrundrechts liegt jedoch schon deswegen nicht vor, weil der Haftbefehl für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ohne Belang ist. Er wäre nur für die Frage einer nachträglichen Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers von Bedeutung, die nach neuer Rechtslage aber keine Berücksichtigung finden kann. Überdies hat der Anwaltsgerichtshof diesen Gesichtspunkt ohnehin nur als einen von mehreren Aspekten berücksichtigt, so dass er auch im Rahmen der Erwägungen zur nachträglichen Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Klägers keine Entscheidungserheblichkeit erlangt hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Kessal-Wulf König Fetzer
Stüer Martini