Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 10.05.2010


BGH 10.05.2010 - AnwZ (B) 43/09

Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach strafgerichtlicher Verurteilung: Sperrfrist für die Wiederzulassung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Senat für Anwaltssachen
Entscheidungsdatum:
10.05.2010
Aktenzeichen:
AnwZ (B) 43/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Anwaltsgerichtshof Koblenz, 12. November 2008, Az: 2 AGH 6/08, Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 12. November 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller war bis Dezember 2004 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht- K. vom 16. Oktober 2001 wurde er wegen Parteiverrats in Tatmehrheit mit schwerem Parteiverrat und Gebührenüberhebung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Als Nebenfolge dieser Verurteilung verlor der Antragsteller für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden; dieses Urteil ist seit dem 1. März 2002 rechtskräftig. Seine Zulassung wurde mit - später für sofort vollziehbar erklärtem - Bescheid vom 11. Juli 2002 widerrufen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diesen Bescheid wies der Anwaltsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Juli 2003 zurück. Dieser Beschluss wurde nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde am 2. Dezember 2004 rechtskräftig. Durch Beschluss des Amtsgerichts K. vom 19. Dezember 2005 wurde dem Antragsteller die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter wieder verliehen; die Strafe wurde mit Wirkung vom 28. November 2005 erlassen. Den ersten Wiederzulassungsantrag des Antragstellers vom 11. Januar 2006 wies die Antragsgegnerin zurück. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diese Zurückweisung blieb bei dem Anwaltsgerichtshof ohne Erfolg. Der Beschluss des Anwaltsgerichtshofs ist seit dem 31. August 2007 rechtskräftig.

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Mit dem vorliegenden zweiten Wiederzulassungsantrag vom 13. September 2007 hat der Antragsteller erneut Wiederzulassung beantragt. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27. Februar 2008 zurückgewiesen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit welcher er seinen Wiederzulassungsantrag weiterverfolgt.

II.

3

Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BRAO a.F. zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat den erneuten Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft unter Berufung auf den Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO mit Recht zurückgewiesen.

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1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben.

5

a) Der Bewerber erscheint dann unwürdig im Sinne des § 7 Nr. 5 BRAO, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitlicher Führung- nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht gestützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 1. März 1993, AnwZ (B) 49/92, BRAK-Mitt. 1993, 102, 103; Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 38/94, NJW-RR 1995, 1016; Beschl. v. 9. November 2009, AnwZ (B) 13/09, juris).

6

b) Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann im Lauf der Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände soviel an Bedeutung verlieren, dass es der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr entgegensteht. Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 3. November 2008, AnwZ (B) 1/08, juris, Tz. 4; Beschl. v. 15. Juni 2009, AnwZ (B) 59/08, BRAK-Mitt 2009, 242 [Ls], Abdruck bei juris; Beschl. v. 9. November 2009, AnwZ (B) 13/09, juris, Tz. 14).

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c) Bei dieser Gewichtung ist allerdings nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig die Sperrfrist des § 7 Nr. 3 BRAO zu beachten, wenn der Antragsteller seine frühere Zulassung durch einen Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 BRAO auf Grund eines Sachverhalts verloren hat, der inhaltlich einen Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO gerechtfertigt hätte. Die Sperrfrist des § 7 Nr. 3 BRAO beruht auf der Wertung des Gesetzgebers, dass Pflichtverletzungen, die so schwerwiegend sind, dass sie zum Ausschluss aus der Anwaltschaft nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO geführt haben, frühestens nach Ablauf von acht Jahren so weit an Gewicht verloren haben, dass eine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft in Betracht kommt. Diese Wertung des Gesetzgebers trifft auch auf Fälle zu, in denen das Verhalten des Rechtsanwalts der Sache nach zu einem Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft geführt hätte, sich ein anwaltsgerichtliches Verfahren aber aus technischen Gründen, etwa im Anschluss an einen vorherigen Entzug der Zulassung auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung wegen des betreffenden Verhaltens, erübrigt hat. Deshalb kann die Sperrfrist dieser Vorschrift in solchen Fällen nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Rahmen von § 7 Nr. 5 BRAO nicht unberücksichtigt bleiben (Senat, Beschl. v. 30. November 1992, AnwZ (B) 34/92, BRAK-Mitt. 1993, 42, 43; Beschl. v. 14. Juni 1993, AnwZ (B) 59/92, BRAK-Mitt. 1993, 170; Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 38/94, NJW-RR 1995, 1016, 1017; Beschl. v. 29. Januar 1996, AnwZ (B) 53/95, BRAK-Mitt 1996, 123, 124; Beschl. v. 14. Februar 2000, AnwZ (B) 8/99, BRAK-Mitt. 2000, 145, 146; Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 7 Rdn. 44; Schmidt-Räntsch in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 7 BRAO Rdn. 45). Das hat zur Folge, dass eine Wiederzulassung dann regelmäßig erst nach Ablauf von acht Jahren in Betracht kommt.

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2. Von diesen Grundsätzen sind die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Sie haben mit Recht angenommen, dass die der Verurteilung vom 16. Oktober 2001 zugrunde liegenden Straftaten des Antragstellers, die dieser in den Jahren 1998 und 1999 begangen hat, so schwerwiegend sind, dass sie der Wiederzulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 5 BRAO noch entgegenstehen. Dies gilt im Beschwerdeverfahren weiterhin. Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Beurteilung.

9

a) Der Antragsteller hat sich wegen Parteiverrats in Tatmehrheit mit schwerem Parteiverrat und Gebührenüberhebung strafbar gemacht. Parteiverrat ist eine Straftat im Kernreich anwaltlicher Tätigkeit. Sie beschädigt das Vertrauen der Rechtsuchenden empfindlich und erfordert deshalb regelmäßig einen Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft (Senat, Beschl. v. 14. Juni 1993, AnwZ (B) 59/92, BRAK-Mitt. 1993, 170; EGH Hamm BRAK-Mitt. 1984, 143, 144; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 114 Rdn. 47). Ein Absehen von einem Ausschluss kommt nur bei außergewöhnlichen Umständen, insbesondere dann in Betracht, wenn der Vorfall, auf den der Ausschluss gestützt werden soll, sehr lange zurückliegt und sich der Rechtsanwalt eine strafrechtliche Verurteilung hat zur Warnung dienen lassen (so in dem Fall EGH Hamm aaO). Solche Umstände lagen hier bei Widerruf der früheren Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2002 nicht vor. Das Strafgericht hat zwar eine Strafe "im untersten Bereich des Strafrahmens" verhängt. Ungeachtet dessen führt die Verurteilung nach § 45 Abs. 1 StGB kraft Gesetzes zum Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter.

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b) Diese hier eingetretene Nebenfolge, die nach § 7 Nr. 2 BRAO zugleich auch ein (Wieder-)Zulassungshindernis begründet, belegt, dass das Verhalten des Antragstellers ohne die Verurteilung damals einen Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft gerechtfertigt hätte. Er erübrigte sich, weil die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach dem Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils am 1. März 2002 nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO zu entziehen war und die Antragsgegnerin dem mit dem Widerrufsbescheid vom 1. Juli 2002 entsprach. Deshalb ist die Sperrfrist des § 7 Nr. 3 BRAO auch hier zu beachten.

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Diese Frist beginnt nach der Rechtsprechung des Senats mit dem Eintritt der Bestandskraft des Widerrufsbescheids nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO (Beschl. v. 14. Juni 1993, AnwZ (B) 59/92, BRAK-Mitt. 1993, 170 für § 14 Abs. 1 Nr. 3 BRAO a.F.). Der Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2002 ist mit der Rücknahme der sofortigen Beschwerde gegen den diese Entscheidung bestätigenden Beschluss des Anwaltsgerichtshofs vom 16. Juli 2003 am 2. Dezember 2004 bestandskräftig geworden. Seit diesem Zeitpunkt sind noch nicht acht Jahre verstrichen. Nichts anderes ergäbe sich, wenn man auf den Zeitpunkt abstellen würde, zu dem der Widerrufsbescheid für sofort vollziehbar erklärt wurde (§ 14 Abs. 4 BRAO). Das geschah durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2003. Auch dann ist die Sperrfrist von acht Jahren noch nicht verstrichen.

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c) Gründe, die der Verurteilung schon vor Ablauf der Sperrfrist ihr Gewicht nähmen und ausnahmsweise vorher eine Wiederzulassung erlaubten, hat der Anwaltsgerichtshof zu Recht verneint. Sie liegen auch jetzt nicht vor.

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aa) Das Strafgericht hat die gegen den Antragsteller verhängte Strafe zwar, wie ausgeführt, an dem untersten Rand des Strafrahmens angesetzt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Das beruhte darauf, dass der Antragsteller entscheidend zur Aufklärung seiner Taten beigetragen hat, und auf seinem schweren Schicksal, das ihn mit einer Gehirntumorerkrankung im Jahr 2000 traf. Das hier maßgebliche objektive Gewicht der Taten des Antragstellers stellt dieses Strafmaß aber nicht in Frage. Es ist beträchtlich, weil der Antragsteller das ihm als Rechtsanwalt von seiner Mandantin entgegengebrachte Vertrauen grob missbraucht und er sich dieser Mandantin gegenüber als Rechtsanwalt rücksichtslos verhalten hat.

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bb) Ein Unterschreiten der Sperrfrist lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass sich der Antragsteller seit seiner Verurteilung straffrei verhalten hat und ihm deshalb die Strafe Ende 2005 erlassen und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter wieder verliehen worden ist. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der Antragsteller bis Ende 2005 noch unter dem Druck der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand (dazu: Senat, Beschl. v. 25. April 1977, AnwZ (B) 5/77; Beschl. v. 30. November 1987, AnwZ (B) 38/87, NJW 1988, 1793, 1794; Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 38/94, NJW-RR 1995, 1016, 1017). Die zuverlässige Beurteilung, ob dem Antragsteller die Aufgabe, unabhängiger Berater und Vertreter von Rechtsuchenden zu sein (§ 3 BRAO), wieder anvertraut werden kann, ist erst möglich, wenn ein längerer Zeitraum nach Ablauf der strafrechtlichen Bewährungszeit verstrichen ist (Senat, Beschl. v. 1. März 1993, AnwZ (B) 49/92, BRAK-Mitt. 1993, 102, 103). Daran fehlt es hier. Seit dem Straferlass sind zwar viereinhalb Jahre verstrichen. Der Antragsteller ist in dieser Zeit von seinen damaligen Taten aber nicht innerlich uneingeschränkt abgerückt. Noch im Verfahren über seinen ersten Wiederzulassungsantrag hat er diese Einsicht vermissen lassen. Diese Einsicht hat er erst im Verfahren vor dem Senat gezeigt. Welche Wartefrist nach Ablauf der Sperrfrist gemäß § 7 Nr. 5 BRAO ausgehend von den zu II 1 a und b dargelegten Grundsätzen erforderlich ist, ist derzeit nicht zu entscheiden.

15

3. Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Beteiligten auf die mündliche Verhandlung verzichtet haben.

Tolksdorf                                           Schmidt-Räntsch                                    Lohmann

                              Stüer                                                          Quaas