Entscheidungsdatum: 18.10.2010
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu ersetzen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
I.
Nachdem seine zuvor erteilte Zulassung widerrufen worden war, ist der Antragsteller seit dem 26. Oktober 2007 erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seit April 2008 ist er im Bezirk der Antragsgegnerin tätig. Mit Bescheid vom 3. August 2009 widerrief die Antragsgegnerin seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls. Seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde. Die Antragsgegnerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
II.
Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 4 BRAO a.F. zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (Senat, Beschluss vom 25. März 1991, AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschluss vom 21. November 1994, AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschluss vom 26. November 2002, AnwZ (B) 18/01, NJW 2003, 577). Der Vermögensverfall wird gesetzlich vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder dieser in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht nach § 26 Abs. 2 InsO, § 915 ZPO zu führende Verzeichnis eingetragen ist.
2. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids am 3. August 2009 vor.
a) Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller - was er nicht bestreitet - nicht mehr imstande, seine Verbindlichkeiten ordnungsgemäß zu erfüllen. Nachdem er im Jahre 2008 auf Antrag fünf vollstreckender Gläubiger die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, hatte das Amtsgericht M. durch Beschluss vom 23. Januar 2009 auf seinen Antrag das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Somit waren die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls erfüllt. Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sind geordnete Vermögensverhältnisse erst wiederhergestellt, wenn das Insolvenzverfahren aufgehoben wird und der Schuldner dadurch das Recht zurückerhält, über die vormalige Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO); dasselbe gilt, wenn dem Schuldner durch Beschluss des Insolvenzgerichts die Restschuldbefreiung angekündigt wurde (§ 291 InsO) oder ein vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248 InsO) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorliegt, bei dessen Erfüllung der Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2004, AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271 f.; Beschluss vom 25. Februar 2010, AnwZ (B) 81/07; Beschluss vom 31. Mai 2010, AnwZ (B) 27/09). Keine dieser Voraussetzungen lag bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.
b) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers ist mit einem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Diese Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; Beschluss vom 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, m.w.N.). Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung ausnahmsweise nicht gegeben war, liegen nicht vor.
aa) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Amtsgericht M. und die damit eintretende Verfügungsbeschränkung des Antragstellers beseitigte die Gefährdung der rechtsuchenden Bevölkerung nicht (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925). Dies kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die begründete Aussicht besteht, dass das Insolvenzverfahren in absehbarer Zeit beendet wird und die Wiederherstellung geordneter Vermögensverhältnisse erwarten lässt. Deshalb kann in aller Regel erst dann, wenn das Insolvenzverfahren zu einem Abschluss führt, bei dem mit einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers gerechnet werden kann, das heißt mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts, davon ausgegangen werden, dass nicht nur der Vermögensverfall, sondern auch eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr fortbesteht. Nichts anderes gilt für die Beendigung des Verfahrens durch die Bestätigung eines Insolvenz- oder Schuldenbereinigungsplans. Ein solcher Plan muss vorgelegt werden und es muss die begründete Aussicht auf seine Bestätigung durch die Gläubiger und das Insolvenzgericht bestehen (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2010, AnwZ (B) 27/09). All dies lässt sich dem Vorbringen des Antragstellers nicht entnehmen und ist auch sonst nicht ersichtlich.
bb) Besondere Umstände, insbesondere ausreichende arbeitsvertragliche Beschränkungen und Sicherungsvorkehrungen, welche die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts ausnahmsweise schon vor Abschluss des andauernden Insolvenzverfahrens nicht mehr zu befürchten war, lagen nicht vor. Sie waren insbesondere nicht deshalb gegeben, weil der Antragsteller mit Wirkung vom 21. Dezember 2008 als Partner aus der Anwaltsgesellschaft A. und Partner ausschied und seither aufgrund eines unbefristeten Anstellungsvertrages vom 17. Dezember 2008 anwaltlich für diese Kanzlei tätig ist. Hierzu gilt:
(1) Eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden kann nach der Rechtsprechung des Senats in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein, wenn der Rechtsanwalt die zum Schutz der Interessen der Rechtsuchenden in seiner Lage erforderlichen Vorkehrungen trifft und (vertrags-) rechtlich und tatsächlich sicherstellt, dass diese Vorkehrungen auch eingehalten werden (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925; Beschluss vom 9. November 2009, AnwZ (B) 87/08; Beschluss vom 8. Februar 2010, AnwZ (B) 67/08). Das setzt regelmäßig die Aufgabe einer Tätigkeit als Einzelanwalt und den Abschluss eines Anstellungsvertrags mit einer Anwaltssozietät voraus (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559, 560; Beschluss vom 8. Februar 2010, AnwZ (B) 67/08), der nach der Organisation der Sozietät (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2008, AnwZ (B) 67/07, aaO), dem Umfang der Tätigkeitsverpflichtung des Rechtsanwalts gegenüber der Sozietät (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2007, AnwZ (B) 75/06, AnwBl. 2008, 66, 67) und den getroffenen vertraglichen und tatsächlichen Vorkehrungen einen effektiven Schutz der Interessen der Rechtsuchenden erwarten lässt (BGH, Beschluss vom 9. November 2009, AnwZ (B) 87/08; Beschluss vom 8. Februar 2010, AnwZ (B) 67/08).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist in den Blick zu nehmen, dass schon nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO der Widerruf der Zulassung die Regel und die Annahme einer trotz des Vermögensverfalls nicht gegebenen Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden die Ausnahme ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924). Der Vermögensverfall des Anwalts lässt befürchten, dass entweder der Anwalt selbst oder aber dessen Gläubiger auf Gelder der Mandanten zugreifen. Ziel der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist es, dieser Gefahr vorzubeugen. Daran hat sich die Rechtsanwendung zu orientieren. Von einem Widerruf der Zulassung eines in Vermögensverfall geratenen Anwalts kann folglich nur dann abgesehen werden, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden. Grundlage einer solchen Prognose kann nicht nur der Abschluss eines - unter Umständen den einschlägigen Senatsentscheidungen nachgebildeten - Anstellungsvertrages sein. Vielmehr entscheidet eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände darüber, ob die Gefährdung der Rechtsuchenden hinreichend sicher ausgeschlossen ist. Dies wird angesichts der für eine Gefährdung streitenden Vermutung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen; die Feststellungslast trifft den Rechtsanwalt (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010, AnwZ (B) 67/08).
(2) Die nach diesen - strengen - Maßstäben vorzunehmende Gesamtwürdigung führt zu dem Ergebnis, dass ein Ausschluss der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht festgestellt werden kann. Zum Nachteil des Antragstellers fallen dabei insbesondere die ungenügende Kontrolle sowie die Art und Weise der bisherigen Ausübung seiner Anwaltstätigkeit ins Gewicht. Im Einzelnen:
- Es fehlte bereits an einer ausreichenden Kontrolle der Tätigkeit des Antragstellers. An dem Standort M., an dem der Antragsteller eingesetzt war, war außer ihm bis zum 31. Dezember 2009 lediglich ein Partner der überörtlichen Sozietät, Rechtsanwalt K., tätig. Damit ist die Sachlage nicht anders zu beurteilen, als wenn der Antragsteller bei einem Einzelanwalt angestellt gewesen wäre. Eine solche Form der anwaltlichen Tätigkeit vermag indes eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden in der Regel nicht auszuschließen. (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2010, AnwZ (B) 27/09; Beschluss vom 21. Juli 2008, AnwZ (B) 12/08, AnwBl. 2009, 64).
- Hinzu kommt, dass der Antragsteller seine berufliche Tätigkeit bislang nicht beanstandungsfrei ausgeübt hat (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925; Beschluss vom 8. Februar 2010, AnwZ (B) 67/08). Dabei sind unter anderem die folgenden Umstände von Belang:
In der Insolvenztabelle sind mehrere Vollstreckungstitel eingetragen, die auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Antragstellers beruhen, so das Urteil des Amtsgerichts M. vom 28. März 2006, mit dem er zur Zahlung von 1.098,52 € nebst Zinsen an eine Mandantin verurteilt worden ist, und ferner das Urteil des Amtsgerichts M. vom 5. Juni 2009, durch das ein Versäumnisurteil auf Zahlung von 1.771,42 € aufrechterhalten wurde. Beiden Urteilen lag zu Grunde, dass der Antragsteller Fremdgeld bewusst für eigene Zwecke verwendete. Außerdem erschien der Antragsteller auch nach Abschluss des Arbeitsvertrages im Internet-Auftritt seiner Kanzlei als gleichberechtigter Partner ohne Hinweis auf seine Anstellung.
3. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung des Antragstellers sind auch nicht, was zu berücksichtigen wäre (Senat, BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150), im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens entfallen.
a) Der Antragsteller befindet sich nach wie vor in Vermögensverfall; das Insolvenzverfahren über sein Vermögen dauert noch an.
b) Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen der Rechtsuchenden gleichwohl ausnahmsweise nicht mehr gefährdet sind, sind nicht gegeben.
aa) Die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung vom 27. April 2010 geäußerte Erwartung, "in Kürze" werde der Schlussbericht beim Insolvenzgericht eingereicht und dort ein Schlusstermin angesetzt, somit bestünden greifbare Anhaltspunkte dafür, dass ein Verfahrensabschluss mit einer Restschuldbefreiung erreicht werde, hat sich bis zur heutigen mündlichen Verhandlung nicht erfüllt. Der Insolvenzverwalter hat zwar unter dem 21. September 2010 den Schlussbericht erstellt; ein Schlusstermin ist aber vom Amtsgericht bisher nicht bestimmt worden. Ob das Insolvenzverfahren mit einer Restschuldbefreiung des Antragstellers enden wird, ist somit derzeit nicht hinreichend sicher feststellbar. Allein die Hoffnung des Antragstellers auf einen entsprechenden Abschluss des Insolvenzverfahrens rechtfertigt nicht die Annahme, die Interessen der Rechtsuchenden seien nicht mehr in Gefahr.
bb) Eine ausreichende Kontrolle der Tätigkeit des Antragstellers fand auch weiterhin nicht statt. Nach dem Ausscheiden von Rechtsanwalt K. war Rechtsanwalt A. der einzige verbliebene Partner der überörtlichen Anwaltsgesellschaft. Selbst wenn man - dem Vorbringen des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof folgend - davon ausgehen will, dass Rechtsanwalt A. nicht nur drei bis vier Tage sondern täglich in M. anwesend war, obwohl dieser auch in der Hauptniederlassung in Mü. residierte, reicht dies aus den dargelegten Gründen nicht aus. Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren weiter geltend macht, in der Kanzlei in M. sei mittlerweile neben ihm ein weiterer Rechtsanwalt tätig, führt dies ebenfalls nicht dazu, dass nunmehr von einer Organisation der Sozietät auszugehen ist, die einen effektiven Schutz der Interessen der Rechtsuchenden erwarten lässt. Bei dem in M. tätigen Rechtsanwalt handelt es sich nicht um einen neuen Partner der Rechtsanwaltsgesellschaft. Grundsätzlich bietet indes allenfalls die Kontrolle durch mehrere Mitglieder einer Sozietät, denen gegenüber sich der Rechtsanwalt vertraglich gebunden hat, die hinreichende Gewähr für die Einhaltung der Beschränkungen, denen sich der insolvente Rechtsanwalt zum Schutz der Rechtsuchenden unterworfen hat; die erforderliche Kontrolle der Tätigkeit des angestellten Rechtsanwalts kann insbesondere nicht durch andere Angestellte der Kanzlei übernommen werden, die zu ihm nicht in vertraglicher Beziehung stehen (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559, 560).
4. Da nach alldem die Voraussetzungen des Widerrufs der Zulassung des Antragstellers vorlagen und noch vorliegen bedarf es keiner näheren Beurteilung, ob der Antragsteller - wofür Einiges spricht - in Wahrheit weiterhin als selbstständiger Anwalt tätig und der Anstellungsvertrag nur zum Schein geschlossen ist.
Tolksdorf Roggenbuck Schäfer
Stüer Quaas