Entscheidungsdatum: 08.12.2010
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 1. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 8. Juni 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht als unzulässig verworfen, sondern als unbegründet zurückgewiesen wird.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin ist seit Oktober 1992 als Rechtsanwältin zugelassen. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung der Antragstellerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls. Gegen diesen ihr am 2. Oktober 2008 zugestellten Bescheid hat die Antragstellerin mit am Montag, dem 3. November 2008, bei der Briefannahmestelle der Justizbehörden F. (Nachtbriefkasten) eingegangenem Schriftsatz Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Der mit dem gedruckten Briefkopf der Antragstellerin versehene Schriftsatz schloss mit dem maschinenschriftlichen Zusatz "(W.) Rechtsanwältin" ab, wies aber keine eigenhändige Unterschrift der Antragstellerin auf. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung - unter Zurückweisung eines daneben gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 215 Abs. 3 BRAO, § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F.), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Allerdings folgt der Senat nicht der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei bereits unzulässig.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist binnen einer Frist von einem Monat ab Zustellung des Widerrufsbescheids schriftlich beim Anwaltsgerichtshof einzureichen (§ 215 Abs. 2 BRAO, § 16 Abs. 5, § 37 BRAO a.F.). Diesen Anforderungen genügt der am letzten Tag der Frist (vgl. § 40 Abs. 4 BRAO a.F., § 17 Abs. 2 FGG a.F.) bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Justizbehörden F. eingegangene Schriftsatz der Antragstellerin ungeachtet der fehlenden Unterzeichnung.
a) Das Schriftformerfordernis in § 37 BRAO a.F. ist allerdings - wovon der Anwaltsgerichtshof zu Recht ausgeht - regelmäßig nur dann gewahrt, wenn die eingereichte Antragsschrift eigenhändig vom Antragsteller (oder einem von ihm eingeschalteten Bevollmächtigten) unterzeichnet worden ist (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 28. Februar 1983 - AnwZ (B) 2/83, BGHZ 87, 63, 64; vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 53/94, NJW-RR 1995, 1266, unter II 1; jeweils zum Schriftformerfordernis nach § 42 Abs. 4 Satz 1 BRAO a.F.). Grundsätzlich bringt nämlich nur die eigenhändige Namensunterzeichnung zuverlässig zum Ausdruck, welche Person die Verantwortung für die niedergeschriebene Erklärung übernimmt und ob das Schriftstück für den Rechtsverkehr bestimmt ist (vgl. etwa BVerwGE 81, 32, 33 ff.).
Dies schließt aber nicht aus, dass auch ein nicht unterzeichneter Schriftsatz unter besonderen Umständen den mit der Formvorschrift in § 37 BRAO a.F. verfolgten Zweck erfüllt. Verfahrensvorschriften dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern (GmS-OGB, BGHZ 75, 340, 348). Aus diesem Grund darf das verfahrensrechtliche Erfordernis der Schriftlichkeit nicht zum Selbstzweck erhoben werden (vgl. GmS-OGB, aaO; BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, unter B II 1 d aa, m.w.N.; BVerwGE aaO, 33 f.). Entscheidend ist nicht, welche (strengeren) Anforderungen das bürgerliche Recht an das Merkmal der Schriftlichkeit stellt, sondern allein, welcher Grad von Formstrenge nach den maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll zu fordern ist (GmS-OGB, aaO; BVerfG, NJW 2002, 3534, 3535, m.w.N.).
Ausgehend davon ist das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift ausnahmsweise dann unschädlich, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen (Senatsbeschluss vom 9. Dezember 1996 - AnwZ (B) 35/96, NJW-RR 1997, 1558, unter II 1; BGH, Urteil vom 10. Mai 2005, aaO; BVerwGE, aaO 36 f.; BVerfG, aaO; Feuerich/Weiland, BRAO, 7. Aufl., § 37 Rn. 4 ff.; Prütting in Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., § 37 Rn. 15 f.; Jessnitzer/Blumberg, BRAO, 9. Aufl., § 37 Rn. 1). Dies ist etwa in den Fällen angenommen worden, in denen ein (maschinenschriftlich) verfasstes, nicht oder jedenfalls nicht vom Urheber eigenhändig unterzeichnetes Schriftstück aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden Kenntnis des Sach- und Streitstoffs keinen Zweifel an der Person des Erklärenden aufkommen ließ und in denen aufgrund der gesamten Begleitumstände auch keine ernstlichen Bedenken daran bestanden, dass das Schriftstück mit dessen Willen der (Gerichts-)Behörde zugegangen war (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 1996, aaO; BVerwGE, aaO S. 37, m.w.N.). Von Bedeutung für die Frage, ob ein nicht eigenhändig unterzeichneter Schriftsatz das Schriftlichkeitsgebot wahrt, kann auch der Umstand sein, dass es neben dem maschinenschriftlichen Vermerk "gez. Rechtsanwalt" ein maschinenschriftliches Diktatzeichen trägt (vgl. hierzu etwa BGHSt 2, 77, 78 unter Hinweis auf RGSt 67, 385; Senatsbeschlüsse vom 16. Oktober 2000 - AnwZ (B) 66/99 und AnwZ (B) 67/99, BGHR BRAO § 42 Abs. 4 Satz 1 Schriftform 1; Prütting, aaO).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen erfüllt der am 3. November 2008 in den Nachtbriefkasten der gemeinsamen Briefannahmestelle der Justizbehörden F. eingeworfene Schriftsatz die in § 37 BRAO a.F. gestellten Schriftlichkeitsanforderungen.
Der Schriftsatz lässt durch seine Gestaltung und seinen Inhalt keinen Raum für vernünftige Zweifel daran, dass er von der Antragstellerin herrührt. Er trägt aufgedruckt ihren anwaltlichen Briefkopf sowie alle geschäftsüblichen Angaben (Anschrift, Fernsprechdaten und Geschäftsverbindungen). Daneben weist er das maschinenschriftliche Diktatzeichen "AGW-UW-1. SAM" auf und schließt mit dem maschinenschriftlichen Vermerk "(W.) Rechtsanwältin". Zudem lässt sich der in dem dreiseitigen Schriftsatz enthaltenden Antragsbegründung eine genaue Kenntnis des Sach- und Streitstoffs entnehmen.
Angesichts der Gesamtumstände ist auch ausgeschlossen, dass es sich bei dem Schriftsatz um einen bloßen Entwurf und nicht um ein mit Willen der Antragstellerin dem Gericht zugeleitetes Rechtsmittel handelt. Dem auf dem Schriftsatz aufgebrachten Eingangsstempel ist zu entnehmen, dass er am letzten Tag der Frist (Montag, dem 3. November 2008) in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden ist. Für die Fertigung eines anderen Schriftsatzes bestand ersichtlich kein zeitlicher Spielraum mehr; das weitere berufliche Schicksal der Antragstellerin hing von einer rechtzeitigen Anfechtung des Widerrufsbescheids ab, zudem enthielt das Schriftstück alle erforderlichen Angaben (mit Ausnahme der in Bezug genommenen Anlagen und der eigenhändigen Namensunterschrift); es ist als "Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 16 Abs. 5 BRAO" bezeichnet, an den Anwaltsgerichtshof adressiert und enthält neben dem im Antrag genau bezeichneten Anfechtungsgegenstand unter anderem den Hinweis, dass der binnen Monatsfrist (§ 16 Abs. 5 BRAO a.F.) anzufechtende Widerrufsbescheid der Antragstellerin am 2. Oktober 2008 zugestellt worden ist. Angesichts all dieser Umstände spricht bei vernünftiger Betrachtung nichts dafür, dass der Schriftsatz ohne Wissen und Wollen der Antragstellerin dem Anwaltsgerichtshof zugeleitet worden ist. Dementsprechend hat auch der Anwaltsgerichtshof zunächst keine Bedenken gegen die Formwirksamkeit des eingegangenen Schriftsatzes erhoben, sondern umgehend Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt.
2. Der somit form- und fristgerecht eingelegte Antrag auf gerichtliche Entscheidung war aber als unbegründet zurückzuweisen. Diesen Anspruch holt der Senat, der als Beschwerdegericht die erforderlichen Tatsachenfeststellungen selber trifft, nach, nachdem keine Partei die Zurückverweisung der Sache an den Anwaltsgerichtshof angeregt oder beantragt hat.
a) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, die Interessen der Rechtsuchenden sind hierdurch nicht gefährdet. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind das Erwirken von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschluss vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, ZInsO 2010, 1380 Rn. 4 m.w.N.). Zudem besteht nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO eine gesetzliche Vermutung für den Eintritt eines Vermögensverfalls, wenn der Rechtsanwalt in dem vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 915 ZPO) eingetragen ist.
b) Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.
aa) Zu diesem Zeitpunkt war der gesetzliche Vermutungstatbestand erfüllt. Im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts O. waren zwei gegen die Antragstellerin erwirkte Haftbefehle (vom 8. November 2007 und vom 25. April 2008) eingetragen. Die hierdurch begründete Vermutung für ihren Vermögensverfall hat die Antragstellerin nicht entkräftet. Sie hat nur punktuelle Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht.
bb) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers ist mit einem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Diese Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559 Rn. 8, und vom 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924 Rn. 8 m.w.N.). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung ausnahmsweise nicht bestand, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
c) Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind auch nicht nachträglich entfallen.
aa) Zwar scheidet nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Widerruf der Zulassung aus, wenn der Widerrufsgrund im Verlauf des Verfahrens weggefallen ist (Senatsbeschlüsse vom 12. November 1979 - AnwZ (B) 16/79, BGHZ 75, 356, 357 und vom 17. Mai 1982 - AnwZ (B) 5/82, BGHZ 84, 149, 150). Dies setzt aber voraus, dass der Fortfall des Widerrufsgrunds, hier des Vermögensverfalls, von dem Rechtsanwalt zweifelsfrei nachgewiesen wird (Senatsbeschluss vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, aaO Rn. 10 m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es ihm gelungen ist, den Vermögensverfall zu beseitigen, trifft den Rechtsanwalt (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, aaO), dem eine entsprechende Mitwirkungspflicht nach § 215 Abs. 3 BRAO in Verbindung mit § 36a BRAO a.F. obliegt. Dieser Nachweis ist nicht geführt.
bb) Die Vermögensverhältnisse der Antragstellerin haben sich nicht nachträglich konsolidiert. Zwar ist der Haftbefehl vom 18. November 2007 zwischenzeitlich aufgehoben worden. Die Antragstellerin hat aber nicht die Aufhebung des von der Wohnungseigentümergemeinschaft S. am 25. April 2008 erwirkten Haftbefehls erreichen können. Auch hat sie nicht - wie geboten - konkret und nachvollziehbar vorgetragen, welche Forderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft S. derzeit noch offen sind und auf welche Weise sie diese Verbindlichkeiten zu tilgen gedenkt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 1991 - AnwZ (B) 40/91, juris Rn. 6, und vom 10. August 2009 - AnwZ (B) 40/08, juris Rn. 10). Sie hat lediglich den Stand der Forderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft S. zum 5. Juni 2009 (titulierte Forderungen: 9.236,03 Euro) mitgeteilt und mehrfach, zuletzt mit Schriftsatz vom 9. Mai 2010, nicht belegte Ratenzahlungen vorgetragen. Auch zu ihren Einkünften hat die Antragstellerin nur unzureichende Angaben gemacht. Bekannt ist nur, dass sie im Jahr 2007 steuerpflichtige Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 9.125 Euro erzielt hat und zudem ein Wertpapierdepot besitzt, das zum 31. Dezember 2009 einen Stand von rund 14.000 Euro aufwies. Insgesamt genügen die Angaben der Antragstellerin nicht den Anforderungen an eine geordnete Darstellung ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse. Eine solche ist sie auch nach der dezidierten Hinweisverfügung des Senats vom 6. August 2010 schuldig geblieben.
cc) Auch die Interessen der Rechtsuchenden sind im Hinblick auf den nicht ausgeräumten Vermögensverfall der Antragstellerin weiterhin gefährdet. Seit dem Erlass des Widerrufsbescheids hat sich hieran nichts geändert.
3. Da beide Seiten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben, konnte der Senat im schriftlichen Verfahren entscheiden (§ 42 Abs. 6, § 40 Abs. 2 Satz 2 BRAO a.F.).
Tolksdorf Schmidt-Räntsch Fetzer
Wüllrich Braeuer