Entscheidungsdatum: 29.06.2017
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Hamburg übertragen.
I.
Der Angeschuldigte wurde auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2016 am selben Tag festgenommen und befindet sich seit dem 16. Dezember 2016 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe in Bremen und andernorts zwischen dem 19. Oktober 2015 und dem 29. Oktober 2016 für den türkischen Geheimdienst eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet gewesen sei, strafbar gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Unter dem 7. Juni 2017 hat der Generalbundesanwalt wegen dieses Vorwurfs, erweitert auf den Zeitraum von September 2015 bis zum 15. Dezember 2016, Anklage zum Oberlandesgericht Hamburg erhoben.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens ist der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2016. Über den vom Generalbundesanwalt mit Erhebung der Anklage gestellten Antrag, diesen Haftbefehl gegen einen neuen Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift zu ersetzen, ist noch nicht entschieden.
Die Haftprüfung bezieht sich somit allein auf den in dem vollzogenen Haftbefehl gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwurf (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22), zu dessen Anpassung oder Erweiterung nunmehr nur das gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständige Oberlandesgericht Hamburg befugt ist. Der Anklagesatz hat indes im Kern diesen Vorwurf übernommen, so dass der Haftbefehl weiterhin seiner Funktion gerecht wird, in tatsächlicher Hinsicht verlässlich Auskunft über den Grund der Untersuchungshaft zu geben.
2. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 15. Dezember 2016 vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der Angeschuldigte, ein türkischer Staatsangehöriger, der der kurdischen Volksgruppe angehört, ist seit dem Jahr 2013 für den türkischen nationalen Nachrichtendienst (Millî İstihbarat Teşkilâtı - MIT) tätig.
Nach dem 19. Oktober 2015 reiste der Angeschuldigte (erneut) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zumindest bis zu seiner (zwischenzeitlichen) Ausreise am 29. Oktober 2016 verschaffte er sich im Auftrag des MIT unter der Legende, ein Sprachstudium zu betreiben, verdeckt Informationen über den in B. wohnhaften kurdischen Politiker Y. K. und weitere Personen aus dem Umfeld des in B. ansässigen Vereins "Bi. e.V.". Der Angeschuldigte gewann seine Erkenntnisse - unter Geheimhaltung seines Ziels und seiner Funktion - über das Internet und durch persönliche Gespräche. Die Informationen waren zur Weitergabe an den MIT bestimmt. Zu diesem Zweck fertigte der Angeschuldigte Aufzeichnungen über Aufenthaltsorte, Aktivitäten und Kontakte der betreffenden Zielpersonen, namentlich Y. K. , an. Der Angeschuldigte erhielt für seine Ausforschungstätigkeit in Deutschland (zumindest) monatlich ca. 1.500 € zuzüglich der Kosten eines Sprachkurses.
Y. K. war (von Mitte Juni 2016 an) einer der beiden Vorsitzenden des Kongresses der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Kongreya Civakên Demokratîk â Kurdîstanîyên Li Ewrupa - KCDK-E). Er war zwar Sympathisant der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), jedoch weder ihr Mitglied noch ihr Unterstützer. Der Verein "Bi. e.V." war im Vereinsregister eingetragen und legal tätig.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den Angaben des Angeschuldigten bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 12. Dezember 2016 und bei seiner ermittlungsrichterlichen Einvernahme am 16. Dezember 2016, aus den Aussagen der Zeugin E. vor dem Generalbundesanwalt am 9. Januar 2017 und vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 4. und 10. April 2017, aus den handschriftlichen Aufzeichnungen des Angeschuldigten sowie aus seiner durch Auswertung des elektronischen Kommunikationsverkehrs erlangten selbstbezichtigenden Twitter-Nachricht unbekannten Datums. Die späteren Einlassungen des Angeschuldigten ab dem 6. Februar 2017, er sei auf Geheiß der sog. "Gülen-Bewegung" tätig geworden, sind schon für sich gesehen wenig plausibel. Nachfolgende Ermittlungen haben keine Hinweise auf eine Verbindung des Angeschuldigten zu dieser Organisation erbracht. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf das in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts dargelegte wesentliche Ergebnis der bisherigen Ermittlungen, insbesondere die dort wiedergegebenen Einlassungen des Angeschuldigten und die im Einzelnen gewürdigten Beweismittel.
Darüber hinaus ist nach Anklageerhebung das Protokoll über die am 31. Mai 2017 in Norwegen durchgeführte polizeiliche Vernehmung des Zeugen Ke. - nach Übersetzung in die deutsche Sprache - zu den Akten gelangt; der Zeuge hat entgegen der Behauptung des Angeschuldigten nicht bestätigt, dass dieser Angehöriger der "Gülen-Bewegung" sei.
3. Nach alledem besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland strafbar gemacht hat, indem er für den türkischen Geheimdienst in einer die Arbeit von Agenten und anderen Hilfspersonen solcher Dienste kennzeichnenden, auf Mitteilung und Lieferung von Tatsachen oder Erkenntnissen gerichteten Vorgehensweise tätig war. Sein Handeln war insbesondere auch gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, weil von seinen Ausforschungen Personen, namentlich Y. K. , betroffen waren, die sich im Bundesgebiet unter dem Schutz des Art. 5 GG in legaler Weise politisch betätigten, ohne Mitglied oder Unterstützer einer - von der Europäischen Union gelisteten - ausländischen terroristischen Vereinigung zu sein (s. hierzu BGH, Beschlüsse vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158, 160; vom 31. August 2016 - AK 46/16, NStZ 2017, 153, 154).
4. Bei dem Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die zu erwartende Strafe begründet einen erheblichen Fluchtanreiz. Diesem stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände gegenüber. Der Angeschuldigte hat im Inland keine gefestigten sozialen Bindungen. In der Türkei hat er indes Ehefrau und drei Kinder. Seine hiesige Wohnung in B. räumte er am 14. Oktober 2016. Vor seiner Inhaftierung in dieser Sache war er zuletzt in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg untergebracht. Einer geregelten legalen Erwerbstätigkeit ging er nicht nach. Unter den obwaltenden Umständen und mit Blick auf die Anbindung des Angeschuldigten an den türkischen Geheimdienst ist zu erwarten, dass er, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen und ins Ausland absetzen wird.
Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO kommen nicht in Betracht.
5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
Die Sachakten haben einen Umfang von 20 Stehordnern. Die Änderung des Aussageverhaltens des Angeschuldigten war Anlass für weitere umfangreiche Ermittlungen. Er ist am 6., 7., 15. und 16. Februar 2017 polizeilich einvernommen worden; zudem hat er sich am 6. und 15. Februar 2017 schriftlich geäußert. Dies hat - neben den nochmaligen Vernehmungen der Zeugin E. (vom 4. und 10. April 2017 [nach ihrer Einvernahme am 9. und 10. Januar 2017]) und des Zeugen Y. K. (vom 16. Mai 2017 [nach seiner Einvernahme am 27. September 2016]) sowie den erstmaligen Vernehmungen der Zeugen S. und K. K. (am 17. und 18. Mai 2017) - insbesondere die im Wege der Rechtshilfe mit Norwegen veranlasste Vernehmung des dort wohnhaften Zeugen Ke. vom 31. Mai 2017 erforderlich gemacht.
Ferner haben die vielen sichergestellten Asservate, vor allem die elek-tronischen Datenträger des Angeschuldigten, auf ihre Relevanz untersucht werden müssen; hinsichtlich der Einzelheiten verweist der Senat auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 8. Juni 2017. Um den Anspruch des Angeschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist zu gewährleisten, hat der Generalbundesanwalt bereits vor Abschluss der Auswertung - als damit zu rechnen war, dass die weiteren Ermittlungen den dringenden Tatverdacht nicht mehr grundsätzlich in Frage stellen können - Anklage erhoben.
6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Spaniol Berg