Entscheidungsdatum: 20.01.2015
Eine geheimdienstliche Agententätigkeit wird nicht ohne Weiteres im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB "gegen die Bundesrepublik Deutschland" ausgeübt, wenn die Ausforschungsbemühungen sich gegen Mitglieder oder Unterstützer einer durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigung richten, insbesondere gegen Führungsmitglieder, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. Juli 2014 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen verübten seit Beginn der 1980er Jahre extremistische Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Sikhs terroristische Anschläge gegen indische Einrichtungen und deren Repräsentanten mit dem Ziel, durch den Einsatz gewalttätiger Mittel einen unabhängigen Staat namens "Khalistan" ("Land der Reinen") zu bilden. Die Anhänger der militanten "Khalistan-Bewegung" sind in mehreren Gruppierungen organisiert, darunter die "Babbar Khalsa" (im Folgenden: BK), deren Auslandsorganisation "Babbar Khalsa International" (im Folgenden: BKI) sowie die "International Sikh Youth Federation" (im Folgenden: ISYF). Die BKI und die ISYF sind von der Europäischen Union als terroristische Organisationen gelistet. Der Angeklagte stand von November 2012 bis März 2013 in Kontakt mit einem inoffiziell in Deutschland operierenden Führungsoffizier des indischen Inlandsgeheimdienstes "Intelligence Bureau" (im Folgenden: IB). Er erklärte sich bereit, für den IB als nachrichtendienstlicher Informant tätig zu werden und berichtete dem Führungsoffizier in mehreren Telefonaten über auch in Deutschland aufenthältige indische Staatsangehörige oder Personen indischer Herkunft und gegebenenfalls über deren Zugehörigkeit zu Organisationen, vorrangig aus dem Bereich der extremistischen Sikhs. Der Führungsoffizier beauftragte den Angeklagten insbesondere, Informationen über eine namentlich benannte Person einzuholen, die von den indischen Sicherheitsbehörden wegen terroristischer und krimineller Delikte mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Diese Person soll sich einer Waffenausbildung unterzogen haben und zum Führungskader der BK gehören. Seine Ehefrau soll sich mit zwei gemeinsamen Kindern seit Dezember 2012 in Deutschland aufhalten. In Erfüllung dieses Auftrags beschaffte der Angeklagte Informationen über die genannte Person sowie deren Familienmitglieder und gab die gewonnenen Erkenntnisse in zwei Telefongesprächen an den Führungsoffizier weiter.
Das Oberlandesgericht hat die Tätigkeit des Angeklagten ohne Einschränkung als geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der Angeklagte sei funktionell in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes einer fremden Macht eingegliedert und seine Tätigkeit insgesamt gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet gewesen. Auch wenn einige der von dem Führungsoffizier benannten und von dem Angeklagten ausgeforschten Organisationen in der Europäischen Union als terroristische Vereinigungen gelistet seien und ein Teil der Personen, denen der Angeklagte nachgeforscht habe, diesen Vereinigungen zuzurechnen sei, bestehe ein Interesse der Bundesrepublik Deutschland, von derartigen Personen und Organisationen ausgehende Gefahren unter Ausübung eigener Staatsgewalt abzuwehren. Demgegenüber habe der Angeklagte die Informationen unter Umgehung der in Deutschland geltenden Rechtshilferegeln weiter gegeben. Im Rahmen der Strafzumessung hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tätigkeit des Angeklagten auch Organisationen und Personen in Deutschland betroffen habe, an deren Aufklärung der indische Staat auch nach europäischer Rechtslage ein anerkennenswertes Interesse besitze und der Schaden für die Integrität der Bundesrepublik Deutschland vor diesem Hintergrund nicht als hoch zu veranschlagen sei.
1. Der Schuldspruch hält im Ergebnis sachlichrechtlicher Prüfung stand. Die Tätigkeit des Angeklagten war allerdings nicht im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet und somit nicht tatbestandsmäßig, soweit sie die Mitglieder der von der Europäischen Union als terroristisch gelisteten Organisationen, insbesondere das mit internationalem Haftbefehl gesuchte, namentlich benannte Führungsmitglied der BK betraf; denn im Rahmen der bei der Prüfung des genannten Tatbestandsmerkmals anzustellenden Gesamtbetrachtung erlangt auch der Gesichtspunkt Bedeutung, ob die Ausforschung des Betroffenen gerade vor dem Hintergrund seines eigenen Verhaltens den Interessen der Bundesrepublik Deutschland widerspricht. Aufgrund des demnach geringeren Unrechts- und Schuldgehalts der Tat kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Im Einzelnen:
a) Der Senat hält im Grundsatz an seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung fest, wonach das Tatbestandsmerkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" nicht eng im Sinne eines unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen ihre staatlichen Institutionen gerichteten Handelns zu verstehen ist; vielmehr genügt eine Tätigkeit gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Es reicht aus, wenn staatliche Belange zumindest mittelbar berührt sind und die Bundesrepublik Deutschland in ihrer funktionalen Stellung als politische Macht betroffen ist. Dies ist in der Regel auch dann der Fall, wenn die Spionagetätigkeit sich gegen Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder sonst gegen hier lebende Ausländer richtet (st. Rspr. seit BGH, Beschluss vom 22. September 1980 - StB 25/80, BGHSt 29, 325; vgl. auch KG, Urteil vom 8. Mai 2008 - (1) 3 StE 1/08 - 2 (4/08), juris Rn. 35 ff.; KG, Urteil vom 12. Januar 2011 - (1) 3 StE 5/10-2 (7/10); OLG Celle, Urteil vom 20. April 2011 - 3 StE 1/11). Tatbestandsmäßig sind deshalb regelmäßig Ausforschungen, von denen Personen betroffen werden, denen ein Asylrecht zusteht, oder die sich gegen Exilanten oder deren Organisationen richten, die sich unter dem Schutz des Art. 5 GG in Deutschland in legaler Weise politisch betätigen, ohne dass es darauf ankommt, ob die ausgespähten Personen "im Lager" der Bundesrepublik Deutschland stehen (KG, Urteil vom 8. November 2007 - (1) 3 StE 2/07 - (5/07), NStZ 2008, 573; aA noch KG, Urteil vom 29. September 2003 - (2) 3 StE 1/03-1 (3/03), NStZ 2004, 209). Denn solche Ausforschungen sind in der Regel dazu geeignet, bei den Betroffenen Angst vor Repressionen auszulösen und so den ihnen zustehenden Freiraum für politisches und gesellschaftliches Engagement einzuengen [KG, Urteil vom 12. Januar 2011 - (1) 3 StE 5/10-2 (7/10)]. Dies läuft den Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwider, die gehalten ist, den hier unter dem Schutz des Grundgesetzes lebenden und sich betätigenden Ausländern diesen Schutz auch zu gewähren.
b) Die bisherige Rechtsprechung bedarf allerdings der einschränkenden Präzisierung dahin, dass eine geheimdienstliche Agententätigkeit nicht - jedenfalls nicht ohne Weiteres - im Sinne des § 99 Abs. 1 StGB gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, wenn sie Mitglieder oder Unterstützer von durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigungen, insbesondere mit internationalem Haftbefehl gesuchte Führungsmitglieder, betrifft. Dies folgt aus dem am Wortsinn, an Sinn und Zweck sowie der Historie der Vorschrift ausgerichteten Verständnis des Tatbestandsmerkmals. Hierzu gilt:
aa) Bereits der Wortsinn des Tatbestandsmerkmals "gegen die Bundesrepublik Deutschland" lässt eine Auslegung nicht zu, die auf einen inhaltlichen Antagonismus der Spionagetätigkeit zu den staatlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland verzichtet. Das Tatbestandsmerkmal "gegen" kennzeichnet - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - nach seinem Wortsinn die Ausrichtung, die Hinwendung oder die Zielrichtung und dient dazu, einen Gegensatz, einen Widerstand oder eine Abneigung zu bezeichnen (Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl., 2010). Auch wenn die Interpretation der Norm nicht an diesem engen Wortsinn haften bleiben darf, sondern daneben die Historie sowie Sinn und Zweck der Vorschrift in den Blick zu nehmen hat, so markiert im Bereich des materiellen Strafrechts der grundsätzlich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Gegenwart zu bestimmende mögliche Wortsinn des Gesetzes doch die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 18. September 2006 - 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2006 - 1 StR 384/06, NJW 2007, 524, 525). Diese Grenze wäre jedenfalls bei einem Verständnis der Norm überschritten, bei dem letztlich allein maßgebend wäre, dass die Spionagetätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt wurde, mithin der räumliche Bezug zu deren Staatsgebiet ausreichen würde.
bb) Der Wille des Gesetzgebers spricht ebenfalls nicht für eine ausnahmslose Erfassung aller geheimdienstlichen Aktivitäten gegen Ausländer auf deutschem Boden. Die heutige Fassung der Norm beruht in dem hier relevanten Bereich auf der Neugestaltung der Vorschrift durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl. I S. 741). Durch dieses wurde die zuvor auf Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland aus bestimmten Sachbereichen ausgerichtete Beschränkung des Tatbestands aufgegeben und durch das Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" ersetzt. Der Gesetzgeber wollte damit einen zentralen, bewusst weit gefassten Spionagetatbestand als wirksames Instrument zur Abwehr fremder Agententätigkeiten schaffen, der nicht mehr an den Begriff des Staatsgeheimnisses anknüpft, sondern im Ausgangspunkt darauf abzielt, die gesamte Spionagetätigkeit fremder Geheimdienste zu erfassen, ohne zunächst auf die Natur der Informationen abzustellen, auf die die Spionagetätigkeit gerichtet ist. Die Vorschrift wurde vom Gesetzgeber bewusst weit gefasst, um alle nachrichtendienstlichen Bestrebungen zu erfassen, gleichgültig, ob sie unmittelbar oder mittelbar deutsche Interessen gefährden, ob sie auf die Abklärung politischer, wirtschaftlicher oder technischer Verhältnisse abzielen (BGH, Urteil vom 21. April 1983 - 3 StR 80/83, BGHSt 31, 317, 322 f.; Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 3 BGs 191/04 - 3 BJs 29/03-4, NStZ 2006, 160). Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte das Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" allerdings eine gewichtige Begrenzung dieses so erweiterten Tatbestands darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2012 - AK 10 und 11/12, juris Rn. 13). Dieser umfasst nicht schrankenlos das allgemeine Interesse der Bundesrepublik Deutschland am Unterbleiben jeglicher Operationen fremder Geheimdienste auf ihrem Gebiet (LK/Schmidt, StGB, 12. Aufl., § 99 Rn. 8). Vielmehr sollten nur die geheimdienstlichen Operationen fremder Mächte erfasst sein, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland als Zielland richten und ihre Interessen beeinträchtigen. Nach den Gesetzesmaterialien ist dies in der Regel nicht der Fall, wenn ein fremder Geheimdienst nur gegen Angehörige des eigenen Landes oder gegen dritte Länder tätig werde (BT-Drucks. V/2860, S. 23). Damit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere nicht jegliches Interesse, das die Bundesrepublik Deutschland auch an Angelegenheiten fremder Staaten hat, als Schutzobjekt des § 99 StGB in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1983 - 3 StR 312/83, BGHSt 32, 104, 107). Auch genügt es nicht allein, dass der fremde Nachrichtendienst ohne Kooperation mit den bzw. Abdeckung der zuständigen deutschen Stellen operiert (Lampe NStZ 2004, 210, 211; MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18); denn dies würde dazu führen, dass letztlich jede Agententätigkeit eines fremden Geheimdienstes, die nicht mit den deutschen Diensten koordiniert wäre, von der Strafvorschrift erfasst wäre. Damit würde dem Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" wider der gesetzgeberischen Intention der wesentliche, Schranken setzende Sinngehalt genommen.
Der Senat hat allerdings in der Folgezeit in praktischer Umkehrung dieses vom Gesetzgeber intendierten Regel-Ausnahme-Verhältnisses dahin erkannt, dass der Tatbestand des § 99 Abs. 1 StGB von denkbaren seltenen Ausnahmefällen abgesehen auch dann erfüllt sei, wenn die geheimdienstliche Agententätigkeit sich gegen Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder sonst gegen hier lebende Ausländer richte (BGH, Beschluss vom 22. September 1980 - StB 25/80, BGHSt 29, 325, 327 ff.). Danach sollte genügen, dass das allgemeine Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Abwehr der Spionagetätigkeit fremder Geheimdienste berührt wurde, soweit diese auf die umfassende Ausforschung aller in den Bereich der Bundesrepublik Deutschland einbezogenen Angelegenheiten ausgerichtet war (BGH aaO, BGHSt 29, 325, 331). Gerade vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dieser, vom Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehenen (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81, BVerfGE 57, 250, 267 ff.) Würdigung - jedenfalls auch - die Bewertung der spezifischen, durch die politische Zweiteilung der Welt in Europa geprägten Verhältnisse und die damit einhergehende Erkenntnis zugrunde lag, dass die Ausspähung ausländischer Gruppierungen regelmäßig Teil eines operativen Gesamtkonzepts vor allem der Nachrichtendienste der osteuropäischen Länder war, das darauf gerichtet war, das gesamte Potential des Ziellands Bundesrepublik Deutschland zu erfassen (BGH aaO, 328 f.; Lampe, NStZ 2004, 210, 211; LK/Schmidt, StGB, 12. Aufl., Vor § 93 Rn. 3; MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18). Sie kann deshalb nicht ohne Weiteres in vollem Umfang auf die heutigen Verhältnisse übertragen werden. Diese sind im hier interessierenden Bereich unter anderem wesentlich dadurch geprägt, dass in der Bundesrepublik Deutschland ausländische Organisationen tätig sind, die terroristische Ziele verfolgen, welche den Interessen der Bundesrepublik Deutschland eindeutig widerstreiten. Mit der Einführung des § 129b StGB hat der Gesetzgeber zudem eine Wertentscheidung getroffen und deutlich gemacht, dass Tätigkeiten zu Gunsten einer solchen Gruppierung, welche die Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt, sei es in der Form des Gründens, der Beteiligung als Mitglied, des Unterstützens oder des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer, nach den hier geltenden Wertmaßstäben im materiellen Sinne strafbares Unrecht darstellen. Hiermit ist es nicht vereinbar, wenn die geheimdienstliche Tätigkeit eines Agenten, der eine solche Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland ausspäht, ohne Weiteres regelmäßig als gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet bewertet wird (vgl. KG, Urteil vom 29. September 2003 - (2) 3 StE 1/03-1 (3/03), NStZ 2004, 209, 210).
cc) Eine solche Betrachtungsweise stünde auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht im Einklang. Diese gehen dahin, dazu beizutragen, der Bundesrepublik Deutschland den Freiraum zu sichern, den sie benötigt, um sich in den Gegenläufigkeiten der internationalen Politik möglichst ungehindert und wirksam bewegen zu können, ihre eigenen politischen Vorstellungen zum Tragen zu bringen und so die Grundlage zu gewährleisten, auf der sich freiheitliche Demokratie mit ihren Grundrechtsgarantien verwirklichen und weiterentwickeln lässt (BVerfG aaO, BVerfGE 57, 250, 268 f.; Beschluss vom 15. Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 317 f.). Diese Zwecksetzung ist zwar einerseits weit gefasst, steht aber andererseits doch einer pauschalisierenden Auslegung entgegen, die sich auch im Grenzbereich des Wortlauts der Norm in einem theoretisch-abstrahierenden Verständnis erschöpft, ohne die Besonderheiten des Einzelfalles in wertender Betrachtung in die Beurteilung mit einzubeziehen. Für die hier in Rede stehende Ausforschung von Ausländern oder ihrer Organisationen in Deutschland kann daher nicht davon abgesehen werden, auch die konkreten Hintergründe und Ziele der Ausspähungsbemühungen in den Blick zu nehmen und diesen auch darauf zu richten, ob sich das Vorgehen des Agenten in der spezifischen konspirativen Vorgehensweise einer geheimdienstlichen Tätigkeit erschöpft oder ob er darüber hinaus zu Mitteln greift, die sich auch unabhängig von der nachrichtendienstlichen Betätigung als Verstoß gegen die deutsche Rechtsordnung, insbesondere als strafbar erweisen. Richtet sich die Ausforschung gegen eine ausländische terroristische Vereinigung oder eines ihrer Mitglieder oder Unterstützer, so darf darüber hinaus nicht unberücksichtigt bleiben, dass hiermit gerade ein Zweck verfolgt wird, dessen Erfüllung auch der Bundesrepublik Deutschland durch internationale, insbesondere europarechtliche Vorgaben (vgl. aus neuerer Zeit etwa den Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008, ABl. EU 2008 Nr. L 330 S. 21) obliegt.
dd) Danach handelte der Angeklagte zwar gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, soweit seine Ausforschungsbemühungen bloße Sympathisanten der gelisteten Organisationen, Familienangehörige des mit Haftbefehl gesuchten Führungsmitglieds der BK sowie gänzlich unbeteiligte Dritte betrafen. Demgegenüber erfüllte die Tätigkeit des Angeklagten jedoch nicht die Voraussetzungen des § 99 StGB, soweit sie darin bestand, Informationen über die gelisteten Organisationen, deren Mitglieder und Unterstützer sowie insbesondere das mit internationalem Haftbefehl gesuchte Führungsmitglied der BK zu beschaffen und weiterzuleiten; insoweit belegen die Feststellungen ein Handeln gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht.
ee) Im vorliegenden Fall bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob das Tatbestandsmerkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" auch bei Ausforschungen von Mitgliedern oder Unterstützern ausländischer terroristischer Vereinigungen erfüllt sein kann, etwa wenn die deutsche Souveränität in gravierender Weise missachtet wird (Lampe NStZ 2004, 210, 212), operative Methoden praktiziert werden, die mit den Grundwerten der Verfassung kollidieren (MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18), oder eine zumindest ab-strakte Gefahr dafür besteht, dass die gewonnenen Erkenntnisse in einer Weise genutzt werden, die den Kern- und Wesensgehalt der nach den Maßgaben des Grundgesetzes schutzwürdigen Belange der Betroffenen beeinträchtigen. Soweit das Oberlandesgericht in den Erwägungen zur rechtlichen Würdigung ausgeführt hat, der Zweck der Informationsweitergabe sei unklar und nicht ausschließbar allein auf die Abwehr verbrecherischer Bestrebungen gerichtet gewesen, bieten die getroffenen Feststellungen hierfür keinen näheren Anhaltspunkt.
c) Somit kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben; denn das Oberlandesgericht ist von einem zu hohen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat ausgegangen. Es hat auf der Grundlage seiner rechtlichen Bewertung zwar strafmildernd berücksichtigt, dass die Tätigkeit des Angeklagten auch Organisationen und Personen in Deutschland betroffen habe, an deren Aufklärung der indische Staat auch nach europäischer Rechtslage ein anerkennenswertes Interesse besitze, so dass der Schaden für die Integrität der Bundesrepublik Deutschland vor diesem Hintergrund nicht als hoch zu veranschlagen sei. Nach den dargelegten Maßstäben hätte das Tatgericht indes bei der Ermittlung des Unrechts- und Schuldumfangs die Aufklärungsbemühungen des Angeklagten gegen die terroristische Vereinigung bzw. den mit Haftbefehl Gesuchten außer Betracht lassen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht in diesem Fall auf eine geringere Strafe erkannt hätte.
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Becker Pfister Schäfer
Gericke Spaniol