Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 28.08.2013


BPatG 28.08.2013 - 9 W (pat) 12/08

Patentbeschwerdeverfahren – „Verfahren zur Regelung einer Windenergieanlage“ - zur Auslegung der Lehre der Erfindung nach Patentanspruch 1 unter Heranziehung der Beschreibung und Zeichnungen – Patent wird widerrufen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
28.08.2013
Aktenzeichen:
9 W (pat) 12/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2004 054 608

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. August 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Hilber sowie des Richters Dipl.-Ing. Bork, der Richterin Kirschneck und des Richters Dr.-Ing. Baumgart

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 8. November 2007aufgehoben und das Patent 10 2004 054 608 widerrufen.

Gründe

I.

1

Die Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamtes hatte nach Prüfung eines Einspruchs der E… GmbH in A…, das am 11. November 2004 angemeldete Patent 10 2004 054 608 mit der Bezeichnung

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„Verfahren zur Regelung einer Windenergieanlage und Windenergieanlage mit einem Rotor“,

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dessen Erteilung am 29. Juni 2006 veröffentlicht wurde und für das die Priorität aus der deutschen Anmeldung 10 2004 046 036.1 vom 21. September 2004 in Anspruch genommen wurde, durch Beschluss vom 8. November 2007 mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

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 Beschreibung Seite 2 bis 11, eing. am 8. November 2007, Patentanspruch Nummer 1 bis 16 gemäß Patentschrift, Zeichnung Figuren Nr. 1 bis 8 gemäß Patentschrift.

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Laut der das gleiche Datum tragenden, gegen Empfangsbekenntnis am 22. Januar 2008 abgesandten schriftlichen Begründung wurde die erteilte Fassung des Anspruchs 1 als zulässig angesehen. Demnach definiere dieser einen ursprünglich offenbarten und auch patentfähigen Gegenstand, der in den Unterlagen im Übrigen ausreichend und vollständig für eine Ausführbarkeit durch den Fachmann offenbart sei.

6

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden vom 21. Februar 2008. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2013 begründet die Beschwerdeführerin ihre unveränderte Auffassung hinsichtlich der bereits im Einspruchsverfahren geltend gemachten Einwände gegen den Rechtsbestand des Patents, demnach die Lehre des angegriffenen Patents nicht ausführbar bzw. der Anspruch 1 auf eine Kombination von Merkmalen mit einer ursprünglich nicht offenbarten Weiterbildung gerichtet sei, jedenfalls der Gegenstand des auslegungsbedürftigen Anspruchs 1 des angegriffenen Patents wegen fehlender Neuheit oder mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei.

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Die Patentinhaberin ist dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in allen Punkten entgegengetreten.

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Mit Zwischenbescheid vom 21. August 2013 hat der Senat mit verfahrensleitenden Ausführungen auf den Offenbarungsgehalt des Patents auch im Hinblick auf das Verständnis des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung durch den Fachmann bzw. auf das etwaige Vorliegen gesetzlicher Widerrufsgründe abgestellt.

9

Daraufhin verteidigt die Patentinhaberin das Patent im Umfang des – gemäß der Entscheidungsformel des Beschlusses der Patentabteilung – unveränderten Anspruchs 1 mit hierauf rückbezogenen, unveränderten Unteransprüchen 2 bis 16, hilfsweise im Umfang eines Hilfsantrags mit hierfür in der mündlichen Verhandlung am 28. August 2013 vorgelegten Unterlagen.

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Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin stellte den Antrag,

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die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen,

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hilfsweise das angegriffene Patent weiter beschränkt mit folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten:

13

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Patentansprüche 2 bis 16 gemäß Patentschrift, angepasste Beschreibung, Seiten 2 bis 11 der Patentschrift, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Zeichnungen Figuren 1 bis 8, gemäß Patentschrift.

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Die Einsprechende und Beschwerdeführerin stellte den Antrag,

15

den Beschluss der Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 8. November 2007 aufzuheben und das Patent 10 2004 054 608 zu widerrufen.

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Nach Auffassung der Beschwerdeführerin fehle dem patentgemäßen Verfahren, soweit dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung ein Sinngehalt entsprechend der mit dem Zwischenbescheid dargelegten Auslegung unterstellt werde, die Patentfähigkeit. Im Übrigen bestreitet sie die Zulässigkeit der Änderungen des Anspruchs 1 in der hilfsweise verteidigten Fassung. Nach ihrer Auffassung definiere dieser Anspruch jedenfalls keinen patentfähigen Gegenstand.

17

Der erteilte Anspruch 1, der schon dem angefochtenen Beschluss der Patentabteilung zugrunde lag, lautet in der mit der DE 10 2004 054 608 B4 veröffentlichten Fassung (Hauptantrag) wie folgt:

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1. „Verfahren zur Regelung einer Windenergieanlage mit einem Rotor, der wenigstens ein Rotorblatt aufweist, das in einem einstellbaren Rotorblattwinkel zu dem Rotor angeordnet ist, bei dem der Rotor im, auf einen unteren Teillastbereich folgenden Nennleistungsbereich bis zum Erreichen eines definierten Grenzwertes mit einer im Wesentlichen konstant gehaltenen Nennleistungsdrehzahl betrieben wird und bei Überschreiten des Grenzwertes in einem oberen Teillastbereich durch eine Reduzierung der Rotordrehzahl unterhalb der Nennleistungsdrehzahl betrieben wird, dadurch gekennzeichnet, dass ab dem Erreichen des Grenzwertes die Rotordrehzahl und über eine vorgebbare Sollfunktion der Sollwert der Rotordrehzahl in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel geregelt werden.“

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An diesen Anspruch schließen sich direkt oder indirekt rückbezogene Ansprüche 2 bis 16 an. Der in der DE 10 2004 054 608 B4 noch angeführte und von der Kategorie her nebengeordnete, weil auf die Vorrichtung „Windenergieanlage“ gerichtete Anspruch 17 ist im Rahmen der beschränkten Aufrechterhaltung gemäß obiger Entscheidungsformel entfallen.

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In der Fassung gemäß Hilfsantrag hat der Anspruch 1 folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung durch Unterstreichung bzw. Streichung hervorgehoben):

21

1Hi. „Verfahren zur Regelung einer Windenergieanlage mit einem Rotor, der wenigstens ein Rotorblatt aufweist, das in einem einstellbaren Rotorblattwinkel zu dem Rotor angeordnet ist, bei dem der Rotor im, auf einen unteren Teillastbereich folgenden Nennleistungsbereich bis zum Erreichen eines definierten Grenzwertes mit einer im Wesentlichen konstant gehaltenen Nennleistungsdrehzahl betrieben wird und bei Überschreiten des Grenzwertes in einem oberen Teillastbereich durch eine Reduzierung der Rotordrehzahl unterhalb der Nennleistungsdrehzahl betrieben wird, dadurch gekennzeichnet, dass ab dem Erreichen des Grenzwertes die Rotordrehzahl und über eine vorgebbare Sollfunktion der Sollwert der Rotordrehzahl in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel entsprechend einer hierfür über eine vorgebbare Sollfunktion in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel vorgegebenen Solldrehzahl geregelt werden wird, wobei das Generatormoment gegenüber einem aus dem unteren Teillastbetrieb bekannten drehzahlabhängigen Verhalten angehoben wird.“

22

Bei Erörterung des Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung wurde im Einzelnen auf folgende, bereits im Einspruchsverfahren berücksichtigte Entgegenhaltungen Bezug genommen:

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E7 DE 198 44 258 A1

24

E12 DE 103 00 733 B3.

25

Wegen der Fassung der Unteransprüche und wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

26

Die fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Einsprechenden, mit der sich die Beschwerdeführerin auf die bereits mit dem frist- und formgerecht eingelegten, auch im Übrigen zulässigen Einspruch geltend gemachten Widerrufsgründe nicht ausreichend deutlicher und vollständiger Offenbarung i. S. des § 21 (1) Nr. 2. PatG, unzulässiger Erweiterung i. S. des § 21 (1) Nr. 4. sowie fehlender Patentfähigkeit i. S. des § 21 (1) Nr. 1. beruft, hat Erfolg durch den Widerruf des Patents.

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1. Da die unterschiedlichen Auffassungen der Verfahrensbeteiligten zum Vorliegen der einzelnen Widerrufsgründe auch in einem abweichenden Verständnis des Offenbarungsgehalts der Unterlagen insgesamt begründet sind, und zur Ermittlung der technischen Lehre, die sich aus der Sicht des Fachmanns aus dem Anspruch 1 ergibt, der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschreibung und Zeichnungen durch Auslegung zu ermitteln ist (vgl. BGH GRUR 2007, 410 – Kettenradanordnung), sind folgenden Ausführungen zum Inhalt des Patents veranlasst:

28

Das Patent betrifft die geregelte Betriebsführung einer Windkraftanlage mit verstellbaren Rotorblättern.

29

Nach den Angaben in der Beschreibungseinleitung der Patentschrift erfolgt beim normalen Betrieb üblicher, als allgemein bekannt vorausgesetzten Windkraftanlagen mit konstanter, letztlich von dem angetriebenen Generator vorgegebener/abhängiger Nennleistung eine Anpassung an wechselnde Windgeschwindigkeiten durch Verstellung des Anstellwinkels der Rotorblätter (vgl. Absatz 0002). Oberhalb der zur Erzielung der (elektrischen) Nennleistung ausreichenden Windgeschwindigkeit wird hierdurch die Rotordrehzahl auf einen Konstantwert geregelt, vgl. hierzu in der lt. der Patentschrift eine „übliche“ Leistungs- und Drehzahlkennlinie darstellenden Figur 1 den Betriebsbereich konstanter Leistung PN bzw. konstanter Drehzahl ΩN zwischen der Mindestwindgeschwindigkeit vN und der Abschaltgeschwindigkeit vA. Weil die mechanische Belastung trotz des vergrößerten Anstellwinkels der Rotorblätter bei gleicher Leistung der Anlage mit höherer Windgeschwindigkeit zunimmt, erfolge üblicherweise eine Abschaltung der Anlage bei Windgeschwindigkeiten größer vA (Absatz 0008).

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Allerdings könne eine derartige Anlage durchaus auch bei höheren Windgeschwindigkeiten mit dann allerdings reduzierter Leistung weiterbetrieben werden (Absatz 0010 bis 0012). Eine aufgrund einer (gesondert) gemessenen Windgeschwindigkeit erfolgende Leistungs- bzw. Drehzahlreduzierung soll lt. der Patentschrift allerdings problematisch sein (Absatz 0014). So gebe es kein praxisorientiertes Verfahren, mit dem solche Windgeschwindigkeiten verlässlich ermittelt werden können (Absatz 0017). Ausgehend von der im Patent als Grundlage der Erfindung herausgestellten Erkenntnis, dass der eingestellte Rotorblattwinkel selbst die Information über den Belastungszustand der Anlage liefert, weil dieser die von dem Rotor über die gesamte Rotorfläche aufgenommene Windenergie widerspiegelt (vgl. Absätze 0033 u. 0034), schlägt das Patent für eine entsprechende Betriebsführung bei Windgeschwindigkeiten größer als der sonst eine Abschaltung bedingenden Geschwindigkeit – wodurch ein Überschreiten eines Grenzwertes der Windgeschwindigkeit vGrenz mit dem Überschreiten eines Grenzwertes des Rotorblatteinstellwinkels einhergeht – vor, dass der vorzugebende „Sollwert der Rotordrehzahl in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel geregelt werden“ soll (vgl. Absatz 0031).

31

Somit wird der Rotor im Nennleistungsbereich bis zum Erreichen eines definierten Grenzwertes des aufgrund der Regelung eingestellten Rotorblattwinkels mit einer im Wesentlichen konstant gehaltenen Solldrehzahl betrieben. Bei Überschreiten des Grenzwertes aufgrund höherer Windgeschwindigkeiten wird der Rotor im patentgemäß so bezeichneten „oberen Teillastbereich“ durch eine Reduzierung der Rotordrehzahl unterhalb der Nennleistungsdrehzahl mit somit geringerer Leistung(-saufnahme) betrieben (Absatz 0029).

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Die Figur 3 zeigt hierbei in normierter Darstellung u. a. einen möglichen – weil für diese Regelung vorzugebenden - fallenden Verlauf der Drehzahlkennlinie über dem Rotorblattwinkel. Aus einer auf einem solchermaßen vorgegebenen veränderlichen Sollwert der Rotordrehzahl Ω basierenden Drehzahlregelung resultiert dann die mit der erfindungsgemäßen Betriebsführung angestrebte, in der Figur 2 dargestellte Drehzahlreduzierung im Bereich höherer Windgeschwindigkeiten größer vGrenz, die insoweit zwangsläufig auch zu einer Reduzierung der Abgabeleistung P führt. Denn ein mit reduzierter Drehzahl betriebener Generator kann aufgrund der geringeren mechanischen Eingangsleistung auch nur eine entsprechend verringerte elektrische Leistung abgeben.

Abbildung Abbildung

33

Allerdings kann die Leistungsabgabe darüber hinaus auch noch durch gesonderte Einstellung des Generatormoments beeinflusst werden, vgl. Anspruch 9 i. V. m. Anspruch 12 oder 13.

34

Das Nachvollziehen bereits der Angaben zur üblichen Vorgehensweise im als allgemein bekannt vorausgesetzten Stand der Technik wie auch des vorgeschlagenen Lösungsansatzes zur Betriebsführung setzt allgemeine Grundkenntnisse der Mess- und Regelungstechnik voraus, über die jedenfalls bereits ein Maschinenbauingenieur verfügt, der von daher für den Stand der Technik über dieselben Fachkenntnisse verfügt wie derjenige, an den sich das Streitpatent wendet. Zur Ausgestaltung im Einzelnen und Implementierung wird dieser ggf. einen Ingenieur des Mess- und Regelungstechnik zu Rate ziehen.

35

Von diesem – übereinstimmend auch nach Auffassung der Verfahrensbeteiligten angesprochenen – Fachmann, der Erfahrung auf dem Gebiet der Betriebsführung von Windkraftanlagen hat, weil von dieser die konstruktiv zu berücksichtigende Belastung der Bauteile bzw. der Auslegung maßgeblich abhängt, mögen die in Regelwerken definierten Fachbegriffe der Regelungstechnik nicht immer entsprechend ihrer insoweit vorgegebenen Begriffsbedeutung verwendet werden.

36

Im jeweiligen Kontext betrachtet schließt dieser Fachmann jedenfalls dann unmittelbar und eindeutig auf das Vorliegen einer Regelung, wenn wie im vorliegenden Fall eine den zu regelnden Ablauf charakterisierende Größe – die fachüblich so bezeichnete Regelgröße, hier die Rotordrehzahl – als Rückführgröße erfasst und mit einer sog. Führungsgröße – die ein statischer oder variabler Sollwert, hier eben ein Konstantwert der Rotordrehzahl bei Nennleistungsbetrieb bzw. ein abnehmender Sollwert entsprechend einer Drehzahlsollwertfunktion im „oberen Teillastbereich sein kann – verglichen wird und hiervon abhängig der Ablauf über die sog. Stellgröße – hier der Blattwinkel – im Sinne einer Angleichung der Regelgröße an die Führungsgröße trotz Beeinflussung der sog. Regelstrecke über sog. Störgrößen – hier die Windgeschwindigkeit – beeinflusst wird.

37

Für das offenbarte Ausführungsbeispiel schlägt das Patent demnach vor, den Sollwert der Rotordrehzahl über eine - z. B. in Form einer Tabelle – vorgegebene, anlagenspezifisch zu ermittelnde Sollfunktion in Abhängigkeit von dem Rotorblattwinkel vorzugeben (Absätze 0044 und 0047). Somit erfolgt zwar – wie im Nennlastbereich – auch im „oberen Teillastbereich“ (weiterhin) die/eine Regelung der Drehzahl (Regelgröße) durch die Verstellung des Blattwinkels (Stellgröße). Allerdings führt so jede durch diese Drehzahlregelung bedingte Änderung des Blattwinkels auch zu einer Veränderung der für die Drehzahlregelung maßgeblichen Drehzahlabweichung, die „durch die Veränderung der Solldrehzahl“ (vgl. Klammerausdruck im Absatz 0046) bedingt ist.

38

Nach dem Verständnis des Fachmanns wird eine derart „geregelte“ Anlage im Betriebspunkt vGrenz bei weiter sich erhöhender Windgeschwindigkeit mit einer Verstellung des Rotorblattwinkels (Stellgröße) über den korrespondierenden Rotorblattgrenzwinkel υgrenz hinaus zur Ausregelung auf den Drehzahlsollwert hin reagieren. Diese Verstellung im oberen Rotorblattwinkelbereich führt allerdings dazu, dass der weiteren Drehzahlregelung über die Stellgröße „Rotorblattwinkel“ ein kleinerer Drehzahlsollwert entsprechend der vorgegebenen Sollfunktion zugrunde gelegt wird und die Rotorblätter dementsprechend weiter verstellt werden.

39

Diese Betriebsführung, die für höhere Windgeschwindigkeiten den Betrieb entsprechend eines anlagenspezifisch zu ermittelnden, mit weiter steigendem Rotorblattwinkel abnehmendem Sollwert der Rotordrehzahl als Führungsgröße vorsieht, ist zwar insoweit von der Regelung der Drehzahl oder einer anderen Regelgröße selbst zu unterscheiden, wird im Patent aber dennoch gleichsam als Regelung bezeichnet. Jedenfalls ergibt sich daraus für den Fachmann aus regelungstechnischer Sicht unmittelbar, dass als Eingangsgröße für die Regelung der Rotordrehzahl gleichermaßen im Nennlastbereich wie im „oberen Teillastbereich“ nicht die (mit gesonderten Sensoren) gemessene Windgeschwindigkeit benutzt wird, sondern der sich (einstellende) Rotorblattwinkel (vgl. Absatz 0032). Insbesondere ist für ihn offensichtlich keine „Regelung des Sollwertes“ vorgesehen, die der Fachmann somit auch nicht aus dem missverständlich abgefassten kennzeichnenden Teil des geltenden Anspruchs 1 folgern kann.

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2. Nach obigem Verständnis des Fachmanns definiert der Anspruch 1 in der geltenden, erteilten Fassung gemäß DE 10 2004 054 608 B4 nach Merkmalen gegliedert ein Verfahren wie folgt:

41

O1 Verfahren zur Regelung einer Windenergieanlage mit einem Rotor, der wenigstens ein Rotorblatt aufweist, das in einem einstellbaren Rotorblattwinkel zu dem Rotor angeordnet ist;

42

O2 der Rotor wird im Nennleistungsbereich, der auf einen unteren Teillastbereich folgt, bis zum Erreichen eines definierten Grenzwertes mit einer im Wesentlichen konstant gehaltenen Nennleistungsdrehzahl betrieben;

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O3 bei Überschreiten des Grenzwertes wird der Rotor in einem oberen Teillastbereich durch eine Reduzierung der Rotordrehzahl unterhalb der Nennleistungsdrehzahl betrieben,

44

K1 ab dem Erreichen des Grenzwertes wird die Rotordrehzahl entsprechend einer hierfür über eine vorgebbare Sollfunktion in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel vorgegebenen Solldrehzahl geregelt.

45

Diese Gliederung weicht zwar vom Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 ab, bildet aber entsprechend dem Ergebnis der Erörterung in der mündlichen Verhandlung mit ausdrücklicher Zustimmung der Verfahrensbeteiligten das gebotene Verständnis des auslegungsbedürftigen Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und Zeichnungen am besten ab, da nur bei Befolgung der so definierten Lehre derjenige technische Erfolg erzielt wird, der erfindungsgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Maßnahmen erreicht werden soll (analog der Entscheidung BGH, Urteil vom 12. Februar 2008 – X ZR 153/05; GRUR 2008, 779, 782 – Mehrgangnabe).

46

In diesem Anspruch 1 ist der Grenzwert weder nach Dimension noch physikalischer Größe näher bezeichnet, auch ist der Verlauf der Sollfunktion nicht näher bestimmt.

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3. Der erteilte Anspruch 1 bildet in seiner zulässigen Fassung die in der Anmeldung offenbarte Lehre ab.

48

Die in vorstehenden Ausführungen zum Offenbarungsgehalt des Patents in Bezug genommenen Textpassagen und Figuren in der Patentschrift sind gleichlautend bzw. gleichartig – wie die Überprüfung ergeben hat - in den Unterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung enthalten. Somit konnte der Fachmann bereits den Anmeldungsunterlagen eine ohne weiteres nacharbeitbare Vorgehensweise zur geregelten Betriebsführung einer Windkraftanlage mit Verstellung des Rotorblattwinkels entnehmen, die insoweit auch ausreichend Niederschlag im erteilten Anspruch 1 gefunden hat. Eine andere Sichtweise folgt auch nicht aus der Änderung des den zweiten Absatz Seite 9 der Anmeldungsunterlagen bildenden Satzes, demnach „die Rotordrehzahl ab Erreichen des Grenzwertes in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel eingestellt wird“, in die Aussage an gleicher Stelle im Absatz 0031 der Patentschrift, demnach die Rotordrehzahl ab Erreichen des Grenzwertes „in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel geregelt wird“, weil die Regelung eben eine Ein- oder Verstellung eines Gliedes der Regelstrecke voraussetzt. Weil von daher auch dem Patent insgesamt eine technische Lehre entnehmbar ist, die der Fachmann anhand der Angaben darin nachvollziehen kann, ist somit das Erfordernis gemäß § 21 (1) Nr. 2. PatG erfüllt.

49

Aufgrund der gebotenen Auslegung geht der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 mit dem vom Fachmann unterstellten Sinngehalt auch nicht über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie ursprünglich eingereicht worden ist; mithin ist auch das Erfordernis gemäß § 21 (1) Nr. 4. PatG erfüllt.

50

4. Das anspruchsgemäße Regelungsverfahren nach dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung mag jeweils neu gegenüber dem Inhalt der in der mündlichen Verhandlung eingehend erörterten Druckschriften DE 198 44 258 A1 (E7) und DE 103 00 733 B3 (E12) sein, es beruht jedoch nicht im Sinne des § 4 PatG auf einer erfinderischen Tätigkeit.

51

Die E7 offenbart in dieser Allgemeinheit ein Verfahren zur Regelung der Leistungsabgabe einer Windenergieanlage „mit einem Betriebsführungssystem, dass innerhalb eines vorgegebenen Windgeschwindigkeitsbereichs die Rotordrehzahl unter Verstellen der Rotorblattwinkel regelnd […] ausgebildet ist“ (vgl. dort Anspruch 1). Darüber hinaus sieht das dort so bezeichnete Betriebsführungssystem vor, dass die Rotordrehzahl und somit die (hiervon abhängige) Leistungsabgabe unter Verstellung der Rotorblattwinkel in einem Bereich zwischen einer vorgegebenen Grenzgeschwindigkeit und einer Abschaltgeschwindigkeit „heruntergeregelt“ wird, vgl. Anspruch 10.

52

Den sich bei dieser Betriebsführung mit dem Rotorblattwinkel als Stellgröße für die Drehzahlregelung entsprechend dem gebotenen Verständnis des Merkmals O1 ergebenden Verlauf der Rotordrehzahl (gestrichelter Linienzug) ist in der Figur 4 der E7 über der (Störgröße) Windgeschwindigkeit dargestellt. Demnach sieht auch das aus E7 hervorgehende Betriebsführungssystem den Betrieb unterhalb eines Grenzwertes der Windgeschwindigkeit mit einer sich aufgrund der Drehzahlregelung mit einer im Wesentlichen konstant gehaltenen (Nennleistungs-) Drehzahl entsprechend Merkmal O2 vor, während der Rotor bei höheren Windgeschwindigkeiten mit einer demgegenüber weiter reduzierten Drehzahl entsprechend Merkmal O3 geregelt betrieben wird. Der in dem Bereich oberhalb der Windgrenzgeschwindigkeit angesprochenen „Herunterregelung“ der Rotordrehzahl (vgl. Spalte 4, Zeilen 58 bis 62) bzw. Leistungsabgabe (vgl. Spalte 4, Zeilen 38 bis 42) mit dem gezeigten Verlauf über der Windgeschwindigkeit unterstellt der Fachmann unmittelbar die Vorgabe entsprechend veränderlicher Führungsgrößen, denn der in Figur 4 dargestellte Verlauf ist nur durch Vorgabe entsprechender Führungsgrößen für jeden der einzelnen Regelungsbereiche erzielbar.

Abbildung

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53

Figur 4 / E7 (Drehzahlverlauf gestrichelt)

54

Mithin sieht auch dieses bekannte Verfahren entsprechend diesem Teil des Merkmals K1 vor, dass die Rotordrehzahl ab dem Erreichen eines Grenzwertes der Windgeschwindigkeit, die sich aufgrund der Regelung im Übrigen auch dort in einem Grenzwert des Blatteinstellwinkels abbildet, entsprechend einer hierfür über eine vorgebbare Sollfunktion vorgegebenen Solldrehzahl geregelt wird, so wie der gezeigte konstante Verlauf der Regelgröße „Drehzahl“ im Nennleistungsbereich (in der Figur 4 bis zur Windgeschwindigkeit 16m/s) den Fachmann unmittelbar und zwangsläufig auf einen konstanten Drehzahl-Sollwert zur Durchführung der dort angesprochenen Regelung mit dem Rotorblattwinkel als Stellgröße schließen lässt.

55

Während im geltenden Anspruch 1 mit dem Merkmal K1 die veränderliche Führungsgröße „Solldrehzahl“ abhängige Variable einer Sollfunktion mit dem Rotorblattwinkel als ausdrücklich genannter unabhängiger Variablen ist, schweigt sich die E7 darüber aus, nach welchem Kriterien die Solldrehzahl der Reglung der Drehzahl als veränderliche Führungsgröße bereitgestellt wird.

56

Insbesondere kann aus der Figur 4 in E7, die lediglich den angestrebten Verlauf der Regelgrößen über der Windgeschwindigkeit als Ziel einer die windgeschwindigkeitsabhängige Belastung berücksichtigenden Betriebsführung darstellt, auch im Zusammenhang mit der Beschreibung entgegen der Auffassung der Patentinhaberin nicht zwingend geschlossen werden, dass der (momentane) Rotordrehzahlsollwert entsprechend einem mit der Windgeschwindigkeit vorgegebenen funktionellen Zusammenhang anhand einer gemessenen Windgeschwindigkeit der Regelung zugrunde gelegt wird. Denn bereits die Ausregelung des Einflusses der Windgeschwindigkeit auf die Rotordrehzahl zur Angleichung der Drehzahl an die Führungsgröße bedarf – wie oben ausgeführt – keiner Messung der Windgeschwindigkeit, vielmehr beruht diese (allein) auf der hierfür erfassten Regelgröße Rotordrehzahl.

57

Allerdings mögen sich nach der Behauptung der Patentinhaberin bei einer Betriebsführung, die eine Vorgabe der Rotorsolldrehzahl in allen Betriebsbereichen allein in Abhängigkeit von der mittels gesonderter Sensoren gemessenen Windgeschwindigkeit vorsieht, die im angegriffenen Patent angesprochenen Probleme bei der Umsetzung der Regelung der Anlage stellen.

58

Mithin war der eine Betriebsführung nach dem Vorschlag der E7 mit geregelt abnehmender Rotordrehzahl im oberen Teillastbereich anstrebende Fachmann veranlasst, (ergänzend noch) das Kriterium für die Vorgabe der Führungsgröße bei der Umsetzung der dort beschriebenen Drehzahlregelung (selbst) festzulegen.

59

Diesem Fachmann war als hierfür hinreichender Hinweis bereits aus der E12 bekannt, die Regelung der Leistungsabgabe einer Windenergieanlage jedenfalls oberhalb einer sonst zu Abschaltungen führenden Windgeschwindigkeiten „nur in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel“ durchzuführen (vgl. Absatz 0020), weil eine „indirekt“ (gesondert) mittels Anemometer gemessene Windgeschwindigkeit kein „guter Indikator für die Belastung der Anlage“ ist, um die Reduktion der Leistung ab Erreichen eines definierten Grenzwertes hierauf beruhen zu lassen, vgl. Absatz 0008 i. V. m. Absatz 0015. Daher schlägt die E12 die Verwendung eines definierten Rotorblattgrenzwinkels vor (vgl. Absatz 0014), weil dieser Grenzwert ein direkter Indikator für die momentane Belastung der Anlage ist (vgl. Absatz 0015). Die Leistungsreduktion nach Überschreiten des Rotorblattgrenzwinkels erfolgt durch weitere Verstellung des Rotorblattwinkels (vgl. Absatz 0016). Die in der E12 angesprochene „Leistungsregelung über den Rotorblattwinkel“ (vgl. Absatz 0027, erster Satz), die eine Abnahme der Leistung über dem von der Windgeschwindigkeit abhängigen Rotorblattwinkel vorsieht – vgl. hierzu Figur 2 -, beruht somit ebenfalls auf einer Reduzierung der geregelten Rotordrehzahl (vgl. Absatz 0027, Satz 2).

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Mithin wird der Rotor auch dort bei Überschreiten eines definierten Grenzwertes mit reduzierter Drehzahl entsprechend Merkmal O3 betrieben, und ab dem Erreichen des Grenzwertes erfolgt auch dort die Betriebsführung entsprechend einer hierfür über eine vorgebbare Sollfunktion in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel vorgegebenen Führungsgröße ähnlich Merkmal K1. Weil die (einregelnde) Einstellung einer veränderlichen Leistung durch Regelung der Rotordrehzahl unter Verstellung des Rotorblattwinkels nach dem Verständnis des Fachmann zwingend eine der Regelgröße entsprechende Führungsgröße voraussetzt, war die Vorgabe einer die (veränderliche) Solldrehzahl in Abhängigkeit vom Rotorblattwinkel vorgebenden Sollfunktion nach der Definition des Merkmals K1 notwendige, weil technisch zwangsläufige Voraussetzung bei der praktischen Umsetzung der in E12 beschriebenen Betriebsführung.

61

Somit gelangte der Fachmann ausgehend von der E7 aufgrund fachmännischer Überlegungen zur Festlegung der für eine Regelung bestimmenden Größen mit der (bereits) durch E12 vermittelten Erkenntnis, dass der sich aufgrund der Drehzahlregelung in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit einstellende Rotorblattwinkel selbst „direkter Indikator für die Belastung der Anlage ist“ (vgl. Absatz 0015), zur Betriebsführung mit den Merkmalen des Verfahrens nach dem geltenden Anspruch 1. Mithin ergibt sich das beanspruchte Verfahren in naheliegender Weise bei der Umsetzung der aus E7 bekannten Regelung in Verbindung mit den durch E12 vermittelten Kenntnissen.

62

5. Das Verfahren mit den Merkmalen gemäß Anspruch 1Hi in der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 beruht nicht im Sinne des § 4 PatG auf einer erfinderischen Tätigkeit.

63

Die geltende Anspruchsfassung ist entsprechend dem Wortlaut der den Sinngehalt des Anspruchs 1 in der ursprünglichen Fassung wiedergebenden Merkmalsgliederung abgeändert, indem die Formulierung des Kennzeichenteils nunmehr den Inhalt des Merkmals K1 wiedergibt. Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1Hi ist gegenüber dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung darüber hinaus durch folgendes Merkmal näher definiert:

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K1.1 wobei das Generatormoment gegenüber einem aus dem unteren Teillastbetrieb bekannten drehzahlabhängigen Verhalten angehoben wird.

65

In Anbetracht des sich für den Fachmann – ausgehend von den allgemeinen technischen Erläuterungen in den Absätzen 0059 und 0061 i. V. m. der Diskussion der in der Figur 2 dargestellten Kurvenverläufe („UB“ für unterer Teillastbereich, „OB“ für oberer Teillastbereich) in den Absätzen 0087 bis 0089 – ergebenden möglichen Sinngehalts dieses Merkmals kann die Zulässigkeit der Anspruchsfassung im Hinblick auf das ergänzte Merkmal unterstellt werden. Weil das Generatormoment eines drehzahlvariabel betriebenen Generators aufgrund der Auslegung bzw. Betriebseigenschaft des in diesem Fall für die Netzeinspeisung notwendigen Umrichters drehzahlabhängig ist, hängt hiervon die mögliche Leistungsabgabe im „unteren Teillastbereich“ ab. Andererseits kann die Leistung im „oberen Teillastbereich“ nicht nur über den in Abhängigkeit von der Belastbarkeit der Rotorblätter festzulegenden Verlauf der Solldrehzahlfunktion beeinflusst werden, vielmehr kann der Verlauf der Leistungsreduzierung zusätzlich auch über die Einstellung des Generatormoments vorab festgelegt werden.

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Den mit diesem Merkmal umschriebenen Sachverhalt unterstellt der Fachmann indes unmittelbar und eindeutig dem Offenbarungsgehalt der E7 aufgrund der ähnlichen Darstellung der Leistungs- und Drehzahlkurve dort in der Figur 4:

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Das Drehmoment, mit dem der Generator bei einer Windgeschwindigkeit von 7m/s für den eingeregelten Betrieb mit einer Rotordrehzahl von 19 U/min zur Erzielung einer Abgabeleistung von 500 kW im unteren Teillastbetrieb betrieben werden muss, ist nach den „physikalischen Grundgleichungen“ (vgl. Absatz 0088 in der Patentschrift) geringer als das zur Erzielung der Leistung von 600kW bei einer Windgeschwindigkeit von 20,5 m/s im „oberen Teillastbereich“ bei gleicher Drehzahl erforderliche Drehmoment.

68

Mithin kommt dem Merkmal K1.1 in Verbindung mit den übrigen Merkmalen des geltenden Anspruchs 1Hi keine patentbegründende Bedeutung zu, weil der die in E7 gezeigten Verläufe der Kennlinien anstrebende Fachmann in vorauszusetzender Kenntnis der technischen Hintergründe eine entsprechende Maßnahme in Erwartung des absehbaren Erfolgs ohne weiteres ergänzend vorsehen würde.

69

6. Da kein gewährbarer Patentanspruch 1 vorlag, fallen auch die jeweils rückbezogenen Unteransprüche, da den Anträgen der Beschwerdegegnerin insoweit nicht als Ganzes stattzugeben war.