Entscheidungsdatum: 03.05.2017
1. Über den Antrag auf Wiederaufnahme eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, das durch Zurückweisung oder Verwerfung des Rechtsmittels abgeschlossen wurde, ist durch Beschluss zu entscheiden. Bezieht sich der Wiederaufnahmeantrag sowohl auf das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde als auch auf das Berufungsverfahren, ist das Bundesverwaltungsgericht sachlich zuständig, soweit der Antrag das Beschwerdeverfahren betrifft.
2. Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO ist eine schriftlich verkörperte Gedankenerklärung, die zur Beweiserbringung geeignet ist. Informationen, die auf einem elektronischen Datenträger gespeichert sind, können allenfalls durch Ausdruck die Urkundeneigenschaft erlangen.
I
Mit Beschluss vom 11. März 2015 - 9 B 5.15 - hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragsteller - des Klägers und des Beigeladenen des damaligen Rechtsstreits - gegen das Berufungsurteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2014 verworfen, weil das kurz vor Fristablauf versehentlich an das Verwaltungsgericht gesandte und nicht mehr rechtzeitig an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitete Telefax des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 9. Februar 2015 die Begründungsfrist nicht gewahrt habe und Wiedereinsetzung nicht gewährt werden könne. Der Senat hat die Anhörungsrügen der Antragsteller mit Beschluss vom 13. Oktober 2015 - 9 B 31.15 - zurückgewiesen. Die von den Antragstellern erneut gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2014 erhobenen Beschwerden hat der Senat mit weiterem Beschluss vom 21. Januar 2016 - 9 B 76.15 - verworfen; hiergegen gerichtete Anhörungsrügen blieben ohne Erfolg (Beschluss vom 11. Februar 2016 - 9 B 8.16). Die u.a. gegen die vorgenannten Beschlüsse gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 1. Dezember 2016 - 1 BvR 590/16).
Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2016 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgerichtshof beantragt, das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und hilfsweise das Berufungsverfahren gemäß § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO wieder aufzunehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Wiederaufnahmeantrag an den erkennenden Senat weitergeleitet.
II
Der Wiederaufnahmeantrag, der nunmehr zur Entscheidung ansteht (1.), ist mit den nachfolgenden Maßgaben zulässig (2.), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg (3.). Eine (Teil-)Verweisung des Verfahrens an den Verwaltungsgerichtshof kommt nicht in Betracht (4.).
1. Die Sache ist entscheidungsreif, ohne dass der Senat zuvor Zwischenentscheidungen zu treffen oder weitere Hinweise zu erteilen hätte. Der Anspruch der Antragsteller auf Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO bezieht und beschränkt sich, wie bereits in dem gerichtlichen Schreiben vom 24. März 2017 ausgeführt, auf alle den Rechtsstreit betreffenden Unterlagen, die beim Bundesverwaltungsgericht vorhanden und nicht nach § 100 Abs. 3 VwGO von der Akteneinsicht ausgenommen sind. In Bezug auf diese (Papier-)Akte, die bis zur Einführung einer elektronischen Prozessakte (§ 55b Abs. 1 VwGO) maßgeblich ist, wurde den Antragstellern umfassend Einsicht gewährt. Eine "Abschrift/Kopie einer vollständig oder teilweise gespeicherten elektronischen Duploakte", deren Herstellung die Antragsteller unter dem 6. Dezember 2016 vom Verwaltungsgerichtshof vergeblich verlangt haben, befindet sich nicht bei den beim Bundesverwaltungsgericht verfügbaren Unterlagen. Der Akteneinsichtsanspruch ist kein Mittel, um das Gericht zu zwingen, weitere Dokumente beizuziehen oder gar erst auf ihre Herstellung hinzuwirken, auf die es nach seiner Auffassung für die Entscheidung nicht ankommt. Es bedarf auch keiner weiteren Hinweise an die Antragsteller, nachdem diese bereits durch die gerichtlichen Schreiben vom 9. und 24. März 2017 über die vom Senat erwogenen Entscheidungsmöglichkeiten in Kenntnis gesetzt und angehört worden sind. Schließlich wurden die Antragsteller nach wiederholten Fristverlängerungen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie mit einem nochmaligen Aufschub über den 25. April 2017 hinaus nicht rechnen können.
2. Der Wiederaufnahmeantrag ist statthaft und fällt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang in die sachliche Zuständigkeit des Senats.
Gemäß § 153 Abs. 1 VwGO ist die Wiederaufnahme nach den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung allein davon abhängig, dass ein Verfahren rechtskräftig beendet worden ist. Diese Wirkung kommt nicht nur einem Urteil zu, sondern auch einem Beschluss, der eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen oder verworfen hat. Das Wiederaufnahmeverfahren gegen derartige Beschlüsse wird nicht durch Klage, sondern durch Antrag eröffnet, über den im Beschlussverfahren zu entscheiden ist (BVerwG, Beschlüsse vom 4. Februar 2002 - 4 B 51.01 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 33 S. 4 und vom 8. April 2015 - 1 A 7.15 - juris Rn. 2, jeweils m.w.N.).
Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag berufen, soweit er das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde betrifft. Über die in § 153 VwGO in Verbindung mit § 584 Abs. 1 ZPO geregelte Zuständigkeit des Revisionsgerichts für Wiederaufnahmeanträge auf Grund der §§ 579, 580 Nr. 4 und 5 ZPO hinaus ist das Bundesverwaltungsgericht auch zuständig, soweit ein Wiederaufnahmegrund allein seiner eigenen Entscheidung anhaftet. Wenn sich ein Wiederaufnahmegrund auf die Feststellung von (prozessualen) Tatsachen durch das Bundesverwaltungsgericht bezieht, soll die etwa erforderliche Korrektur ihm und nicht dem Berufungsgericht obliegen (BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 2015 - 6 PKH 10.15 - juris Rn. 12; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 153 Rn. 22). So liegen die Dinge hier, soweit die Feststellung des Senats, die Beschwerdebegründungsschrift vom 9. Februar 2015 sei nicht rechtzeitig in den Machtbereich des Berufungsgerichts gelangt, Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags ist.
An der diesbezüglichen Entscheidungszuständigkeit des Senats ändert sich nichts dadurch, dass die Antragsteller auch die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens begehren. Die nicht abschließend geklärte Frage der sachlichen Zuständigkeit bei Wiederaufnahmegründen, die teilweise in die Zuständigkeit der einen und teilweise der anderen Instanz fallen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 2015 - 6 PKH 10.15 - juris Rn. 13), beantwortet der Senat im Sinne einer Zuständigkeitsteilung (ebenso Braun, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 584 Rn. 8; a.A. Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2013, § 584 Rn. 7 und Greger, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 584 Rn. 10, die eine Zuständigkeitsaufspaltung "wenig sinnvoll" bzw. "wenig praktikabel" finden). Auch unter solchen Umständen ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag zuständig, soweit dieser sich auf seine eigene Entscheidung bezieht; (nur) im Übrigen ist die sachliche Zuständigkeit des Berufungsgerichts gegeben. Denn der Zweck, einerseits dem Bundesverwaltungsgericht eine Korrektur seiner eigenen Entscheidung vorzubehalten, ohne andererseits dessen Zuständigkeit systemwidrig zu überdehnen, lässt sich nur so erreichen.
3. Der Wiederaufnahmeantrag ist unbegründet, soweit er in die Zuständigkeit des Senats fällt. Ein Wiederaufnahmegrund im Sinne von § 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 579, 580 ZPO ist weder ausreichend geltend gemacht noch ersichtlich.
Der Antrag vom 27. Dezember 2016 bezieht sich ausdrücklich auf den Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO. Dieser setzt voraus, dass die Partei eine Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Daran fehlt es hier aus mehreren Gründen.
Unter einer Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO ist eine schriftlich verkörperte Gedankenerklärung zu verstehen, die zur Beweiserbringung geeignet ist (stRspr, vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. April 2013 - XII ZB 242/09 - NJW-RR 2013, 833 Rn. 17; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 153 Rn. 70). Eine hinreichende schriftliche Verkörperung fehlt, solange die betreffenden Informationen nur auf einem elektronischen Datenträger gespeichert sind; allenfalls durch einen Ausdruck können sie die Urkundeneigenschaft erlangen (Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 580 Rn. 16; Schreiber, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 415 Rn. 7, 9). Von § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO werden im Übrigen nur solche Urkunden erfasst, die schon zur Zeit des Vorprozesses vorhanden waren, aber seinerzeit von dem Beteiligten ohne Verschulden nicht vorgelegt werden konnten (s. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 30. August 2016 - 9 AV 2.16 - NVwZ-RR 2016, 934 Rn. 5 m.w.N.).
Danach handelt es sich bei der von den Antragstellern beantragten "Abschrift/Kopie einer vollständig oder teilweise gespeicherten elektronischen Duploakte" derzeit nicht um eine Urkunde. Denn der Präsident des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat die Erteilung eines solchen Dokuments, das allenfalls in ausgedruckter Form eine Urkunde sein könnte, gegenüber den Antragstellern mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 abgelehnt. Erst recht war eine solche Urkunde, deren nachträgliche Vorlage die Antragsteller beabsichtigen, zur Zeit des Vorprozesses ersichtlich nicht vorhanden. Die Antragsteller wollen sich des Wiederaufnahmeverfahrens bedienen, um in den Besitz einer erst noch zu erstellenden Urkunde zu gelangen, von der sie hoffen, dass ihr Inhalt den Verfahrensausgang zu ihren Gunsten beeinflussen werde. Die Anforderungen des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO sind damit nicht erfüllt.
Selbst wenn die erstrebte Urkunde schon im Vorprozess vorhanden gewesen wäre, hätte sie im Übrigen keine den Antragstellern günstigere Entscheidung herbeiführen können. Soweit diese mithilfe der begehrten "Duploakte" beweisen wollen, dass die Beschwerdebegründungsschrift vom 9. Februar 2015 als elektronisches Dokument rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangt sei, verkennen sie die Voraussetzungen für den Zugang eines per Telefax eingereichten Schriftsatzes. Wie bereits in dem Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2015 - 9 B 31.15 - (Rn. 8) ausgeführt, unterhält der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel keine gemeinsame Post- bzw. Telefax-Annahmestelle mit dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Inhalt eines beim Verwaltungsgericht eingegangenen Telefaxes noch innerhalb der Frist (auch) von einem Mitarbeiter des Verwaltungsgerichtshofs "durch einen oder wenige Mausklicks" hätte verfügbar gemacht werden können oder ob die Telefaxnummer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden auf einen Faxempfangsserver geschaltet ist, der von der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung betrieben wird und auch dem Faxempfang des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs dient, wie die Antragsteller behaupten. Entscheidend ist vielmehr allein, dass der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller die Begründungsschrift am Abend des 9. Februar 2015, des letzten Tages der Frist, durch das versehentliche Anwählen einer falschen Telefaxnummer dem Verwaltungsgericht Wiesbaden übermittelt hat, von dem es erst am 10. Februar 2015, mithin nach Fristablauf, an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet worden ist. Ergänzend weist der Senat nochmals darauf hin, dass ohnehin nur der erste Teil der Beschwerdebegründung ("Verfahrensgegenstand und Vorgeschichte") am 9. Februar 2015 abgesandt worden ist, während der zweite und rechtlich maßgebliche Teil ("Beschwerdegründe") überhaupt erst am nächsten Tag nachfolgte (vgl. auch dazu schon den Beschluss vom 13. Oktober 2015 - 9 B 31.15 - Rn. 11).
4. Soweit sich der Wiederaufnahmeantrag der Antragsteller auf Prüfberichte zur Kostenermittlung im Bereich der Straßenreinigung der Beklagten bezieht, betrifft dies die sachliche Richtigkeit des Berufungsurteils und damit gemäß § 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 584 Abs. 1 ZPO die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs. Insoweit kommt eine Verweisungsentscheidung (§ 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG) nicht in Betracht. Denn der Senat kann seine eigene sachliche Unzuständigkeit weder insgesamt noch für einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes feststellen. Vielmehr ist die Sache - wie schon zuvor in umgekehrter Richtung durch den Verwaltungsgerichtshof geschehen - an ihn abzugeben, damit er über den Antrag hinsichtlich derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte entscheidet, für die seine Zuständigkeit gegeben ist.
5. Die Kostenentscheidung betrifft demgemäß allein den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes findet ihre Grundlage in § 52 Abs. 3 GKG. Der Streitwert entspricht dem der Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren 9 B 5.15.