Entscheidungsdatum: 18.02.2014
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 27. Juni 2012 - 5 Sa 7/12 - aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 22. Dezember 2011 - 19 Ca 300/11 - abgeändert:
Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 29. September 2011 - 19 Ca 300/11 - wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die durch ihre Säumnis am 29. September 2011 veranlassten Kosten zu tragen, die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Revisionsbeklagte zu tragen.
Die Revisionsbeklagte begehrt als (Allein-)Erbin der am 7. Dezember 2012 verstorbenen T (Erblasserin) von der Beklagten die Abgeltung von 6 Urlaubstagen.
Die als schwerbehindert anerkannte Erblasserin war vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Juli 2011 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Ärztin in Vollzeit an fünf Tagen in der Woche beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtete sich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme ua. nach dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten (Arbeitnehmer/innen und Auszubildende) der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) und des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) vom 15. Oktober 1991 idF des 14. Änderungstarifvertrags vom 16. März 2010 (MDK-T).
Der MDK-T lautet auszugsweise wie folgt:
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„§ 28 |
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Urlaubsdauer |
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(1) |
Die Urlaubsdauer beträgt 30 Arbeitstage. |
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… |
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§ 29 |
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Urlaubsanspruch |
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(1) |
Der Urlaubsanspruch kann erstmalig 6 Monate, bei Auszubildenden 3 Monate, nach dem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses geltend gemacht werden, es sei denn, dass die Beschäftigten vorher ausscheiden. |
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(2) |
Beginnt oder endet das Beschäftigungsverhältnis im Laufe des Urlaubsjahres, so beträgt der Urlaubsanspruch 1/12 des vollen Jahresurlaubs für jeden vollen Kalendermonat der Beschäftigung. Das gilt entsprechend, wenn das Beschäftigungsverhältnis ruht. Bruchteile von Urlaubstagen werden auf volle Tage, jedoch nur einmal im Urlaubsjahr, aufgerundet. |
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… |
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§ 31 |
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Urlaubsabgeltung |
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Der Urlaubsanspruch kann nur abgegolten werden, wenn den Beschäftigten der noch zustehende Urlaub nicht mehr vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden kann. Es wird für jeden Urlaubstag 1/22 der letzten monatlichen Vergütung gezahlt.“ |
Die Beklagte gewährte der Erblasserin im Jahr 2011 insgesamt 25 Tage Urlaub. Eine weiter gehende Urlaubsgewährung lehnte sie ab.
Die Erblasserin hat gemeint, ihr hätten im Jahr 2011 insgesamt 31 Urlaubstage zugestanden, nämlich 20 Tage gesetzlicher Mindesturlaub, 5 Tage Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 SGB IX und (aufgerundet) weitere 6 Tage gemäß § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 2 MDK-T (10 Tage tariflicher Mehrurlaub / 12 Monate x 7 Monate = 5,83 Tage). Die Zwölftelungsregelung des § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T sei ausschließlich auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden. Die Beklagte habe daher noch 6 Urlaubstage abzugelten.
Die Erblasserin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.633,36 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 19. August 2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Zwölftelungsregelung sei nicht lediglich auf den zusätzlichen tariflichen Mehrurlaub von 10 Tagen im Jahr zu beschränken. Die Tarifvertragsparteien hätten gerade nicht ausschließlich eine Regelung über einen zusätzlichen Urlaub getroffen, sondern einen einheitlichen tariflichen (Urlaubs-)Anspruch geregelt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage zunächst durch Versäumnisurteil vom 29. September 2011 stattgegeben. Nach form- und fristgerechtem Einspruch der Beklagten hat es mit Urteil vom 22. Dezember 2011 das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
A. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Revisionsbeklagte hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Abgeltung weiteren Urlaubs für das Jahr 2011 gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB.
I. Die Erblasserin erwarb zu Beginn des Jahres 2011 einen Anspruch auf 30 Urlaubstage gemäß § 28 Abs. 1 MDK-T sowie auf 5 Tage gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 125 SGB IX.
II. Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen der Erblasserin und der Beklagten zum 31. Juli 2011 verringerte sich der Urlaubsanspruch für das Jahr 2011 gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T auf insgesamt 25 Tage, bestehend aus 20 Tagen gesetzlicher Mindesturlaub und 5 Tagen Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Dieser Urlaubsanspruch war durch Gewährung im Jahr 2011 gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen.
1. Arbeitnehmern, die wie die Erblasserin im Laufe eines Kalenderjahres ausscheiden, steht nach § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T nur 1/12 des Jahresurlaubs iHv. 30 Tagen je vollen Monat der Beschäftigung zu. Dies wären für die am 31. Juli 2011 ausgeschiedene Erblasserin rechnerisch 17,5 Tage und nach Aufrundung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 MDK-T 18 Tage. Allerdings waren der gesetzliche Mindesturlaub iHv. 20 Tagen (§§ 1, 3 BUrlG) und der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte (§ 125 SGB IX) zugunsten der Erblasserin bereits zu Beginn des Jahres 2011 entstanden. Aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG hat die Rechtsprechung den Umkehrschluss hergeleitet, dass eine Zwölftelung des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 BUrlG bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der zweiten Jahreshälfte nach erfüllter Wartezeit unzulässig sei (BAG 20. Januar 2009 - 9 AZR 650/07 - Rn. 21). Dementsprechend wäre es den Tarifvertragsparteien des MDK-T gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG verwehrt, den gesetzlichen Urlaubsanspruch nach dem BUrlG nach erfüllter Wartezeit zu kürzen.
a) Entgegen der Auffassung der Revisionsbeklagten führt diese Rechtsprechung nicht dazu, dass bei der Berechnung des Urlaubs nach § 29 Abs. 2 MDK-T der gesetzliche Mindesturlaub nicht gekürzt wird und die tarifliche Kürzungsregelung nur den tariflichen Mehrurlaub betrifft. Dies würde vorliegend bedeuten, dass zu den ungekürzten 20 Tagen gesetzlicher Mindesturlaub gekürzte 6 Tage tariflicher Mehrurlaub hinzutreten würden (10 Tage x 7/12 = 5,8 Tage = aufgerundet 6 Tage).
b) Diese Auffassung verkennt, dass der gesetzliche Mindesturlaub und der tarifliche Mehrurlaub zusammen zu betrachten sind. Der tarifliche Urlaubsanspruch, wonach der Erholungsurlaub in jedem Kalenderjahr für alle Arbeitnehmer 30 Arbeitstage beträgt, ist gegenüber dem gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub kein eigenständiger Anspruch, soweit sich beide Ansprüche decken (BAG 7. August 2012 - 9 AZR 760/10 - Rn. 14, BAGE 143, 1). Der Senat hat insofern in ständiger Rechtsprechung die Auslegungsregel aufgestellt, für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen tariflichen Ansprüchen unterscheide, müssten deutliche Anhaltspunkte bestehen (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 25 mwN, BAGE 137, 328). Solche Anhaltspunkte sind im MDK-T nicht ersichtlich. Sämtliche Urlaubsregelungen differenzieren nicht zwischen gesetzlichem Urlaub und tariflichem Mehrurlaub. Insbesondere die §§ 28, 29 MDK-T enthalten keine Differenzierung, sondern gewähren einen einheitlichen Jahresurlaubsanspruch von 30 Tagen. Deshalb ist die Kürzung zunächst auf den Gesamturlaub anzuwenden.
c) Soweit dadurch der tarifliche Mehrurlaub von der Kürzung betroffen ist, steht dem Erlöschen des Mehrurlaubs bei einem unterjährigen Ausscheiden durch § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T weder § 13 Abs. 1 BUrlG noch Unionsrecht entgegen. Diesen Mehrurlaub können die Tarifvertragsparteien grundsätzlich frei regeln. Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht (vgl. BAG 12. März 2013 - 9 AZR 292/11 - Rn. 15; 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 19 mwN, BAGE 134, 1).
d) Soweit § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T wegen Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BUrlG iVm. § 134 BGB und wegen Eingriffs in den gesetzlich und unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaub unwirksam sein kann, wäre die Regelung gemäß § 139 BGB insoweit aufrechtzuerhalten (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 27, BAGE 137, 328), als sie bei einem Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte den gesetzlichen Mindesturlaub nicht kürzen würde. Die Tarifvertragsparteien wollten erkennbar bei einem unterjährigen Ausscheiden eine Kürzung des gesamten 30-tägigen Urlaubsanspruchs herbeiführen. Dies bedeutet, dass sich für die Erblasserin der Urlaubsanspruch für das Jahr 2011 nicht auf 18 Tage, sondern auf 20 Tage Urlaub reduziert hat.
2. Der der Erblasserin für das Jahr 2011 zustehende gesetzliche Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bleibt von der Kürzungsregelung des § 29 Abs. 2 MDK-T unberührt. Die Tarifvertragsparteien haben keine Regelung zum Zusatzurlaub für Schwerbehinderte getroffen.
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Brühler |
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Klose |
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U. Leitner |
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Spiekermann |