Entscheidungsdatum: 16.06.2014
In der Beschwerdesache
…
betreffend das Patent 198 00 812
wegen Akteneinsicht durch Übermittlung von Kopien bzw. Ausdrucken
hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 16. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter Rauch, die Richterin Püschel und die Richterin Kortge
beschlossen:
Der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts wird anheim gegeben, dem Beschwerdeverfahren beizutreten.
I.
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Verweigerung der Akteneinsicht in Form von Übersendung von Kopien bzw. Ausdrucken bestimmter Aktenteile eines Patents, nämlich hinsichtlich sog. Nichtpatentliteratur (NPL).
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens betreffend das deutsche Patent 198 00 812 mit der Bezeichnung „Verbesserte orale Darreichungsformen von L-Arginin-HCI“, dessen Inhaberin die weitere Beteiligte seit 28. November 2012 ist bzw. war, wurden u. a. folgende Dokumente eingereicht (= ursprüngliche Papierseiten 10 bis 16, 34 bis 44 und 56 bis 63 der Einspruchsakte, wobei diese Blattzahl auch in der nunmehr vorliegenden elektronischen Akte bzw. im Ausdruck aus der elektronischen Akte erkennbar ist):
- als E5 Kopien aus „THE MERCK INDEX“, 11. Ausgabe, 1989, Titelblatt und Seiten mit den Ziffern Nr. 805 (Seitenzahl nicht erkennbar) und Nr. 862 (Seite 132);
- als E6 Kopien aus „Europäisches Arzneibuch 1997“, Titelblatt und Seiten 500, 501;
- als E7 Kopie eines Beipackzettels „Sargenor 1 g“, 05/94;
- als D1 Kopien aus „ROTE LISTE 1998“, Titelblatt, Seite 40 und 2 Seiten aus dem Kapitel 52 „Infusions- u. Standardinjektionslösungen, Organperfusionslösungen“;
- als D2 Kopien aus „ROTE LISTE 2000“, Titelblatt, Seiten 44, 45, 1 Seite aus dem Kapitel 52 „Infusions- u. Standardinjektionslösungen, Organperfusionslösungen“; 1 Seite aus dem Kapitel 48 „Hepatika“;
- als D3 Kopien aus Martin Negwer, „Organisch-Chemische Arzneimittel und ihre Synonyma“, 4. Aufl. 1971, Titelblatt und Seite 75;
- als E8 Kopien aus Herbert A. Lieberman, Leon Lachman, „Pharmaceutical Dosage Forms“, Tablets, Volume 1, Marcel Dekker Inc. (1989), Titelblatt und Seiten 225, 232 und 241;
- als E9 Kopien aus P.C. Schmidt, Ilse Christin, „Brausetabletten – eine fast vergessene Arzneiform“, Pharmazie 45 (1990), Heft 2, Seiten 89, 90;
- als E10 Kopie aus A. Barbul et. al., „Arginine enhances wound healing and lymphocyte immune responses in humans“, Department of Surgery, Sinai Hospital, Baltimore, MD 21215, 1 Seite.
Durch Beschluss der Patentabteilung 41 des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) vom 30. Juni 2006 wurde das Patent unter Würdigung der eingereichten Entgegenhaltungen aufrechterhalten.
Der Antragsteller stellte mit am selben Tag eingegangenem Schriftsatz vom 31. August 2012 Antrag auf Einsicht in die Akte des vorliegenden Patents und bat um Übermittlung von Kopien vor allem der Unterlagen des Einspruchsverfahrens. Nach Übermittlung von Kopien eines Teils der Akte, die aber die oben genannten Unterlagen nicht umfassten, bat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11. September 2012 darum, auch Kopien derjenigen Druckschriften zu übermitteln, die keine Patentschriften oder Patentanmeldungsveröffentlichungen seien.
Durch Beschluss der Patentabteilung 41 des DPMA vom 1. Oktober 2012 wurde der Antrag des Antragstellers auf Übersendung von Kopien nichtamtlicher Druckschriften aus der Einspruchsakte des vorliegenden Patents (Blätter 10 bis 16, 34 bis 44 und 56 bis 63) zurückgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, bei den betroffenen Seiten aus der Einspruchsakte handle es sich ohne Ausnahme um nichtamtliche Druckschriften mit naturwissenschaftlich-technischem Inhalt, sog. Nicht-Patentliteratur (NPL). Zum Umfang der Akteneinsicht des § 31 Abs. 2 Nr 2 PatG gehöre zwar grundsätzlich auch der Erhalt von Kopien bzw. Ausdrucken des Akteninhalts. Die Ausnahme bestimmter Aktenteile von der Einsicht könne jedoch ausnahmsweise erforderlich sein, wenn wichtige übergeordnete Grundsätze des grundrechtlichen Schutzes nach Art. 1, 2 und 14 GG einer Einsicht entgegenstehen. Soweit der Akteninhalt daher - wie hier die genannte NPL - urheberrechtlichen Schutz genieße, stehe dies der Anfertigung von Kopien bzw. Ausdrucken entgegen, da Kopien bzw. Ausdrucke eine öffentliche Zugänglichmachung nach § 15 Abs. 3 UrhG und eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellten. Die Schrankenregelung des § 45 UrhG greife nicht ein, denn diese finde nur Anwendung, falls Kopien oder Ausdrucke von dem Antragsteller innerhalb des Patenterteilungsverfahrens begehrt würden. Die Regelung gelte aber nicht für Dritte im Rahmen der Akteneinsicht nach § 31 PatG, da es sich um ein eigenständiges Verfahren handle. Ebenso wenig liege ein Ausnahmefall nach § 53 UrhG vor. Der Antragsteller bleibe darauf verwiesen, die betroffene NPL bei der Akteneinsicht einzusehen und sich diese selbst zu besorgen.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde und trägt zur Begründung vor, es sei nicht erkennbar, dass wichtige, übergeordnete Grundsätze des grundrechtlichen Schutzes hier der freien Akteneinsicht nach § 31 Abs. 2 PatG, die gemäß § 22 Abs. 2 DPMAV auf Antrag durch Erteilung von Kopien der Akte zu gewähren ist, entgegenstünden. Die betreffenden Anlagen zu Schriftsätzen der Einsprechenden und der Pateninhaberin unterlägen bereits deshalb nicht dem Urheberrechtsschutz, weil es nicht um die Werke selbst, sondern lediglich um als Beweismittel eingereichte, von der Einsprechenden bzw. der Patentinhaberin angefertigte Kopien gehe, die ggfs. (handschriftliche) Modifikationen seitens der Einsprechenden, der Patentinhaberin oder des Prüfers erfahren hätten. Darüber hinaus dürfte es sich nicht bei sämtlichen der genannten Unterlagen um Werke des Urheberrechts handeln, insbesondere bei dem Beipackzettel. Selbst wenn aber einem Originaltext, von dem die seinerzeit am Einspruchsverfahren Beteiligten eine Kopie eingereicht haben, als solchem Urheberrechtschutz zukomme, sei die Anfertigung von Kopien der in der Akte befindlichen Kopien durch § 45 UrhG gedeckt, wenn die Kopien in einem Gerichtsverfahren verwendet werden sollen. Vorliegend wirke der Antragsteller als Patentanwalt in einem Nichtigkeitsverfahren gegen das Patent mit und es sei selbstverständlich beabsichtigt, die Kopien in dem Nichtigkeitsverfahren zu verwenden. Aber selbst wenn § 45 UrhG nicht eingreifen würde, sei bei Abwägung der sich gegenüber stehenden Interessen nicht erkennbar, weshalb der urheberrechtliche Kopierschutz gegenüber dem Akteneinsichtsrecht grundsätzlich höherrangig sein solle, zumal es im vorliegenden Fall nicht um das Geheimhalten des Inhalts von Dokumenten gehe. Der Verweis auf öffentliche Bibliotheken sei unzureichend, denn dort befänden sich bestenfalls die Originale, aber nicht die von den Parteien zur Akte gereichten Kopien. Darüber hinaus sei es in vielen Fällen gar nicht möglich, Kopien der Originale der eingereichten Dokumente auf anderem Wege zu beschaffen als durch die Akteneinsicht, z. B. bei dem Beipackzettel aus dem Jahr 1994 oder veralteten Ausgaben des Europäischen Arzneibuchs oder der Roten Liste oder bei Artikeln aus Zeitschriften, die in keiner deutschen Bibliothek sein dürften (vgl. insbesondere den Forschungsbericht des Sinai Hospital in Baltimore).
Im März 2014 ist das Patent durch Verzicht der Patentinhaberin erloschen. Im Hinblick auf diesen Verzicht und den Umstand, dass das Nichtigkeitsverfahren, das Anlass für die begehrte Akteneinsicht gewesen sei, mittlerweile abgeschlossen sei, hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 5. Juni 2014 mitgeteilt, dass das wirtschaftliche Interesse an der Fortführung des Beschwerdeverfahrens sehr gering sei, die Beschwerde aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache aufrechterhalten werde. Er hat außerdem darauf hingewiesen, dass kein kontradiktorisches Verfahren vorliege, es somit keine Beschwerdegegnerin gebe.
II.
Der Senat hält eine der Beschwerde stattgebende Entscheidung für nicht ausgeschlossen.
1. Zu der vom Antragsteller gerügten Beteiligung der (ehemaligen) Patentinhaberin am Beschwerdeverfahren ist anzumerken, dass sie der Senat aus Gründen des rechtlichen Gehörs, da es im Verfahren um ihr Patent geht, als weitere Beteiligte ansieht, aber nicht als Antragsgegnerin. Zwar ist im Normalfall eines streitigen Akteneinsichtsverfahrens der Inhaber des betreffenden Schutzrechts Antragsgegner, entweder weil er (im Fall einer nicht freien Akteneinsicht) der Geltendmachung des berechtigten Interesses entgegen getreten ist oder weil er (im Fall freier Akteneinsicht) ein entgegenstehendes Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht hat. Beides liegt hier aber nicht vor, sondern vielmehr der Sonderfall, dass in einem Fall freier Akteneinsicht (der regelmäßig ganz ohne Beteiligung des jeweiligen Schutzrechtsinhabers abläuft, vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, PatG, 9. Aufl., § 31 Rdn. 41; BPatGE 30, 74, 75) nicht die freie Akteneinsicht als solche in Streit ist (und vom Patentinhaber auch nicht in Frage gestellt wird), sondern die Art der Durchführung der Akteneinsicht, so dass es sich der Sache nach vornehmlich um einen Streit zwischen dem Antragsteller der Akteneinsicht und dem Patentamt handelt.
2. Da es hier um die Einsicht in ein (erteiltes) Patent geht, handelt es sich um einen Fall grundsätzlich freier Einsicht gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 PatG, zu dessen Durchführung § 22 Abs. 2 Satz 2 DPMAV bestimmt, dass auf Antrag die Einsicht durch Erteilung von Ablichtungen oder Ausdrucken der gesamten Akte oder Teilen davon gewährt wird.
a) Die Akteneinsicht bezieht sich dem Grundsatz nach stets auf den gesamten Inhalt der Akten eines Patents, wobei zu den Akten eines erteilten Patents auch die Akten eines Einspruchsverfahrens gehören (vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, a. a. O., § 31 Rdn. 9, 25; BPatGE 30, 74, 75). Der nunmehr vorliegende Verzicht auf das Patent im März 2014 ändert grundsätzlich nichts an der bestehenden freien Einsicht (vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, a. a. O., § 31 Rdn. 39).
Nach den Umständen des Falles geht es, was in dem angefochtenen Beschluss dadurch deutlich wird, dass der Antragsteller ausdrücklich „darauf verwiesen (bleibt), die betroffene NPL (hier Blätter 10 bis 16, 34 bis 44 und 56 bis 63 der Einspruchsakte) in den bei der der Akteneinsicht vor Ort zur Verfügung gestellten Kopien bzw. Ausdrucken einzusehen …“, nicht um die Gewährung der Akteneinsicht als solche, sondern um eine bestimmte Durchführungsform der Akteneinsicht, nämlich um die in § 22 DPMAV geregelte Übersendung von Kopien oder Ausdrucken aus der Akte.
b) Die Schranken auch einer freien Akteneinsicht sind nunmehr in § 31 Abs. 3b PatG gesetzlich geregelt (eingefügt durch Art. 1 Nr. 8b des Gesetzes zur Novellierung patentrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze des gewerblichen Rechtsschutzes vom 19. Oktober 2013, in Kraft getreten am 25. Oktober 2013, BGBl. I 3830 ff. = BlPMZ 2013, 362), wonach die Akteneinsicht u.a. dann ausgeschlossen ist, soweit eine Rechtsvorschrift entgegensteht. Diese Vorschrift galt zwar noch nicht zum Zeitpunkt der Stellung des vorliegenden Akteneinsichtsantrags. Da das PatNovG aber insoweit keine Übergangsvorschrift enthält (§ 147 Abs. 3 bis 5 PatG n. F. betrifft andere Fälle), ist die geänderte Vorschrift auch dem laufenden Akteneinsichtsverfahren zugrunde zulegen; ein in der Vergangenheit bereits abgeschlossener prozessualer Tatbestand wie etwa eine fristgebundene Verfahrenshandlung liegt nicht vor (vgl. auch Baumbach/Lauterbach, ZPO, 72. Aufl. 2014, Einl. III Rdn. 78). Ausweislich der Gesetzesbegründung geht es bei den in § 31 Abs. 3b PatG genannten entgegenstehenden Rechtsvorschriften auch um entgegenstehende Belange des Urheberrechts (siehe BlPMZ 2013, 366 ff., 370 linke Spalte oben).
aa) Das Urheberrecht ist vorliegend berührt, denn mit dem Patentamt ist davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Aktenteile (NPL) geschützte Werke bzw. Teile davon im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG sein können (zweifelhaft möglicherweise für den Beipackzettel als bloße Gebrauchsinformation, vgl. Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. 2013, § 2 Rdn. 97, 98).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die streitgegenständlichen Aktenteile (NPL) nicht deshalb vom Urheberrechtsschutz ausgenommen, weil sie Bestandteil einer amtlichen Akte geworden sind. Nach § 5 Abs. 1 UrhG sind zwar gerichtliche und behördliche Entscheidungen als (gemeinfreie) amtliche Werke zu beurteilen, nicht jedoch die Akten selbst mit ihrem gesamten Inhalt (vgl. BGH GRUR 1986, 739 – Anwaltsschriftsatz, juris Tz. 10; Dreier/Schulze, a. a. O., § 5 Rdn. 6). Der urheberrechtliche Schutz entfällt aber dann, soweit ein Schriftstück Bestandteil einer gerichtlichen Entscheidung geworden und ersichtlich als solcher wiedergegeben wird (vgl. LG Köln GRUR-RR 2011, 4: Anwaltsschriftsatz als Teil einer einstweiligen Verfügung; OLG Braunschweig InstGE 12, 286 – Kühnen II: eine urheberrechtsfähige Zeichnung wird mit Aufnahme in eine Gerichtsentscheidung gemeinfrei, wenn die Zeichnung als Teil des Urteils wiedergegeben wird). Letzteres ist hier nicht der Fall, denn die betroffene Nichtpatentliteratur ist zwar, jedenfalls zum Teil, in der Einspruchsentscheidung des Patentamts (Beschluss vom 30. Juni 2006) gewürdigt, aber nicht als Bestandteil der Entscheidung wiedergegeben.
Zu den grundsätzlich dem Urheber vorbehaltenen Verwertungsrechten gehört u. a. das Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG sowie das Verbreitungsrecht nach § 17 UrhG. Der angefochtene Beschluss sieht auch das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung nach § 15 Abs. 3 UrhG berührt. Letzteres ist fraglich, denn § 15 Abs. 3 UrhG mit der Definition der öffentlichen Wiedergabe bezieht sich auf die in § 15 Abs. 2 UrhG genannten öffentlichen Wiedergabearten und diese betreffen sämtlich den Bereich der Wiedergabe in unkörperlicher Form (Vortrag, Sendung usw.). Vorliegend ist aber mit der begehrten Übersendung von Ablichtungen bzw. Ausdrucken aus der Akte nur die Verwertung in körperlicher Form nach § 15 Abs. 1 UrhG betroffen.
bb) In Betracht kommt jedoch ein Zurücktreten des Urheberrechts aufgrund der Schrankenregelung des § 45 UrhG, wonach es zulässig ist, einzelne Vervielfältigungsstücke von Werken zur Verwendung in Verfahren vor einem Gericht, einem Schiedsgericht oder einer Behörde herzustellen oder herstellen zu lassen.
Verfahren im Sinne des § 45 UrhG ist jeder Vorgang, der einen konkreten, von dem betreffenden Organ nach außen wirkenden Sachverhalt zum Gegenstand hat, nicht hingegen verwaltungsinterne Vorgänge. Das Gericht oder die Behörde muss einem Rechtssubjekt, also einem Kläger, Antragsteller, Betroffenen, Beschuldigten oder in ähnlicher Funktion Handelndem gegenüber tätig werden. Zu dem von § 45 Abs. 1 privilegierten Zweck darf jeder am betreffenden Verfahren Beteiligte die Vervielfältigungsstücke herstellen oder herstellen lassen. (vgl. Dreier/Schulze, a. a. O., § 45 Rdn. 6, 7). Von § 45 nicht gedeckt ist hingegen die Herstellung zur Weitergabe an Dritte, insbesondere nicht an die Presse (vgl. Dreier/Schulze, a. a. O., § 45 Rdn. 8; Melichar in Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl. 2010, § 45 Rdn. 6).
Zu der Frage, ob auch ein Akteneinsichtsverfahren als Verfahren i. S. d. § 45 UrhG anzusehen ist, wird ausweislich der neueren Kommentierung zu § 31 PatG eine enge Auslegung von § 45 UrhG vertreten (vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, PatG, 9. Aufl., § 31 Rdn. 47). Danach gilt die Schrankenregelung des § 45 UrhG nicht für das Akteneinsichtsverfahren eines (am Erteilungs- oder Einspruchsverfahren) nicht beteiligten Dritten. Nach dem Wortlaut der Vorschrift erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass auch ein Akteneinsichtsverfahren wie das vorliegende von § 45 UrhG erfasst ist (ebenso, im Zusammenhang mit Einsichtsbegehren nach dem IFG: Schnabel, Geistiges Eigentum als Grenze der Informationsfreiheit, veröffentlicht in K&R 2011, 626 ff., 630 unter III3b; Raue, Informationsfreiheit und Urheberrecht, JZ 2013, 280 ff., 287 linke Spalte). Ein Antragsteller auf Akteneinsicht ist zwar Dritter, was das Ausgangsverfahren (Patenterteilungs- bzw. Einspruchsverfahren) anbelangt. Soweit es um das Akteneinsichtsverfahren geht, ist er jedoch Verfahrensbeteiligter. Es liegt beim Akteneinsichtsverfahren auch ein Gegenstand mit nach außen wirkendem Sachverhalt i. S. d. § 45 UrhG vor, nämlich ein Verfahren nach § 31 Abs. 1 Satz 2 PatG, das durch einen entsprechenden Antrag eingeleitet wird.
Die Übersendung von Kopien bzw. Ausdrucken an den die Einsicht begehrenden Antragsteller stellt sich so als die Vervielfältigung bzw. Verbreitung zur Verwendung in einem behördlichen Verfahren dar, nämlich einem Akteneinsichtsverfahren. Die Gewährung von Akteneinsicht an antragstellende Dritte gehört zu den vom Patentgesetz für das DPMA gesetzlich vorgesehenen Aufgaben. Diese Auslegung ist auch mit Sinn und Zweck der Regelung vereinbar, geht es doch nicht um die Vervielfältigung von urheberrechtlich geschützten Werken an sich, sondern um die Übermittlung des Inhalts einer patentamtlichen Akte. In der Praxis ist diese Vorschrift auch jahrzehntelang so gehandhabt worden; bezeichnenderweise findet sich in der vorliegenden elektronischen Akte ein Vorgang, bei dem einem Antragsteller (Firma V.) im Juli 2003 Kopien von allen Seiten des Einspruchsverfahrens übersandt wurden (Übersendung von Blatt 1 bis 63 der Einspruchsakte).
Bei der Auslegung des § 45 UrhG wird auch zu berücksichtigen sein, dass der Grundsatz, wonach Schrankenbestimmungen als Ausnahmebestimmungen zum urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrecht grundsätzlich eng auszulegen seien (vgl. Dreier/Schulze, a. a. O., vor § 44a Rdn. 7 m. w. N.; Melichar in Schricker/Loewenheim, a. a. O., vor §§ 44a ff. Rdn. 18) in neuerer Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt vertreten wird. Danach verbietet sich eine enge Schrankenauslegung in den Fällen, in denen neben dem Urheberrecht weitere Grundrechtspositionen in Rede stehen (vgl. BVerfG GRUR 2012, 389 Tz. 17 – Kunstausstellung im Online-Archiv; Dreier/Schulze, a. a. O., vor § 44a Rdn. 7 a. E.). Beschränkungen der Verwertungsrechte ergeben sich dadurch insbesondere aus der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit und der Kunstfreiheit (vgl. Ungern-Sternberg, Die Rechtsprechung des EuGH und des BGH zum Urheberrecht und zu den verwandten Schutzrechten im Jahre 2013, GRUR 2014, 209 ff., 215 linke Spalte, m. w. N. der Rechtsprechung). Wenn eine Schrankenregelung dazu dient, die unterschiedlichen Grundrechtspositionen in Ausgleich zu bringen, ist die Grundrechtsabwägung bereits im Rahmen ihrer Auslegung vorzunehmen (vgl. BVerfG GRUR 2012, 389 Tz. 13 f – Kunstausstellung im Online-Archiv; BGH GRUR 2013, 614 Tz. 22 – Metall auf Metall II, zu § 24 UrhG).
Vorliegend unterfallen die ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, während mit der verlangten Einsicht in die patentamtliche Akte das Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG betroffen ist. Soweit im Patenterteilungs- oder Einspruchsverfahren urheberrechtlich geschützte Werke oder Teile davon eingereicht werden, handelt es sich regelmäßig um schriftliche Belege für den Stand der Technik, der bei der Prüfung der Patentfähigkeit von Bedeutung ist; dies ist auch vorliegend der Fall. Wenn (solcher oder anderer) Stand der Technik in Entscheidungen im Patenterteilungsverfahren (etwa bei Zurückweisung einer Patentanmeldung) oder im Einspruchsverfahren gewürdigt wird, kann dies in aller Regel nur nachvollzogen werden bei Kenntnis des Inhalts der Entgegenhaltung. Es ist nicht zu erkennen, inwieweit die Ermöglichung des Fertigens einer Kopie bzw. eines Ausdrucks der NPL für den Akteneinsichtsantragsteller dem Urheber die weitere wirtschaftliche Auswertbarkeit der betroffenen Werke, bei denen es sich in aller Regel - wie auch hier - nur um wenige Seiten aus größeren Werken handelt, nennenswert beeinträchtigt werden könnte. Je nach Alter der betroffenen Patentamtsakte handelt es sich zudem regelmäßig um Teile von früheren Auflagen von Werken, da der Stand der Technik mit Bezug auf den jeweiligen Prioritätstag der Anmeldung eingereicht wird. Mit der Übersendung einer Kopie verleiht das Patentamt dem Antragsteller auch keine weiteren Rechte im Umgang mit der NPL. Die Abwägung der Grundrechtsinteressen spricht somit ebenfalls eher dafür, die Einsicht in die NPL in Form von Übersendung von Kopien bzw. Ausdrucken zuzulassen.
Soweit der Antragsteller allerdings geltend macht, er persönlich sei berechtigt, die Kopien zu fertigen, weil er sie in einem Nichtigkeitsverfahren verwenden wolle, so ist dies nicht zu berücksichtigen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass im Rahmen von § 45 UrhG Kopien von Werken auch in Vorbereitung eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens gemacht werden können (vgl. LG Düsseldorf GRUR-RR 2007, 193). Aber zum einen greift diese Privilegierung hier schon deshalb nicht (mehr), weil das betreffende Nichtigkeitsverfahren bereits beendet ist, wie der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 5. Juni 2014 mitgeteilt hat. Zum anderen aber ist es nicht Aufgabe des Patentamts, vor der Übersendung von Kopien aus der Akte die persönlichen Voraussetzungen eines Antragstellers (der z. B. auch über § 53 Abs. 1 UrhG privilegiert sein könnte: Herstellung einer Kopie für den privaten Gebrauch einer natürlichen Person, was aber bei Anwälten in der Regel ausscheiden dürfte) zu prüfen. Eine solche Prüfung wäre mit einem Massenverfahren wie der freien Einsicht in Patentamtsakten auch schwerlich zu vereinbaren.
Der Senat wird eine Sachentscheidung nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses an die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts treffen.