Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 04.11.2016


BPatG 04.11.2016 - 7 W (pat) 12/15

Patentbeschwerdeverfahren – Antrag auf Weiterbehandlung in elektronischer Form - "Weiterbehandlung IV" – Möglichkeit der Einreichung eines Weiterbehandlungsantrag als elektronisches Dokument


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
04.11.2016
Aktenzeichen:
7 W (pat) 12/15
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Weiterbehandlung IV

Ein Weiterbehandlungsantrag unterfällt dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Deutschen Patent- und Markenamt (ERVDPMAV) und kann deshalb als elektronisches Dokument eingereicht werden.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2012 019 863.9

(wegen Antrag auf Weiterbehandlung in elektronischer Form)

hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 4. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Rauch, die Richterin Püschel und die Richterin Dr. Schnurr

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B60G des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. März 2015 aufgehoben.

2. Die Weiterbehandlung der Patentanmeldung 10 2012 019 863.9 wird angeordnet.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Am 10. Oktober 2012 meldete die Anmelderin beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Erfindung mit der Bezeichnung „Fahrzeug“ zum Patent an. Die Anmeldung wird beim Patentamt unter dem Aktenzeichen 10 2012 019 863.9 geführt. Durch Prüfungsbescheid vom 4. Juni 2014 wurde der Anmelderin mitgeteilt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in der Fassung der Anmeldung als nicht neu erachtet werde, und ihr wurde eine viermonatige Frist zur Stellungnahme gesetzt. Nachdem eine Antwort auf diesen Bescheid auch nach Fristablauf ausgeblieben war, wies die Prüfungsstelle für Klasse B60G des Patentamts die Patentanmeldung durch Beschluss vom 14. Januar 2015 zurück, welcher den Verfahrensbevollmächtigten der Anmelderin zwei Tage später zuging.

2

Die Anmelderin stellte daraufhin am 16. Februar 2015 in elektronischer Form über das Portal „DPMAdirekt“ einen mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur versehenen Antrag auf Weiterbehandlung, entrichtete die für Weiterbehandlunganträge vorgesehene Gebühr in Höhe von 100 € und reichte zum Zwecke der Nachholung der versäumten Handlung eine auf den Prüfungsbescheid vom 4. Juni 2014 bezogene Erwiderung einschließlich geänderter Anmeldungsunterlagen ein.

3

Der Weiterbehandlungsantrag wurde von der Prüfungsstelle für Klasse B60G des Patentamts durch einen vom Prüfer am 2. März 2015 signierten Beschluss zurückgewiesen, der das Datum des 27. Februar 2015 trägt (im Folgenden: Beschluss vom 2. März 2015). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Weiterbehandlungsantrag erfülle nicht die in der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Deutschen Patent- und Markenamt (ERVDPMAV) angegebenen formellen Voraussetzungen.

4

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie ist der Meinung, dass bei Weiterbehandlungsanträgen dem Schriftformerfordernis auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments entsprochen werde. Jedenfalls seit dem 25. Juli 2014 gestatte das Patentamt das Nachreichen von Unterlagen zu nationalen Patentanmeldungen als elektronische Dokumente. Dies ergebe sich aus dem vom 25. Juli 2014 datierenden DPMAdirekt-Newsletter Nr. 31 sowie aus der im Wesentlichen gleichlautenden Erläuterung zum Portal „DPMAdirekt“ auf der Internetseite http://www.dpma.de/service/e_dienstleistungen/dpmadirekt/index.html (Stand 20. Februar 2015). Entsprechendes müsse auch für die Einreichung eines Weiterbehandlungsantrags gelten, bei dem es sich um einen Nachgang zu einer Patentanmeldung handele. Im Übrigen sei zu bedenken, dass es für eine Weiterbehandlung i. S. von § 123a PatG keines expliziten Antrags bedürfe, da nach der Kommentarliteratur je nach Sachlage auch eine bloße (und hier auch erfolgte) Stellungnahme zum Inhalt des Prüfungsbescheids ausreichen könne.

5

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

6

- den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B60G des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. März 2015 aufzuheben,

7

- die Weiterbehandlung der Patentanmeldung 10 2012 019 863.9 und

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- die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.

9

Auf einen entsprechenden Anheimgabebeschluss des Senats vom 15. April2016 ist die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts dem Verfahren beigetreten. In ihrer Stellungnahme vom 27. Juli 2016 hat sie die Auffassung vertreten, der Weiterbehandlungsantrag sei zu Recht zurückgewiesen worden, weil er die Voraussetzungen der ERVDPMAV nicht erfülle. Zur Begründung hat sie u. a. ausgeführt, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz habe als Verordnungsgeber durch die - enumerativ zu verstehende - Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), d) und e), Abs. 2 ERVDPMAV zum Ausdruck gebracht, dass nicht alle im Erteilungsverfahren denkbaren Dokumente beim Patentamt auf elektronischem Wege einreichbar seien. Ein Antrag auf Weiterbehandlung im Sinne des § 123a PatG stelle eine dort nicht explizit genannte Verfahrenshandlung und keinen Nachgang zu einer oder im Zusammenhang mit einer dort genannten Verfahrenshandlung dar. Ein zulässiger Weiterbehandlungsantrag lasse vielmehr ein bereits durch einen Zurückweisungsbeschluss beendetes Verfahren „wiederaufleben“, indem der Zurückweisungsbeschluss wirkungslos werde.

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Dieses Normverständnis entspreche auch dem Gesetzeszweck von § 125a PatG und der Intention des Verordnungsgebers der ERVDPMAV. Denn durch diese Vorschriften solle der elektronische Rechtsverkehr in Patentsachen vereinheitlicht und an moderne Standards angepasst werden; die erforderliche technische Infrastruktur solle in diesem Zusammenhang nach und nach aufgebaut werden. Hierbei habe der Verordnungsgeber insbesondere die vom Patentamt entwickelte Anmeldeplattform „DPMAdirekt“ im Blick gehabt. Die strukturierte Einreichung über den elektronischen Eingangskanal „DPMAdirekt“ sei ausschlaggebend für die effiziente Bearbeitung der Schutzrechtsanmeldungen. Würden dagegen wie hier nicht zugelassene Dokumente eingereicht, führe dies zu erheblichem zusätzlichem Verwaltungsaufwand und Fehlerpotential. Dieser technische Hintergrund sei auch bei der Auslegung von § 1 ERVDPMAV zu beachten.

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Ergänzend wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

II.

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Die gemäß § 73 Abs. 1 PatG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet, weil das Patentamt den Antrag auf Weiterbehandlung vom 16. Februar 2015 zu Unrecht zurückgewiesen hat.

13

1. Nach der am 1. Januar 2005 neu in das Patentgesetz eingeführten Bestimmung des § 123a PatG kann der Anmelder die Weiterbehandlung der Anmeldung beantragen, wenn, wie hier, nach einer vom Patentamt bestimmten Frist die Patentanmeldung zurückgewiesen worden ist, mit der Folge, dass der Beschluss wirkungslos wird, § 123a Abs. 1 PatG.

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Dies ist hier erfolgt. Denn dem Patentamt ist am Montag, dem 16. Februar 2015, also gemäß § 99 Abs. 1 PatG, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB innerhalb der mit Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses vom 14. Januar 2015 am 16. Januar 2015 bis zum 16. Februar 2015 laufenden Monatsfrist des § 123a Abs. 2 Satz 1 PatG, ein Antrag auf Weiterbehandlung zugegangen, der zum Zwecke der Nachholung der versäumten Handlung i. S. d. § 123a Abs. 2 Satz 2 PatG mit der Übersendung einer auf den Prüfungsbescheid vom 4. Juni 2014 bezogenen Erwiderung mit geänderten Anmeldungsunterlagen verbunden war.

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2. Entgegen der vom Patentamt vertretenen Rechtsansicht war der als elektronisches Dokument eingereichte Weiterbehandlungsantrag wirksam. Er entspricht den insoweit in § 125a Abs. 1 PatG i. V. m. § 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 125a Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 ERVDPMAV, § 12 DPMAV festgelegten Erfordernissen.

16

a) Zwar erfüllt der Weiterbehandlungsantrag nicht das für alle Anträge im patentamtlichen Verfahren grundsätzlich zu fordernde Schriftformerfordernis i. S. d. § 126 Abs. 1 BGB (vgl. Schulte/Schell, PatG, 9. Aufl., § 123a Rn. 11, Einl. Rn. 316 m. w. N.).

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Jedoch handelt es sich um eine Aufzeichnung als elektronisches Dokument, die von der Rechtsfolgenverweisung des § 125a Abs. 1 PatG auf § 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO als Ausnahme vom Schriftformerfordernis zugelassen wird. Anwendung findet § 125a PatG i. d. F. des Gesetzes zur Novellierung patentrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze des gewerblichen Rechtsschutzes vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3830), welcher auf die Regelung des § 130a Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 3 ZPO verweist und in Absatz 3 Nr. 1 eine Verordnungsermächtigung enthält, von der das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Bestimmung der für die Bearbeitung der Dokumente geeigneten Form und zur Beschaffenheit der zu verwendenden elektronische Signatur durch Erlass der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Deutschen Patent- und Markenamt (ERVDPMAV) Gebrauch gemacht hat.

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b) Der Weiterbehandlungsantrag unterfällt dem Anwendungsbereich des § 1 ERVDPMAV und zählt damit zu den Dokumenten, die gemäß § 12 DPMAV i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ERVDPMAV als elektronisches Dokument beim Patentamt eingereicht werden konnten.

19

aa) In der hier maßgeblichen, vom 1. Juli 2014 bis zum 7. September 2015 geltenden Fassung (gemäß Verordnung zur weiteren Modernisierung des Designrechts und zur Einführung des Nichtigkeitsverfahrens in Designangelegenheiten vom 2. Januar 2014, BGBl. I S. 18) hat § 1 ERVDPMAV folgenden Wortlaut:

20

㤠1 Signaturgebundene elektronische Kommunikation

21

(1) Beim Deutschen Patent- und Markenamt können elektronische Dokumente in folgenden Verfahren signaturgebunden eingereicht werden:

22

1. in Patentverfahren für

23

a) Anmeldungen nach dem Patentgesetz und dem Gesetz über internationale Patentübereinkommen,

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b) Einsprüche,

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c) Beschwerden,

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d) Rechercheanträge,

27

e) Prüfungsanträge,

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2. in Gebrauchsmusterverfahren …

29

3. in Markenverfahren …

30

4. in Designverfahren …

31

(2) Das Bundesministerium der Justiz bestimmt entsprechend dem technischen Fortschritt weitere Verfahrenshandlungen, bei denen Dokumente elektronisch eingereicht werden können, und macht diese im Bundesanzeiger bekannt.“

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Nachdem Weiterbehandlungsanträge gemäß § 123a PatG in dieser Vorschrift nicht explizit aufgeführt sind, stellt sich die Frage, ob sie zum „Patentverfahren“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ERVDPMAV zu rechnen sind, oder ob es sich bei ihnen um „weitere Verfahrenshandlungen“ i. S. d. § 1 Abs. 2 ERVDPMAV handelt. Da eine Bekanntmachung gemäß der letztgenannten Vorschrift im Hinblick auf Weiterbehandlungsanträge bislang nicht erfolgt ist, können diese in elektronischer Form nur dann wirksam eingereicht werden, wenn sie dem § 1 Abs. 1 Nr. 1 ERVDPMAV unterfallen. Hiervon ist auf Grund der gebotenen Auslegung der Vorschrift auszugehen.

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bb) Eine Auslegung der Vorschrift nach ihrem Wortlaut führt zunächst lediglich zu der Feststellung, dass § 1 Abs. 1 ERVDPMAV angesichts der dort verwendeten, weiten Oberbegriffe „in Patentverfahren für Anmeldungen“, „in Patentverfahren für Einsprüche“ bzw. „für Beschwerden“ keine enumerative Aufzählung spezifischer Verfahrenshandlungen enthält, für die Eingaben auf elektronischem Wege exklusiv vorgesehen sind. Im Übrigen bleibt ihr Wortlaut unscharf. So wäre zu erwarten, dass das „patentamtliche Verfahren für Anmeldungen“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ERVDPMAV die - jedoch unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d) und Buchst. e) ERVDPMAV explizit aufgeführten - Recherche- und Prüfungsanträge seinem Wortsinne nach mit umfasste. Welche „weiteren Verfahrenshandlungen“ Absatz 2 in Abgrenzung zu Absatz 1 bezeichnet, ergibt sich aus dem Wortlaut der Regelung allein nicht.

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cc) Bei der gebotenen sachbezogenen Auslegung unter Berücksichtigung ihres Adressatenkreises ist § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ERVDPMAV dahingehend zu verstehen, dass es sich bei einem Weiterbehandlungsantrag um ein „elektronisches Dokument in Patentverfahren für Anmeldungen nach dem Patentgesetz“ handelt, der das Patentverfahren fortsetzt. Der Begriff eines „elektronischen Dokuments in Patentverfahren“ umfasst demnach nicht lediglich verfahrenseinleitende Anmeldungen i. S. v. § 34 PatG, § 3 PatV als solche, sondern das gesamte, durch eine Anmeldung in Gang gesetzte Erteilungsverfahren einschließlich eines Weiterbehandlungsantrags (in diesem Sinne Benkard/Schäfers, PatG, 11. Aufl., § 125a Rn. 30, der alle Verfahrensvorgänge einschließlich der Nebenverfahren für mitumfasst hält; vgl. auch Schulte/Schell, a. a. O-, § 125a Rn. 13), zumal im Falle seines Erfolgs das Erteilungsverfahren fortgesetzt wird.

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(1) Für diese Auslegung spricht, dass eine Weiterbehandlung i. S. d. § 123a PatG auch konkludent durch die Nachholung der versäumten Handlung i. S. d. § 123a Abs. 1 PatG beantragt werden kann, und dass über einen Weiterbehandlungsantrag - anders als über einen Wiedereinsetzungsantrag - nicht zwingend durch einen förmlichen Beschluss entschieden werden muss (Schulte/Schell, a. a. O., § 123a Rn. 24). Die Rechtsfolge der Weiterbehandlung tritt ohne Weiteres ein, wenn innerhalb der Monatsfrist des § 123a Abs. 2 Satz 1 PatG beim Patentamt bei Zahlung der Weiterbehandlungsgebühr eine sachliche Stellungnahme zu den im vorangegangenen patentamtlichen Bescheid enthaltenen formellen oder inhaltlichen Beanstandungen eingeht, bei welcher es sich um eine Erwiderung oder um geänderte Anmeldeunterlagen handeln kann (vgl. BPatG, 7 W (pat) 52/14, Beschl. v. 19. Februar 2015, BPatGE 54, 267 – Weiterbehandlung III; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 123a Rn. 9; Schulte/Schell, a. a. O., § 123a Rn. 11). Wird auf diese Weise das bisherige Anmeldeverfahren fortgesetzt, unterscheiden sich die beim Patentamt einzureichenden Unterlagen inhaltlich nicht von einer Eingabe gleichen Inhalts, die, vor Ergehen eines Zurückweisungsbeschlusses eingereicht, ohne weiteres zum „patentamtlichen Verfahren für Anmeldungen“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ERVDPMAV zählt.

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(2) Dem steht auch nicht entgegen, dass das patentamtliche Verfahren zunächst durch den Zurückweisungsbeschluss beendet wird, und dass dieser erst wirkungslos wird, wenn dem Patentamt ein wirksamer Weiterbehandlungsantrag zugeht. Denn zum einen ist das Erteilungsverfahren durch den Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses, solange dieser noch keine Bestandskraft erlangt hat, nicht abgeschlossen. Und zum anderen wurde die Vorschrift des § 123a PatG im Jahre 2005 (durch Art. 21 Abs. 1 Kostenbereinigungsgesetz, BGBl. 2001, I 3656) gerade mit dem Ziel eingeführt, dem vor dem Patentamt Säumigen die Durchführung eines oft aufwändigen Wiedereinsetzungsverfahrens zu ersparen (vgl. BT-Drs. 14/6203, S. 64 zu Nr. 35). Gerade weil bei der Bearbeitung eines Weiterbehandlungsantrags im Vergleich zum Wiedereinsetzungsverfahren zusätzliche Prüfungsschritte, insbesondere die Feststellung fehlenden Verschuldens, entfallen, steht dieser der Einreichung von Anmeldungsunterlagen vor Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses systematisch gesehen näher als einer in § 1 Abs. 2 ERVDPMAV nicht spezifizierten, weiteren Verfahrenshandlung.

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(3) Eine solche Auslegung erscheint zugleich zum Schutz der Anmelder als Adressaten des § 1 ERVDPMAV i. V. m. § 12 DPMAV geboten. Ein Anmelder, der einen Weiterbehandlungsantrag stellen und sich des elektronischen Rechtsverkehrs bedienen möchte, vermag der zitierten Vorschrift nämlich keinen Hinweis darauf zu entnehmen, dass ein Weiterbehandlungsantrag von ihrem Anwendungsbereich nicht umfasst wäre und er sich dieses - grundsätzlich durch das Patentamt seit 1. Juni 2011 für die Patentverfahren eröffneten Kommunikationsweges - in diesem Falle nicht rechtswirksam bedienen könnte. Etwas anderes ergibt sich für Anmelder bislang weder aus der Rechtsprechung, noch aus der die Bearbeitungsvoraussetzungen betreffenden Vorschrift des § 4 ERVDPMAV i. V. m. den von der Beschwerdeführerin bezeichneten Publikationen des Patentamts. Auch die dem angefochtenen Beschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung enthält keinen diesbezüglichen Hinweis.

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(4) Auch wenn das Patentamt - wie es in seiner Stellungnahme vom 27. Juli 2016 ausgeführt hat - zur strukturierten Übergabe von Weiterbehandlungsanträgen über den elektronischen Anmeldeweg „DPMAdirekt“ an die Fachanwendung auf der Grundlage der bislang modellierten Client-Software derzeit nicht in der Lage sein sollte, steht dies der genannten Auslegung der Vorschrift des § 1 ERVDPMAV nicht entgegen. Insoweit handelt es sich um einen innerorganisatorischen Umstand im ausschließlichen Einflussbereich des Patentamts, der in der Formulierung der §§ 1, 4 ERVDPMAV keinen hinreichenden Niederschlag gefunden hat und zudem im Zeichen des technischen Fortschritts elektronischer Aktenbearbeitung dem ständigen Wandel unterliegen dürfte.

39

c) Die Anmelderin hat auch, wie in § 3 Abs. 1 Satz 1, 2 ERVDPMAV vorgesehen, die vom Patentamt zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware verwendet und den Antrag beim Patentamt unter Verwendung der elektronischen Annahmestelle des Deutschen Patent- und Markenamts eingereicht. Dass diese Einreichung - wie das Patentamt in seiner Stellungnahme vom 27. Juli 2016 erklärt hat - „systemwidrig als Bescheidserwiderung“ geschehen ist, steht ihrem Wirksamwerden nicht entgegen. Der Rechtsfolgenverweisung des § 125a Abs. 1 PatG auf § 130a Abs. 3 ZPO entsprechend ist für den Zugang eines elektronischen Dokuments seine Aufzeichnung durch die für den Empfang bestimmte Einrichtung des Patentamts maßgeblich und ausreichend. Eine solche Aufzeichnung hat hier, wie das Patentamt in seiner Stellungnahme auch erläutert hat, dadurch stattgefunden, dass ihm der Weiterbehandlungsantrag über den elektronischen Anmeldeweg „DPMAdirekt“ erfolgreich übermittelt worden ist.

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d) Der Weiterbehandlungsantrag vom 16. Februar 2015 ist, § 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Alternative ERVDPMAV entsprechend, mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur i. S. d. § 2 Nr. 2 SigG versehen, die von einer internationalen Organisation auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes herausgegeben wird und sich zur Bearbeitung durch das Patentamt eignet. Es handelt sich um die vom Europäischen Patentamt herausgegebene Online Services Smartcard.

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Mithin entspricht der Weiterbehandlungsantrag vom 16. Februar 2015 den Formerfordernissen des § 125a Abs. 1 PatG i. V. m. § 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 125a Abs. 3 Nr. 1 PatG i. V. m. § 1 Abs. 1 ERVDPMAV, § 12 DPMAV.

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3. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Weiterbehandlung sind erfüllt. Insbesondere wurde die Weiterbehandlungsgebühr in Höhe von 100 EUR gemäß Geb.-Verz. Nr. 313 000 der Anlage zu § 2 Abs. 1 PatKostG mittels des dem Antrag vom 16. Februar 2015 beigefügten DPMA-Formulars A9532 fristgerecht entrichtet, § 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG, § 123a Abs. 1 PatG.

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4. Somit ist die Weiterbehandlung der Patentanmeldung 10 2012 019 863.9 anzuordnen. Damit ist der Zurückweisungsbeschluss vom 14. Januar 2015 von Gesetzes wegen wirkungslos, weshalb dieser keiner gesonderten Aufhebung bedarf, § 123a Abs. 1 PatG.

44

5. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist nicht begründet. Gemäß § 80 Abs. 3 PatG kann die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet werden, wenn dies nach den Umständen des Einzelfalles aus Billigkeitsgründen geboten erscheint. Auf den Ausgang des Beschwerdeverfahrens kommt es insoweit nicht an. In diesem Einzelfall erscheint es nicht unbillig, die Beschwerdegebühr einzubehalten. Denn das Patentamt hat in der Beurteilung der Formbedürftigkeit einer Verfahrenshandlung eine abweichende Rechtsauffassung vertreten und diese auch begründet. Dieser von der Auslegung einer materiellen Norm abhängige Einzelfall, für den noch keine Rechtsprechung vorliegt, ist Fällen nicht gleichzustellen, in denen das Verfahren vor dem Patentamt etwa an einem schwer wiegenden Verfahrensfehler gelitten hat und die Beschwerdegebühr aus diesem Grunde zu erstatten wäre (vgl. hierzu Benkard/Schäfers/Schwarz, PatG, a. a. O., § 80 Rn. 22).

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6. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 100 Abs. 2 Nr. 1, 2 erste Alternative PatG zugelassen.