Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 22.07.2013


BVerwG 22.07.2013 - 7 BN 1/13

Normenkontrolle; Rechtswidrigwerden einer Rechtsvorschrift; Antragsfrist; Funktionslosigkeit einer Norm


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
22.07.2013
Aktenzeichen:
7 BN 1/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 14. Februar 2013, Az: 2 K 89/12, Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Jedenfalls für Normenkontrollanträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gilt die Antragsfrist von einem Jahr nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift auch dann, wenn der Antragsteller geltend macht, die Rechtsvorschrift sei erst nach ihrer Bekanntmachung infolge einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse rechtswidrig geworden (S. 4 f.).

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen § 4 der Verordnung des Landkreises S. über die Entsorgung bestimmter pflanzlicher Gartenabfälle außerhalb von Abfallentsorgungsanlagen durch Verbrennen - GartAbfVO. Die Vorschrift lässt das Verbrennen von pflanzlichen Gartenabfällen in der Zeit vom 1. Oktober bis 30. November und vom 1. Februar bis 15. März unter bestimmten Bedingungen zu. Das Oberverwaltungsgericht hat den am 4. Juni 2012 gestellten Normenkontrollantrag als unzulässig abgelehnt, weil er nicht innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der GartAbfVO beim Gericht eingegangen ist. Eine Abweichung von der Ausschlussfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei auch nicht deshalb geboten, weil die GartAbfVO - wie die Antragsteller ergänzend vortrügen - jedenfalls nicht mehr mit dem am 1. Juni 2012 in Kraft getretenen KrWG vereinbar sei. Auch die Vereinbarkeit der GartAbfVO mit dem neuen KrWG könne im Rahmen der den Antragstellern eröffneten indirekten Rechtsschutzmöglichkeiten überprüft werden.

2

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II.

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Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

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1. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor.

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Im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht hatten die Antragsteller geltend gemacht, dass inzwischen, also nach Erlass der GartAbfVO, im Landkreis ausreichend Einrichtungen für die durch das Abfallrecht geforderte Entsorgung von Gartenabfällen geschaffen worden seien; damit sei die Ermächtigung zur Regelung einer Beseitigung außerhalb von Entsorgungsanlagen entfallen (Schriftsatz vom 31. Mai 2012 S. 5). Mit der Beschwerde rügen sie, dass sich das Oberverwaltungsgericht mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.

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Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kommt nur in Betracht, wenn das betreffende Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts entscheidungserheblich war. Das ist hier nicht der Fall. Auf die Begründetheit des Normenkontrollantrags, in dessen Rahmen die Antragsteller zur zwischenzeitlichen Schaffung von Entsorgungseinrichtungen vorgetragen hatten, kam es nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht an; nach seiner Auffassung war der Antrag bereits unzulässig. Dass die GartAbfVO durch die Schaffung von Entsorgungseinrichtungen funktionslos geworden sei und in einem solchen Fall die Antragsfrist keine Anwendung finden könne, hatten die Antragsteller selbst nicht geltend gemacht. Ohne einen entsprechenden Vortrag musste das Oberverwaltungsgericht diesen Gedanken nicht in Erwägung ziehen. Anhaltspunkte für eine Funktionslosigkeit der GartAbfVO ergaben sich aus dem Vortrag der Antragsteller nicht. Funktionslos kann eine Norm nur werden, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in die Fortgeltung der Norm gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (Urteile vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 4 CN 3.97 - BVerwGE 108, 71 <76> = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 128 S. 121 f. und vom 18. November 2004 - BVerwG 4 CN 11.03 - BVerwGE 122, 207 <214> = Buchholz 406.251 § 17 UVPG Nr. 1 S. 10, jeweils zu Bebauungsplänen). Dass eine Verwirklichung des § 4 GartAbfVO ausgeschlossen und ein Vertrauen auf die Fortgeltung der Norm nicht mehr schutzwürdig sein könnte, ergibt sich aus dem Vortrag der Antragsteller nicht; sie machen vielmehr selbst geltend, dass von der durch § 4 GartAbfVO eröffneten Möglichkeit, Gartenabfälle zu verbrennen, weiterhin umfangreich Gebrauch gemacht werde.

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2. Bereits aus diesem Grund kann auch die im Hinblick auf die unterlassene Prüfung der Funktionslosigkeit geltend gemachte Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 1998 (a.a.O.) nicht vorliegen. Sie ist im Übrigen nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26) dargelegt. Mit welchem die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz das Oberverwaltungsgericht von einem ebensolchen Rechtssatz des Urteils vom 3. Dezember 1998 abgewichen sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf.

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3. Die Rechtssache hat schließlich nicht die von der Beschwerde geltend gemachte rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Als klärungsbedürftig bezeichnet die Beschwerde die Frage,

ob der Ablauf der Klagefrist des § 47 VwGO auch dann den Normenkontrollantrag unzulässig werden lässt, wenn die Verordnung infolge Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zwar nicht mehr rechtmäßig ist, dem Antragsteller aber andere Rechtsmittel zur Verfügung stehen, um seine Rechte zu wahren.

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Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält zugleich eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Hieran fehlt es, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt. So liegt es hier. Die Frage ist im Sinne des Oberverwaltungsgerichts zu beantworten. Jedenfalls für Normenkontrollanträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gilt die Antragsfrist von einem Jahr nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift auch dann, wenn der Antragsteller geltend macht, die Rechtsvorschrift sei erst nach ihrer Bekanntmachung infolge einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse rechtswidrig geworden (so auch VGH Mannheim, Urteil vom 17. Oktober 2002 - 1 S 2114/99 - juris Rn. 53 f.; M. Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 47 Rn. 26). Die in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum umstrittene Frage, welche Bedeutung dem Fristerfordernis im Fall von Normenkontrollanträgen nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zukommt, wenn die Feststellung eingetretener Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans beantragt wird, braucht im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden (offengelassen auch im Urteil vom 3. Dezember 1998 a.a.O. S. 75 bzw. S. 121 und im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. September 2011 - 1 BvR 2232/10 - NVwZ 2012, 429 Rn. 51). Die hier in Streit stehende GartAbfVO ist - wie dargelegt - nicht funktionslos geworden. Es geht auch nicht um einen Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.

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In der Literatur wird allerdings verbreitet gefordert, das an die Bekanntmachung der Rechtsvorschrift anknüpfende Fristerfordernis des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht anzuwenden, wenn mit dem Normenkontrollantrag geltend gemacht wird, eine Rechtsvorschrift sei erst nach ihrer Bekanntmachung rechtswidrig geworden (Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. 1, Stand: August 2012, § 47 Rn. 38; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 47 Rn. 290; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 47 Rn. 85; Giesberts, in: Posser/Wolf, VwGO, 2008, § 47 Rn. 55). Dem steht aber bereits der Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Nach dieser Vorschrift kann der Antrag nur innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift gestellt werden; das gilt unabhängig davon, welche Gründe für die Unwirksamkeit der Rechtsvorschrift der Antragsteller geltend macht.

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Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung des Fristerfordernisses. Ursprünglich waren Normenkontrollanträge unbefristet zulässig. Durch das 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626) wurde zunächst eine Frist von zwei Jahren ab Bekanntmachung der Rechtsvorschrift eingeführt; durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. Dezember 2006 (BGBl I S. 3316) wurde diese Frist auf ein Jahr verkürzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, ohne Fristbindung sei es möglich, dass Normen, die bereits lange praktiziert würden und auf deren Rechtsgültigkeit sowohl die Behörden als auch die Bürger vertraut hätten, als Rechtsgrundlage für nicht bestandskräftige Entscheidungen entfielen; dies könne zu erheblichen Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit führen (BTDrucks 13/3993 S. 10, 16/2496 S. 17 f.). Zur hier in Rede stehenden Fallgruppe verhalten sich die Gesetzgebungsmaterialien nicht. Die Einführung der Antragsfrist und ihre nachfolgende Verkürzung zeigen jedoch, dass eine prinzipale Normenkontrolle nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass der Rechtsvorschrift zulässig sein soll. Im Übrigen soll es bei den außerhalb von § 47 VwGO gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten und der in diesen Verfahren gegebenen Befugnis der Verwaltungsgerichte bleiben, die Rechtsvorschrift inzident auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen (vgl. BTDrucks 13/3993 S. 10).

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Auch Sinn und Zweck der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO rechtfertigen es nicht, das Fristerfordernis des § 47 Abs. 2 VwGO auf Anträge, mit denen eine nachträglich eingetretene Rechtswidrigkeit der Rechtsvorschrift geltend gemacht wird, nicht anzuwenden. Das Fristerfordernis führt zwar dazu, dass ein nachträgliches Rechtswidrigwerden einer Rechtsnorm mit einem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO in aller Regel nicht geltend gemacht werden kann. Insoweit kann die Normenkontrolle ihren Zweck, die Verfahrensökonomie und den Rechtsschutz des Einzelnen zu verbessern (BTDrucks 3/1094 S. 6), nicht erreichen. Eine Notwendigkeit, die Normenkontrolle in diesen Fällen unbefristet oder innerhalb einer im Wege richterlicher Rechtsfortbildung festzulegenden Frist zuzulassen, ergibt sich hieraus jedoch nicht.

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Verfassungsrecht gebietet es nicht, eine prinzipale Normenkontrolle gegen untergesetzliche Rechtsnormen einzuführen (BVerfG, Entscheidung vom 27. Juli 1971 - 2 BvR 443/70 - BVerfGE 31, 364 <370>; BVerwG, Beschlüsse vom 2. April 1993 - BVerwG 7 B 38.93 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 117 = NVwZ-RR 1993, 513 <514> und vom 2. September 1983 - BVerwG 4 BN 1.83 - BVerwGE 68, 12 <14>). Über die bestehenden Klagemöglichkeiten kann jedes subjektive Recht durchgesetzt werden; damit ist den Anforderungen des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) genügt. Dass eine Rechtsvorschrift von Anfang an unwirksam war oder infolge einer Änderung der Sach- oder Rechtslage nachträglich rechtswidrig geworden ist, kann auch im Rahmen dieser Verfahren geltend gemacht werden; die Gerichte müssen die Wirksamkeit der Rechtsvorschrift, soweit entscheidungserheblich, auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 VwGO inzident prüfen.

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Außerhalb des Städtebaurechts überlässt § 47 VwGO den Ländern die Entscheidung, ob die Normenkontrolle gegen im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften eröffnet werden soll oder nicht (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO); ein lückenloser Rechtsschutz im Wege der prinzipalen Normenkontrolle wird insoweit nicht gewährleistet. Würden Normenkontrollanträge in Ländern, die die Normenkontrolle eröffnet haben, in der hier in Rede stehenden Konstellation ohne Einhaltung einer Frist zugelassen, würde dies dem Ziel des Bundesgesetzgebers widersprechen, die Zulässigkeit von Normenkontrollen im Interesse der Rechtssicherheit zeitlich zu beschränken. Die durch die Nichtanwendung der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 VwGO entstehende Lücke könnte auch im Wege der Rechtsfortbildung nicht ohne Weiteres geschlossen werden. Insbesondere bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist unklar, durch welches Ereignis die Frist (erneut) in Lauf gesetzt werden sollte. Aber auch bei einer Rechtsänderung kommen unter Umständen verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht. Im Übrigen müsste nicht nur die Frist, sondern auch der Prüfungsmaßstab modifiziert werden. Denn wenn ein Normenkontrollantrag, mit dem ein nachträgliches Rechtswidrigwerden einer Rechtsvorschrift geltend gemacht wird, zu einer Vollüberprüfung der Rechtsvorschrift einschließlich ihrer ursprünglichen Wirksamkeit führen würde, würde das Fristerfordernis des § 47 Abs. 2 VwGO umgangen. Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist für eine solche Rechtsfortbildung kein Raum. Die praktischen Schwierigkeiten, mit denen sich die Antragsteller bei der gerichtlichen Durchsetzung eines Anspruchs auf behördliches Einschreiten gegen das Verbrennen von Gartenabfällen konfrontiert sehen, würden unabhängig von der hier in Rede stehenden Fristproblematik auch in den Bundesländern bestehen, die die Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nicht zugelassen haben.