Entscheidungsdatum: 29.09.2015
I
Der Beklagte erteilte der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Umnutzung einer Anlage zur Rinderhaltung in eine Anlage zur Haltung von Rindern, Sauen und Mastschweinen. Die hiergegen erhobene Klage der Klägerin, die Eigentümerin eines in der Nähe gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks ist, blieb erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die allein auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor. In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 24. März 2015 ist der Beschluss verkündet worden, dass eine Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. In diesen Fällen ist das Urteil nach § 116 Abs. 2 VwGO binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergeben. Das ist hier geschehen. Aus den Gerichtsakten ergibt sich, dass der von den mitwirkenden Richtern unterschriebene Tenor am 24. März 2015 und damit noch am Tag der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben wurde. Das Urteil ist damit, wie es dem Zweck des § 116 Abs. 2 VwGO entspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 1998 - 7 B 437.97 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 22), innerhalb der Zweiwochenfrist beschlossen worden.
Allerdings ist das Urteil nicht innerhalb dieser Frist, sondern erst am 23. April 2015 vollständig abgefasst, das heißt mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung von den beteiligten Berufsrichtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden. Dies muss aber nicht einen Verfahrensfehler begründen. Das vervollständigte Urteil ist, nachdem die Urteilsformel der Geschäftsstelle übergeben worden ist, in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO alsbald nachzureichen (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1971 - 1 CB 4.69 - BVerwGE 38, 220 = NJW 1971, 1854, 1855; Beschluss vom 9. August 2004 - 7 B 20.04 - juris Rn. 16; Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO; Stand März 2015, § 117 Rn. 25). Ob das vollständige Urteil in diesem Sinne hier fristgemäß nachgereicht worden ist, kann auf sich beruhen. Eine etwaige erhebliche Verzögerung führt nicht zu dem absoluten Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO. Ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil ist im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Dies gilt auch in den Fällen des § 116 Abs. 2 VwGO. Maßgeblich ist insoweit allein der Zeitpunkt der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle des Gerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2001 - 8 B 17.01 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 26 S. 3 m.w.N.). Die Fünfmonatsfrist ist im vorliegenden Fall bei Weitem nicht ausgeschöpft worden.
Wird ein Urteil noch vor Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben, kann es gleichwohl im Einzelfall nicht mit Gründen versehen sein, wenn zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzukommen, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Fällung des Urteils und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist (BVerwG, Beschlüsse vom 25. April 2001 - 4 B 31.01 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47 und vom 9. August 2004 - 7 B 20.04 - juris Rn. 17, Urteil vom 30. Mai 2012 - 9 C 5.11 - Buchholz 406.11 § 246a BauGB Nr. 1 Rn. 24).
Allein der Zeitablauf weckt hier keine Zweifel am Vorliegen des erforderlichen Zusammenhangs zwischen dem Ergehen des Urteils und der Wiedergabe des Beratungsergebnisses. Das umfangreiche Urteil des Oberverwaltungsgerichts, in dessen Vorfeld zwei Sachverständigengutachten eingeholt worden waren, wurde einen Monat nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben.
Überdies zeigt die Beschwerde keine Anhaltspunkte auf, die dafür sprechen könnten, dass dem Oberverwaltungsgericht bei Abfassung des Urteils die Gründe der Entscheidungsfindung nicht mehr gegenwärtig waren. Die von der Klägerin geäußerte Kritik an dem für die durchgeführte Ausbreitungsberechnung verwendeten Programm wird im Berufungsurteil unter Hinweis auf die Ausführungen des von der Klägerin hinzugezogenen Sachverständigen angesprochen (UA S. 38); die grundsätzliche Geeignetheit des Programms zur Bestimmung der Geruchsbelastung wird ausdrücklich bejaht (UA S. 42). Daher besteht kein Anlass für die Annahme, die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils würden ihrer Funktion, die das Beratungsergebnis tragenden Gründe zu dokumentieren, nicht gerecht.
2. Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung verletzt. Einen solchen Verstoß sieht die Klägerin darin, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung unter anderem die Auffassung zugrunde gelegt habe, für das Vorhaben der Beigeladenen habe nach § 3c Satz 1 i.V.m. Nr. 7.8.3 und 7.11 der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2470) nur eine standortbezogene Vorprüfungspflicht bestanden. Die Beteiligten seien indessen übereinstimmend davon ausgegangen, dass eine allgemeine Vorprüfungspflicht bestanden habe. Aus diesem Vorbringen folgt kein Verfahrensfehler.
Das Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2). Eine der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs zuwiderlaufende unzulässige Überraschungsentscheidung liegt erst dann vor, wenn das Gericht einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2013 - 7 B 42.12 - juris Rn. 11 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.
Die Frage, ob hier eine standortbezogene oder eine allgemeine Vorprüfungspflicht besteht, war bereits Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Zudem hatte die Beigeladene im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in ihrem Schriftsatz vom 11. April 2011 ausführlich dargelegt, dass ihrer Auffassung nach nur eine standortbezogene Vorprüfungspflicht bestanden habe; dies gelte unabhängig davon, ob für die rechtliche Beurteilung der Zeitpunkt der Antragstellung oder der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgeblich sei. Vor diesem Hintergrund musste die Klägerin damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht sich nicht ihrer Ansicht, sondern derjenigen der Beigeladenen anschließen würde. Die Beschwerde hat auch nicht dargelegt, dass die Beigeladene im Laufe des Verfahrens von ihrer in dem erwähnten Schriftsatz geäußerten Rechtsauffassung abgerückt wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.