Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 15.06.2015


BVerwG 15.06.2015 - 7 B 22/14

Zugang zu Produktinformationen nach dem Verbraucherinformationsgesetz


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
15.06.2015
Aktenzeichen:
7 B 22/14
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2015:150615B7B22.14.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 1. April 2014, Az: 8 A 655/12, Urteilvorgehend VG Köln, 9. Februar 2012, Az: 13 K 1254/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Anspruch auf Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz setzt, soweit er sich nicht auf personenbezogene Daten bezieht, nicht voraus, dass die informationspflichtige Stelle die inhaltliche Richtigkeit der begehrten Information geprüft hat.

Gründe

I

1

Die Klägerin, die Haushaltsprodukte herstellt und vertreibt, wendet sich gegen die Erteilung seitens der beigeladenen Umweltvereinigung begehrter Informationen über das Migrationsverhalten bestimmter Druckchemikalien in einem ihrer Produkte. Nachdem die Beklagte sie darauf hingewiesen hatte, dass entsprechende Informationen beim (damaligen) Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorlägen, widersprach die Klägerin deren Weitergabe mit dem Hinweis, die Informationen beruhten auf einer methodisch falschen Untersuchung. Von der Gelegenheit, eine eigene, der Auskunftserteilung beizufügende Stellungnahme vorzulegen, machte sie keinen Gebrauch.

2

Die Klage gegen den Bescheid, mit dem die Beklagte dem Antrag des Beigeladenen auf Informationszugang stattgab, blieb vor dem Verwaltungsgericht erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei sowohl nach dem im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung geltenden Verbraucherinformationsgesetz 2008 als auch nach dem zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung geltenden Verbraucherinformationsgesetz 2012 rechtmäßig. Die Informationsgewährung stehe auch ohne Überprüfung der Richtigkeit der begehrten Informationen in Einklang mit § 5 Abs. 3 VIG 2008 und § 6 Abs. 3 VIG 2012. Ein Entschließungsermessen sei der Beklagten weder nach altem noch nach neuem Recht eingeräumt.

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Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

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Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

5

1. Die Beschwerde hält für rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage:

Erstreckt sich der Informationsanspruch des Antragstellers nach dem Verbraucherinformationsgesetz auch auf inhaltlich falsche (hier: nachgewiesenermaßen falsche!) Informationen?

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a) Soweit sich die Frage auf "nachgewiesenermaßen falsche" Informationen bezieht, ist sie nicht entscheidungserheblich. Für die vom Beigeladenen begehrten Informationen hat das Berufungsgericht nicht die Feststellung getroffen, der Nachweis ihrer Unrichtigkeit sei erbracht; vielmehr hat es ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob die Informationen zutreffen (UA S. 47 f.). Hiervon ausgehend stellte sich die Frage nach einem Anspruch auf Zugang zu nachgewiesenermaßen falschen Informationen dem Berufungsgericht nicht und wäre deshalb auch nicht in einem Revisionsverfahren klärungsfähig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 Rn. 5 m.w.N.).

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b) Soweit die Frage "inhaltlich falsche" Informationen betrifft, kann ihr zwar nicht die Entscheidungserheblichkeit abgesprochen werden. Das Berufungsgericht hat die Unrichtigkeit der Informationen allerdings nicht festgestellt; indem es deren Richtigkeit offengelassen hat, ist es indes immerhin von der Möglichkeit ausgegangen, sie könnten falsch sein, ohne den Informationszugangsanspruch deswegen zu verneinen. Der Sache nach geht es der Klägerin darum, auch für diese Konstellation klären zu lassen, ob ein Informationszugangsrecht besteht.

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Insoweit scheitert die Grundsatzrüge aber am fehlenden Klärungsbedarf, weil die Antwort auf die aufgeworfene Frage sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Dies gilt für das Gesetz zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation (Verbraucherinformationsgesetz) sowohl in der ursprünglichen Fassung vom 5. November 2007 (BGBl. I S. 2558 - VIG 2008) als auch in der Neufassung der Bekanntmachung vom 17. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2166, 2725 - VIG 2012), so dass offenbleiben kann, ob für die Ursprungsfassung ein Klärungsbedarf zu bejahen ist, obwohl sie ausgelaufenes Recht darstellt.

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aa) Die Auffassung der Vorinstanz, nach dem Verbraucherinformationsgesetz alter und neuer Fassung sei der Zugang zu den bei einer Stelle im Sinne des § 1 Abs. 2 VIG 2008/§ 2 Abs. 2 VIG 2012 vorhandenen - nicht personenbezogenen - Informationen ohne Überprüfung ihrer Richtigkeit zu gewähren, unterliegt nach dem Gesetzeswortlaut keinen Zweifeln. § 1 Abs. 1 VIG 2008 und § 2 Abs. 1 VIG 2012 gewähren einen prinzipiell voraussetzungslosen Anspruch auf Gewährung der bei einer solchen Stelle vorhandenen Informationen. Die begrenzenden Regelungen in den nachfolgenden Bestimmungen enthalten hinsichtlich nicht personenbezogener Daten weder materielle Einschränkungen, die die Frage der inhaltlichen Richtigkeit der Informationen betreffen, noch verfahrensrechtliche Vorgaben, die die Stelle zu einer Richtigkeitsprüfung verpflichten. Im Gegenteil betonen § 5 Abs. 3 Satz 1 VIG 2008 und § 6 Abs. 3 Satz 1 VIG 2012 ausdrücklich, dass die informationspflichtige Stelle nicht verpflichtet ist, die inhaltliche Richtigkeit der Informationen zu überprüfen, soweit es sich - wie hier - nicht um personenbezogene Daten handelt. § 6 Abs. 4 VIG 2012, wonach unter bestimmten Voraussetzungen eine Richtigstellung zu erfolgen hat, wenn sich die zugänglich gemachten Informationen im Nachhinein als falsch herausstellen, relativiert diese Aussage nicht; aus der Vorschrift mag allenfalls der Schluss zu ziehen sein, dass von vornherein als evident falsch erkannte Informationen nicht oder nur unter Hinweis auf ihre Unrichtigkeit zugänglich gemacht werden dürfen.

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bb) Die Gesetzesmaterialien und der in ihnen zum Ausdruck kommende Gesetzeszweck bestätigen dieses Auslegungsergebnis. Der Gesetzgeber hat sich bei seinem Regelungsvorhaben am Leitbild des mündigen Verbrauchers orientiert, der befähigt werden soll, seine Kaufentscheidungen eigenverantwortlich zu treffen (BT-Drs. 16/5404 S. 7). Diesem Leitbild entspricht es, einem Anspruchsteller die bei der Behörde vorhandenen Informationen "ungefiltert" zugänglich zu machen. Der Anspruchsteller soll umfassend Einblick in den Informationsbestand der Verwaltung erhalten und so in den Stand versetzt werden, sich selbst ein Urteil über Eigenschaften und Verhalten von Produkten zu bilden. Eine Selektion der Daten nach Maßgabe behördlicher Richtigkeitskontrolle würde diesem Leitbild zuwiderlaufen. Mit dem Konzept einer "Aktenöffentlichkeit" hat sich der Gesetzgeber an den bereits vorhandenen Informationszugangsgesetzen - namentlich dem Informationsfreiheitsgesetz vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722) und dem Umweltinformationsgesetz vom 22. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3704) - orientiert, die die Informationsgewährung gleichfalls nicht von einer vorgängigen Überprüfung der Richtigkeit abhängig machen (vgl. BT-Drs. 16/5404 S. 8).

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cc) Entgegen der von der Beschwerde vertretenen Auffassung spricht nichts für eine einengende Auslegung oder gar eine telelogische Reduktion der den Informationszugang regelnden Vorschriften. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers sind die in der Anspruchsnorm verwendeten Begriffe weit auszulegen (BT-Drs. 16/5404 S. 10). Damit wäre es unvereinbar, den gesetzlichen Anspruch "auf vorhandene Informationen" auf solche Informationen zu beschränken, die sich nach behördlicher Überprüfung als zutreffend erwiesen haben.

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dd) Das Verfassungsrecht steht einer Freistellung der informationspflichtigen Stelle von einer Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der begehrten Informationen nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, dass die Verbreitung unzutreffender Informationen durch einen Träger der Staatsgewalt einen rechtswidrigen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG darstellen kann. Die inhaltliche Richtigkeit einer Information sei grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und dessen Funktionsfähigkeit fördere. Allerdings könne der Träger der Staatsgewalt zur Verbreitung von Informationen unter besonderen Voraussetzungen auch dann berechtigt sein, wenn ihre Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt sei. In solchen Fällen hänge die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon ab, ob der Sachverhalt vor der Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden sei (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 588, 1428/91 [ECLI:DE:BVerfG:2002:rs20020626.1bvr055891] - BVerfGE 105, 252 <272>). Diese Rechtsprechung betrifft aber Akte aktiver staatlicher Verbraucherinformation, wie sie § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG 2008/§ 6 Abs. 1 Satz 3 VIG 2012 zulässt, nicht hingegen den Regelfall antragsgebundener Informationsgewährung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VIG 2008/§ 4 Abs. 1 Satz 1 VIG 2012), um die es hier geht. Zwischen beiden Arten der Informationsgewährung bestehen gravierende Unterschiede, die es ausschließen, die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die antragsgebundene Informationsgewährung zu übertragen. Mit aktivem Informationshandeln wendet sich der Staat nicht an einen einzelnen zuvor selbst initiativ gewordenen Anspruchsteller, sondern an alle Marktteilnehmer und wirkt so unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität direkt auf den öffentlichen Kommunikationsprozess ein. Das verschafft den übermittelten Informationen breite Beachtung und gesteigerte Wirkkraft auf das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer. Die Auswirkungen einer antragsgebundenen Informationsgewährung auf das Wettbewerbsgeschehen bleiben dahinter qualitativ und quantitativ weit zurück. Eine Breitenwirkung vermögen sie nur vermittelt durch Veröffentlichungen Privater zu erzielen, denen nicht die Autorität staatlicher Publikation eigen ist und gegen die sich die betroffenen Unternehmen bei sorgfaltswidriger Verbreitung, namentlich im Falle sachlicher Unrichtigkeit, zivilrechtlich zur Wehr setzen können. Aufgrund dieser Unterschiede stellen die Schutzvorkehrungen in § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 3 Satz 2 VIG 2008 sowie § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 VIG 2012 jedenfalls für die antragsgebundene Informationsgewährung einen angemessenen, den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG gerecht werdenden Ausgleich zwischen dem Informationsinteresse des Antragstellers und dem Schutzbedürfnis des von der Informationsgewährung betroffenen Unternehmens dar (so auch Schoch, NJW 2010, 2241 <2245 und 2246 f.>; derselbe, NJW 2012, 2844 <2848>; vgl. auch Wollenschläger, VerwArch 2011, 20 <47>).

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2. Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam außerdem die Frage auf:

Besteht hinsichtlich des "Ob" der Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz ein Ermessensspielraum der informationspflichtigen Behörde?

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Wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, bezieht sich diese Frage auf das Verbraucherinformationsgesetz 2008, nach dessen § 4 Abs. 1 Satz 3 die Behörde "unter Abwägung der Interessen" entscheidet, "wenn der oder die Dritte nicht Stellung nimmt oder die Akteneinsicht ablehnt". Bei dieser Vorschrift handelt es sich um ausgelaufenes Recht, für das ein Klärungsbedarf nicht erkennbar ist.

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Entsprechend dem Zweck der Grundsatzrevision, eine für die Zukunft richtungweisende Klärung des geltenden Rechts herbeizuführen, rechtfertigen Rechtsfragen zu ausgelaufenem oder auslaufendem Recht regelmäßig nicht die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 - 1 B 3.09 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 18 und vom 5. Mai 2015 - 7 B 1.15 - juris Rn. 5).

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Die Beschwerde legt Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar. Eine Sache bleibt zwar trotz auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts grundsätzlich klärungsbedürftig, wenn sich bei der gesetzlichen Bestimmung, die der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, die streitige Frage in gleicher Weise stellt. Dies muss jedoch offensichtlich sein, weil es nicht Aufgabe des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist, in diesem Zusammenhang mehr oder weniger komplexe Fragen des jetzt geltenden Rechts zu klären und die frühere mit der geltenden Rechtslage zu vergleichen (BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2015 - 7 B 1.15 - juris Rn. 6 m.w.N.). An dieser Offensichtlichkeit fehlt es hier. § 5 Abs. 1 VIG 2012, der an die Stelle von § 4 Abs. 1 VIG 2008 getreten ist, weicht in seinem Wortlaut erheblich von der Vorgängervorschrift ab. Eine Abwägungsklausel nach dem Vorbild des § 4 Abs. 1 Satz 3 VIG 2008 für den Fall, dass der Dritte nicht Stellung nimmt oder die vom Anspruchsteller begehrte Akteneinsicht ablehnt, ist in § 5 Abs. 1 VIG 2012 nicht aufgenommen worden und findet sich im Verbraucherinformationsgesetz 2012 auch nicht an anderer Stelle. Demgemäß hat die Beschwerde schon gar nicht den Versuch unternommen, die Vergleichbarkeit beider Regelungen aufzuzeigen.

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Sie versucht vielmehr, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage mit der Erwägung zu begründen, es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Verfahren anhängig seien, auf die das Verbraucherinformationsgesetz 2008 Anwendung findet. Mit diesem pauschalen Hinweis ist eine Bedeutung der Frage für eine erhebliche Zahl offener Altfälle (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 1997 - 5 B 155.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 15), nicht substanziiert dargetan.

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Im Übrigen spricht alles dafür, dass sich die von der Beschwerde gestellte Rechtsfrage unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt und deshalb nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. In den Gründen des angefochtenen Urteils hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass § 1 Abs. 1 VIG 2008 seinem eindeutigen Wortlaut nach eine gebundene Entscheidung vorsieht.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.