Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 15.12.2011


BVerwG 15.12.2011 - 7 A 11/10

Planfeststellungsbeschluss; Ausbau der Strecke Leipzig-Dresden; erheblicher baulicher Eingriff in den Schienenweg; Schallschutzwand; Schallreflexionen einer Schallschutzwand


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
15.12.2011
Aktenzeichen:
7 A 11/10
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
§ 1 Abs 2 BImSchV 16
§ 3 BImSchV 16
§ 18 AEG

Leitsätze

1. Die zur Lärmvorsorge im Rahmen der Änderung eines Schienenwegs gebotene Errichtung einer einseitigen Schallschutzwand ist Bestandteil des erheblichen baulichen Eingriffs i.S.v § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 der 16. BImSchV.

2. Im Falle eines erheblichen baulichen Eingriffs in einen vorhandenen Schienenweg bleiben für die Annahme einer wesentlichen Änderung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 der 16. BImSchV Schallreflexionen einer hochabsorbierenden Schallschutzwand unberücksichtigt (im Anschluss an Urteil vom 3. März 1999 - BVerwG 11 A 9.97 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 26). Dies gilt auch bei einer die grundrechtliche Erheblichkeitsschwelle überschreitenden Lärmvorbelastung.

Tatbestand

1

Gegenstand des Verfahrens ist der Änderungsplanfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 3. Juni 2010 für das Vorhaben Ausbaustrecke Leipzig-Dresden im Abschnitt Neucoswig-Radebeul von km 13,950 (DE - Dresden/Elsterwerda) bis km 104,500 (LD - Leipzig/Dresden).

2

Zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der zweigleisigen elektrifizierten Strecke Leipzig-Dresden (für Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h) wurde deren Ausbau im Abschnitt Neucoswig-Radebeul mit bestandskräftigem Beschluss der Beklagten vom 7. Juli 1999 planfestgestellt.

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Im Februar 2010 beantragte die Beigeladene die Änderung des Planfeststellungsbeschlusses. Diese Planänderung umfasst die Verstärkung der Überbaukonstruktionshöhe an der Eisenbahnüberführung bei km 12,988 über die N. Straße bei gleichzeitiger Anhebung der Gradiente im Bereich km 12,712 bis km 13,665 um 0,55 m und eine laterale Gleisverschiebung von ca. 1,00 m. Wegen eines damit einhergehenden erheblichen baulichen Eingriffs sehen die Pläne westlich der Bahntrasse die Errichtung einer drei Meter hohen, hochabsorbierenden Schallschutzwand von km 12,85 bis km 13,11 vor, da es dort nach der von der Beigeladenen vorgelegten schalltechnischen Untersuchung zu einer Erhöhung des von dem Schienenweg ausgehenden Verkehrslärms kommen wird, und zwar insbesondere nachts bei bereits bestehender Vorbelastung von 60 dB(A) und mehr. Eine entsprechende Lärmsteigerung wurde an Immissionspunkten östlich des Schienenwegs nicht errechnet; von der westseitigen Schallschutzwand ausgehende Schallreflexionen nach Osten blieben dabei rechnerisch unberücksichtigt.

4

Die Klägerin ist Eigentümerin der östlich der Bahntrasse gelegenen Flurstücke ... und ... der Gemarkung N.; sie betreibt dort ein Fachkrankenhaus für Pneumologie, Allergologie, Beatmungsmedizin, Thorax- und Gefäßchirurgie. Auf dem Krankenhausgelände befinden sich nach Osten gelegen die Krankenhausgebäude, bestehend aus einem Altbau und einem 2003 errichteten Neubau. In dem zur Ausbaustrecke hin vorgelagerten Park sind weitere Gebäude vorhanden, die zum Teil der Krankenhausverwaltung dienen. In dem der Bahnstrecke am nächsten gelegenen Haus (Immissionspunkt 1.06 der schalltechnischen Untersuchung vom 1. Dezember 2009) sind im Erdgeschoss Langzeitpatienten in vier Schlaf-/Wohnräumen untergebracht. Dach, Fassade und Fenster dieser Gebäude sind 2005 saniert worden.

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Mit Schreiben vom 6. April 2010 beantragte die Klägerin ihre Beteiligung am Änderungsverfahren unter gleichzeitiger Vorlage einer schalltechnischen Untersuchung des Büros H. vom 23. Dezember 2009. Danach kommt es bei Berücksichtigung der Schallreflexionen der westseitigen Schallschutzwand auch auf den ostseitig gelegenen Grundstücken der Klägerin zur Nachtzeit zu einer Pegelerhöhung. Am Immissionspunkt 1.06 EG errechne sich ohne Schallschutzwand eine Belastung von 64,5 dB(A) nachts, mit westseitiger Schallschutzwand von 65,0 dB(A) nachts. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 der 16. BImSchV liege damit eine wesentliche Änderung des Schienenwegs vor, sodass die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung einzuhalten seien. Mit Schreiben vom 4. Mai 2010 lehnte das Eisenbahnbundesamt eine Beteiligung der Klägerin am Verfahren ab, da eine Planänderung von unwesentlicher Bedeutung vorliege, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Schallreflexionen von Schallschutzwänden in der Lärmprognose rechnerisch keine Berücksichtigung finden könnten.

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Mit Beschluss vom 3. Juni 2010 stellte das Eisenbahnbundesamt die Planänderung fest; die Einwendungen der Klägerin wurden zurückgewiesen.

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Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt sie vor:

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Sie werde in ihren Rechten aus Art. 12 und 14 GG sowie in ihren Schutzansprüchen nach der Verkehrslärmschutzverordnung verletzt. Die Ausgewogenheit der Planungsentscheidung sei nicht mehr gewahrt, weil ihre Belange in der Abwägung völlig unberücksichtigt geblieben seien. Der Planänderungsbeschluss müsse daher aufgehoben werden. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 der 16. BImSchV sei von einer wesentlichen Änderung des Schienenwegs i.S.v. § 41 Abs. 1 BImSchG auszugehen, sodass sie vorrangig nach dieser Vorschrift, hilfsweise nach § 74 Abs. 2 VwVfG einen Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen habe. Bei der Erhöhung eines über 60 dB(A) liegenden Nachtwerts sei es unerheblich, um wie viel der Lärm zunehme; eine Erhöhung um 0,1 dB(A) sei ausreichend. Da schon die Lärmvorbelastung durch den Schienenweg zur Nachtzeit über dem für die Annahme einer Gesundheitsgefährdung maßgeblichen Wert von 60 dB(A) liege, müsse eine zusätzliche Lärmeinwirkung im Hinblick auf die staatliche Schutzpflicht nicht hingenommen werden. Die Beklagte dürfe sich in solchen Fällen nicht darauf berufen, dass Vorschriften zur Berechnung von Schallreflexionen hochabsorbierender Lärmschutzwände fehlten.

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Die Klägerin beantragt,

den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 3. Juni 2010 aufzuheben,

hilfsweise,

den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 3. Juni 2010 dahingehend zu ergänzen, dass auf der Ostseite des Schienenwegs im Bereich des Grundstücks der Klägerin geeignete Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes zur Vermeidung einer weiteren Überschreitung der Lärmgrenzwerte für Krankenhäuser getroffen werden,

weiter hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, geeignete Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu ergreifen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie trägt zusammengefasst im Wesentlichen vor:

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Die Klage könne weder mit dem Hauptantrag noch mit den Hilfsanträgen Erfolg haben. Es fehle schon an einer wesentlichen Änderung durch einen erheblichen baulichen Eingriff im Sinne der Verkehrslärmschutzverordnung. Auf den Grundstücken der Klägerin komme es durch das Ausbauvorhaben nicht zu Lärmsteigerungen, die Reflexionen der westlich der Bahntrasse vorgesehenen Schallschutzwand seien nach der Schall 03 bei der Lärmberechnung nicht zu berücksichtigen. Ansprüche auf Schallschutzmaßnahmen könne die Klägerin auch nicht aus § 74 Abs. 2 VwVfG oder Grundrechten herleiten.

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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

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Sie schließt sich dem Vorbringen der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin kann weder die mit ihrem Hauptantrag erstrebte Aufhebung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 3. Juni 2010 verlangen (1.) noch hat sie gemäß ihren beiden Hilfsanträgen einen Anspruch auf Planergänzung um Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes (2.) bzw. auf erneute behördliche Entscheidung über die begehrten Lärmschutzauflagen (3.).

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1. Der angefochtene Änderungsplanfeststellungsbeschluss leidet nicht an Mängeln, die seine Aufhebung rechtfertigen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Die Klägerin rügt allein fehlende Maßnahmen des aktiven Schallschutzes. Lärmimmissionen eines planfestgestellten Vorhabens, die grundsätzlich durch Schutzauflagen behoben werden können, begründen aber nur einen Anspruch auf Planergänzung, der im Wege einer Verpflichtungsklage durchzusetzen ist. Eine Planaufhebung kommt nur in Betracht, wenn das Fehlen notwendiger Schutzauflagen ausnahmsweise so großes Gewicht hat, dass davon die Ausgewogenheit der Gesamtplanung oder eines wesentlichen Planungsteils betroffen ist (stRspr, vgl. Urteile vom 7. Juli 1978 - BVerwG 4 C 79.76 - BVerwGE 56, 110 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 2, vom 18. April 1996 - BVerwG 11 A 86.95 - BVerwGE 101, 73 <85> = Buchholz 316 § 78 VwVfG Nr. 6 m.w.N. und vom 23. Februar 2005 - BVerwG 4 A 4.04 - BVerwGE 123, 37 = Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 23 m.w.N.). Daran fehlt es hier; es ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Annahme, die Planfeststellungsbehörde hätte in Kenntnis der von der Klägerin gerügten Defizite im Bereich des aktiven Lärmschutzes - deren Vorliegen unterstellt - eine andere konzeptionelle Planungsentscheidung zur Verstärkung der Überbaukonstruktionshöhe an der Eisenbahnüberführung bei km 12,988 (N Straße) getroffen. Lärmschutzmaßnahmen auf der Ostseite wären mit dieser Planung ohne Weiteres vereinbar.

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2. Der erste Hilfsantrag, den Planfeststellungsbeschluss um geeignete Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes zur Einhaltung der Grenzwerte der 16. BImSchV für Krankenhäuser zu ergänzen, ist ebenfalls unbegründet.

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Selbst wenn man mit der schalltechnischen Untersuchung vom 23. Dezember 2009 von einem Schutzanspruch für die bestehende Bebauung östlich des Schienenwegs ausgehen wollte, kann die Beklagte nicht zur Planergänzung durch Anordnung bestimmter Schutzauflagen verpflichtet werden, denn die Sache ist nicht spruchreif. Es bedürfte vorgreiflich einer behördlichen Entscheidung, ob gemäß § 41 Abs. 1 BImSchG Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes ergriffen werden sollen oder ob und gegebenenfalls in welchem Umfang - möglicherweise auch kombiniert mit aktivem Lärmschutz wie westlich des Schienenwegs - gemäß § 41 Abs. 2, § 42 BImSchG auf passiven Schallschutz verwiesen werden soll. Die Planfeststellungsbehörde hat sich - ausgehend von ihrer Schallschutzansprüche östlich des Schienenwegs dem Grunde nach verneinenden Rechtsauffassung - mit der Frage nach aktiven oder passiven Schallschutz in diesem Bereich bisher in keinster Weise befasst.

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Die Planfeststellungsbehörde hat bei Prüfung der Frage, ob die Kosten einer aktiven Schallschutzmaßnahme außer Verhältnis zum angestrebten Schutzzweck stehen, einen Abwägungsspielraum, der es gestattet, neben den in § 41 Abs. 2 BImSchG ausdrücklich benannten Kostengesichtspunkten auch andere Belange zu berücksichtigen, die einer aktiven Schallschutzmaßnahme entgegen stehen (Urteil vom 5. März 1997 - BVerwG 11 A 25.95 - BVerwGE 104, 123 <139> = Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 25). Diese Abwägung kann von den Gerichten nur auf die Einhaltung der rechtlichen Bindungen hin überwacht werden. Ein Anspruch auf ein bestimmtes Abwägungsergebnis, wie es die Klägerin mit ihrem Begehren auf aktiven Lärmschutz geltend macht, scheidet demnach grundsätzlich aus (Urteil vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 43.08 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 56 Rn. 37 m.w.N.).

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3. Auch der weiter gestellte Hilfsantrag auf Neubescheidung ist unbegründet.

22

Da weder § 41 Abs. 1 BImSchG noch das planerische Abwägungsgebot dem Betroffenen einen Anspruch auf bestimmte Schallschutzmaßnahmen gewähren, ist es grundsätzlich sachgerecht, das Begehren, im Rahmen der Planfeststellung für den Bau oder die Änderung einer Verkehrsanlage Schallschutz zu erhalten, im Wege einer Neubescheidungsklage entsprechend § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu verfolgen. Zwar beschränkt sich die Klägerin nicht auf ein bloßes (und hinsichtlich der Art des gebotenen Lärmschutzes offenes) Neubescheidungsbegehren, sondern will darüber hinaus, dass das Gericht im Rahmen der Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes vorschreibt. Damit konkretisiert sie jedoch nur die Rechtsauffassung, die das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO der Verwaltungsbehörde zur Beachtung vorgeben soll (Urteil vom 5. März 1997 a.a.O. S. 134 m.w.N.).

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Dem Neubescheidungsbegehren der Klägerin muss aber deshalb der Erfolg versagt bleiben, weil die Beklagte weder nach § 41 Abs. 1 BImSchG in Verbindung mit den Vorgaben der Verkehrslärmschutzverordnung (a) noch nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (b) verpflichtet war, Maßnahmen zur Lärmvorsorge für das östlich des Schienenwegs liegende Gebiet vorzusehen. Die Klägerin kann einen Anspruch auf Neubescheidung auch nicht aus Grundrechten herleiten (c).

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a) Entgegen dem Vorbringen der Beklagten und der Beigeladenen scheidet ein Schutzanspruch nach der Verkehrslärmschutzverordnung nicht bereits deshalb aus, weil die Errichtung der westseitigen Schallschutzwand keinen erheblichen baulichen Eingriff in den Schienenweg gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV darstellt und diese Maßnahme infolgedessen auch nicht als wesentliche Änderung des Verkehrswegs i.S.v. § 41 Abs. 1 BImSchG verstanden werden kann. Diese Rechtsauffassung findet keine Stütze in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Zu Unrecht bezieht der Planfeststellungsbeschluss sich insoweit auf das Urteil des 4. Senats vom 9. Februar 1995 - BVerwG 4 C 26.93 - (BVerwGE 97, 367 <369> = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 7), wenn er darauf abhebt, dass die Änderung des Schienenwegs sich auf dessen vorausgesetzte und planerisch gewollte Leistungsfähigkeit beziehen muss, die Errichtung einer Schallschutzwand aber nicht die Kapazität des Verkehrswegs steigert. Denn anders als in der in Bezug genommenen Entscheidung geht es vorliegend nicht um die nachträgliche und isolierte Errichtung einer Schallschutzwand zum Zwecke der Lärmsanierung, sondern hier erfolgt ein erheblicher baulicher Eingriff in den Schienenweg (auch im Sinne einer Kapazitätsausweitung), der westlich der Bahntrasse zu einer Erhöhung der Lärmimmissionen führt, die mithilfe der Lärmschutzwand abgeschirmt werden sollen. Zwar können dem Begriff des Schienenwegs im Sinne des Immissionsschutzrechts nicht sämtliche Betriebsanlagen der Eisenbahn, deren Errichtung der Planfeststellung bedarf, zugeordnet werden, sondern allein deren Lärm verursachende Teile wie die Gleisanlagen mit ihrem Ober- und Unterbau einschließlich der Oberleitung (Urteile vom 20. Mai 1998 - BVerwG 11 C 3.97 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 18, vom 20. Dezember 2000 - BVerwG 11 A 7.00 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 36 und vom 21. Mai 2003 - BVerwG 9 A 40.02 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 62). Schallschutzwände sind letzteren aber dann zuzurechnen, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bau oder der Änderung einer Gleisanlage errichtet werden, weil normative Vorgaben für die gebotene Lärmvorsorge ihre Errichtung erfordern und diese bauliche (Teil-)Maßnahme damit unabdingbare Voraussetzung für den Bau oder die wesentliche Änderung des Schienenwegs im Sinne des Immissionsschutzrechts ist. Derartige, die Lärmemissionen einer Gleisanlage gezielt steuernde Betriebsanlagen sind in Folge der normativen Verknüpfung deren Bestandteil und unterfallen damit § 41 Abs. 1 BImSchG.

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Es fehlt aber an der nach §§ 41 f. BImSchG in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzverordnung zwingend erforderlichen "wesentlichen Änderung". Anders als der Neubau oder die bauliche Erweiterung löst ein erheblicher baulicher Eingriff Schutzansprüche der Lärmbetroffenen nur aus, wenn zu ihrem Nachteil eine relevante Erhöhung der Beurteilungspegel eintritt (BRDrucks 661/89, S. 32). Der Verordnungsgeber bezeichnet nämlich eine Änderung insoweit in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 der 16. BImSchV nur dann als wesentlich, wenn der Beurteilungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärms durch einen erheblichen baulichen Eingriff um mindestens 3 dB(A) oder auf mindestens 70 dB(A) am Tage oder 60 dB(A) in der Nacht erhöht wird, oder - außer in Gewerbegebieten - der Verkehrslärm von mindestens 70 dB(A) tags oder 60 dB(A) nachts erhöht wird (Urteil vom 3. März 1999 - BVerwG 11 A 9.97 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 26 ).

26

Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Ausweislich der von der Klägerin insoweit nicht angegriffenen schalltechnischen Untersuchung vom 1. Dezember 2009 werden die Beurteilungspegel an den IP 1.04 bis 1.07 auf dem Krankenhausgelände durch den Eingriff tags zwar erhöht, jedoch nicht um mindestens 3 dB(A) bzw. auf mindestens 70 dB(A). Nachts sind danach keinerlei Lärmzuwächse zu verzeichnen. Auch für das Krankenhausgelände sind keine relevanten Pegelerhöhungen zu erwarten. Nach den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 23. September 2011 als Anlage K 21 vorgelegten Rasterisolinien-Übersichten wirken auf das Krankenhausgelände mit Ausnahme eines an das Gebäude am IP 1.06 angrenzenden kleinen Teilstücks Lärmimmissionen im Bereich zwischen 65 und 55 dB(A) ein. Eine die Grenze von 70 dB(A) tags überschreitende Lärmbelastung kann danach ebenso wie eine Zunahme um mindestens 3 dB(A) ausgeschlossen werden, ohne dass es noch weiter darauf ankäme, wo genau auf dem Krankenhausgelände sich die zum Aufenthalt der Patienten im Freien dienenden Flächen befinden.

27

Die diesem Befund zugrunde liegenden Berechnungen sind entgegen der Auffassung der Klägerin nicht deshalb fehlerhaft, weil die Schallreflexionen durch die westlich der Bahntrasse vorgesehene Lärmschutzwand nicht einbezogen wurden. Die Lärmprognose leidet insoweit nicht an einem Mangel, denn es fehlt für Schienenlärm an Rechtsvorschriften, die eine Berücksichtigung der Schallreflexionen zulassen würden.

28

Für die Berechnung des Beurteilungspegels nach Anlage 2 der Verkehrslärmschutzverordnung bleiben Schallreflexionen hochabsorbierend ausgebildeter Schallschutzwände unberücksichtigt. Zwar sind gemäß dem Korrektursummanden DB Reflexionen von Lärmschutzwänden zu berücksichtigen. Dieser definiert sich aber wiederum durch die Verweisung auf die Schall 03 (Ausgabe 1990), die ihrerseits nur Schallreflexionen nicht schallabsorbierender Objekte (wie Häuserwände etc.) in die Berechnung des Beurteilungspegels einstellt und - anders als im speziellen Fall des Abschnitt 7.7 Abs. 2 der Schall 03 - insoweit auch keinen Bezug auf die VDI 2714 nimmt, nach der Schallreflexionen auch hochabsorbierender Schallschutzwände rechnerisch berücksichtigungsfähig wären. Daraus folgt, dass der Verordnungsgeber die mit der Errichtung einer Lärmschutzwand zusammenhängende - allenfalls geringfügige - Lärmsteigerung vernachlässigt wissen wollte (Urteil vom 3. März 1999 a.a.O. Rn. 54 f.). Dagegen ist nichts zu erinnern, denn dem Verordnungsgeber steht nicht nur bei der Festlegung der Immissionsgrenzwerte, sondern auch bei der Bestimmung des Rechenverfahrens zur Ermittlung des Beurteilungspegels ein weiter Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dem Verordnungsgeber waren zusätzliche Lärmeinwirkungen infolge von Schallreflexionen hochabsorbierender Schallschutzwände bewusst. Er hat sie in Nr. 4.6 der RLS-90 im Rechenvorgang berücksichtigt. Wenn er diese aber für den Schienenverkehr wegen dessen Besonderheiten gegenüber dem Straßenverkehr (z.B. Abschirmung durch die Zugwaggons) unberücksichtigt belassen wollte, ist dies von seinem normativen Ermessen, das gegenläufige öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen hat und nur im begrenzten Umfang einer gerichtlichen Nachprüfung offensteht, gedeckt (Urteil vom 5. März 1997 a.a.O. S. 132). Anhaltspunkte dafür, dass die bei Anwendung der Schall 03 rechnerisch ermittelte Lärmbelastung bei Außerachtlassung der Schallreflexionen hochabsorbierender Lärmschutzwände die Wirklichkeit nur noch völlig unzulänglich abbildet, sind nicht ersichtlich oder dargetan (vgl. Urteil vom 3. März 1999 a.a.O. Rn. 73 f.). Der Senat hält deshalb an der bisherigen Rechtsprechung fest.

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b) Die Klägerin vermag einen Anspruch auf Schallschutzvorkehrungen auch nicht aus § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG herzuleiten. Neben Ansprüchen gemäß dem Lärmschutzsystem, das in den §§ 41 ff. BImSchG (und in der Verkehrslärmschutzverordnung) normativ festgelegt ist, kommt ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG lediglich nach Maßgabe des § 42 Abs. 2 Satz 2 BImSchG in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn § 41 Abs. 1 BImSchG (in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzverordnung) nur deshalb nicht anzuwenden ist, weil seine tatbestandlichen Voraussetzungen zu verneinen sind (Urteile vom 9. Februar 1995 a.a.O. S. 371 und vom 17. März 2005 - BVerwG 4 A 18.04 - BVerwGE 123, 152 <156> = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 44). Letzteres ist hier der Fall. Der Verordnungsgeber der Verkehrslärmschutzverordnung durfte im Wege einer zulässigen pauschalierenden Betrachtungsweise die von hochabsorbierenden Schallschutzwänden ausgehenden Schallreflexionen vernachlässigen. Es würde seinem hierin zum Ausdruck kommenden kodifikatorischen Anspruch zuwider laufen, wollte man im Wege der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG eben diese verordnungsgeberische Wertung korrigieren.

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c) Die Klägerin kann im Rahmen ihres Neubescheidungsantrags auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Schutz von Eigentum und Gesundheit Schallschutz erfordert. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats (Urteil vom 9. Juli 2008 - BVerwG 9 A 5.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 66 ), der der Senat folgt, sind Lärmschutzbelange der Nachbarschaft grundsätzlich nur dann in die planerische Abwägung einzubeziehen, wenn die Lärmbelastung durch das Vorhaben ansteigt. Dies gilt auch dann, wenn die für den Planfall prognostizierten Belastungswerte oberhalb der zur Abwehr einer Gesundheitsgefährdung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie unzumutbarer Eingriffe in das Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten grundrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts liegen.

31

Sowohl nach dem Schallschutzgutachten der Beigeladenen vom 1. Dezember 2009 als auch nach dem von der Klägerin eingereichten Gutachten vom 23. Dezember 2009 ist tagsüber kein Lärmzuwachs auf Werte von mindestens 70 dB(A) zu verzeichnen. Die zur Nachtzeit erreichten Werte liegen dagegen oberhalb der grundrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle von 60 dB(A). Von einer rechtlich relevanten Erhöhung durch das Ausbauvorhaben kann aber nicht ausgegangen werden. Zwar ist unter den Beteiligten unstreitig, dass durch die von der Lärmschutzwand ausgehenden Schallreflexionen unter Abzug von Rückreflexionen etwa an dem der Trasse am nächsten gelegenen Gebäude am IP 1.06 ein Lärmzuwachs von ca. 0,3 dB(A) zu verzeichnen wäre. Nach den auch im Rahmen der Abwägung nach § 18 AEG relevanten normativen Vorgaben der 16. BImSchV in Verbindung mit der Schall 03 finden Schallreflexionen von hochabsorbierenden Lärmschutzwänden bei der Lärmberechnung aber keine Berücksichtigung. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Grenze der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers bei der Festlegung der Grenzwerte und der Ausgestaltung der Lärmbelastungsermittlung ist erst dann erreicht, wenn das von ihm vorgesehene Berechnungsverfahren eine Lärmbelastung zulässt, die evident mit dem angestrebten Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen unvereinbar wäre (Urteil vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 ). Eine solche Feststellung lässt sich für die Außerachtlassung von Schallreflexionen hochabsorbierender Schallschutzwände nicht treffen (s.o.). Diese vom Verordnungsgeber unter Ausnutzung seines gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums getroffene Festlegung ist daher auch im Rahmen der Abwägung nach § 18 AEG zu berücksichtigen. Denn Lärmgrenzwerte erlangen ihre Aussagekraft nur im Zusammenspiel mit einem Mess- oder Berechnungsverfahren, in dem sie zu ermitteln sind. Ohne Bezugnahme auf ein derartiges Verfahren wären die Grenzwerte unbestimmt. Ihnen fehlte die maßgebende Bezugsebene (Urteil vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 9.95 - BVerwGE 101, 1 ff. = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 12). Das gilt auch im Bereich grundrechtlich relevanter Lärm(vor)belastungen.

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Auf die von der Klägerin geforderte summative Betrachtung von Verkehrslärmeinwirkungen der N. Straße und der Ausbaustrecke auf die alte Villa am IP 1.06 muss nicht weiter eingegangen werden, da - wie bereits ausgeführt - von dem infolge eines erheblichen baulichen Eingriffs geänderten Schienenweg kein zusätzlicher Lärm auf das Grundstück der Klägerin einwirkt. Hinzukommt - trotz eines entsprechenden Vorhalts in der mündlichen Verhandlung - das Fehlen jeglichen substantiierten Vorbringens der Klägerin, in welchem Maße zur Nachtzeit Verkehrslärm durch die N. Straße auf das Grundstück der Klägerin einwirken und die bereits bestehende Vorbelastung durch Schienenverkehrslärm erhöhen würde.