Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 17.04.2013


BVerwG 17.04.2013 - 6 P 9/12

Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde; Prüfungspflicht des bevollmächtigten Rechtsanwalts; unrichtige Rechtsmittelbelehrung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
17.04.2013
Aktenzeichen:
6 P 9/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 17. Oktober 2012, Az: 17 LP 8/11, Beschlussvorgehend VG Osnabrück, 23. August 2011, Az: 7 A 7/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Die Regelung zur Jahresfrist in § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG greift nicht ein, wenn die Rechtsmittelbelehrung im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts unrichtige Angaben zur Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde enthält.

2. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt hat bei Anfertigen der Rechtsbeschwerdeschrift eigenverantwortlich zu prüfen, ob der im Fristenkalender notierte Fristablauf für die Rechtsbeschwerdebegründung richtig berechnet worden ist.

3. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung rechtfertigt nicht die Annahme fehlenden Verschuldens des Beteiligten an der Fristversäumnis, wenn diese nicht darauf beruht.

Gründe

I.

1

Die Beteiligte zu 1 absolvierte ab September 2006 bei der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen- und Munition 91 (WTD 91) eine Berufsausbildung zur Chemielaborantin. In der Zeit von Juli 2008 bis Juni 2009 nahm sie als Ersatzmitglied an Sitzungen des Personalrats sowie der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei der WTD 91, der Beteiligten zu 2 und 3, teil. Mit Schreiben vom 29. Mai 2009 bat sie um Weiterbeschäftigung nach Beendigung ihrer Berufsausbildung. Am 18. Juni 2009 bestand sie die Abschlussprüfung.

2

Die Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht angerufen und dort beantragt,

das mit der Beteiligten zu 1 begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen,

hilfsweise festzustellen,

dass ein entsprechendes Arbeitsverhältnis nicht begründet worden ist.

3

Das Verwaltungsgericht hat den Hauptantrag abgelehnt und dem Hilfsantrag stattgegeben. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1 bis 3 hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen; die Rechtsbeschwerde hat es zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es, die Rechtsbeschwerde müsse innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung begründet werden. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wurde den Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils am 9. November 2012 zugestellt.

4

Der bevollmächtigte Rechtsanwalt hat am 23. November 2012 für die Beteiligten zu 2 und 3 und am 5. Dezember 2012 für die Beteiligte zu 1 Rechtsbeschwerde eingelegt. Diese hat er am 10. Januar 2013 begründet. Auf einen entsprechenden Hinweis des Senats hat er am 23. Januar 2013 wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs trägt er vor: Eine Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, welche sich bislang stets als zuverlässig erwiesen habe, führe für ihn den Fristenkalender. Sie habe als Fristablauf für die Einlegung der Rechtsbeschwerde zutreffend Montag, den 10. Dezember 2012, notiert. In Anknüpfung daran habe sie als Fristablauf für die Begründung der Rechtsbeschwerde versehentlich den 10. Januar 2013 notiert. Er selbst habe sich nach Eingang des angefochtenen Beschlusses wiederholt vergewissert, dass die Fristen für das Einlegen der Rechtsbeschwerde und ihrer Begründung notiert worden seien. Er habe darauf vertraut, dass das Ende der Begründungsfrist zutreffend berechnet worden sei.

5

Die Antragstellerin tritt dem Wiedereinsetzungsgesuch entgegen.

II.

6

Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1 bis 3 sind als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet worden sind (§ 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 74 Abs. 2 Satz 2, § 94 Abs. 2 Satz 3 ArbGG und § 552 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung ergeht gemäß § 74 Abs. 2 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung und gemäß § 10 Abs. 3 VwGO in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (vgl. Beschluss vom 1. November 2001 - BVerwG 6 P 10.01 - BVerwGE 115, 223 <224 f.> = Buchholz 252 § 52 SBG Nr. 2 S. 2).

7

1. Die Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde beträgt zwei Monate; sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Im vorliegenden Fall ist der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts den Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils am 9. November 2012 zugestellt worden. Diese hätten demnach ihre Rechtsbeschwerden spätestens bis Mittwoch, den 9. Januar 2013, begründen müssen. Ihre Rechtsbeschwerdebegründung ist aber erst am Donnerstag, den 10. Januar 2013, und damit verspätet beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen.

8

2. Diese Verspätung ist nicht deswegen unbeachtlich, weil die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Beschluss unzutreffend dahin lautet, dass die Rechtsbeschwerde spätestens innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung begründet werden müsse. Zwar ist gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG in Fällen, in denen die Belehrung durch das Gericht unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist, die Einlegung des Rechtsmittels noch innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig. Diese Regelung betrifft aber nur diejenigen Angaben, über welche das Gericht gemäß § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG zu belehren hat. Dazu zählt die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels, nicht aber die Frist für dessen Begründung. Die Rechtsmittelbelehrung soll den rechtsunkundigen Beteiligten in die Lage versetzen, die gebotenen Schritte zu ergreifen und insbesondere einen Prozessbevollmächtigten nach § 11 Abs. 2 ArbGG hinzuzuziehen. Frist und Form der Begründung müssen dann von diesem beachtet werden (vgl. BAG, Urteile vom 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02 - AP Nr. 2 zu § 209 InsO Bl. 1699 R und vom 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 - BAGE 109, 265 <269> m.w.N. aus seiner ständigen Rechtsprechung).

9

3. Den Beteiligten zu 1 bis 3 ist nicht wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Sie waren nicht ohne Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Das Verschulden ihres bevollmächtigten Rechtsanwalts ist ihnen als eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

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a) Dem bevollmächtigten Rechtsanwalt ist anzulasten, dass er bei Anfertigung der Rechtsbeschwerdeschriften am 23. November und 5. Dezember 2012 nicht überprüft hat, ob die im Fristenkalender eingetragene Frist für die Rechtsbeschwerdebegründung korrekt berechnet war.

11

Ein Rechtsanwalt hat alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Er hat bei jeder Vorlage der Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung eigenverantwortlich zu prüfen, wann die Frist für die Prozesshandlung abläuft. Werden einem Rechtsanwalt Handakten zur Anfertigung einer Rechtsmittelschrift vorgelegt, hat er neben der Prüfung der Rechtsmittelfrist auch die ordnungsgemäße Notierung der zu diesem Zeitpunkt bereits feststehenden Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen (vgl. BAG, Urteile vom 31. Januar 2008 - 8 AZR 27/07 - BAGE 125, 333 Rn. 21 und vom 17. Januar 2012 - 3 AZR 572/09 - juris Rn. 14 f. sowie Beschluss vom 17. Oktober 2012 - 3 AZR 633/12 - juris Rn. 15 f.; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 - VI ZB 4/11 - juris Rn. 6, jeweils m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung beider Gerichte).

12

Bei Anfertigung der Rechtsbeschwerdeschriften vom 23. November und 5. Dezember 2012 lagen dem Bevollmächtigten der Beteiligten zu 1 bis 3 - sei es in aktenmäßiger, sei es in elektronischer Form - die dazu benötigten Unterlagen vor. Demgemäß hat er in beiden Rechtsmittelschriften jeweils das zutreffende Zustellungsdatum 9. November 2012 angegeben. Da ihm als Fachanwalt für Arbeitsrecht die Regelung zur Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde in § 74 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG geläufig war, wäre es für ihn schon zu den genannten Zeitpunkten unschwer möglich gewesen, als Fristende Mittwoch, den 9. Januar 2013, zu ermitteln und einen entsprechenden Abgleich mit dem Fristenkalender vorzunehmen. Die Fristüberschreitung wäre dadurch vermieden worden. Auf die Fristberechnung seiner Mitarbeiterin durfte sich der bevollmächtigte Rechtsanwalt dagegen nicht ungeprüft verlassen.

13

b) Ihn entlastet die teilweise unrichtige Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Beschluss nicht. Zwar rechtfertigt eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung in der Regel die Annahme eines fehlenden Verschuldens des Beteiligten an der Fristversäumung (vgl. Beschluss vom 5. Oktober 2011 - BVerwG 6 P 18.10 - Buchholz 251.95 § 61 MBGSH Nr. 2 Rn. 18 m.w.N.). Dies gilt jedoch nicht, wenn die Fristversäumnis nicht auf der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung beruht (vgl. BAG, Urteile vom 16. Dezember 2004 - 2 AZR 611/03 - AP Nr. 30 zu § 66 ArbGG 1979 Bl. 9 und vom 24. Oktober 2006 - 9 AZR 709/05 - AP Nr. 34 zu § 66 ArbGG 1979 Rn. 21 ff.). Ein Verschulden des Beteiligten ist daher dann regelmäßig zu verneinen, wenn gerade die Befolgung der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung die Fristversäumnis herbeigeführt hat. So liegt der Fall jedoch nicht.

14

Hätte sich der Bevollmächtigte der Beteiligten zu 1 bis 3 an die Aussage in der Rechtsmittelbelehrung des Oberverwaltungsgerichts gehalten, wonach die Rechtsbeschwerde innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung begründet werden müsse, dann wäre die Rechtsbeschwerdebegründung nicht nach, sondern vor Ablauf der gesetzlichen Frist bei Gericht eingegangen. Er hätte dann die Rechtsbeschwerdebegründung für die Beteiligten zu 2 und 3 bereits am Montag, den 24. Dezember 2012, und die Rechtsbeschwerdebegründung für die Beteiligte zu 1 bereits am Montag, den 7. Januar 2013, bei Gericht angebracht. Sein prozessuales Verhalten sowie seine Ausführungen im Wiedereinsetzungsgesuch einschließlich der Angaben seiner Mitarbeiterin zeigen jedoch, dass er sich nicht nach dem unzutreffenden Teil der Rechtsmittelbelehrung gerichtet, sondern vielmehr zutreffend erkannt hat, dass die Begründungsfrist jedenfalls nicht durch die Einlegung der Rechtsbeschwerde in Lauf gesetzt wurde. Die Fristversäumnis beruhte danach allein und entscheidend darauf, dass die Mitarbeiterin nicht eine Zwei-Monats-Frist ab Beschlusszustellung, sondern eine Ein-Monats-Frist nach Ablauf der Einlegungsfrist zugrunde gelegt und der bevollmächtigte Anwalt diese unzutreffende Fristberechnung nicht überprüft hat. Dies ist ihm - wie bereits ausgeführt - als Verschulden anzulasten.