Bundesarbeitsgericht

Entscheidungsdatum: 08.06.2010


BAG 08.06.2010 - 6 AZN 163/10

Nichtzulassungsbeschwerde - Einlegung vor Zustellung des Berufungsurteils


Gericht:
Bundesarbeitsgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
08.06.2010
Aktenzeichen:
6 AZN 163/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend ArbG Frankfurt, 18. Februar 2009, Az: 17 Ca 7155/08, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 22. Januar 2010, Az: 3/15 Sa 493/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. Januar 2010 - 3/15 Sa 493/09 - wird als unzulässig verworfen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.810,08 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Die Parteien haben über eine Gutschrift von 318 Stunden auf einem tariflichen Langzeitkonto gestritten. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat in seinem dem Kläger am 16. März 2010 zugestellten Urteil die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 22. Februar 2010 eingelegten und am Montag, dem 17. Mai 2010, begründeten Grundsatzbeschwerde.

2

II. Die Beschwerde ist unzulässig.

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1. Die Unzulässigkeit der Beschwerde könnte sich schon daraus ergeben, dass sie vor Zustellung des Urteils des Landesarbeitsgerichts eingelegt worden ist(GK-ArbGG/Mikosch Stand April 2010 § 72a Rn. 38; aA Kummer Die Nichtzulassungsbeschwerde 2. Aufl. Rn. 185; MünchKommZPO/Wenzel 3. Aufl. § 544 Rn. 7; Gräber/Ruban FGO 6. Aufl. § 116 Rn. 15; aA auch zu inzwischen nicht mehr geltenden Verfahrensordnungen BVerwG 26. Juni 1953 - II B 79/53 - NJW 1953, 1568; 2. April 1954 - II B 172/53 - Leitsatz in NJW 1954, 854 zu § 53 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht [BVerwGG] vom 23. September 1952 [BGBl. I S. 625] sowie BFH 7. November 1997 - XI B 114/97 - zu § 115 FGO idF des Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 [BGBl. I S. 1442]; alle ohne nähere Begründung).

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a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gem. § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG beim Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat „nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils“ schriftlich einzulegen. Demgegenüber setzen § 66 Abs. 1 Satz 1 sowie § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG die Berufungs- bzw. Revisionsfrist auf einen Monat, die Begründungsfrist auf zwei Monate fest. § 66 Abs. 1 Satz 2 sowie § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bestimmen, dass beide Fristen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung beginnen. Anders als in § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG verlangen also diese Bestimmungen nicht die Zustellung des anzufechtenden Urteils als Voraussetzung für die Einlegung des Rechtsmittels.

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b) Der Gesetzgeber hat mit der von den für Rechtsmittel geltenden Vorschriften abweichenden Bestimmung des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG den Besonderheiten der Nichtzulassungsbeschwerde als speziellem, an die Voraussetzungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG geknüpften und damit eng begrenztem Rechtsbehelf Rechnung getragen. Bei der Nichtzulassungsbeschwerde des § 72a ArbGG geht es nicht um die Überprüfung der Sachentscheidung des Landesarbeitsgerichts, sondern um die Frage, ob das Rechtsmittel gegen diese Sachentscheidung überhaupt erst zugelassen werden kann(BAG 9. Juli 2003 - 5 AZN 316/03 - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 96). Im Unterschied zu Rechtsmitteln, bei denen seit langem anerkannt ist, dass sie vor dem gesetzlich festgelegten Fristbeginn eingelegt und begründet werden können, sofern die Entscheidung bereits existent ist (zuletzt BAG 28. Februar 2008 - 3 AZB 56/07 - Rn. 10 mwN, AP ZPO § 189 Nr. 1 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 116), ist eine den Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG genügende Begründung jedenfalls für die Zulassungsgründe Grundsatz, Divergenz und Gehörsverletzung nur in Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe möglich. Ohne diese kann das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, einer Divergenz oder eines Gehörsverstoßes sowie deren Entscheidungserheblichkeit weder vom Beschwerdeführer noch vom Bundesarbeitsgericht festgestellt werden. Die etwaige Kenntnis der tragenden Urteilsgründe reicht also in diesen Fällen für eine erfolgreiche Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht aus. Dies spricht dafür, § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG dahin zu verstehen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Nichtzulassungsbeschwerde vor Zustellung der anzufechtenden Entscheidung, auch im Kosteninteresse der Beschwerdeführer zur Vermeidung der bei Rücknahme einer eingelegten Beschwerde entstehenden Gebühr nach KV GKG Nr. 8613, nicht zulässig eingelegt werden kann.

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c) Die am Montag, dem 17. Mai 2010, eingegangene Beschwerdebegründung ist zwar als erneute Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu behandeln (GK-ArbGG/Mikosch Stand April 2010 § 72a Rn. 38). Sie ist jedoch erst nach Ablauf der Einlegungsfrist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingegangen und könnte deshalb nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde führen.

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2. Letztlich kann die Zulässigkeit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde vor Zustellung der anzufechtenden Entscheidung jedoch dahinstehen. Die Beschwerde genügt den nach § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG an eine zulässige Begründung zu stellenden Anforderungen nicht.

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a) Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtsfrage nur zuzulassen, wenn die Beschwerde darlegt, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt(Senat 26. Juni 2008 - 6 AZN 648/07 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85).

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b) Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die von ihm auf S. 2 unten/S. 3 oben der Beschwerdebegründung formulierte Rechtsfrage

        

„ob Widersprüche von Vorschriften in Tarifverträgen oder Widersprüche in Vorschriften in Tarifverträgen mit Vorschriften in Manteltarifverträgen grundsätzlich in der Weise zugunsten des Arbeitnehmers auszulegen sind, dass die Tarifeinheit im neuen Betrieb nicht gefährdet wird und dem Verschlechterungsverbot aus § 613a BGB damit Rechnung getragen wird“

entscheidungserheblich ist. Tatsächlich hat das Landesarbeitsgericht die aufgeworfene Rechtsfrage nicht abstrakt beantwortet. Es hat darauf abgestellt, dass der Widerspruch, auf dessen Auflösung die formulierte Frage zielt, tatsächlich nicht vorliegt (S. 7 des anzufechtenden Urteils unter II 1 a der Gründe). Außerdem hat es ausgeführt, dass ein Widerspruch zur Ratio des § 613a BGB nicht vorliege (S. 8 des anzufechtenden Urteils unter II 1 b der Urteilsgründe). Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts war das Verschlechterungsverbot des § 613a BGB nicht betroffen. Es hat damit zu der von der Beschwerde formulierten Frage keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, so dass das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Handhabung des Rechts nicht berührt ist.

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c) Darüber hinaus hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage nicht im Einzelnen aufgezeigt. Es fehlen jegliche Ausführungen darüber, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist(vgl. BGH 10. Dezember 2002 - XI ZR 162/02 - FamRZ 2003, 440).

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III. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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V. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge