Entscheidungsdatum: 10.03.2016
I
Der Antragsteller hat beim Verwaltungsgericht Chemnitz eine einstweilige Anordnung beantragt, durch welche die Polizeidirektion Chemnitz verpflichtet werden soll, Herrn Dominik F. vorläufig zwangsweise in eine geschlossene psychiatrische Anstalt einzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag dahin ausgelegt, dass der Antragsteller mit ihm begehrt, Dominik F. durch den Polizeivollzugsdienst wegen Gefahr im Verzug zum Zwecke der fürsorglichen Aufnahme in einer psychiatrischen Einrichtung nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SächsPsychKG dem zuständigen Krankenhaus vorzuführen.
Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Chemnitz als dem für Unterbringungssachen zuständigen Gericht verwiesen. Das Amtsgericht hat die Übernahme der Sache abgelehnt, weil es funktional unzuständig sei. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und um die Bestimmung des zuständigen Gerichts gebeten.
II
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Chemnitz und dem Amtsgericht Chemnitz zuständig. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO. Nach dieser Vorschrift wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht lässt sich diese Vorschrift zwar weder unmittelbar anwenden noch gibt es dafür sonst eine gesetzliche Regelung. Die damit gegebene Regelungslücke ist jedoch - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BVerwG, Beschluss vom 16. September 2015 - 6 AV 2.15 - juris Rn. 3; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 <3632>; BSG, Beschluss vom 16. September 2009 - B 12 SF 7/09 S - juris Rn. 3).
2. Für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Amtsgericht Chemnitz zuständig. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist durch den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 10. Februar 2016 gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend festgestellt. Die Beteiligten haben den Beschluss nicht mit der Beschwerde angefochten. Er ist deshalb unanfechtbar geworden. Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG tritt selbst bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, insbesondere wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war. Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG selbst eröffnete Möglichkeit, den Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 ff. GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzliche Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden, etwa wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann jedoch allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschluss vom 16. September 2015 - 6 AV 2.15 - juris Rn. 4; BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2010 - Xa ARZ 283/10 - MDR 2011, 253 und vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 <2991>).
Ein derartiger extremer Rechtsverstoß liegt in dem Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 10. Februar 2016 nicht.
Das Verwaltungsgericht hat sich zur Begründung seiner Entscheidung auf § 11 SächsPsychKG bezogen. Danach gelten für Verfahren bei Unterbringungen nach diesem Gesetz die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) über das Verfahren in Unterbringungssachen. Nach § 312 Satz 1 Nr. 3 FamFG sind Unterbringungssachen Verfahren, die eine freiheitsentziehende Unterbringung nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker betreffen. Nach § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GVG sind die Amtsgerichte zuständig für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu denen nach § 23a Abs. 2 Nr. 1 GVG Unterbringungssachen gehören.
Nach § 10 Abs. 1 SächsPsychKG liegt eine Unterbringung vor, wenn ein psychisch kranker Mensch gegen oder ohne seinen Willen aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, einer vorläufigen Einweisung oder einer fürsorglichen Aufnahme oder Zurückhaltung nach diesem Gesetz in ein Krankenhaus eingewiesen wird oder dort weiterhin zu bleiben hat. Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichts ist der hier gestellte Antrag nicht unmittelbar auf eine dieser Maßnahmen gerichtet, sondern hat eine Maßnahme der Polizeibehörde zum Gegenstand, welche einer Unterbringung im Sinne des § 10 Abs. 1 SächsPsychKG vorangehen und nach § 18 Abs. 3 Satz 4 SächsPsychKG in eine fürsorgliche Aufnahme einmünden kann, wenn das Krankenhaus, dem der Polizeivollzugsdienst den Betroffenen vorführt, die Voraussetzungen einer fürsorglichen Aufnahme feststellt. Zwar ist nicht ausgeschlossen, die von § 10 SächsPsychKG nicht unmittelbar als Unterbringung erfasste Maßnahme des Polizeivollzugsdienstes für eine gerichtliche Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit einem anderen Rechtsweg zuzuordnen als die Unterbringung selbst. Jedoch verlangt die Vorführung nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SächsPsychKG neben dem einzigen zusätzlichen Erfordernis einer Gefahr im Verzug, dass die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Verwaltungsbehörde nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG sofortige vorläufige Unterbringung anordnen kann. Die Überprüfung dieser Voraussetzungen ist aber den für Unterbringungssachen zuständigen Amtsgerichten übertragen.
Unerheblich ist, dass im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Polizeibehörden oder - hier von besonderer Bedeutung - Dritte als Beteiligte des Verfahrens nicht vorgesehen sind. Soweit die Vorschriften dieses Gesetzes über § 312 Satz 1 Nr. 3 FamFG anzuwenden sind, richtet sich nach den dort in Bezug genommenen jeweiligen Landesgesetzen, wer an dem gerichtlichen Verfahren zu beteiligen ist. Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass das zuständige Gericht zu entscheiden hat, ob eine Vorführung nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SächsPsychKG von einem Dritten gerichtlich erzwungen werden kann, weil diese Vorschrift der Polizeivollzugsbehörde nicht nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung auferlegt, sondern Dritten zugleich ein subjektives Recht auf Einschreiten einräumt.
Selbst wenn das Verwaltungsgericht den Begriff des "Verfahrens bei Unterbringungen" zu Unrecht über die Unterbringung selbst auf ihr vorausgehende Maßnahmen der Polizeivollzugsbehörden erstreckt haben sollte, würde eine solche fehlerhafte Beurteilung zwar zur Rechtswidrigkeit der hierauf gestützten Verweisungsentscheidung führen können, diese aber aus den dargelegten Gründen noch nicht in einem Ausmaß als unverständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen lassen, welches es rechtfertigen würde, von der Regelung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG abzuweichen.