Entscheidungsdatum: 21.09.2016
I
Unter Benutzung seiner beruflichen E-Mail-Adresse bat Herr S., Chefreporter der zur Klägerin gehörenden ...Zeitung, mit E-Mail vom 28. Februar 2014 beim Bundesnachrichtendienst unter Berufung auf Art. 5 GG, das Landespressegesetz und das Bundesarchivgesetz um Auskunft zu Fragen, die verschiedene Sachbereiche betreffen. So begehrte er u.a. die Beantwortung der Frage, welche Informationen Dr. ... M. und Dr. ... S. aus dem Haus Axel-Springer an den Bundesnachrichtendienst lieferten.
Der Bundesnachrichtendienst bot hierauf mit E-Mail vom 8. Mai 2014 Herrn S. Einsicht in die dort über die beiden Journalisten geführten Unterlagen an. Am 27. August 2014 erfolgte die Einsichtnahme durch Frau ... Sch., die den teilweise geschwärzten Vorgang zu Dr. ... M. mit der Signatur ... komplett abfotografierte. Ergänzend teilte der Bundesnachrichtendienst mit Schreiben vom 18. August 2014 weitere Angaben über Dr. ... M. mit. Nach der Einsichtnahme legte die Klägerin mit einem auf den "10. Dezember 2010" datierten Schreiben Widerspruch ein, soweit die Unterlage zu Dr. ... M. geschwärzt wurde. Über den Widerspruch ist bisher nicht entschieden worden.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2014 hat die Klägerin Klage erhoben und Einsicht in den ungeschwärzten Vorgang, hilfsweise Auskunft über den Inhalt der Schwärzungen sowie die Nennung der Namen derjenigen fünf Personen, die in dem Vorgang durch im Einzelnen benannte Nummern gekennzeichnet worden sind, begehrt. Nach ihrer Auffassung könne sie ihr Auskunftsbegehren auf Ansprüche stützen, die ihr als Betroffene, als Presseorgan und als Nichtbetroffene nach dem Bundesarchivgesetz zustünden. Auf schutzwürdige entgegenstehende Interessen könne sich die Beklagte nicht berufen.
Die Beklagte hält die Klage mangels Antrags der Klägerin im Verwaltungsverfahren für unzulässig, hilfsweise für unbegründet. Die geltend gemachten Ansprüche lägen bereits tatbestandlich oder aber deshalb nicht vor, weil dem Auskunftsbegehren Verweigerungsgründe entgegen gehalten werden könnten.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 1. Juli 2016 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Namen derjenigen Personen genannt, die sich hinter den Nummern ... und ... verbergen. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt.
II
Der Beklagten ist die Vorlage der im Tenor des Beschlusses bezeichneten, beim Bundesnachrichtendienst geführten Unterlagen gemäß § 86 Abs. 1 und § 99 Abs. 1 VwGO aufzugeben. Der Senat benötigt die Unterlagen, um über das Auskunftsbegehren der Klägerin entscheiden zu können, soweit sie ihr Auskunftsbegehren auf Jedermann nach § 5 Abs. 8 BArchG zustehende Ansprüche und presserechtliche Ansprüche stützt. Insoweit erachtet der Senat die Klage als zulässig (1.) und das Vorliegen von Verweigerungsgründen als entscheidungserheblich (2.).
1. Die Klage ist nach Auffassung des Senats zulässig, soweit die Klägerin den Benutzungsanspruch nach § 5 Abs. 8 BArchG und presserechtliche Ansprüche geltend macht. Der Klage kann insbesondere kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegengehalten werden, weil die Klägerin im Verwaltungsverfahren keinen Antrag gestellt habe. Denn die Klägerin kann sich insoweit den Antrag ihres Chefreporters, der den Antrag in seiner Eigenschaft als Journalist der Klägerin und als Nichtbetroffener nach dem Bundesarchivgesetz gestellt hat, zu Eigen machen.
2. Für das Auskunftsbegehren der Klägerin kommen der Anspruch auf Benutzung von Unterlagen gemäß § 5 Abs. 8 i.V.m. Abs. 1 bis 7 BArchG und der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch als Anspruchsgrundlagen in Betracht. Gegenüber diesen Anspruchsgrundlagen folgt aus dem ebenfalls von der Klägerin herangezogenen Art. 10 EMRK kein weitergehender Anspruch auf Zugang zu Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:160316U6C65.14.0] - NVwZ 2016, 1020 Rn. 29 f.).
Die Prüfung der von der Beklagten geltend gemachten Verweigerungsgründe ist entscheidungserheblich (a) und bedingt die Vorlage der angeforderten Unterlagen (b).
a) Die von der Beklagten geltend gemachten Verweigerungsgründe sind sowohl beim archivrechtlichen Benutzungsanspruch als auch beim verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse zu prüfen. Der Anspruch auf Benutzung von Unterlagen nach § 5 Abs. 8 BArchG setzt voraus, dass nach § 5 Abs. 2 BArchG die für personenbezogene Daten Dritter zu beachtende Schutzfrist abgelaufen ist und in entsprechender Anwendung seines Absatzes 6 - soweit hier von Bedeutung - kein Grund zu der Annahme besteht, dass das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde (Nr. 1) oder schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen (Nr. 2). Aufgrund des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Pressevertreter in geeigneter Form behördliche Auskünfte nur verlangen, soweit berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen nicht entgegenstehen (BVerwG, Urteile vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:250315U6C12.14.0] - BVerwGE 151, 348 Rn. 24 und vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 - NVwZ 2016, 1020 Rn. 16).
Das Vorliegen von Verweigerungsgründen ist entscheidungserheblich, weil der Bundesnachrichtendienst auch im Inland tätig werden kann, wenn dies der Erfüllung seiner Aufgabe dient, Erkenntnisse über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik sind, zu gewinnen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 BNDG). Dies war auch schon vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954) mit Wirkung vom 30. Dezember 1990 zulässig (vgl. zu den Aufgaben und Aktivitäten des BND vor 1990; Gusy, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, Vorbemerkungen Rn. 1 ff.). Das Vorliegen von Verweigerungsgründen ist daher entscheidungserheblich.
b) Der Senat kann über die Klage nicht ohne Einsicht in die im Tenor bezeichneten vollständigen und ungeschwärzten Unterlagen über die Rechtmäßigkeit der Schwärzungen und die Verweigerung der Offenlegung der durch Nummern anonymisierten Personen entscheiden. Die insoweit von der Beklagten zurückgehaltenen Unterlagen und Unterlagenbestandteile sind rechtserheblich, da sie den Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens bilden und die Entscheidung von der - allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden - Frage abhängt, ob die Unterlagen beziehungsweise die Unterlagenbestandteile, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 4 m.w.N.).
Hinsichtlich des geltend gemachten Benutzungsanspruchs aus § 5 Abs. 8 i.V.m. Abs. 1 BArchG können die Verweigerungsgründe nur in Kenntnis des Akteninhalts festgestellt werden. Dies gilt ohne Weiteres für den von der Beklagten angeführten absoluten Versagungsgrund einer Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland durch eine Benutzung des Archivguts (§ 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG), die Gefährdung schutzwürdiger Belange Dritter (§ 5 Abs. 6 Nr. 2 BArchG) sowie für die geltend gemachte Schutzfrist für Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht (§ 5 Abs. 2 BArchG). Diese Aspekte lassen sich nur anhand des konkreten Inhalts der Akten verifizieren (vgl. zu § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 BArchG; BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 5).
Für die außerdem bei einigen Schwärzungen verstorbener nachrichtendienstlicher Verbindungen geltend gemachte 30-jährige VSA-Sperrfrist gilt im Ergebnis dasselbe. Die Beklagten begründet ihre Schwärzungen in der Unterlage mit der Signatur ... teilweise damit, dass bei nach ihrer Auffassung zu gewährendem unbefristeten Quellenschutz eine Wiedervorlage-Sperrfrist nach der gültigen Verschlusssachen-Anweisung von 30 Jahren auf bereits abgelaufene personenbezogene Schutzfristen zu verfügen sei. Eine Kenntnis der Akten ist insoweit schon deshalb erforderlich, weil nur so festgestellt werden kann, ob es sich um als Verschlusssachen eingestufte Unterlagen handelt. Ohne Kenntnis des Akteninhalts vermag der Senat außerdem nicht zu kontrollieren, ob die Einstufung als Verschlusssachen (noch) gerechtfertigt ist. Auch der fachrechtlich vorgesehene Schutz von Amtsgeheimnissen gegenüber Informations- oder Auskunftsansprüchen erfordert nicht lediglich eine formale Einstufung als Verschlusssache, sondern materielle Gründe, die eine solche Einstufung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 5 m.w.N.).
Keine andere Würdigung der Erforderlichkeit einer Einsicht in die Unterlagen folgt aus dem von der Klägerin geltend gemachten verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse. Insoweit hat sich die Beklagte auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht betroffener lebender Personen, das postmortale Persönlichkeitsrecht verstorbener Personen und den Quellenschutz als Staatswohlbelang berufen.
Eine Einsichtnahme in die Unterlagen ist nicht entbehrlich, soweit die Schutzwürdigkeit einiger in der Unterlage mit der Signatur ... enthaltenen Schwärzungen, die nachrichtendienstliche Verbindungen betreffen, mit der Gewährung eines unbefristeten Quellenschutzes begründet worden sind. Die bloße Geltendmachung des Quellenschutzes reicht nach Auffassung des Senats als Versagungsgrund jedenfalls dann nicht aus, wenn es sich bei den Verbindungen um Informanten handelt, die bei lange zurückliegenden, abgeschlossenen Vorgängen eingesetzt worden sind, sodass eine aktuelle Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung der Beklagten nicht gleichsam von selbst auf der Hand liegt.
Zwar ist davon auszugehen, dass Behörden wie der Bundesnachrichtendienst bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen sind und sie zum Schutz des Informanten grundsätzlich dessen Identität geheim halten dürfen. Entsprechendes gilt für Informationen, die ihnen von anderen Stellen vertraulich übermittelt wurden. Dem Wohl des Bundes würden Nachteile bereitet, wenn diese Daten unter Missachtung einer zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit an Dritte bekanntgegeben würden (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2013 - 20 F 9.12 - juris Rn. 15 m.w.N.). Die Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes dient grundsätzlich gewichtigen öffentlichen Belangen, die ein Geheimhaltungsbedürfnis von Informanten - auch über deren Tod hinaus - rechtfertigen können. Ob indes die Erfüllung dieser öffentlichen Aufgaben durch die Preisgabe der Identität des Dritten ernstlich gefährdet oder erheblich erschwert würde, lässt sich bei lange zurückliegenden Vorgängen - hier mehrere Jahrzehnte - nicht losgelöst von den Umständen des Einzelfalles beantworten. Vielmehr bedarf es hierzu der Feststellung, dass auch in Ansehung der verstrichenen Zeit nach Abschluss des operativen Vorgangs eine Nennung des Informanten die öffentliche Aufgabe noch ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde.
Ebenso wenig steht hinsichtlich der verstorbenen Personen, die als nachrichtendienstliche Verbindungen tätig waren, das postmortale Persönlichkeitsrecht der Erforderlichkeit der Kenntnis von den vollständigen, ungeschwärzten Unterlagen entgegen. Der postmortale Persönlichkeitsschutz erfasst zum einen postmortal den allgemeinen Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht und den Verstorbenen insbesondere davor bewahrt, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. April 2001 - 1 BvR 932/94 - NJW 2001, 2957). Zum anderen erstreckt sich der postmortale Persönlichkeitsschutz auf den sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, und schützt vor einer "Verfälschung" des Lebensbildes (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 - BVerfGE 30, 173 <196>). Beide Ausprägungen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes werden nicht durch die Offenlegung wahrer Tatsachen berührt, da hiermit weder eine herabwürdigende oder erniedrigende oder vergleichbare Behandlung noch eine Verfälschung des Lebensbildes verbunden ist.
Schließlich ist auch für die begehrte Offenlegung derjenigen Schwärzungen, die hauptamtliche Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes betreffen, die Kenntnis der Unterlagen von entscheidungserheblicher Bedeutung für die Prüfung, ob sich aus ihrer Offenlegung vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (vgl. zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO; BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2010 - 20 F 3.09 - juris Rn. 6, vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 19 und vom 10. Januar 2012 - 20 F 1.11 - AfP 2012, 298 Rn. 28). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind unter anderem namentliche Hinweise auf Bearbeiter (BVerwG, Beschluss vom 23. März 2009 - 20 F 11.08 - juris Rn. 9). Diese Prüfung ist anhand der angeforderten Unterlagen vorzunehmen. Denn der Schutz nachrichtendienstlicher Belange besteht nicht um ihrer selbst willen, sondern wird nur mit Blick auf die künftige Arbeit der Sicherheitsbehörden gewährt. Bei seit langem abgeschlossenen Vorgängen muss daher erkennbar sein, dass ihre vollständige Offenlegung auch heute noch Rückschlüsse auf die gegenwärtige Arbeitsweise oder die gegenwärtige Aufklärungsarbeit des Bundesnachrichtendienstes zulässt (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 20 F 1.11 - AfP 2012, 298 Rn. 29 f.).