Entscheidungsdatum: 18.06.2014
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Oktober 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf einer zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit einem Vergehen nach § 174c StGB aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
1. Das Landgericht ist im Wesentlichen zu folgenden Feststellungen und Wertungen gekommen:
a) Die aus Kambodscha stammende und der deutschen Sprache kaum mächtige Nebenklägerin begab sich im August 2009 wegen eines unerfüllten Kinderwunsches in die gynäkologische Behandlung des Angeklagten. Zu den Untersuchungen wurde sie von ihrem damaligen Ehemann begleitet, der dabei Übersetzungsdienste leistete. Bei einem Termin vom 9. September 2009 stellte der Angeklagte den Behandlungsstuhl so ein, dass die Nebenklägerin „ihren Unterleib nicht im Blick hatte" (UA S. 5). Sie war darüber irritiert und argwöhnte, dass der Angeklagte während der Untersuchung seinen Penis in ihre Scheide eingeführt habe. Die Eheleute wollten die nächste Behandlung abwarten und dann entscheiden, was zu tun sei.
Zum nächsten Termin am 23. September 2009 erschienen beide Eheleute. Als die Nebenklägerin in das Sprechzimmer gebeten wurde, befand sich ihr Ehemann auf der Toilette. Deswegen meinte der Angeklagte, dass die Nebenklägerin allein gekommen sei. Nachdem die Nebenklägerin auf dem Untersuchungsstuhl in dem an das Sprechzimmer angrenzenden Untersuchungszimmer Platz genommen hatte, verschloss er von ihr unbemerkt die Verbindungstür zwischen Untersuchungs- und Sprechzimmer. Dies widersprach der ständigen Übung in der Arztpraxis, nach der die Verbindungstür nur zugezogen, niemals aber verschlossen wurde. Dass der Ehemann der Nebenklägerin nach Rückkehr von der Toilette von einer Arzthelferin ins Sprechzimmer gebeten wurde, bemerkte der Angeklagte nicht.
Der Angeklagte brachte den Untersuchungsstuhl in eine Position wie bei der vorherigen Behandlung. Während der Untersuchung fasste die Nebenklägerin den dringenden Verdacht, dass der Angeklagte mit seinem Glied in sie eingedrungen sei. Sie sagte: „Nein! Nein!" und versuchte sich aufzurichten. Der Angeklagte drückte ihre Schulter auf die Rückenlehne des Untersuchungsstuhls zurück. Dadurch verdichtete sich ihr Verdacht. Sie sagte lauter „Nein! Nein!", richtete sich auf und rief nach ihrem Ehemann. Dieser eilte zur Verbindungstür, um ihr zu Hilfe zu kommen, konnte die Tür aber nicht öffnen. Die Nebenklägerin lief zur Tür und schloss sie mit dem innen steckenden Schlüssel auf, woraufhin ihr Ehemann ins Untersuchungszimmer trat. Der Angeklagte saß zu diesem Zeitpunkt auf einem Hocker vor dem Untersuchungsstuhl und hielt beide Hände so in seinem Schritt, dass der Reißverschluss seiner Hose verdeckt war.
Die Nebenklägerin warf dem Angeklagten vor, „mit ihr Sex gemacht zu haben", was dieser zurückwies. Beide Eheleute bedrängten ihn nachhaltig, die Tat zuzugeben. Der Ehemann der Nebenklägerin drohte mit der Polizei, wenn der Angeklagte nicht gestehe. Daraufhin bestätigte der Angeklagte die Richtigkeit des Vorwurfs und „erklärte dem Ehepaar, er sei der schönen Haut der Zeugin wegen erregt gewesen und müsse sich entschuldigen" (UA S. 6). Die Nebenklägerin verlangte die Herausgabe des vom Angeklagten benutzten Kondoms. Dieser erwiderte, er habe nur Fingerlinge verwendet. Die Nebenklägerin lief zum Abfalleimer und entnahm zwei obenauf liegende Medizinalkondome, von denen eines aus der sie betreffenden Untersuchung herrührte. Der Angeklagte bot den Eheleuten an, die weiteren Behandlungen kostenlos durchzuführen.
Noch aus der Arztpraxis heraus verständigte der Ehemann der Nebenklägerin die Polizei. Die Eheleute verließen die Praxis und warteten auf der Straße auf die Polizei. Nach deren Eintreffen erfolgte die erste Vernehmung der Nebenklägerin, bei der ihr Ehemann übersetzte. Nachdem der Angeklagte durch eine Arzthelferin von der Verständigung der Polizei unterrichtet worden war, verließ er fassungslos die Praxis, ohne sich umzuziehen.
b) Das Landgericht hat sich nicht von der Richtigkeit der von der Nebenklägerin erhobenen Vorwürfe zu überzeugen vermocht. Eine bewusste Falschbezichtigung des Angeklagten hat es dabei ausgeschlossen. Jedoch weise die Aussageentwicklung Inkonstanzen auf, die unter anderem die Frage beträfen, ob die Nebenklägerin das Glied des Angeklagten und die Penetration gesehen habe. Dieser Widersprüche wegen vermittle sich kein zuverlässiges Bild, aufgrund welcher Empfindung die Nebenklägerin zu ihrer Annahme gelangt sei. Auch unter Berücksichtigung des „Geständnisses“ des Angeklagten gegenüber den Eheleuten, das nicht einmal indizielle Wirkung entfalte, sowie des Abschließens der Verbindungstür sei keine hinreichende Grundlage für die Feststellung sexueller Handlungen gegeben.
2. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Revisionsgericht hat es zwar regelmäßig hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Das Revisionsgericht kann und muss allerdings eingreifen, wenn dem Tatgericht - wie hier - Rechtsfehler unterlaufen sind.
a) Das Landgericht hat eine Reihe von Belastungsindizien festgestellt:
Das als zutreffend empfundene Vorbringen des Tatvorwurfs durch die Nebenklägerin „in flagranti" im Untersuchungszimmer, das dabei - vom Angeklagten abgestritten - ohne erkennbaren objektiven Anlass unüblicherweise abgeschlossen war; die anschließende Abgabe eines - vom Angeklagten abgestrittenen - Tatgeständnisses gegenüber der Nebenklägerin und ihrem Ehemann; schließlich das - ebenfalls abgestrittene - alsbaldige kopflose Verlassen der Praxisräume. Im Anschluss daran fehlt dem Urteil eine vollständige Auseinandersetzung mit der gesamten Beweislage im Sinne der von der Rechtsprechung verlangten Gesamtwürdigung (vgl. nur BGH, Urteil vom 17. September 1986 - 2 StR 353/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1). Indes kann das Urteil jedenfalls allein wegen der unzureichenden Bewertung des „Geständnisses" keinen Bestand haben.
b) Diesem gegenüber der Nebenklägerin und ihrem Ehemann abgegebenen „Geständnis" und dem zu den Behandlungskosten unterbreiteten Angebot des Angeklagten spricht das angefochtene Urteil jegliche Beweisbedeutung ab; es erscheine nachvollziehbar, dass dieser die Vorwürfe nur eingeräumt habe, um „die auch bei einer Unrichtigkeit der Tatvorwürfe doch sehr unangenehme Einschaltung der Polizei zu verhindern, das Ehepaar zu beruhigen und zunächst einmal immerhin Zeit zu gewinnen" (UA S. 28). Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht hat damit nicht naheliegende Möglichkeiten zugrunde gelegt, ohne für sein Ergebnis tragfähige Gründe anzuführen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - 5 StR 253/07 mwN, insoweit in NStZ 2008, 575 nicht abgedruckt). Der Angeklagte hatte sich auf die ihm vom Landgericht unterstellten Zielsetzungen nicht berufen, vielmehr sowohl ein „Geständnis" als auch ein Kostenübernahmeangebot gänzlich in Abrede gestellt. Die Annahmen der Strafkammer sind dabei mit den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht ohne Weiteres vereinbar. Danach liegt es schon nicht nahe, dass ein Arzt eine bei der Berufsausübung begangene schwere Sexualstraftat in der Hoffnung auf Vermeidung einer Strafanzeige sowie zum Zweck des Zeitgewinns wahrheitswidrig auf sich nimmt und damit gravierende straf- und berufsrechtliche Sanktionen riskiert. Hinzu kommt, dass sich der Angeklagte nach den Feststellungen nicht auf ein „reines Geständnis" beschränkt hat. Vielmehr hat er - was in den Urteilsgründen überhaupt nicht erörtert wird - sein Verhalten damit erklärt und entschuldigt, dass er wegen der schönen Haut der Nebenklägerin erregt gewesen sei. Die von der Strafkammer vermuteten Motive des Angeklagten bieten für ein solchermaßen „qualifiziertes" Geständnis keine Erklärung. Fehlen aber nach den bisherigen Feststellungen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Sachverhaltsvariante oder widerstreiten die konkreten Gegebenheiten dieser danach sogar, so dürfen weder im Blick auf den Zweifelssatz noch aus sonstigen Gründen diesbezügliche Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten vorgenommen werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 2. September 2009 - 2 StR 229/09, NStZ 2010, 102, 103; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402; siehe auch BVerfG - Kammer, NStZ-RR 2007, 381, 382).
3. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für den Fall eines Schuldnachweises ist zu bemerken:
Die Anklageschrift bewertet die Vorwürfe als Vergewaltigung in der Variante der Ausnutzung einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Der Tatbestand setzt allerdings voraus, dass das Opfer gerade aus Furcht vor gewaltsamen Nötigungshandlungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet; nur „gelegentlich" einer objektiv schutzlosen Lage vollführte sexuelle Handlungen genügen nicht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. April 2006 - 2 StR 445/05, NStZ-RR 2006, 241, 242). Für die Annahme des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB reicht das Absperren einer Tür dann nicht hin, wenn es der Vorsorge vor Störungen, nicht aber der Ermöglichung der sexuellen Handlung dienen soll (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43 mwN). Demgemäß würde es für den Vorwurf der Vergewaltigung darauf ankommen, ob das festgestellte Herunterdrücken der Nebenklägerin durch den Angeklagten die Fortsetzung des Geschlechtsverkehrs ermöglichen sollte.
Basdorf Sander Schneider
König Bellay