Entscheidungsdatum: 22.03.2017
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Juli 2016 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
Der Erörterung bedarf in Ergänzung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts lediglich die Frage, ob das Landgericht im Fall II.2 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord verneint hat.
I.
1. Nach den hierzu vom Landgericht getroffenen Feststellungen wartete der Angeklagte am späten Abend des 24. Oktober 2015 am Wohnhaus seiner von ihm getrennt lebenden und die Scheidung betreibenden Ehefrau, der Nebenklägerin, auf deren Rückkehr von einem Verwandtenbesuch. Er hatte spätestens zu diesem Zeitpunkt beschlossen, sie unter anderem deshalb zu töten, weil sie entgegen ihrer vorgeblichen, von ihm mehrere Wochen zuvor gewaltsam abgenötigten Ankündigung nicht zu ihm zurückkehren wollte. Um nicht bemerkt zu werden, schlich er auf das Grundstück und versteckte sich dort. Als die Nebenklägerin mit dem gemeinsamen achtjährigen Sohn und ihrer Mutter zum Wohnhaus zurückkam und vor der Haustür in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel suchte, trat der Angeklagte unvermittelt auf die Nebenklägerin zu. Während er ihr mit einer Hand den Mund zuhielt, versetzte er ihr mit der anderen Hand in Tötungsabsicht mit einem Messer drei kräftige tiefe Stiche in den Nacken- und hinteren Halsbereich. Einer der Stiche reichte bis zum Zungengrund und führte dazu, dass die Nebenklägerin unmittelbar nach der Tat aus dem Mund blutete. Ein weiterer Stich führte zu einem Bruch des Wirbelbogens eines Brustwirbelkörpers mit einer akut lebensgefährlichen Eröffnung des Rückenmarkkanals.
Die Nebenklägerin, die dem überraschenden Angriff keine Gegenwehr entgegensetzen konnte, sank zu Boden und blieb dort liegen. Daraufhin beugte sich der Angeklagte über sie und schlug ihr mehrfach wuchtig mit der Faust in das Gesicht. „Von der weiteren Ausführung seiner Tat“ hielten ihn weder die Schreie des gemeinsamen Sohnes, der ihn auch wegzustoßen versuchte, noch diejenigen der Mutter der Nebenklägerin ab (UA S. 8). Er ließ erst nach weiteren Schlägen von ihr ab und entfernte sich vom Tatort, wobei er annahm, der Nebenklägerin tödliche Verletzungen zugefügt zu haben.
2. Das Landgericht hat einen Rücktritt vom versuchten Mord verneint: Als der Angeklagte nach den Schlägen von der Nebenklägerin abgelassen habe, sei der Versuch des Tötungsdelikts bereits beendet gewesen. Er habe geglaubt, alles zur Vollendung der Tat getan zu haben. Dies sei ihm schon zu dem Zeitpunkt klar gewesen, als die Nebenklägerin nach den drei Stichen in äußerst sensible Bereiche des Körpers hilflos zusammengebrochen sei (UA S. 33); ihm sei bewusst gewesen, dass alle drei Stiche potentiell lebensbedrohlich gewesen seien. Dafür sprächen auch Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung, wonach er die Stiche bewusst auf bestimmte Körperstellen gesetzt habe. Die Nebenklägerin habe dem Angeklagten keinerlei Gegenwehr entgegensetzt und sich auch, nachdem sie infolge der drei Stiche zu Boden gesunken sei, gegen die nun folgenden Faustschläge weder geschützt noch gewehrt. „Überschießend“ habe er ihr wahllos weitere kräftige Faustschläge auf den Kopf versetzt und sie auch hier der Gefahr erheblicher Verletzungen ausgesetzt. Danach habe der Angeklagte, als er von ihr abgelassen habe und unmittelbar nach den Schlägen geflüchtet sei, nach seiner Vorstellung bereits alles zur Vollendung Erforderliche getan (UA S. 43). Gegen diese Annahme spreche auch nicht, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht ausschließbar noch kein Blut gesehen habe. Angesichts dessen, dass die zu Boden gesunkene Nebenklägerin zu keiner Gegenwehr mehr fähig gewesen sei, sei dem Angeklagten ihre lebensgefährliche Verletzung auch ohne erkennbar blutende Wunden bewusst gewesen (UA S. 34).
II.
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht einen gemäß § 24 Abs. 1 StGB strafbefreienden Rücktritt vom Mordversuch abgelehnt, weil dieser bereits beendet war und der Angeklagte keine Bemühungen entfaltete, einen Todeseintritt der Nebenklägerin zu verhindern.
1. Es hat zunächst im Ausgangspunkt zutreffend den nach ständiger Rechtsprechung geltenden Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; Urteile vom 3. Dezember 1982 - 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f., und vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Entscheidend ist, ob der Täter zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält. Wenn bei einem Tötungsdelikt der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt demgemäß ein beendeter Tötungsversuch vor; in diesem Fall muss der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen.
2. Nach diesem Maßstab versteht sich allerdings der vom Landgericht für seine Rücktrittsprüfung gewählte zeitliche Anknüpfungspunkt nicht von selbst. Denn soweit es auf den letzten Faustschlag des Angeklagten gegen den Kopf der Nebenklägerin als für den Rücktrittshorizont letzte Ausführungshandlung abgestellt hat, fehlt es an einer eindeutigen Beweisgrundlage dafür, dass die Faustschläge (noch) mit Tötungsvorsatz geführt worden sind. In ihrer Beweiswürdigung hat die Schwurgerichtskammer es vielmehr unter Hinweis auf Ergebnisse der Telefonüberwachung, wonach sich das Tatmesser verbogen haben könnte, ausdrücklich nur als „andere Möglichkeit“ betrachtet, dass der Angeklagte „gegebenenfalls auch keinen Sinn mehr darin (sah), mit dem Messer weiter zuzustechen und daher auf Schläge aus(wich)“ (UA S. 34). Naheliegend ist danach, dass die vom Landgericht als „überschießend“ eingestuften Faustschläge das durch die Messerstiche bereits potenziell tödlich getroffene Opfer zusätzlich demütigen und als Ausdruck von Geringschätzung „lediglich“ weiter verletzen sollten, so dass bei einem solchen Geschehensverlauf zunächst der letzte Messerstich die maßgebliche letzte auf einen Tötungserfolg abzielende Tathandlung wäre.
Für ihre Feststellung des Vorstellungsbildes des Angeklagten nach Beendigung seiner verschiedenen Gewalthandlungen hat sich die Schwurgerichtskammer allerdings sowohl in der Beweiswürdigung als auch in der rechtlichen Bewertung entscheidend auf die von ihm erkannte Wirkung der Messerstiche gestützt. Seine schon nach diesen mit Tötungsabsicht gesetzten Stichen entstandene Vorstellung über den zu erwartenden Tötungserfolg hatte sich während seiner weiteren Faustschläge bis zur unmittelbar anschließenden Flucht des Angeklagten vom Tatort nicht mehr verändert. Da es sich bei der Tat nur um ein kurzes, ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes dynamisches Geschehen handelte, hat das Landgericht letztlich mit dem von ihm gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt für seine Rücktrittsprüfung auf das Ende eines potenziellen „Korrekturzeitraums“ abgestellt, in dem eine für die Beurteilung des Rücktrittshorizonts beachtliche Veränderung des Vorstellungsbildes des Täters nach der letzten Tötungshandlung noch möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14 mwN; vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689, und vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschluss vom 23. November 2016 - 4 StR 471/16). Weil eine solche Veränderung hier nicht eingetreten ist, erweist sich die Wertung des Landgerichts, dass der Mordversuch an der Nebenklägerin beendet war, als der Angeklagte von ihr abließ, somit letztlich als zutreffend.
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