Entscheidungsdatum: 01.12.2011
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord verneint hat.
I. Nach den Urteilsfeststellungen bat der Nebenkläger K. den Angeklagten in seine Wohnung, um durch ein Gespräch eine streitige Angelegenheit zu klären. In der Wohnung begannen der Angeklagte und der Nebenkläger alsbald erneut zu streiten. Daraufhin entschloss sich der Angeklagte spätestens jetzt, K. zu töten. Er zog ein versteckt gehaltenes Messer mit einer Klingenlänge von etwa 8 - 10 cm aus seiner Jackentasche und stieß es kraftvoll und gezielt in den Herzbereich des Geschädigten, wobei er bewusst dessen von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzte. Die Messerklinge drang bis zum Heft in den Körper ein, eröffnete den Brustkorb und verletzte den Herzmuskel. Nachdem der Angeklagte das Messer wieder aus dem Brustkorb herausgezogen hatte und der Nebenkläger aufgestanden war, stach der Angeklagte ein zweites Mal mit dem Messer in Tötungsabsicht gezielt in Richtung des Herzens, traf aber nur das Brustbein.
Der Angeklagte, der davon ausging, alles zur Tötung des Nebenklägers Erforderliche getan zu haben, ging nun mit dem Messer in der Hand auf den Geschädigten Ki. zu, der sich ebenfalls in der Wohnung aufhielt. K. hängte sich daraufhin von hinten an den Rücken des Angeklagten, der mit dem vor ihm stehenden Ki. rangelte. Während der Rangelei stach der Angeklagte mit dem Messer in den Bauch des Geschädigten Ki. und verursachte eine Verletzung, die er nicht als lebensgefährlich ansah. In der Folgezeit gelang es K. und Ki. , einen Arm des Angeklagten so umzudrehen, dass dieser auf dem Boden fixiert war. Nachdem K. in das Wohnzimmer gegangen war, um telefonisch Hilfe zu holen, brach er verletzungsbedingt zusammen und begann so laut zu stöhnen, dass es der Angeklagte und Ki. deutlich hören konnten. Ki. ließ den Angeklagten los, sah nach K. , der stark blutete und nicht mehr ansprechbar war, und verließ die Wohnung, um Hilfe zu holen. Der Angeklagte, der die inzwischen eingetretene Handlungsunfähigkeit des K. bemerkte und deshalb "erst Recht" davon ausging, dass dieser versterben werde, steckte das auf den Boden gefallene Messer ein und floh.
II. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord zum Nachteil des Geschädigten K. verneint und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
Es habe sich um einen beendeten Mordversuch gehandelt. Der Angeklagte müsse bemerkt haben, dass er das Messer mit erheblicher Kraft bis zum Heft in die Herzgegend des Zeugen K. gerammt habe. Bei einer derart gefährlichen Gewalthandlung liege es auf der Hand, dass er davon ausgegangen sei, sein Opfer lebensgefährlich verletzt zu haben. In der Folgezeit habe der Angeklagte seine Vorstellung über die Lebensgefährlichkeit der Verletzung nicht korrigiert und keine Rettungsbemühungen entfaltet. Jedenfalls müsse der Angeklagte - wie auch Ki. - die röchelnden Geräusche aus dem Wohnzimmer sowie den Umstand wahrgenommen haben, dass K. zusammengebrochen und nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Notruf abzusetzen. Daraus müsse er auf die vollständige Handlungsunfähigkeit infolge der ihm beigebrachten schweren Stichverletzung und damit deren Lebensgefährlichkeit geschlossen haben. Im Übrigen sei der Versuch auch fehlgeschlagen; denn als sich K. an seinen Rücken gehängt hatte und er gleichzeitig mit dem vor ihm stehenden Ki. gekämpft habe, sei dem Angeklagten klar gewesen, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seinen ursprünglichen Tötungsvorsatz gegen K. gar nicht mehr hätte umsetzen können.
III. Die Überprüfung des Urteils hat im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Überzeugung des Landgerichts, der Angeklagte sei im gesamten Zeitraum vom ersten Stich gegen K. bis zum Verlassen der Wohnung davon ausgegangen, dass dieser aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen versterben könne, auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht. Ebenso kann offenbleiben, ob die Auffassung des Landgerichts, es liege jedenfalls ein fehlgeschlagener Versuch vor, rechtlicher Überprüfung standhalten könnte. Denn das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangt, dass der Angeklagte spätestens ab dem Moment, als K. röchelnd und handlungsunfähig im Wohnzimmer auf dem Boden lag, sich vorstellte, dieser könne infolge der ihm beigebrachten Stiche versterben. Damit lag zumindest in diesem Zeitpunkt ein beendeter Versuch vor, von dem der Angeklagte nur unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. oder Satz 2 StGB hätte zurücktreten können. Diese hat er jedoch nicht erfüllt. Im Einzelnen:
1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont (BGH, Urteil vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem er für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Beschluss vom 21. März 2001 - 3 StR 535/00) oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 - 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25). Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dieser ändert (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146).
2. Nach diesen Maßstäben war der Mordversuch an K. beendet, als der Angeklagte in der Vorstellung die Wohnung verließ, sein Opfer könne aufgrund der Stiche versterben.
a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt sind rechtsfehlerfrei getroffen. Wie der Generalbundesanwalt im Ausgangspunkt zutreffend darlegt, sind die diesbezüglichen Äußerungen des Landgerichts allerdings insoweit bedenklich, als sie darauf abstellen, der Angeklagte "müsse" wahrgenommen haben, dass K. im Wohnzimmer röchelnd zusammengebrochen sei; denn entscheidend ist nicht, was er wahrnehmen oder womit er rechnen musste, sondern das, was er tatsächlich wahrnahm und welche Folgerungen er daraus zog. Danach sind Erwägungen, wie sie das Landgericht angestellt hat, zumindest missverständlich und können im Einzelfall sogar einen durchgreifenden Rechtsfehler in der Beweiswürdigung begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 3 StR 179/07, NStZ 2007, 634 f.).
So liegt es hier indessen nicht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hat sich das Landgericht nicht nur davon überzeugt, dass es sich nach der konkreten Situation aufdrängte, der Angeklagte habe das Zusammenbrechen und Röcheln K. s wahrgenommen, sondern auch, dass er diese Wahrnehmung tatsächlich machte und daraus den Schluss auf das mögliche Versterben K. s wirklich zog. Denn das Landgericht zieht in seine Überlegungen nicht nur die objektiven Umstände und Abläufe ein, sondern stützt sich gerade auch darauf, dass Ki. die Entwicklung des Zustands von K. schon bemerkte, als er noch im Wohnungsflur den Angeklagten am Boden fixierte und sich gerade deswegen in das Wohnzimmer begab, um nach dem Tatopfer zu sehen. Daraus wird noch hinreichend deutlich, dass das Landgericht aus der Wahrnehmung Ki. s geschlossen hat, auch dem in dessen unmittelbarer Nähe befindlichen Angeklagten sei das Zusammenbrechen und Röcheln K. s nicht verborgen geblieben. Soweit es daraus weitergehend gefolgert hat, der Angeklagte habe jedenfalls jetzt erkannt, dass seine Stiche zum Tod K. s führen können, ist dagegen rechtlich ebenfalls nichts zu erinnern.
b) Sollte der Angeklagte aufgrund des Verhaltens des K. , insbesondere dessen Beteiligung an der Rangelei, zwischendurch zu der Vorstellung gekommen sein, es bestehe für diesen doch keine Lebensgefahr, so lag in dem rechtsfehlerfrei festgestellten erneuten Wechsel im Vorstellungsbild des Angeklagten eine nochmalige Korrektur des Rücktrittshorizonts, die zum Vorliegen eines beendeten Versuchs führt. Der erforderliche enge zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen den zwei Messerstichen und dem Wechsel des Vorstellungsbildes (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) lag noch vor. Nach den Feststellungen vergingen vom Zeitpunkt der Stiche bis zum Zusammenbruch des Tatopfers im Wohnzimmer nur wenige Sekunden, maximal eine Minute. Es handelte sich um ein ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes dynamisches Geschehen. Ein fehlender enger zeitlicher Zusammenhang mit einer Tötungshandlung ist von der Rechtsprechung demgegenüber erst bei einer deutlich länger andauernden Zäsur von 15 (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) bzw. zehn Minuten (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 - 2 StR 157/88, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15) angenommen worden.
Da der Tod K. s ohne das Zutun des Angeklagten ausblieb und der Angeklagte auch keine Bemühungen entfaltete, den Todeseintritt zu verhindern, erweist sich der Schuldspruch wegen versuchten Mordes somit letztlich als rechtfehlerfrei.
Becker von Lienen Schäfer
Mayer Menges