Entscheidungsdatum: 26.01.2011
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 22. September 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten zunächst mit Urteil vom 3. Dezember 2009 wegen eines am 19. Dezember 2001 begangenen Totschlags – in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge – unter Einbeziehung einer Verurteilung des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 20. Mai 2009 zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Senat hat mit Beschluss vom 18. Mai 2010 (5 StR 143/10, StraFo 2010, 296) den Schuldspruch auf Beihilfe umgestellt und den Strafausspruch hinsichtlich der Höhe der Jugendstrafe – unter Aufrechterhaltung sämtlicher Feststellungen – aufgehoben.
Nunmehr hat das Landgericht – wiederum unter Einbeziehung der genannten Verurteilung – auf eine Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren erkannt. Die Bemessung dieser Strafe enthält durchgreifende Rechtsfehler. Dies begründet die Revision.
1. Das Landgericht war zwar durch den zurückverweisenden Senatsbeschluss hier nicht gehindert, das Vorliegen von schädlichen Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG auf neue Feststellungen zu polnischen Vorverurteilungen zu stützen, wozu es im vorangegangenen Urteil an Feststellungen gefehlt hatte. Das Landgericht durfte daher – wie geschehen – auf vier vor der verfahrensgegenständlichen Tat vom 19. Dezember 2001 in Polen begangene Diebstahlstaten abstellen. Indes enthält die Begründung des Landgerichts, warum schädliche Neigungen noch zum Urteilszeitpunkt bestanden haben und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (BGH, Beschluss vom 10. März 1992 – 1 StR 105/92, BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 mwN), den Angeklagten belastende Wertungsfehler.
aa) Das Landgericht entnimmt dem Verhalten des Angeklagten in der seit dem 12. Mai 2009 andauernden Untersuchungshaft keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung seiner bisherigen Lebensauffassung und den Abbau seiner in der Tat vom 19. Dezember 2001 deutlich gewordenen Gewaltbereitschaft (UA S. 11). Diese Wertung wird jedoch durch den im Urteil UA S. 9 referierten Bericht der JVA Wulkow nicht im Mindesten belegt. Die weitere Würdigung des Verhaltens des Angeklagten (UA S. 6), er trete unauffällig in Erscheinung, verhalte sich angemessen, verfolge die ihm erteilten Weisungen diskussionslos und wirke bei auftretenden Problemen mitunter verbal aggressiv und bedrohlich, bildet ebenfalls keine Grundlage für die Annahme einer seit 2001 fortdauernden Gewaltbereitschaft.
bb) Soweit das Landgericht zur weiteren Begründung darauf abstellt, der Angeklagte habe in der erneuten Hauptverhandlung nicht zu erkennen gegeben, dass er Reue oder Bedauern in Bezug auf die rechtskräftig festgestellte Tat empfinde (UA S. 11), besorgt der Senat, dass die Jugendkammer eine in fortdauernder Untersuchungshaft bei dem im gesamten Verfahren zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten gar nicht zu erwartende Aufarbeitung der Straftat dem Angeklagten benachteiligend angelastet hat.
cc) Der Senat kann eine weitere Gewaltbereitschaft des Angeklagten auch nicht aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Das Landgericht hat eine Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht S. vom 16. März 2009 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen einer auf dem Bahnhof von Kostrzyn am 29. März 2008 begangenen Schlägerei und Körperverletzung in diesem Zusammenhang nicht bewertet. Indes ist mangels jeder näheren Darlegung der Tatumstände die Annahme, aus diesen spreche eine auf der Hand liegende und seit 2001 fortdauernde Gewaltbereitschaft, nicht möglich.
2. Das Landgericht hat es unterlassen, die infolge des referierten Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 29. Oktober 2009 bewilligte Auslieferung des Angeklagten zur Vollstreckung eines Strafrestes von über acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts S. vom 16. März 2009 in Polen in seine Erwägungen zur Bewertung eines Gesamtstrafübels einzubeziehen.
Hätte es sich hierbei um die Verurteilung eines deutschen Gerichts gehandelt, wäre eine Einbeziehung des Urteils gemäß § 105 Abs. 2, § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG möglich gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 – 5 StR 143/10 mwN). Der Senat hat in seinem Beschluss vom 27. Januar 2010 (5 StR 432/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 19) näher dargelegt, dass eine vollstreckte ausländische Vorverurteilung, die an innerstaatlichen Maßstäben gemessen gesamtstrafenfähig wäre, im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung mit Blick auf das Gesamtstrafübel zu berücksichtigen ist. Dies gilt wegen gleicher Interessenlage auch bei einer – wie hier – sicher zu vollstreckenden Strafe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und für die hier festzusetzende Jugendstrafe wegen einer Tat eines seit vielen Jahren erwachsenen Heranwachsenden. Das Landgericht hat die Jugendstrafe nämlich mangels kaum noch möglicher Erziehung des Angeklagten nicht – wie es § 18 Abs. 2 JGG an sich gebietet – an der Zeitdauer der erforderlichen erzieherischen Einwirkung ausrichten können, sondern auf Schuldgesichtspunkte abgestellt (UA S. 12). Somit ist auch bei der Bemessung einer Jugendstrafe unter diesen Prämissen Raum zur Berücksichtigung eines im allgemeinen strafzumessungsrechtlichen Sinne verstandenen Gesamtstrafübels (vgl. BGH aaO).
3. Die ergänzenden Feststellungen im angefochtenen Urteil hebt der Senat auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neu berufene Tatgericht wird die Strafe aufgrund der im ersten Urteil getroffenen, vom Senat aufrechterhaltenen Feststellungen neu zu bemessen haben. Zulässig sind lediglich solche ergänzenden Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen. Es besteht Anlass zu dem Hinweis, dass auch die Feststellungen zur Person des Angeklagten nicht – wie im angegriffenen Urteil fälschlicherweise geschehen – neu zu treffen sind.
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