Entscheidungsdatum: 18.05.2010
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 3. Dezember 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Beihilfe zum Totschlag in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung mit Todesfolge verurteilt ist, und im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die Sache wird zur Bestimmung einer neuen Jugendstrafe und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Nichtrevidenten D. und Da. wegen Freiheitsberaubung, den Nichtrevidenten V. wegen Beihilfe zur Freiheitsberaubung zu jeweils zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen verurteilt. Den Angeklagten hat es wegen (gemeinschaftlichen) Totschlags in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge unter Einbeziehung einer nach Tatbegehung ergangenen, nicht erledigten Verurteilung des Angeklagten nach Erwachsenenstrafrecht zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) D. und R. betrieben in den Jahren 2000 und 2001 mehrere Bordelle im Umkreis von Neuruppin in Konkurrenz zueinander, aber auch teilweise in finanzieller Teilhaberschaft. Der Umgang mit R. gestaltete sich wegen dessen übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsums zunehmend schwieriger. Der „Sicherheitsbeauftragte“ des R., L., verfolgte eigene geschäftliche Ziele und kam mit D. überein, R. unter Zuhilfenahme der Kontakte des V. in das Bordellmilieu nach Polen verschleppen zu lassen und mittels einer fingierten Vergewaltigung einer Minderjährigen durch eine dieserhalb zu erwartende Haftstrafe für längere Zeit dem heimischen Rotlichtmilieu zu entziehen.
Der Plan zur Entführung des R. wurde am 19. Dezember 2001 verwirklicht. L. teilte D. telefonisch mit, dass er R. „eingepackt“ habe (UA S. 9). D. wies „seine rechte Hand“ Da. an, R. mit dem Pkw aus Planitz abzuholen. Da. fuhr den bereits misshandelten, gefesselten R., dessen Augen und Mund verklebt waren, nach Dabergotz bei Neuruppin, wo ihn D. in seinen Transporter übernahm. V. besorgte D. die Telefonnummer eines Polen namens T., der den Auftrag übernahm, R. nach Polen zu verschleppen. Gegen Mitternacht erschien Da. am vereinbarten Übernahmeort in der Nähe der polnischen Grenze bei Seelow. In einem polnischen Taxi trafen 30 Minuten später T. und der damals 19 Jahre alte Angeklagte ein „und hievten den R. von dem Transporter des D. etwa zwei Meter hinüber in den Kofferraum des Taxis. In Abkehr vom ursprünglichen Tatplan der Verschleppung des R. nach Polen holten der unbekannt gebliebene T. und der Angeklagte noch zur Nachtzeit den R. in der Nähe der Ortschaft Libbenichen aus dem Kofferraum und brachten ihn an einen abgelegenen Wanderweg. Dort schlug einer der beiden dem R. mit einer Glasflasche auf den Kopf, wodurch dieser eine tiefreichende, bis auf den Schädelknochen durchdringende Kopfschwartenplatzwunde erlitt und vermutlich das Bewusstsein verlor. Anschließend ließen sie den sichtbar schwer verletzten und immer noch an Händen und Füßen gefesselten Mann bei winterlichen Temperaturen an Ort und Stelle zurück. Dabei wussten sie, dass das Opfer – wenn es nicht schon an der Kopfverletzung sterben – voraussichtlich erfrieren würde und nahmen dessen Tod billigend in Kauf. Tatsächlich verstarb R. am Ablageort durch Einatmen von Blut infolge seiner massiven Gesichtsverletzungen im Zusammenwirken mit einer Unterkühlung am 20. Dezember 2001“ (UA S. 10 f.).
b) Das Landgericht hat sich von einer Mittäterschaft des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten durch von diesem und in schwacher Ausprägung von dem Opfer stammende DNA auf einem in Tatortnähe gefundenen Zellstofftaschentuch und den Inhalt zweier von V. bekundeter Gespräche mit T. überzeugt. Dessen Mitteilung hat das Landgericht als erlebnisfundiert bewertet. Gegen Weihnachten 2001 habe T. , der eine Hand verbunden gehabt habe, dem V. berichtet, dass er für D. etwas erledigt habe. Nach Kenntnisnahme vom Tod des R. habe T. während des zweiten Treffens dem V. mitgeteilt, dass er mit einem weiteren Polen R. in ein polnisches Taxi übernommen habe. „Nach einer Weile des Herumfahrens auf deutscher Seite hätten sie den R. irgendwo rausgelassen, und der andere ‚T.’ habe dem R. spontan eine Flasche auf den Kopf geschlagen. Dort hätten sie das Opfer dann liegenlassen und seien weggefahren“ (UA S. 17).
Zusätzlich hat sich das Landgericht zur Identifizierung des Angeklagten auf die Täterbeschreibung des D. gestützt, es habe sich um einen jungen Polen Anfang 20 gehandelt, der ebenfalls T. gerufen worden sei. Dem Angeklagten sei trotz einer Einschränkung der Beweglichkeit seines rechten Armes und der Verkürzung der Finger der rechten Hand bis zum jeweiligen Fingermittelgelenk ein von D. in dessen polizeilicher Vernehmung mitgeteilter körperlicher Einsatz, der nur in einer leichten Hilfestellung hätte bestehen müssen, möglich gewesen.
c) Das Landgericht hat „anhand der durch den Angeklagten V. nur vom Hörensagen wiedergegebenen Tatschilderung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen können, welcher der beiden Polen den Schlag mit der Flasche ausgeführt hat, so muss sich der Angeklagte im Falle der Schlagausführung durch den anderen T. dessen Handlung mit Blick auf die sich anschließende gemeinsame Tatvollendung in der Weise des Zurücklassens des geschundenen und gefesselten Opfers unter lebensgefährlichen Bedingungen zurechnen lassen“ (UA S. 24 f.).
2. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit das Landgericht den Angeklagten als Mittäter angesehen hat.
a) Zwar ist die tatrichterliche Bewertung über das Vorliegen von Täterschaft oder Teilnahme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich (BGHSt 48, 52, 56; BGH NJW 2010, 92, 97 m.w.N.). Das Landgericht ist indes nur befugt, Mittäterschaft aufgrund rechtlich zutreffender Anknüpfungstatsachen anzunehmen. Daran fehlt es hier.
Das Landgericht ist von einer sukzessiven Mittäterschaft durch aktives Tun des Angeklagten ausgegangen, weil diesem der – nach dem Grundsatz in dubio pro reo (vgl. BGHR StPO § 261 in dubio pro reo 8; BGH StV 2007, 284, 286; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 StR 459/06 Tz. 5) dem unbekannten T. zugeschriebene – verletzungsintensive Schlag mit der Flasche wegen anschließender gemeinsamer Tatvollendung durch Zurücklassen des Opfers zuzurechnen sei. Hierbei hat das Landgericht indes übersehen, dass der Angeklagte durch das bloße Zurücklassen des dem Tod geweihten Opfers die weitere Tatausführung nicht mehr fördern konnte, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan worden war. Mangels eines Beitrags zu einer aktiven Tatbestandsverwirklichung scheidet hier die Annahme sukzessiver aktiver Mittäterschaft aus (vgl. BGH NStZ 1984, 548, 549 m.w.N.; BGH StV 2007, 284, 285).
b) Die fehlerfrei getroffenen Feststellungen rechtfertigen aber auch im Übrigen nicht die Annahme eines mittäterschaftlichen Totschlags und einer mittäterschaftlichen Freiheitsberaubung. Es fehlt insoweit an der gebotenen umfassenden Würdigung des Beweisergebnisses (vgl. BGH NJW 2010, 92, 97 m.w.N.).
Zwar vermag der Senat dem Zusammenhang der Urteilsgründe noch zu entnehmen, dass der Angeklagte – wie es das Landgericht bei der Verbringung des R. in das Taxi beweiswürdigend überzeugend dargelegt hat – auch aktiv beim Ausladen des Verletzten aus diesem Fahrzeug mitgewirkt hat. Dieses aktive Handeln scheidet indes als Grundlage für die Annahme mittäterschaftlichen Handelns ebenfalls aus. Das Landgericht hat die festgestellten Tatbeiträge des schweigenden Angeklagten weder dahingehend gewürdigt, ob sie in einem Unterordnungsverhältnis zu denen des unbekannt gebliebenen T. stehen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 5 StR 219/08 Tz. 299), noch hat es Erwägungen zum Bestehen und des Umfangs eines Tatinteresses des Angeklagten angestellt (vgl. BGHSt 37, 289, 291; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 StR 459/06 Tz. 6).
c) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen drängten hier zu der Annahme, der Angeklagte habe lediglich als Gehilfe des T. gehandelt.
Ausführender des Entführungsauftrags war nicht der Angeklagte, sondern der unbekannt gebliebene T., der zudem das polnische Tatfahrzeug stellte und allein über Kontakte zu den deutschen Auftraggebern verfügte. Das Landgericht hat diesen selbst als Haupttäter und den Angeklagten als dessen jüngeren Begleiter bezeichnet (UA S. 19). Im Rahmen der Strafzumessung hat es dem Angeklagten zugute gebracht, dass er „nach den möglichen Feststellungen nicht der "treibende Keil" bei der Tatausführung gewesen ist“ (UA S. 28). Bei der gemeinsamen Verbringung des R. in das Tatfahrzeug ist das Landgericht lediglich von einer leichten Hilfestellung des am rechten Arm und an der rechten Hand behinderten Angeklagten ausgegangen.
3. Der Senat schließt im Blick auf die äußerst eingeschränkte Beweislage aus, dass ein neues Tatgericht weitergehende Feststellungen wird treffen können, die eine mittäterschaftliche Begehung des Freiheitsberaubungs- und Tötungsverbrechens oder – bei Annahme von Beihilfe – zusätzlich für einen Verdeckungsmord durch Unterlassen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 13 Rdn. 32) wird tragen können, und entscheidet entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf Beihilfe durch (vgl. BGH StV 2007, 284, 286; 2009, 176, 177; BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 5 StR 219/08 Tz. 9).
4. Die neu berufene Jugendstrafkammer wird danach die für das Verbrechen wegen Schwere der Schuld festzusetzende Jugendstrafe auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen neu zu bestimmen haben. Bei dem zur Tatzeit nicht vorbestraften Angeklagten dürfte die zusätzliche Annahme schädlicher Neigungen aber ausgeschlossen sein (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 5 StR 55/09 Tz. 9 f.).
Die erfolgte Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 20. Mai 2009 wegen vierfachen Diebstahls (Gesamtfreiheitsstrafe elf Monate unter Strafaussetzung zur Bewährung) gemäß § 105 Abs. 2, § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG lässt trotz bisher fehlender ausdrücklicher Begründung keinen Rechtsfehler erkennen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das später unter Anwendung von Jugendstrafrecht ausgeurteilte Tötungsverbrechen im Vergleich zu dem milde sanktionierten Diebstählen hier das Schwergewicht im Sinne das entsprechend anzuwendenden § 32 Satz 1 JGG bildet (vgl. BGHR JGG § 32 Gesamtstrafe 2) und es deshalb bei der gebotenen Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe bleibt (vgl. BGHR JGG § 32 Schwergewicht 3 bis 5). Eine Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf die Tat und eine Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB ist hierdurch ausgeschlossen (vgl. BGHR JGG § 32 Gesamtstrafe 2).
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