Entscheidungsdatum: 20.06.2012
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. Juni 2011 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge (Tat II.2.5 der Urteilsgründe), wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu Gesamtfreiheitsstrafen von zehn Jahren (B. ) bzw. neun Jahren und sechs Monaten (S. ) verurteilt und ihre Unterbringung – unter Teilvorwegvollzug der Strafe – in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihren auf die Schuldsprüche wegen der Tat II.2.5 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafaussprüche beschränkten Revisionen beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das Landgericht einen Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint und sie deshalb nicht wegen gemeinschaftlichen Mordes verurteilt hat. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Die Angeklagten und das spätere Tatopfer Be. tranken am 22. Mai 2010 in der Wohnung des Angeklagten S. erhebliche Mengen Alkohol. Gegen 18.00 Uhr kam es nach dem zunächst geselligen Trinken auf dem Balkon zum Streit. Die angetrunkenen Angeklagten fassten gemeinsam den Entschluss, Be. mit einem dort zufällig "herumliegenden Terpentinersatzmittel in Brand zu setzen, um ihm dadurch Verbrennungen an seinem Körper zuzufügen. Obwohl sie Be. nicht töten wollten und sie seinen Tod auch nicht billigend in Kauf nahmen, war es für sie auch trotz ihrer Alkoholisierung vorhersehbar, dass ein Brand mittels Brandbeschleuniger an einem Menschen außer Kontrolle geraten und zu tödlichen Brandverletzungen führen kann" (UA S. 21). Der Angeklagte B. übergoss den Kopf und Oberkörper des Tatopfers, das auf einem Stuhl saß, mit etwa einem halben Liter des Terpentinersatzmittels, während der Angeklagte S. es am Körper und der Kleidung mit einem Feuerzeug anzündete. Dadurch brannte der Körper von Be. sofort lichterloh. Die Angeklagten waren von der von ihnen unterschätzten Gewalt des Feuers erschrocken und versuchten sogleich Be. , zunächst mit bloßen Händen und anschließend mit einem Tuch und einer Tischdecke, zu löschen. Als diese Löschversuche erfolglos blieben, holte der Angeklagte S. aus dem Bad einen mit zehn Liter Wasser gefüllten Eimer und leerte diesen über Be. aus, wodurch die Flammen erloschen. Er verbrachte das vor Schmerzen wimmernde Tatopfer in die Wohnung und wickelte es in eine in kaltes Wasser getauchte Decke. Be. ging anschließend ins Treppenhaus zu einem Nachbarn, der die Rettungskräfte alarmierte. Aufgrund der etwa eine Minute andauernden Brandeinwirkung erlitt Be. Verbrennungen dritten Grades an mehr als 60 % der Körperoberfläche, an deren Folgen er am 25. Juni 2010 verstarb.
b) Das Landgericht hat einen Tötungsvorsatz der Angeklagten "trotz der vorgenommenen äußerst gefährlichen Gewalthandlung" nicht mit "der erforderlichen Sicherheit" als nachgewiesen angesehen. Das Übergießen eines Menschen mit Brandbeschleuniger und ein anschließendes Anzünden der Person geschehe zwar in aller Regel mit bedingtem Tötungsvorsatz. Es lägen jedoch Besonderheiten vor, die ausnahmsweise am Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zweifeln ließen.
aa) Beweiswürdigend stellt das Schwurgericht insoweit fest, es sei trotz früherer Gewalthandlungen der Angeklagten gegenüber dem Tatopfer sowie aggressiver und zynischer Äußerungen nicht plausibel, dass die Tat – vor allem im Hinblick auf den von Dritten einsehbaren Tatort – von langer Hand geplant gewesen sei. Hinzu komme, dass beide Angeklagte ein Eigeninteresse daran gehabt hätten, dass das Tatopfer am Leben bleibe; denn der sonst wohnungslose Angeklagte B. habe bereits in der Wohnung des Tatopfers gelebt und der Angeklagte S. habe wegen Kündigung seiner Wohnung dort einziehen wollen.
bb) Angesichts des mehraktigen Geschehens sei auch eine in spontaner Wut mit Tötungsvorsatz begangene Kurzschlusshandlung unwahrscheinlich. Es dränge sich auf, dass die Angeklagten mit der Tat andere Ziele verfolgten, als den Tod des Tatopfers herbeizuführen. Es lägen Anhaltspunkte vor, dass die Angeklagten das Tatopfer durch die Tatbegehung quälen wollten und trotz Vornahme der äußerst gefährlichen Gewalthandlung darauf vertrauten, dass es nicht sterben werde. Womöglich hätten sie in ihrem alkoholisierten Zustand die Gefährlichkeit und Unbeherrschbarkeit ihres Vorgehens unterschätzt.
Es sei "ausgesprochen plausibel", dass die Angeklagten das Tatopfer vor der Tat nach einem vorausgegangenen Streit mit seinen Beinen über die Balkonbrüstung gehalten sowie mit einem Feuerzeug dessen Oberschenkel angezündet haben und der Angeklagte S. diesem einen heftigen Faustschlag ins Gesicht versetzt habe. Diese Misshandlungen seien zwar nicht sicher erwiesen, so dass sie nicht zu Lasten der Angeklagten zu berücksichtigen seien; sie seien aber zur Ablehnung des Tötungsvorsatzes herangezogen worden. Die Misshandlungen seien folterähnlich gewesen und hätten darauf abgezielt, das Tatopfer in Todesangst zu versetzen, nicht jedoch es zu töten.
cc) Gegen einen Tötungsvorsatz der Angeklagten spreche schließlich, dass sie sofort, als es richtig brannte, mit allen Mitteln versucht hätten, das Tatopfer wieder zu löschen, und nach der Tat erschüttert gewesen seien.
2. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft und widersprüchlich beanstanden, greifen nicht durch.
a) Die Beweiserwägungen des Schwurgerichts halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt, und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401) – rechtlicher Nachprüfung stand.
Das Landgericht durfte die im Rahmen der Beweiswürdigung herangezogenen zusätzlichen Geschehensabläufe, die es zwar nicht für erwiesen, aber für "ausgesprochen plausibel" gehalten hat, bei der Bewertung des Tatvorsatzes berücksichtigen. Es ist zwar weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten – etwa dessen Einlassung kritiklos folgend – Sachverhalte zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichende Anhaltspunkte vorhanden sind (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324 – und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Die vom Schwurgericht für die Beurteilung der subjektiven Tatseite zugrunde gelegten, über die Feststellungen des Kernsachverhalts hinausgehenden Geschehensabläufe sind jedoch durch eine Zeugenaussage – hinsichtlich des Haltens des Tatopfers über die Balkonbrüstung – und durch Feststellungen eines Sachverständigen zu Brandherden an beiden Oberschenkeln sowie zu einer Nasenbein- und Orbitalfraktur des Tatopfers hinreichend gestützt (UA S. 63 f.). Es besteht daher kein Grund für die Besorgnis, dass das Schwurgericht einem Fehlverständnis des Zweifelsgrundsatzes erlegen ist.
b) Auch die Verneinung des Tötungsvorsatzes der Angeklagten begegnet keinen Bedenken.
aa) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement), ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es – wovon auch das Schwurgericht ausgeht – nahe, dass der Täter mit dem Eintritt des Todes rechnet; indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, nimmt er einen solchen Erfolg billigend in Kauf (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, und vom 20. Juni 2000 – 5 StR 25/00, NStZ-RR 2000, 328; zum Ganzen Schroth, Festschrift Widmaier, 2008, S. 779). Das Wissens- oder das Willenselement des bedingten Vorsatzes können gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn der Täter trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut. Im Rahmen der Würdigung des Willenselements ist dabei neben der konkreten Angriffsweise auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen. Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.) darf das Tatgericht den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann.
bb) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung gerecht.
Das Schwurgericht hat im Rahmen der gebotenen Gesamtschau insbesondere das ambivalente Verhältnis des Tatopfers zu den beiden Angeklagten in den Blick genommen, das bereits vor der Tat von Gewalttätigkeiten und Demütigungen gegenüber dem Tatopfer geprägt war. Das Gericht hat dabei nicht verkannt, dass die konkrete Handlungsweise der Angeklagten objektiv als äußerst gefährlich anzusehen ist. Die Berücksichtigung der Tatmotivation und der erheblichen Alkoholisierung der Angeklagten, aus der das Landgericht jedoch die Möglichkeit folgert, dass sie die Gefährlichkeit und die Unbeherrschbarkeit ihres Handelns unterschätzt haben, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Gleiches gilt letztlich auch für die vom Generalbundesanwalt zitierte, etwas missverständliche Wendung zum bewussten Eingehen einer erheblichen Gefahr (UA S. 74), welche die im Einklang mit den Feststellungen zur naheliegenden Motivation (UA S. 64) stehende Mutwilligkeit des Tatverhaltens unterstützt, einen erheblichen Mangel an kritischer Sicht der Gefahrenbeherrschung indes nicht widerlegt. Dem Revisionsgericht ist es verwehrt, eine eigene Bewertung der Beweise vorzunehmen, auch wenn eine andere Bewertung näher gelegen haben mag (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2000 – 5 StR 25/00, NStZ-RR 2000, 328). Deshalb ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht das durch objektive Befunde belegte Nachtatverhalten der Angeklagten als Gesichtspunkt dafür herangezogen hat, dass sie den Tod des Opfers nicht wollten, obgleich dies auch als Ausdruck ihrer plötzlichen Ernüchterung hätte gedeutet werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629; Schroth, aaO, S. 795).
3. Auch im Übrigen hat die Überprüfung der beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft keinen Rechtsfehler zum Vorteil oder Nachteil der Angeklagten erbracht.
Basdorf Schaal Dölp
König Bellay