Entscheidungsdatum: 12.12.2017
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 18. Mai 2017 im Schuldspruch zu Fall II.3 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen, jedoch unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, sowie im Ausspruch über die Jugendstrafe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Raubes zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachbeschwerde den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
1. Nach den Feststellungen zu Fall II.3 der Urteilsgründe traf der Angeklagte in der Nacht zum 24. September 2016 mit zwei Freunden auf den später Geschädigten A. , der ebenfalls mit zwei Begleitern unterwegs war. Zwischen A. und einem der Begleiter des Angeklagten kam es zu einer auch körperlich geführten Auseinandersetzung. Daraufhin floh die Gruppe um den Angeklagten zu einem S-Bahnhof. Ihr folgte A. mit seinen Begleitern. Er war aufgrund des Vorfalles wütend und wollte seinen Kontrahenten zur Rede stellen. Die beiden Gruppen, denen sich zwischenzeitlich neben dem Zeugen Y. auf Seiten des Angeklagten auch noch weitere Personen angeschlossen hatten, trafen auf der Zwischenebene der S-Bahnstation erneut aufeinander. Es kam zu aggressivem Gestikulieren und gegenseitigen Beleidigungen. Während der verbalen Auseinandersetzung schlug der Angeklagte, der nunmehr ein von ihm mitgeführtes Messer in der Hand hielt, mit diesem gegen eine Wand und schrie: „Ich steche dich tot“. Deeskalationsversuche von Begleitern des A. führten dazu, dass die Gruppen kurzzeitig voneinander getrennt waren. A. und seine Begleiter gingen daraufhin in Richtung der zum Bahnsteig hinunterführenden Treppe. Ihnen folgte der Angeklagte mit seiner Gruppe. Plötzlich rannte Y. los und verfolgte A. auf der Treppe gefolgt vom Angeklagten, der sein Messer noch immer in der Hand hielt. Am Fuße der Treppe entstand zwischen Y. und A. eine Rangelei. Dabei gelang es A. , sich aus dem Griff des Y. herauszuwinden und ihn von sich wegzuschubsen. In diesem Moment stach ihm der hinter ihm stehende Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz in das Schulterblatt. Unmittelbar nach dem Messerstich entfernte sich der Angeklagte in der Annahme, ihm einen potentiell tödlichen Stich versetzt zu haben, zügig mehrere Meter von dem noch immer mit Y. rangelnden A. . Er nahm wahr, dass dieser durch den Messerstich scheinbar unbeeinträchtigt weiter in die Auseinandersetzung mit Y. verwickelt war. Währenddessen kamen dem Geschädigten A. zwei seiner Begleiter zu Hilfe. Es gelang ihnen gemeinsam, sich von Y. zu lösen, auf dem Bahnsteig an der bereits eingefahrenen S-Bahn entlang nach vorn zu rennen und dort kurz vor dem Schließen der Türen einzusteigen. Nachdem die S-Bahn losgefahren war, bemerkte A. , dass er zunehmend unter Atemnot litt. Als ein Bahnmitarbeiter auf Blutspuren an seinem Hemd aufmerksam machte, bemerkte A. , dass er eine blutende Verletzung davongetragen hatte. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo ein Pneumothorax diagnostiziert wurde (Fall II.3 der Urteilsgründe).
2. Die Jugendkammer hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags nach § 24 StGB verneint, weil ein fehlgeschlagener Versuch vorliege. Bei Abschluss der tatbestandlichen Ausführungshandlung – dem Messerstich – sei der Angeklagte „angesichts dessen, dass er sich unmittelbar nach dem Stich zügig mehrere Meter von dem Zeugen A. entfernt“ habe, davon ausgegangen, diesen tödlich verletzt zu haben, sodass ein beendeter Versuch gegeben sei (UA S. 22). Da der Geschädigte durch den Messerstich jedoch nicht tödlich verletzt gewesen sei, sondern weiterhin mit Y. gerangelt habe, stelle sich die Frage einer Korrektur des Rücktrittshorizonts. Eine solche sei hier nicht anzunehmen. Zwar sei der Angeklagte in ständiger räumlicher Nähe zu A. aufgrund dessen Beteiligung an der Rangelei davon ausgegangen, dass er ihn nicht tödlich verletzt habe. A. sei jedoch weggerannt und in die S-Bahn gestiegen, sodass für den Angeklagten keine Möglichkeit der Tataufgabe mehr bestanden habe.
II.
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht im Fall II.3 einen Rücktritt des Angeklagten vom versuchten Totschlag ausgeschlossen hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar hat es im Ausgangspunkt noch zutreffend den nach ständiger Rechtsprechung geltenden Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der (letzten) von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 5 StR 6/17, NStZ 2017, 576 mwN). Jedoch ist bereits die Annahme, der Angeklagte sei nach seinem Messerstich zunächst davon ausgegangen, das Opfer schon tödlich verletzt zu haben, durch keine tragfähige Beweiswürdigung gestützt.
Der Beweiswürdigung ist nicht zu entnehmen, woraus die Jugendkammer auf die Vorstellung des Angeklagten im Anschluss an die Tatausführung geschlossen hat, dem Geschädigten „einen potentiell tödlichen Stich versetzt zu haben“ (UA S. 10). Das Opferverhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt unmittelbar nach Zufügung des Messerstichs legte eher den gegenteiligen Schluss auf eine Vorstellung des Angeklagten nahe, noch nicht alles für eine tödliche Verletzung des Geschädigten getan zu haben. Denn A. setzte die Rangelei mit Y. äußerlich unbeeinträchtigt fort, und der Angeklagte, der sich auf dem Bahnsteig zwar mehrere Meter entfernte, sich aber „in ständiger räumlicher Nähe“ zu A. befand (UA S. 23), nahm das Fehlen verletzungsbedingter Ausfallerscheinungen auch wahr (UA S. 10, 13 f.). Die insoweit mit den Feststellungen übereinstimmende Einlassung des Angeklagten ist nicht geeignet, die von der Jugendkammer angenommene Vorstellung einer Erfolgsnähe seiner Tat zu unterlegen. Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die in der rechtlichen Bewertung angeführte Erwägung, der Angeklagte habe sich unmittelbar nach dem Stich mehrere Meter von dem Opfer entfernt, für die Beurteilung des Rücktrittshorizonts haben könnte, erschließt sich nicht und wird im Urteil nicht erörtert.
Unter Zugrundelegung der vom Landgericht angenommenen Korrektur des Rücktrittshorizonts lässt das angefochtene Urteil zudem eine Erörterung der Frage vermissen, ob dem Angeklagten im anschließenden Zeitraum noch die Möglichkeit verblieben war, durch einen weiteren Stich einen Tötungserfolg herbeizuführen. Dies hat die Jugendkammer lediglich für den Zeitpunkt ausgeschlossen, als der Geschädigte wegrennen und in die S-Bahn steigen konnte. Sie hat jedoch angenommen, dass eine Korrektur des Rücktrittshorizonts schon vor dieser Flucht erfolgte, als der Angeklagte noch auf dem Bahnsteig in räumlicher Nähe zu A. „aufgrund dessen Beteiligung an der Rangelei davon aus(ging), dass er diesen nicht tödlich verletzt habe“ (UA S. 23).
Die aufgezeigten Mängel zwingen auch zur Aufhebung der für sich genommen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung. Demgegenüber ist gegen die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung nichts zu erinnern; sie werden insbesondere von der rechtsfehlerhaften Abhandlung der Rücktrittsproblematik nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.3 entzieht auch der verhängten Jugendstrafe die Grundlage.
Mutzbauer |
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Sander |
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Schneider |
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Berger |
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Mosbacher |
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