Entscheidungsdatum: 24.01.2012
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 23. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Körperverletzung, sowie wegen Nötigung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, wegen Körperverletzung und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von dieser Strafe hat es ein Jahr Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt. Die Strafkammer hat den Angeklagten ferner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin in Höhe von 10.000 € verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der unter anderem wegen Vergewaltigung im Jahre 1989 zu einer Bewährungsstrafe vorverurteilte Angeklagte lernte im Jahr 2000 in einer Gaststätte in Delmenhorst die 15-jährige Nebenklägerin und deren Freundin L. kennen. Der als Automatenaufsteller tätig gewesene Angeklagte gab den Jugendlichen Getränke aus und der Nebenklägerin Geld für Cannabis. Sie begann in dieser Zeit mit dem Konsum von Alkohol. Sie erhielt später von dem Angeklagten auch längere Zeit Kokain. Sie begleitete den Angeklagten auf seinen beruflichen Fahrten und wurde seine Freundin. Der Angeklagte vermittelte ihr in Bremen Unterkünfte und ließ sie in der von ihm betriebenen Gaststätte „A. B. “ für zuletzt 5 € die Stunde arbeiten. Im Jahr 2003 besorgte der Angeklagte ihr eine Wohnung, die er vorwiegend nachts aufsuchte, um mit ihr geschlechtlich zu verkehren. „Die Geschädigte war in vielen Fällen mit diesen sexuellen Handlungen einverstanden. Wenn der Angeklagte jedoch angetrunken und aggressiv war, setzte er sein Ansinnen gegen den erklärten Willen der Geschädigten häufig mit Gewalt durch. In solchen Situationen kam es auch zum Analverkehr gegen den Willen der Geschädigten. Der Angeklagte drückte der Geschädigten bei diesen Vorfällen z. B. ein Kissen auf ihren Kopf, damit ihre Schreie nicht zu hören waren, und legte sich mit seinem Gewicht auf sie. Obwohl die Geschädigte dann schrie und vor Aufregung schwitzte, drückte er ihre Beine auseinander und vollzog den Analverkehr. Die Geschädigte hatte bei diesem Vorgehen starke Schmerzen und ließ den Übergriff geschehen, bis der Angeklagte ejakuliert hatte“ (UA S. 6).
b) Das Landgericht hat sich von folgenden Taten des Angeklagten überzeugt:
Im Herbst 2003 oder 2004 schlug der alkoholisierte Angeklagte im Schlafzimmer der Nebenklägerin zweimal gegen deren Kopf. Er drückte gegen den Widerstand der jungen Frau deren Beine auseinander und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr. Die Nebenklägerin erlitt Hämatome und Kopfschmerzen (Fall 1: Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung).
In der ersten Julihälfte 2005 riss der alkoholisierte Angeklagte an den Haaren der Nebenklägerin, spreizte gegen ihren Widerstand ihre Beine und vollzog den Geschlechtsverkehr (Fall 2: Vergewaltigung).
Nach einer von der Nebenklägerin am 21. Juli 2005 veranlassten Abtreibung drängte der Angeklagte noch am gleichen Tag oder einen Tag später die Nebenklägerin im „A. B. “ in eine Ecke zwischen Tresen und Wand, riss fortwährend an ihren Haaren und vollzog nach einem Gerangel im Stehen den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr (Fall 3: Vergewaltigung).
Am 23. Juli 2005 hielt der Angeklagte der Nebenklägerin unter Todesdrohungen eine Schusswaffe an deren Kopf und verlangte die Unterzeichnung von Blankoschuldscheinen. Er sagte, sie solle unterschreiben, damit sie in seiner Schuld stünde und vom ihm nicht loskäme (Fall 4: Nötigung).
Am 26. Dezember 2005 beschimpfte der Angeklagte im „A. B. “ die Nebenklägerin. Er nahm einen großen gläsernen Aschenbecher und warf ihn in Richtung der Frau. Sie wich aus und flüchtete. Der Angeklagte verfolgte sie, schlug ihr ins Gesicht, stieß ihren Kopf gegen die Wand, riss an ihren Haaren und würgte sie (Fall 5: vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung).
Am 8. Mai 2006 trank die Nebenklägerin in einer Bäckerei Kaffee. Der Angeklagte trat hinzu, riss an ihren Haaren und schlug ihr gegen den Kopf (Fall 6: Körperverletzung).
Am 2. Juli 2006 bezeichnete der Angeklagte die Nebenklägerin als „Schlampe“ (Fall 7: Beleidigung).
c) Nach der Todesdrohung des Angeklagten floh die Nebenklägerin zu Verwandten nach Gütersloh. Der Angeklagte entschuldigte sich. Die Nebenklägerin kehrte nach Bremen zurück und war wieder mit dem Angeklagten zusammen. Am 8. Mai 2006 erstattete die Nebenklägerin Anzeige gegen den Angeklagten.
d) Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Taten 2 bis 4 der Urteilsgründe ausschließlich aufgrund der als uneingeschränkt glaubhaft bewerteten Aussage der Nebenklägerin überzeugt.
Hinsichtlich des Falles 1 hat das Landgericht eine Stütze der belastenden Aussage der Nebenklägerin in der Aussage der Zeugin L. gefunden, wonach diese zur Tatzeit in der Wohnung anwesend war und von einem im Schlafzimmer fortgesetzten Streit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin berichtet hat und davon, dass diese ihr weinend mitgeteilt habe, dass der Angeklagte sie geschlagen und mit ihr geschlafen habe.
Hinsichtlich des Falles 5 hat das Landgericht zusätzlich auf die – zwar in ihrer Beschränktheit nicht insgesamt glaubhafte – Aussage der Zeugin N. abgestellt, wonach der Angeklagte die Nebenklägerin beschimpft und einen großen Aschenbecher ergriffen habe. Aus weiteren, als glaubhaft bewerteten Zeugenbekundungen hat sich das Landgericht ersichtlich vom Charakter der von Unterdrückung und Gewaltausübung geprägten Beziehung des Angeklagten zu der Nebenklägerin überzeugt. Es hat insoweit auf die Aussage der Zeugin L. abgestellt, die schilderte, dass der Angeklagte in zwei Fällen nach einem Streit im „A. B. “ die Nebenklägerin auf der Straße verfolgt, sie mit Fäusten geschlagen und sie getreten habe, als sie auf dem Boden gelegen habe, ferner auf die Aussage der Zeugin Koz. , die eine Beleidigung der Nebenklägerin durch den Angeklagten miterlebt habe und die Offenbarungszeugin für Schläge und Beschimpfungen des Angeklagten geworden sei.
Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten und geltend gemacht, er habe lange Zeit den Lebensunterhalt der Nebenklägerin finanziert. Er habe sich wegen einer anderen Frau von ihr getrennt. Daraufhin habe sie ihm gedroht, ihn „fertig zu machen“.
Das Landgericht hat Rache als Falschbelastungsmotiv ausgeschlossen, weil die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung vom 8. Mai 2006 schon mehrere Monate keine Beziehung mehr zum Angeklagten gehabt habe und sich keine Hinweise darauf ergeben hätten, dass die Nebenklägerin den Angeklagten hätte „fertig machen“ wollen.
2. Soweit das Landgericht in den Fällen 2 bis 4 die Verurteilung ausschließlich auf die belastenden Angaben der Nebenklägerin stützt, offenbart die Beweiswürdigung sachlichrechtliche Fehler. Sie bezieht festgestellte Umstände nicht ein, die nach den hier aufgrund der gegebenen Beweissituation geltenden Anforderungen mit hätten bewertet werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.). Ferner bleibt die Darstellung der Entwicklung der Aussagen der Nebenklägerin zumindest unvollständig.
a) Das Landgericht hat das Falschbelastungsmotiv „Rache“ nur unvollständig bewertet (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2010 – 5 StR 157/10; BGH, Urteil vom 27. März 2003 – 1 StR 524/02, StraFo 2003, 312).
aa) Zwar mag ein Zeitablauf von fünf Monaten nach der – vom Landgericht hinsichtlich des Verursachers gar nicht aufgeklärten – Trennung eine Eifersucht auf die neue Beziehung des Angeklagten als Quelle einer aus Rache erfolgten Falschbelastung ausschließen können. Dies gilt aber nicht für die weiter festgestellte, indes nicht gewürdigte Empfindung der Nebenklägerin, durch ihr Leben mit dem Angeklagten fühle sie sich vorgealtert, kraftlos und habe das Gefühl, ihrer Jugend beraubt zu sein.
bb) Auch wenn es zu bedenken gilt, dass ein Vergewaltigungsopfer aus berechtigtem Zorn eine Bestrafung erstreben kann und deshalb eine von Belastungseifer getragene Aussage keineswegs zwingend Glaubhaftigkeitsbedenken ausgesetzt ist (vgl. BGH StraFo aaO), hat es das Landgericht hier in einem weiteren Zusammenhang unterlassen, eine mögliche Falschaussage der Nebenklägerin zu erwägen.
Die Strafkammer hat einerseits die Aussage der Nebenklägerin als glaubhaft angesehen, nie zu jemandem gesagt zu haben, dass sie den Angeklagten habe „fertig machen“ wollen (UA S. 18). Andererseits hat das Landgericht den Zeugenaussagen der Eheleute A. , die Nebenklägerin habe ihnen gesagt, dass sie bis zum Letzten gehen und den Angeklagten „in den Knast bringen“ würde, jeglichen Beweiswert abgesprochen. Selbst wenn sich die Geschädigte in der Weise geäußert haben sollte, lasse dies keinen Rückschluss darauf zu, dass sie falsche Angaben über die Geschehnisse gemacht habe. Mit dieser Erwägung hat es das Landgericht indes versäumt, eine im Raum stehende Falschaussage der einzigen Belastungszeugin über eigene Äußerungen gegenüber Dritten in die Prüfung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Übrigen einzubeziehen.
b) Das Landgericht hat es ferner unterlassen, aus den Feststellungen sich als wahrscheinlich aufdrängende, indes von der Nebenklägerin unterlassene Handlungen in die Erwägungen einzubeziehen. Hierdurch sind festgestellte Umstände lückenhaft bewertet geblieben (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401).
Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin – sie sei Opfer schwerster – freilich nicht angeklagter – anal ausgeführter schmerzhafter Vergewaltigungen geworden, bei denen ihre Schreie durch ein jeweils auf ihren Kopf gedrücktes Kissen unterdrückt worden seien, als glaubhaft bewertet. Es hat dabei nicht erwogen, warum die Nebenklägerin den sich aus der Vornahme solcher Verbrechen entstehenden Impuls zur Flucht überwunden hat und – überdies ohne Offenbarung gegenüber einer Vertrauensperson – bei dem Angeklagten verblieben ist. Die kritiklose Hinnahme der Erklärung der Nebenklägerin durch das Landgericht, „sie sei aus der Beziehung irgendwie nicht rausgekommen“ (UA S. 15), ersetzt die gebotene eigene Würdigung nicht (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. November 2003 – 5 StR 400/03). Gleiches gilt hinsichtlich des Umstands, dass die Nebenklägerin nach ihrer Flucht zu Verwandten zu dem Angeklagten zurückgekehrt ist, ohne dass erwogen worden ist, ob es zu einer sich aufdrängenden Vereinbarung über die Vernichtung der abgepressten Blankoschuldscheine gekommen ist.
c) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin erweckt zudem die Besorgnis von deren Unvollständigkeit, was die gebotene umfassende Glaubhaftigkeitsprüfung nicht hinreichend erkennbar und nachvollziehbar macht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 136/02).
Es bleibt offen, ob die Bewertung des Landgerichts, dass im Kerngeschehen keine Abweichungen vorhanden seien, sich allein auf die angeklagten Tatvorwürfe oder auch auf die analen Vergewaltigungen bezieht. Soweit die Strafkammer festgestellt hat, es sei im weiteren Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung „lediglich zu Erweiterungen der ursprünglich gemachten Aussage“ gekommen, wird die gebotene Prüfung unterlassen, ob durch die Erweiterungen die Glaubhaftigkeit des ursprünglich Gesagten bestärkt oder in Zweifel zu ziehen gewesen wäre.
3. Der Fehler der Beweiswürdigung entzieht nicht nur den Schuldsprüchen die Grundlage, die ausschließlich auf der Aussage der Nebenklägerin beruhen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen umfänglichen Bewertung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch in den übrigen Fällen zu einer anderen Urteilung gekommen wäre.
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Schneider König