Entscheidungsdatum: 11.12.2012
Fortdauer der Sicherungsverwahrung bei zu erwartenden Raubtaten mit Scheinwaffe.
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Celle zurückgegeben.
I.
Dem Vorlegungsverfahren liegt Folgendes zugrunde:
1. Das Landgericht Stade verhängte gegen den Verurteilten am 19. Januar 1998 wegen räuberischer Erpressung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB in der damals geltenden Fassung an. Gegenstand des Urteils war ein vom Verurteilten während eines Urlaubs aus dem Maßregelvollzug im alkoholisierten Zustand begangener Überfall auf eine Imbissbude, bei dem er mit seiner rechten Hand in der Westentasche eine Waffe vortäuschte und drohend äußerte: „Muss sein, sonst ich schießen oder nehme Geisel!“. Er erbeutete mindestens 800 DM; die beiden von ihm bedrohten Verkäuferinnen gerieten in große Angst, eine von ihnen in Todesangst.
2. Bereits zuvor war der Verurteilte unter anderem sechs Mal wegen Raubtaten, die er überwiegend während gewährter Lockerungen aus dem Straf- oder Maßregelvollzug und zum Teil unter Verwendung von objektiv ungefährlichen Scheinwaffen begangen hatte, verurteilt worden:
Am 3. Juli 1984 wurde er wegen räuberischer Erpressung in zwei Fällen sowie wegen Diebstahls in vier Fällen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Alkoholisiert hatte er unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole in einem Geschäft die Herausgabe von 150 DM und in einem Altersheim die Herausgabe von rund 1.600 DM erzwungen.
Am 30. Mai 1985 wurde gegen ihn wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung vom 3. Juli 1984 eine Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und vier Monaten verhängt. Während eines Hafturlaubs war der unbewaffnete Verurteilte dem Geschädigten bis an dessen Wohnungstür gefolgt und hatte zunächst „Geld her oder ich schieße“ gerufen; dann würgte und schlug er den Geschädigten, bis dieser ihm 10 DM aushändigte.
Am 19. Dezember 1985 wurde er wegen schweren Raubes und eines Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz unter Einbeziehung der Verurteilung vom 30. Mai 1985 zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. In alkoholisiertem Zustand und mit einer Strumpfmaske maskiert hatte er während eines Hafturlaubs ein Juweliergeschäft überfallen. Dabei hatte er eine Verkäuferin und eine Kundin mit einem Küchenmesser bedroht, anschließend der Verkäuferin das Küchenmesser an den Nacken gehalten und so die Herausgabe von ca. 850 DM Bargeld erzwungen.
Am 4. Dezember 1987 wurde er wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Während eines Hafturlaubs hatte der Verurteilte nach erheblichem Alkoholkonsum eine Taxifahrerin bedroht und zur Herausgabe von Bargeld zwingen wollen, indem er mit der rechten Hand in der Innentasche seiner Jacke eine Schusswaffe vorgetäuscht hatte. Die Taxifahrerin geriet in große Angst. Sie konnte nach einer Vollbremsung aus dem Taxi flüchten.
Am 27. November 1991 wurde er wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und es wurde erneut seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Nach erheblichem Alkoholkonsum hatte der Verurteilte eine ungeladene Schreckschusspistole in Brusthöhe auf die Kassiererin eines Supermarktes gerichtet und von ihr mit den Worten „Geld raus oder ich erschieße dich“ die Herausgabe von 6.700 DM erzwungen. Die Kassiererin hatte die Pistole für echt gehalten und hatte Angst um ihr Leben.
Mit Urteil vom 19. September 1994 wurde gegen ihn wegen schwerer räuberischer Erpressung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt und wiederum die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Während eines Urlaubs aus dem Maßregelvollzug hatte der Verurteilte auf der Rückfahrt im Zug Alkohol getrunken und anschließend maskiert ein Ladengeschäft überfallen. Dabei hielt er dem Inhaber eine täuschend echt aussehende Spielzeugpistole an den Kopf und zwang ihn zur Herausgabe von über 5.000 DM. Beim Verlassen des Geschäfts drohte er, man solle ihm nicht folgen, sonst schieße er. Eine Angestellte litt in der Folgezeit lange unter Angstphantasien.
3. Die Sicherungsverwahrung wird gegen den Verurteilten im Anschluss an die vollständige Strafverbüßung seit dem 5. Mai 2006 gemäß § 67a Abs. 2 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen.
Nachdem es im Rahmen eines Urlaubs bei ihm zu einem Alkoholrückfall gekommen war, ordnete die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Lüneburg mit dem angegriffenen Beschluss vom 27. April 2012 die Überführung des Untergebrachten in den Vollzug der Sicherungsverwahrung an, weil mit dem Vollzug der Maßregel in einem psychiatrischen Krankenhaus kein Erfolg erzielt werden könne und die Rücküberweisung in die Sicherungsverwahrung verhältnismäßig sei.
Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte sofortige Beschwerde erhoben. Das Oberlandesgericht Celle beabsichtigt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Es nimmt an, dass die Voraussetzungen der Rücküberweisung in den Vollzug der Sicherungsverwahrung nach § 67a Abs. 3 Satz 2 StGB gegeben sind. In Anbetracht des konkret und wiederholt bei früheren Straftaten zum Ausdruck gekommenen Verhaltensmusters des Untergebrachten geht es davon aus, dass derzeit von ihm „mit einer die Fortdauer der Sicherungsverwahrung rechtfertigenden, ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit nur Raubtaten im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB zu erwarten sind, die der Untergebrachte unter Verwendung von Scheinwaffen ausübt, ohne dass eine objektive Gefährdung der Tatopfer gegeben ist, und bei denen diese allein psychisch beeinträchtigt werden“. Das Oberlandesgericht bewertet auch diese Taten als schwere Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.); deshalb betrachtet es den weiteren Vollzug der Sicherungsverwahrung als verhältnismäßig.
Es sieht sich an seiner beabsichtigten Entscheidung jedoch durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 16. März 2012 (3 Ws 63/12, NStZ-RR 2012, 171) gehindert. Dieser folgt einem Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11, StV 2012, 213), wonach Verbrechen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB für sich genommen in der Regel keine ausreichend schweren Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Weitergeltungsanordnung darstellten, wenn aufgrund konkreter Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit allein der Einsatz objektiv ungefährlicher Scheinwaffen zu erwarten sei. Eine allein psychische Beeinträchtigung reiche in der Regel nicht aus.
4. Das Oberlandesgericht Celle hat deshalb mit Beschluss vom 8. August 2012 (2 Ws 165/12) die Sache dem Senat zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
„Sind die Voraussetzungen einer schweren Gewalttat i. S. d. Weitergeltungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) erfüllt, wenn von einem in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten aufgrund konkreter Umstände in seiner Person künftig Straftaten des schweren Raubes i. S. d. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB zu erwarten sind, bei denen der Untergebrachte nur objektiv ungefährliche Scheinwaffen einsetzt und die Tatopfer nur psychisch beeinträchtigt werden?“
5. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Sache an das Oberlandesgericht zurückzugeben, weil sich die vom Oberlandesgericht beabsichtigte Abweichung auf die Bewertung von Tatsachen, nicht aber auf eine Rechtsfrage beziehe.
II.
Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzugeben.
1. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG sind nicht gegeben, weil das Oberlandesgericht Celle durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt ungeachtet einer Ähnlichkeit der zu beurteilenden Sachverhalte in dem von ihm zu entscheidenden Fall nicht gehindert ist, über die sofortige Beschwerde des Untergebrachten in dem beabsichtigten Sinne zu entscheiden.
Die Vorlegungsfrage betrifft zwar die Auslegung eines Rechtsbegriffes, nämlich desjenigen der „schweren Gewalttat“ im Rahmen der durch die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts auferlegten strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dieser wird durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt auf der Grundlage des Urteils des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 19. Oktober 2011 (2 StR 305/11, aaO S. 214) näher bestimmt. Jedoch steht die Umgrenzung des Begriffes der „schweren Gewalttat“ in den genannten Entscheidungen, die ausdrücklich auf den jeweils zugrundeliegenden Einzelfall abstellen, nicht dem Verständnis entgegen, welches das vorlegende Oberlandesgericht seinem Beschluss zugrunde legen möchte.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (aaO) sämtliche Regelungen über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung sowie im Einzelnen angeführte Nachfolgeregelungen wegen der Verletzung des Abstandsgebots mit dem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG für unvereinbar erklärt und zugleich gemäß § 35 BVerfGG die zum 31. Mai 2013 befristete Weitergeltung dieser Vorschriften entsprechend seinen Vorgaben angeordnet. Danach dürfen die gesetzlichen Regelungen während der Übergangszeit nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird daher in der Regel nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG aaO S. 406).
b) Seither hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der geforderten „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ zwar normative Konturen gegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1, und vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11 mwN). Ungeachtet dessen bleibt die Verhältnismäßigkeitsprüfung aber im Grundsatz ein Akt der tatgerichtlichen Wertung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles; dies gilt – innerhalb der vom Bundesgerichtshof gezogenen Grenzen – auch für die nähere Bestimmung des Begriffs der „schweren Gewalttat“.
aa) Nicht alle Straftaten, die bislang für die Anordnung der Sicherungsverwahrung genügten, sind danach als „schwere Gewalt- oder Sexualtaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts anzusehen (BGH, Urteil vom 28. März 2012 – 5 StR 525/11, NStZ-RR 2012, 205, 206, und vom 13. März 2012 – 5 StR 497/11; Beschlüsse vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, aaO, und vom 27. September 2011 – 4 StR 362/11, NStZ-RR 2012, 109). Bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es, über die gesetzgeberische Aufnahme in den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten hinaus, prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht letztentscheidend auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern – neben dem Grad der Wahrscheinlichkeit der künftigen Rechtsgutsverletzung – auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten zu schützenden Rechtsgutes, gegebenenfalls auf die mögliche Verletzungsintensität (vgl. BGH, Urteile vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11, aaO, und vom 28. März 2012 – 5 StR 525/11, aaO).
bb) Auch nach dieser Rechtsprechung sind allerdings bestimmte Deliktsgruppen im Hinblick auf das besondere Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter grundsätzlich als „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ zu werten. Dies gilt im Bereich der Gewaltstraftaten jedenfalls für vorsätzliche Tötungsdelikte und Vorsatzdelikte mit qualifizierender Todesfolge (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11).
Hinsichtlich der Sexualstraftaten wird dies – unabhängig von körperlicher Gewaltanwendung – allein schon im Hinblick auf die „damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen“ für Vergewaltigungen bejaht (BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692, 693) sowie angesichts ihrer „oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen grundsätzlich – abhängig von den Umständen des Einzelfalls“ – auch für den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, und vom 11. August 2011 – 3 StR 221/11). Der Bundesgerichtshof hat damit anerkannt, dass auch Prognosetaten, die typischerweise (lediglich) schwerwiegende und nachhaltige psychische Schäden bei ihren Opfern hervorrufen, die Vorgaben der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts erfüllen können. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs will schließlich auch mit einer Scheinwaffe begangene Raubtaten nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB im Hinblick auf die Höhe der angedrohten Mindeststrafe und die für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als „ausreichend schwere Straftaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung verstehen (BGH, Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, StV 2011, 673, nicht tragend; vgl. auch den Beschluss des 4. Strafsenats vom 24. Januar 2012 – 4 StR 594/11, NStZ-RR 2012, 141, 142; noch offen gelassen im Beschluss vom 27. September 2011 – 4 StR 362/11, NStZ-RR 2012, 109, 110).
c) Das Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 19. Oktober 2011 (2 StR 305/11, aaO), auf das sich das Oberlandesgericht Frankfurt in seinem Beschluss vom 16. März 2012 (3 Ws 63/12, aaO) stützt, ist im Lichte dieser Rechtsprechung der übrigen Strafsenate des Bundesgerichtshofs und in seinem Bezug auf den entschiedenen Fall zu sehen, in dem „mit Blick auf die stets gleichartigen Vor- und Anlasstaten“ ausschließlich psychische „Beeinträchtigungen“ der Opfer in der Folge von mit Scheinwaffen begangenen Banküberfällen als Prognosetaten zu erwarten waren und „keinesfalls mit einer Gewalteskalation zu rechnen“ war. Diese besondere Konstellation hat der 2. Strafsenat zum Anlass genommen zu entscheiden, dass Verbrechen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB „für sich genommen in der Regel“ keine ausreichend schweren Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Weitergeltungsanordnung darstellten, wenn aufgrund konkreter Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit allein der Einsatz objektiv ungefährlicher Scheinwaffen zu erwarten sei; eine allein psychische „Beeinträchtigung“ reiche „in der Regel“ nicht aus.
Damit hat der 2. Strafsenat von vornherein keine Stellungnahme dazu abgegeben, wie Fälle zu bewerten sind, in denen Gewalteskalationen möglich sind, weil sich die Tat z. B. gegen Opfer richtet, von denen – anders als von Bankangestellten – grundsätzlich kein „professioneller“ Umgang mit der Bedrohungssituation erwartet werden kann und die Reaktion des Opfers auf die Bedrohung und der Verlauf der daran anschließenden Interaktion mit dem Täter unabsehbar sind. Er hat ferner keine Festlegung in dem Sinne getroffen, dass mögliche psychisch vermittelte körperliche Schäden künftiger Raubopfer nicht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung begründen können. Indem er darauf abstellt, dass psychische „Beeinträchtigungen“ künftiger Opfer die Unterbringung „in der Regel“ nicht zu rechtfertigen vermögen, schließt er darüber hinaus auch nicht aus, dass die Erwartung schwerwiegender und nachhaltiger psychischer Schäden hierfür sehr wohl ausreichen kann.
Dass das Oberlandesgericht Frankfurt dieses Verständnis des Begriffs der „schweren Gewalttat“ bewusst noch weiter einschränken wollte als das von ihm zitierte Urteil des 2. Strafsenats, ist nicht ersichtlich.
2. Der erkennende Senat hat – unter Bezugnahme auf den genannten Beschluss des 2. Strafsenats – in seinem Beschluss vom 24. Januar 2012 (5 StR 535/11) ebenfalls verdeutlicht, dass Raubdelikte ungeachtet der hohen Strafdrohungen und der für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen nicht ohne Weiteres als schwere Gewaltstraftaten anzusehen sind und nur in Abhängigkeit von ihren vorhersehbaren individuellen Umständen als schwere Gewalttaten gewertet werden können. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest.
a) Schwere Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts sind danach einerseits nicht nur solche schweren Raubdelikte, die mit der Anwendung physischer Gewalt verbunden sind. Denn auch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben können über die Beeinträchtigung des seelischen Gleichgewichts hinaus zu körperlichen Auswirkungen oder nachhaltigen psychischen Auswirkungen mit Krankheitswert führen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. November 1985 – 1 StR 393/85, NStZ 1986, 166 und BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 – 4 StR 467/99, NStZ-RR 2000, 106), wobei die durch die Drohwirkung hervorgerufenen psychischen Folgen ungeachtet der objektiven Ungefährlichkeit des Tatmittels entstehen können, wohingegen die Drohung mit einer gefährlichen Waffe bereits wegen einer möglichen Gewalteskalation eine Gefahr für Leib und Leben des Opfers begründet.
b) Anderseits ist aber nicht jede Raubtat allein wegen der mit der Einschüchterung und Bedrohung einhergehenden psychischen Beeinträchtigung der Opfer als schwere Gewalttat in diesem Sinne einzustufen. Denn ein präventiver Eingriff in das Freiheitsgrundrecht, der – wie die Sicherungsverwahrung – nicht dem Schuldausgleich dient, ist nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter Beachtung des strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (vgl. BVerfG, aaO S. 372 f.). Die gesteigerten Anforderungen an die Erheblichkeit der zu erwartenden Straftaten haben sich deshalb an Art und Ausmaß der drohenden Rechtsgutsverletzung zu orientieren. Je existentieller die betroffenen Güter für den Einzelnen sind, desto intensiver muss der staatliche Schutz vor Beeinträchtigungen sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133, 186).
In diesem Sinne kann die Verursachung schwerwiegender und nachhaltiger psychischer Schäden durchaus von existentiellem Gewicht für die Betroffenen sein, sie z. B. in ihrem täglichen Leben schwer behindern oder zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung ihrer Berufsfähigkeit führen. Solche Schäden können auch bei Verwendung von Scheinwaffen in Abhängigkeit von individuellen Umständen, z. B. aufgrund der besonderen Bedrohlichkeit der Begehungsweise oder der besonderen Schutzbedürftigkeit oder Zufälligkeit der ausgewählten Opfer, typischerweise zu erwarten sein. Auch psychisch vermittelte körperliche Schäden, z. B. im Rahmen einer schwerwiegenden posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1), sind hier in Betracht zu ziehen.
c) Ist indes im Fall des Einsatzes einer ungefährlichen Scheinwaffe des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB objektiv weder eine Lebens- noch eine Leibesgefahr begründet, weil mit einer Eskalation der angedrohten Gewalt keinesfalls gerechnet werden kann, und gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass psychische Beeinträchtigungen der Tatopfer das Ausmaß schwerwiegender und nachhaltiger psychischer Schäden erreichen oder Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit der Opfer haben können, so ist kein Rechtsgut bedroht, dessen Schutz die Anwendung der verfassungswidrigen Norm rechtfertigen könnte (im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11, aaO S. 214).
Im Ergebnis stellen demnach zu erwartende Raubtaten im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB, bei denen nur objektiv ungefährliche Scheinwaffen eingesetzt werden, schwere Gewalttaten im Sinne der strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts dar, wenn aufgrund ihrer vorhersehbaren individuellen Umstände mit schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Schäden oder psychisch vermittelten körperlichen Folgen bei den Opfern zu rechnen ist.
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