Entscheidungsdatum: 28.03.2012
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 17. Juni 2011 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafen aus einem weiteren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt und ein Klappmesser eingezogen. Mit ihrer entsprechend beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, macht die Staatsanwaltschaft geltend, das Landgericht habe zu Unrecht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der auch einschlägig vorbestrafte Angeklagte hatte im Rahmen eines mit hoher Wahrscheinlichkeit illegalen Geschäftes zugesagt, für den Zeugen K. Ware zu besorgen, die dieser gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 1.000 € erwerben sollte. Am Nachmittag des 27. April 2007 traf sich der Angeklagte – vorgeblich zur Abwicklung des Geschäfts – mit K. . Der Angeklagte, der von Anfang an die Absicht hatte, in den Besitz des Geldes des Zeugen zu gelangen, erschien zu dem Treffen mit einem unbekannten Mann. Nach einer Begrüßung nahm der Angeklagte den Zeugen unvermittelt „in den Schwitzkasten“ und forderte die Herausgabe des mitgeführten Bargeldes. Nachdem K. sich diesem Ansinnen widersetzte, sprang der unbekannte Dritte ihm in den Rücken, schlug ihn mit Fäusten und trat auf den bereits am Boden liegenden K. ein. Auch der Angeklagte schlug auf den Zeugen ein und setzte ihm ein Klappmesser an den Hals. Da K. gleichwohl nicht bereit war, sein Geld herauszugeben, schnitt ihm der Angeklagte zweimal in den Oberarm. K. hielt seine Geldbörse, die sich in seiner seitlichen Hosentasche befand, weiterhin von außen fest. Der Angeklagte drohte, ihm den Finger abzuschneiden, und schnitt ihm in den Daumen. Da auch dieses nicht zur Herausgabe des Geldes führte, wurde dem Zeugen schließlich das Portemonnaie aus der Hosentasche herausgeschnitten. Der Geschädigte erlitt durch die Handlungen des Angeklagten und seines Mittäters drei bis zu etwa sechs Zentimeter lange, insgesamt oberflächliche Schnittverletzungen am Oberarm und am Daumen, die teilweise genäht wurden, darüber hinaus eine Prellung an der Schläfe und Hautabschürfungen an Hals und Hinterkopf ohne tiefer gehende Verletzungen.
b) Das Landgericht hat das Vorliegen der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1, Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB aF mit Rücksicht darauf bejaht, dass der Angeklagte bereits am 15. Dezember 1998 wegen einer am 17. August 1997 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und am 10. November 2006 wegen eines am 21. Dezember 2002 begangenen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden war und sich vor der neuen Tat auf der Grundlage des ersten genannten Urteils mehr als zwei Jahre in Haft befunden hatte.
Darüber hinaus ist die sachverständig beratene Strafkammer zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB aF vorlägen. Der Angeklagte habe eine fest eingewurzelte Neigung, immer wieder straffällig zu werden, wenn sich die Gelegenheit böte. Auch bestehe „im Ergebnis nicht nur eine hohe Wahrscheinlichkeit für Regelverstöße, sondern auch für gewalttätige Aktionen“ (UA S. 25).
Indes sieht die Strafkammer den nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) geltenden erhöhten Gefährlichkeitsmaßstab nicht als erfüllt an: Das Verhalten des Angeklagten sei „nicht vordergründig auf strafbare Handlungen ausgerichtet“ (UA S. 26). Bei den bisherigen Straftaten sei es dem Angeklagten in der Regel um materielle Vorteile gegangen. Sie ließen sich überwiegend dem Bereich der unteren bis mittleren Kriminalität zuordnen. Auch soweit Tatbestände schwerer Gewalttaten erfüllt gewesen seien, zeigten die bislang verhängten Strafen, dass die Taten „in der Gesamtschau und bei Abwägung aller maßgeblichen Kriterien innerhalb der Gruppe der schweren Kriminalität im unteren Bereich angesiedelt wurden“. Aus den gesamten Umständen lasse sich demnach „zwar eine hohe Gefahr weiterer auch schwerer Gewaltstraftaten, jedoch nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalttaten“ ableiten (UA S. 27).
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt im Ergebnis erfolglos. Zwar lässt die Bezugnahme des angefochtenen Urteils auf die Anforderung einer „hochgradigen Gefahr schwerster Gewalttaten“ besorgen, dass das Landgericht den vom Bundesverfassungsgericht bestimmten Verhältnismäßigkeitsmaßstab (aaO Rn. 172) unzutreffend eng gesehen hat. Auf diesem Verstoß beruht das Urteil jedoch nicht.
a) Im Hinblick darauf, dass § 66 Abs. 1 StGB nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts derzeit wegen Verstoßes gegen Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Artikel 104 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist, gilt die Vorschrift vorläufig nur unter eingeschränkten Voraussetzungen weiter (BVerfGE aaO). Danach dürfen Eingriffe in das Freiheitsrecht des Angeklagten nur so weit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrecht zu erhalten. Die Sicherungsverwahrung darf zurzeit nur nach Maßgabe einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist.
b) Die Bezugnahme auf ausschließlich „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ bringt – worauf der Bundesgerichtshof bereits wiederholt hingewiesen hat – eine Einschränkung gegenüber den Taten zum Ausdruck, die bislang für die Anordnung der Sicherungsverwahrung genügten (BGH, Urteil vom 13. März 2012 – 5 StR 497/11; Beschluss vom 27. September 2011 – 4 StR 362/11 Rn. 9; Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, StV 2011, 672, 673; Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 strikte Verhältnismäßigkeit 1). Danach sind erhöhte Anforderungen sowohl an die Konkretisierung der Rückfallprognose als auch an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen. Bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es, über die gesetzgeberische Aufnahme in den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten hinaus, prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten des Angeklagten zu schützenden Rechtsgutes, ferner auf den Grad der Wahrscheinlichkeit der künftigen Rechtsgutsverletzung und gegebenenfalls auf die mögliche Verletzungsintensität (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11 Rn. 10).
c) Bei der nach diesen Maßstäben vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsabwägung ist neben den vom Landgericht herangezogenen Gesichtspunkten insbesondere zu berücksichtigen, dass die Anlasstat im Zeitpunkt der Hauptverhandlung gut vier Jahre zurücklag und eine langjährige Freiheitsstrafe verhängt wurde. Der Angeklagte, der sich bereits seit September 2007 ununterbrochen in anderweitiger Strafhaft befindet, hat noch bis zu etwa neun Jahren Freiheitsstrafe zu verbüßen. In dieser Zeit kann mit den Mitteln des Strafvollzuges auf ihn eingewirkt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht als „unerlässlich“ im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, um das mit der Maßregel verfolgte Ziel des Schutzes der Allgemeinheit vor schweren Sexual- und Gewaltstraftaten zu erreichen.
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen tatgerichtlichen Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden könnten, welche die Anordnung von Sicherungsverwahrung tragen könnten.
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Schneider Bellay