Entscheidungsdatum: 27.10.2010
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 4. August 2010 wird nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Beschwerdeführerin wegen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Die Beschwerdeführerin hat im Anschluss an die Urteilsverkündung auf Rechtsmittel verzichtet. Die Zulässigkeit ihrer mit der Sachrüge geführten Revision stützt sie im Wesentlichen auf die Behauptung, es habe im Ermittlungsverfahren eine Verständigung stattgefunden, die den Rechtsmittelverzicht wegen Umgehung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam mache; ferner habe sie Bedeutung und Tragweite des Rechtsmittelverzichts verkannt.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der erklärte Rechtsmittelverzicht ist wirksam.
1. Das in § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelte Verbot eines Rechtsmittelverzichts nach Verständigung greift nicht ein. Denn eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO, mithin im Rahmen der Hauptverhandlung, hat nach dem eigenen, mit der dienstlichen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft übereinstimmenden Vortrag der Beschwerdeführerin nicht stattgefunden. Das Fehlen des sogenannten „Negativattests“ nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 31. März 2010 – 2 StR 31/10) besagt hier schon deswegen nichts anderes, weil auch eine Verständigung nicht protokolliert worden ist (§ 273 Abs. 1a Satz 1 StPO; vgl. zu Fällen solch „versteckten Dissenses“ Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Wieder, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren 2010 § 273 Rdn. 30 f.).
2. Ob eine Umgehung des § 257c StPO durch Absprachen außerhalb der Hauptverhandlung in entsprechender Anwendung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO oder im Wege eines Erst-Recht-Schlusses (so Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2630) zur Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts führen kann, muss der Senat nicht entscheiden. Denn die Beschwerdeführerin ist den Beweis derartiger Absprachen schuldig geblieben. Nach ihrem Vortrag sind Gespräche zwischen der Staatsanwaltschaft und ihrem ehemaligen Verteidiger geführt worden, ohne dass sich das Gericht hieran unmittelbar beteiligt hätte. Ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des betroffenen Staatsanwalts hat es für den Fall eines Geständnisses der Beschwerdeführerin „eine Verständigung auf einen möglichen Strafantrag der Staatsanwaltschaft gegeben“. Im Hauptverhandlungsprotokoll hat der Vorsitzende der Strafkammer – ohne dass die Beschwerdeführerin widersprochen hätte – festgehalten, dass „im Vorfeld der Hauptverhandlung keine Gespräche zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger stattgefunden haben“ (§ 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO). Die durch die Beschwerdeführerin weiter unterbreiteten Tatsachen (unter anderem abgekürzte Ladungsfristen, keine Ladung von Zeugen) belegen allenfalls, dass das Gericht durch die Staatsanwaltschaft über die Gespräche informiert worden ist, nicht jedoch eine Umgehung des § 257c StPO.
3. Eine Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Rechtsmittelverzichts durch die Beschwerdeführerin liegt unter den gegebenen Umständen fern. Nach den Feststellungen des Landgerichts befindet sich die Beschwerdeführerin, die in Russland das Abitur erworben und studiert hat, seit 1992 in Deutschland und ist deutsche Staatsangehörige. Zur Zeit der Hauptverhandlung war sie Geschäftsführerin zweier Gesellschaften und übte eine Bürotätigkeit im Unternehmen ihres Ehemanns aus. Der Hauptverhandlung vermochte sie ohne Dolmetscher zu folgen. Nach der Urteilsverkündung wurde sie durch den Vorsitzenden über die Bedeutung des Rechtsmittels belehrt. Dass sie durch das Gericht (oder die Staatsanwaltschaft) zu einem Rechtsmittelverzicht gedrängt oder in anderer Weise in diese Richtung beeinflusst worden ist, trägt die Beschwerdeführerin nicht vor, gleichfalls nicht, dass ihr keine Gelegenheit gegeben wurde, sich mit ihrem Verteidiger zu beraten. Ferner stand sie im fraglichen Zeitpunkt in keiner besonderen Drucksituation. Namentlich war der Haftbefehl bereits aufgehoben. Auch fehlende „Gerichtserfahrung“ sowie ein etwaiges Hinwirken des ehemaligen Verteidigers auf einen Rechtsmittelverzicht belegen vor diesem Hintergrund keine rechtlich relevanten Willensmängel der Beschwerdeführerin.
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