Entscheidungsdatum: 20.08.2013
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 24. August 2012 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes, wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub, wegen Diebstahls und wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die hiergegen gerichtete, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene, Revision der Staatsanwaltschaft dringt mit der Sachrüge durch.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen.
a) Der 26 Jahre alte Angeklagte ist von Cannabis abhängig. Mit dem Rauchen von Cannabisprodukten begann er bereits in seiner Jugend. Einen schulischen Abschluss erreichte er nicht. Mit Ausnahme einer kurzfristigen Tätigkeit als Servicetechniker, während der er seinen Drogenkonsum erheblich reduzieren konnte, lebte er im Wesentlichen in den Tag hinein. Sozialleistungen beantragte er nicht. Finanziell wurde er durch seine Mutter und gelegentlich seine Großmutter unterstützt. Das Geld gab er vor allem für Drogenkäufe aus. Er nahm sowohl allein als auch in Gesellschaft täglich Cannabis, wobei er zuletzt drei bis fünf Gramm benötigte und mit dem Konsum bereits nach dem Aufstehen begann. Stets war er bestrebt, fünf bis zehn Gramm Cannabis vorrätig zu haben, weil er bereits erlebte Entzugserscheinungen, nämlich nächtliche Schweißausbrüche und Schlafstörungen fürchtete. Andere Interessen vernachlässigte er. Um das wenige Geld zu vermehren, besuchte er Spielhallen, verlor aber in der Regel alles, weswegen sich seine finanzielle Situation weiter verschlechterte.
Die nachfolgend dargestellten Taten beging er, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren.
Am 24. Juni 2011 hebelten der Angeklagte und seine Mittäter ein Fenster in einem Kindergarten auf, fanden aber nichts Stehlenswertes. Vor der Tat hatte der Angeklagte Cannabis konsumiert (Tat 1). Am 29. November 2011 brachen der Angeklagte und seine Mittäter unter anderem in ein Seglervereinsheim ein und entwendeten eine Geldkassette mit 12 € sowie sich später als wertlos erweisende Teller und Anstecknadeln; nach der Tat rauchten der Angeklagte und ein Mittäter einen Joint (Tat 2). Am 10. Dezember 2011 beteiligte sich der Angeklagte als Gehilfe an einem von zwei Tätern verübten bewaffneten Überfall auf eine Spielhalle, wobei er vor und nach der Tat mit einem der Täter einen Joint rauchte; er erhielt ein Drittel der erbeuteten 510 € und kaufte damit Drogen (Tat 3). Am 11. Dezember 2011 verübte er mit einem Mittäter einen versuchten Einbruchsdiebstahl in ein Sportheim; er hatte zuvor Cannabis konsumiert und fühlte sich berauscht (Tat 4). Am 12./13. Dezember 2011 wirkte er an einem weiteren bewaffneten Überfall auf eine Spielhalle mit, wobei er während des gestreckten Tatgeschehens und nach Durchführung der Tat insgesamt vier Joints rauchte; von seinem Beuteanteil (ca. 130 €) kaufte er Cannabis im Wert von 70 € und verspielte den Rest in einer Spielhalle (Tat 5).
b) Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine schuldrelevante Intoxikation infolge der Drogenaufnahme vor vier der fünf Taten verneint. Sie vermochte jedoch nicht auszuschließen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten wegen des Verlangens nach weiteren Drogen und dessen permanenten Ziels, Geld für Cannabis zu beschaffen, in Verbindung mit der ständigen Angst vor nahe bevorstehenden Entzugserscheinungen bei allen Taten erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war. Sie hat deshalb die für die jeweils verwirklichten Delikte angeordneten Strafrahmen nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Bei Tat 3 hat sie eine weitere Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB, bei Tat 5 eine weitere Strafrahmenverschiebung nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.
Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat das Landgericht abgesehen. Trotz fortbestehenden Hangs fehle es an der von § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzten Gefährlichkeit des Angeklagten. Dieser habe seinen Drogenkonsum schon in der Untersuchungshaft reduziert. Nach Haftverschonung habe er aus eigenem Antrieb eine ambulante Therapie begonnen, die erfolgversprechend verlaufe. Sein Konsum sei nunmehr nur noch „minimal“. Aufgrund dieser Umstände sowie weiterer positiver Ansätze bestehe keine Gefahr der Begehung hangbedingter Taten mehr.
2. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts hält rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit dem Angeklagten durchgehend ein Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zugebilligt worden ist.
a) Das Landgericht legt ersichtlich die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde, wonach bei Beschaffungsdelikten eines rauschmittelabhängigen Täters dessen Steuerungsfähigkeit – in der hier allein in Betracht kommenden Variante – unter Umständen dann relevant vermindert sein kann, wenn dieser aus Angst vor nahe bevorstehenden Entzugserscheinungen handelt, die er schon als äußerst unangenehm („grausamst“) erlitten hat (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12, NStZ 2013, 53 Rn. 27 mwN). Diese Rechtsprechung wurde in Bezug auf Heroinabhängigkeit entwickelt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1989 – 5 StR 175/89, NJW 1989, 2336 mwN) und später trotz unterschiedlicher Entzugsfolgen auch bei einer Kokainabhängigkeit („Crack“) angewendet (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 389/05, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 16). Für die Abhängigkeit von Amphetaminen wurde die Frage erörtert (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2000 – 1 StR 310/00, NStZ 2001, 83, 84).
b) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob eine Schuldminderung bei Abhängigkeit von Cannabis etwa im Blick auf die in jüngerer Zeit beobachtete erhöhte Toxizität der im Handel befindlichen Cannabisprodukte und die denkbar dadurch bedingten Auswirkungen auf Art und Maß der Abhängigkeit (dazu Weber, BtMG, 4. Aufl., Einleitung Rn. 144 ff., § 1 Rn. 323 ff.; Patzak/Marcus/Goldhausen, NStZ 2006, 259, 265 f.) in der Fallvariante der Furcht vor gravierenden Entzugserscheinungen grundsätzlich in Betracht kommt (vgl. aber BGH, Urteile vom 20. September 1988 – 1 StR 369/88, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 4, und vom 6. Juni 1989 – 5 StR 175/89, aaO mwN) und ob die vom Landgericht eher vage beschriebenen Entzugserscheinungen des Angeklagten (nächtliche Schweißausbrüche, Schlafstörungen) in ihrem Schweregrad (äußerst unangenehm bzw. „grausamst“) hinreichen würden. Denn die Urteilsfeststellungen tragen die Annahme verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten selbst bejahendenfalls nicht. Insbesondere lässt der Sachverständige und ihm folgend das Landgericht insoweit außer Acht, dass der Angeklagte bei allen Taten offensichtlich unschwer Zugriff auf Cannabis hatte und dieses vor vier der fünf Taten sogar konsumierte. Unter solchen Vorzeichen scheidet aber die Annahme regelmäßig aus, das Handeln des Täters sei durch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen in schuldrelevanter Weise bestimmt worden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Dezember 1995 – 3 StR 276/95, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12). Das allgemeine Bestreben, ständig einen Vorrat an Betäubungsmitteln bereit zu halten, auch um unangenehme körperliche Folgewirkungen tunlichst zu vermeiden, sowie ein „Suchtdruck“ sind hingegen generelle Merkmale zumindest gewichtigerer Formen der Drogenabhängigkeit (vgl. auch UA S. 16). Die Drogenabhängigkeit als solche vermag aber nach ständiger Rechtsprechung die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht zu begründen (vgl. zusammenfassend BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12).
Die Frage der Schuldfähigkeit und daran anschließend die gesamte Strafzumessung bedürfen deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
3. Wegen des engen Zusammenhangs der Beurteilung der Schuldfähigkeit mit der Maßregelfrage war der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Das neu entscheidende Tatgericht wird sich nochmals eingehend mit der Frage zu befassen haben, ob die in § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzte Gefahr vorliegend gegeben ist. Hierfür könnte neben der im angefochtenen Urteil angenommenen schweren Suchtmittelabhängigkeit des Angeklagten sowie Art und Zahl der durch ihn begangenen Beschaffungsdelikte vor allem der Umstand sprechen, dass der Angeklagte – wenngleich „minimal“ – weiterhin und gänzlich unterbrochen nicht einmal durch die Untersuchungshaft Cannabis konsumiert. Seine Entwicklung wird deshalb sorgfältiger darzulegen sein als bislang geschehen. Sollte das neue Tatgericht erneut zur Festsetzung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe gelangen, könnten die im angefochtenen Urteil angesprochenen positiven Ansätze gegebenenfalls im Rahmen der Aussetzung des Vollzugs der Maßregel zur Bewährung nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB zu berücksichtigen sein.
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