Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 22.10.2013


BGH 22.10.2013 - 5 StR 229/13

Fehlgeschlagener Versuch und freiwilliger Rücktritt


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
22.10.2013
Aktenzeichen:
5 StR 229/13
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Hamburg, 18. Oktober 2012, Az: 601c Ks 11/12
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Oktober 2012 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

– Von Rechts wegen –

Gründe

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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Nichtverurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts, hilfsweise auch die Strafzumessung angreift. Das vom Generalbundesanwalt hinsichtlich der primären Beanstandung vertretene Rechtsmittel bleibt erfolglos.

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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

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a) Am 11. Februar 2012 gegen 17.40 Uhr verfolgte der Angeklagte den Nebenkläger heimlich in den zu dieser Zeit menschenleeren Eingangsbereich eines U-Bahnhofs in Hamburg hinein. Aus seiner Sicht hatte sich der Nebenkläger bei Auseinandersetzungen mit der schwangeren Lebensgefährtin des Angeklagten, bei der es sich um die geschiedene Ehefrau des Nebenklägers handelt, nicht akzeptabel benommen und sie unter anderem geschubst. Dafür wollte ihn der Angeklagte bestrafen und zumindest für gewisse Zeit außer Gefecht setzen. Weil er „eine körperliche Auseinandersetzung in Form einer Mann-gegen-Mann-Situation vermeiden“ wollte (UA S. 7), hatte er ein klappbares Messer mit einer Klingenlänge von 7,3 cm und einer maximalen Klingenbreite von 2,8 cm eingesteckt.

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Der Angeklagte hielt die Situation für günstig und lief schneller. Der Nebenkläger bemerkte, dass sich jemand mit schnellen Schritten näherte. Auf den in russischer Sprache erfolgten Ausruf „Hallo” des Angeklagten drehte er den Kopf leicht zur Seite, um sich umzusehen. Der Angeklagte befand sich etwa auf gleicher Höhe einer Treppe. Er stach dem Nebenkläger mit dem Messer 4 cm tief in die linke Halsseite, wobei er die Hauptschlagader knapp verfehlte. Dessen Tod nahm er zumindest billigend in Kauf.

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Durch die Wucht des Stichs fiel der Nebenkläger kurzzeitig nach vorn, ging jedoch nicht zu Boden. Der Angeklagte wandte sich ab und flüchtete, um nicht erkannt zu werden. Dabei rutschte er auf den Treppenstufen aus, wodurch der Nebenkläger sein Gesicht sehen konnte. Der Nebenkläger rannte dem Angeklagten nach, um ihn zur Rede zu stellen oder ihn ebenfalls zu schlagen. Spätestens jetzt ging der Angeklagte davon aus, dass der Stich nicht ausgereicht hatte, um den Tod des Nebenklägers herbeizuführen.

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Unmittelbar danach standen sich die Kontrahenten vor dem U-Bahn-Eingang in einer Entfernung von zwei bis drei Metern gegenüber. Der Nebenkläger erkannte das Messer in der Hand des Angeklagten und rief, dass er „das mit dem Messer lassen“ solle (UA S. 9). Der Angeklagte sagte, der Nebenkläger solle seine Lebensgefährtin in Ruhe lassen. Der Nebenkläger fürchtete einen weiteren Angriff und nahm eine abwehrende Körperhaltung ein; er wies den Angeklagten auf eine nahe Sparkasse und vorhandene Kameras hin. Aus Angst, der Angeklagte werde mit dem Messer abermals einen Angriff unternehmen, flüchtete er und rief „Polizei Hilfe!“. Der Angeklagte lief ihm mit dem Messer in der Hand ein kurzes Stück hinterher, unternahm jedoch keine weiteren Stich- bzw. Schlagbewegungen. Dann verließ er den Tatort.

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Der Nebenkläger erreichte den Bahnsteig, verständigte die Polizei und bemerkte erst jetzt die Stichwunde am Hals, die bei einer Notoperation am selben Abend versorgt wurde.

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b) Die Schwurgerichtskammer hat angenommen, der Angeklagte sei freiwillig vom Versuch eines Tötungsdelikts zurückgetreten. Sie vermochte nicht auszuschließen, dass ihm ein nochmaliger Messerangriff möglich war und er hiervon freiwillig Abstand nahm. Dass er wegen körperlicher Überlegenheit des Nebenklägers nach dem ersten Stich keinen Angriff mehr auszuführen imstande gewesen sei, könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden; der Nebenkläger sei nur 7 cm größer und von weitgehend ähnlicher Statur.

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2. Die Ausführungen, mit denen die Schwurgerichtskammer einen fehlgeschlagenen Versuch abgelehnt und einen Rücktritt vom unbeendeten Mordversuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB angenommen hat, halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

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a) Die Schwurgerichtskammer hat ihrer Prüfung des Fehlschlags des Tötungsversuchs zutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt, nach denen ein solcher gegeben ist, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden einsatzbereiten Mitteln ohne zeitliche Zäsur nicht mehr vollenden kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273 Rn. 32 mwN). Unter Würdigung sämtlicher relevanter Gesichtspunkte (insbesondere: der Angeklagte hielt das Messer weiter in der Hand, Nähe zum Nebenkläger, sehr rascher Geschehensablauf) hat sie die weitere Vollendbarkeit aus der maßgeblichen Tätersicht zumindest nicht ausschließen können. Auch mit dem durch die Revision hervorgehobenen Aspekt der körperlichen Überlegenheit des Nebenklägers hat sie sich befasst und ihn vertretbar gewürdigt (UA S. 30). Soweit die Beschwerdeführerin hiergegen anführt, der Tatplan des Angeklagten sei zwingend auf einen Angriff auf den Nebenkläger in schutzloser Lage beschränkt gewesen und nach dessen erfolgloser Durchführung endgültig gescheitert, ermangelt es für eine solche Annahme einer tragfähigen Grundlage in den tatgerichtlichen Feststellungen. Die Beschwerdeführerin setzt vielmehr ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts. Damit kann sie im Revisionsverfahren nicht gehört werden.

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b) Die Annahme eines unbeendeten Versuchs wegen Korrektur des Rücktrittshorizonts ist hier im Hinblick auf das Fehlen jeglicher erkennbarer Beeinträchtigung beim Nebenkläger nach Ausführung des Stichs ungeachtet des gesetzten Treffers rechtsfehlerfrei. Dies gilt auch für die weitere Annahme des Landgerichts, der Rücktritt sei freiwillig erfolgt. Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 1992 – 3 StR 187/92, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 16 mwN, und vom 8. August 2013 – 5 StR 316/13 Rn. 2). Dabei ist maßgebliche Beurteilungsgrundlage nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon; die äußeren Gegebenheiten sind jedoch, was die Beschwerdeführerin zu verkennen scheint, insoweit von Bedeutung, als sie Rück-schlüsse auf die innere Einstellung des Täters ermöglichen (vgl. BGH, Be-schlüsse vom 24. Juni 1992 – 3 StR 187/92, aaO, und vom 22. Mai 2013– 4 StR 170/13, StraFo 2013, 342 Rn. 9).

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Das Landgericht hat aus dem Umstand, dass sich der noch immer das Messer haltende Angeklagte und der Nebenkläger vor der Sparkasse nahe gegenüberstanden, die Möglichkeit abgeleitet, dass der Angeklagte unschwer ein weiteres Mal hätte zustechen können, davon aber aus autonomen Gründen Abstand genommen haben kann. Dieser Schluss ist möglich und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Schwurgerichtskammer habe sich mit einer für den Angeklagten als letztlich unvertretbar darstellenden Risikoerhöhung nicht befasst, sind den Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte in diese Richtung zu entnehmen (zu den Anforderungen vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 1992 – 3 StR 187/92, aaO, und vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266). Der bloße Hinweis des Nebenklägers auf die Sparkasse und auf Kameras genügt hierfür nicht, zumal – allgemein bekannt – weite Bereiche von U-Bahnhöfen ohnehin videoüberwacht sind. Entsprechendes gilt für die Hilferufe des Nebenklägers. Dass sich etwa – unter Umständen eingreifbereite – Passanten oder Sicherheitskräfte in der Nähe befanden, findet in den Feststellungen keinen Niederschlag. Die Beschwerdeführerin trägt auch nicht vor, dass sie insoweit Beweisanträge gestellt hat; eine Aufklärungsrüge hat sie nicht erhoben.

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3. Die Strafzumessung weist – in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts – durchgreifende Rechtsfehler weder zum Vorteil des Angeklagten noch zu dessen Nachteil (§ 301 StPO) auf.

Basdorf                     Sander                     Schneider

                 Dölp                       König