Entscheidungsdatum: 06.07.2010
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 9. Dezember 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie wird den besonderen Anforderungen nicht gerecht, die in der gegebenen Konstellation „Aussage gegen Aussage“ zu stellen sind (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.; 256, 257) und die es gebieten, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegung einzubeziehen und eine umfassende Gesamtwürdigung aller Indizien vorzunehmen hat (vgl. BGH StV 2009, 176, 177 m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2009 – 5 StR 84/09 – und vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10). Namentlich gilt Folgendes:
a) Nach den die Feststellungen tragenden Bekundungen der Nebenklägerin wurde das ohnehin eher ungewöhnliche Vergewaltigungsgeschehen noch weiter dadurch verkompliziert, dass der Mischlingshund der Ehefrau des Angeklagten, die zugleich Lebensgefährtin der Nebenklägerin war, nach dem Angeklagten schnappte, von diesem jedoch „weggetreten“ wurde. Dies geschah, während der zur Tatzeit knapp 56 Jahre alte, wegen Rückenbeschwerden berentete und erheblich alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration: maximal 1,77 ‰) den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr an der Nebenklägerin vollzog, wobei er diese zugleich auf die Tischplatte niederdrückte und sich ihrer Tritte zu erwehren hatte (UA S. 7). Unter solchen Vorzeichen hätte sich das Urteil nicht auf eine eher bruchstückhafte Darstellung beschränken dürfen. Vielmehr waren eine Mitteilung der näheren Einzelheiten (u. a. Größe und Alter des Hundes; Art, Dauer und Begleitumstände der „Bissattacken“) und deren Würdigung im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen unerlässlich.
Der Senat weist in diesem Zusammenhang noch darauf hin, dass die Nebenklägerin – was ihm aus einer zulässigen Verfahrensrüge bekannt ist – das markante Detail der „Hundeattacke“ erst in der Hauptverhandlung, nicht aber in den vorausgegangenen beiden polizeilichen Vernehmungen mitgeteilt hat. Im Rahmen der durch die Strafkammer vorgenommenen Konstanzanalyse hätte sich das Urteil mit diesem das Kerngeschehen betreffenden Umstand auseinandersetzen müssen.
b) Als ein wesentliches Indiz für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin werten es die Urteilsgründe, dass sich die Stimmung der Nebenklägerin am Tatmorgen wesentlich geändert hatte (bedrückt, schweigsam, appetitlos). „Ein einverständlicher Geschlechtsverkehr“ lasse „sich mit einem derartigen Verhalten nicht erklären“ (UA S. 22). Hiergegen bestehen durchgreifende Bedenken. Denn Grund für das veränderte Verhalten konnten die Reue über einen – möglicherweise aufgrund einer Alkohollaune – mit dem Ehemann ihrer Lebensgefährtin durchgeführten Geschlechtsverkehr und die Ungewissheit darüber sein, ob der Angeklagte das Vorgefallene seiner Ehefrau offenbaren werde.
c) Entsprechendes gilt für den von der Strafkammer als Indiz für die Richtigkeit des Vorwurfs herangezogenen Umstand, dass die Nebenklägerin nach den Vorfällen vermehrt dem Alkohol zugesprochen hat. Denn dieses Verhalten kann seine Erklärung in den nunmehr häufigen Streitigkeiten mit ihrer Lebensgefährtin finden, die letztlich zur Trennung führten.
d) Schließlich weist die Revision mit Recht darauf hin, dass die gebotene Gesamtwürdigung der den Fall prägenden zahlreichen Auffälligkeiten im angefochtenen Urteil zu kurz kommt.
2. Auf die durch den Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen kommt es damit nicht mehr an. Insbesondere kann dahingestellt bleiben, ob die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO wegen Befangenheit des Vorsitzenden aufgrund einer nach dessen Auffassung „launigen“ Äußerung zur Wahrscheinlichkeit einer Beweistatsache, die durch den Inhalt der dienstlichen Stellungnahme in ihrer nachvollziehbar negativ empfundenen Wirkung auf den Angeklagten eher noch verstärkt als entkräftet worden ist, im Ergebnis durchgedrungen wäre.
3. Für das weitere Verfahren bemerkt der Senat:
Auch im Rahmen der Strafzumessung angestellte Erwägungen des angefochtenen Urteils erscheinen bedenklich. So ist „ein gewisses Maß an krimineller Energie“ bzw. „eine nicht völlig unbedeutende kriminelle Energie“ (UA S. 39) notwendig mit dem Verbrechen der Vergewaltigung verbunden und kann deswegen nicht zur Strafschärfung führen. Dass die Tat im Hinblick auf die Anwesenheit des Zeugen S. mit einem hohen Entdeckungsrisiko verbunden war, spricht zudem mehr für ein Handeln des unbestraften Angeklagten in alkoholbedingter Enthemmung als für ein erhöhtes Maß an krimineller Energie unter dem Aspekt besonderer Bedenkenlosigkeit.
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