Entscheidungsdatum: 18.12.2012
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 1 656 746
(DE 60 2004 019 788)
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Gutermuth, die Richterin Martens sowie die Richter Dipl.-Ing. Gottstein, Dipl.-Ing. Musiol und Dipl.-Ing. Univ. Albertshofer
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 656 746 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und am 4. August 2004 angemeldeten europäischen Patents 1 656 746 (Streitpatent), das in der Verfahrenssprache Englisch die Bezeichnung „POWER MANAGEMENT IN MOBILE TERMINALS TO ALLOW TRANSMISSION OF ACK/NACK SIGNALS“ trägt. Das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 60 2004 019 788 geführte Streitpatent nimmt die Prioritäten der britischen Patentanmeldungen GB 03 18 735 vom 11. August 2003 und GB 04 10 905 vom 14. Mai 2004 in Anspruch. Das Streitpatent umfasst 9 Patentansprüche, die alle mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.
Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut:
„1. A method of operating a communication station (MS) adapted to transmit a plurality of signals simultaneously at respective power levels, the method comprising:
transmitting one or more first signals (DPCCH, DPDCH) simultaneously at a specified maximum combined transmit power level (Pmax);
characterised by, in response to a received signal, reducing the transmit power of the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) and transmitting simultaneously with the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) an additional one of a second signal (ACK, NACK) at a respective second specified power level (PA, PN) and a third signal (NACK, ACK) at a respective third specified power level (PN, PA), wherein the second specified power level (PA, PN) exceeds the third specified power level (PN, PA); wherein the reduction in transmit power of the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) corresponds to the second specified power level (PA, PN) irrespective of whether the additional signal is the second signal (ACK, NACK) or the third signal (NACK, ACK), such that when the additional signal is the third signal (NACK, ACK) the combined transmit power level is less than the specified maximum combined transmit power level (Pmax).“
Bezüglich der auf das Verfahren nach Patentanspruch 1 zurückbezogenen Ansprüche 2 bis 4, wegen des eine Kommunikationsstation (MS) betreffenden Vorrichtungsanspruchs 5 und der hiervon abhängigen Ansprüche 6 bis 8 sowie wegen des Kommunikationssystems nach Patentanspruch 9 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 656 746 B1 verwiesen.
Die Klägerinnen machen als Nichtigkeitsgrund geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung (WO 2005/015768 A1, K1C) hinaus. Wegen dieser unzulässigen Änderungen nehme das Streitpatent die Priorität der britischen Patentanmeldung GB 03 18 735 vom 11. August 2003 nicht wirksam in Anspruch, so dass die Druckschrift K2A als Stand der Technik bei der Prüfung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen sei und dem Streitpatent neuheitsschädlich entgegenstehe.
Die Klägerinnen stützen ihr Vorbringen auf folgende Unterlagen:
K1A EP 1 656 746 B1 (Streitpatentschrift),
K1B Merkmalsanalyse der Ansprüche 1 und 5,
K1C WO 2005/015768 A1(ursprüngliche Anmeldung)
K2A Standard ETSI TS 125.214 Version 5.6.0 Release 5
K2B Email vom 11. August 2003. Absender: Matthew Baker der Philips Research Laboratories, betreffend: „AH50: Power scaling at max power with HS-DPCCH“
K2C GB 0318735.8 vom 11. August 2003 (Prioritätsanmeldung)
K3 EP 0 887 947 A2.
Die Klägerinnen beantragen,
das europäische Patent 1 655 746 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Fassungen der Hilfsanträge I – IV gemäß Anlage zum Schriftsatz vom 3. Dezember 2012. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte einen neuen Hilfsantrag vom 18. Dezember 2012 überreicht, mit dem - in der Reihenfolge nach der Fassung des erteilten Patents und vor den weiteren bisher gestellten Hilfsanträgen I bis IV – das Streitpatent aufrechterhalten werden soll.
Die Klägerinnen, die das Streitpatent auch in den Fassungen gemäß Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 für nicht rechtsbeständig halten, beantragen, den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten neuen Hilfsantrag wegen Nichteinhaltung der gesetzten Fristen nach § 83 Abs. 4 PatG nicht zuzulassen. Es habe während der gesamten Dauer des Verfahrens Gelegenheit zu einer dementsprechenden Änderung bestanden, so dass die verspätete Vorlage dieses Hilfsantrags nicht entschuldigt sei. Die Klägerinnen seien nicht in der Lage, im Termin alle Änderungen gegenüber der erteilter Fassung bzw. dem Hilfsantrag I vom 3. Dezember 2012 beurteilen zu können.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen. Die vorgenommenen Änderungen rechtfertigten eine Berücksichtigung des Hilfsantrags vom 18. Dezember 2012. Die Nichtigkeitsklage sei unbegründet, da der Gegenstand des Streitpatents weder über den Inhalt der Ursprungsanmeldung hinausgehe noch ihm die Patentfähigkeit gegenüber dem von den Klägerinnen eingeführten Stand der Technik fehle. Insbesondere nehme das Streitpatent die Priorität der Druckschrift K2C entgegen der Behauptung der Klägerinnen zurecht in Anspruch, so dass das Dokument K2A nicht als Stand der Technik zu berücksichtigen sei, wobei die Beklagte bestreitet, dass dieses Dokument in der vorgelegten Fassung im September 2003 überhaupt existiert habe. Das von ihr mit Hilfe der Angabe der Klägerinnen aus dem Internet heruntergeladene Dokument
B1 3GPP TS 25.214 Version 5.6.0 Release 5
unterscheide sich jedenfalls von der von den Klägerinnen vorgelegten Druckschrift K2A.
Wegen der Fassung der Hilfsanträge wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Hinweis des Senats nach § 83 Abs. 1 PatG vom 17. September 2012 sowie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt allen Anlagen verwiesen.
Die Klage, mit der die in Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜG i. V. m. den Art. 52-57, Art. 138 Abs. 1 Buchstaben a und c EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der fehlenden Patentfähigkeit sowie der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht werden, ist zulässig und hinsichtlich beider Nichtigkeitsgründe begründet. Somit war das Streitpatent für nichtig zu erklären. Die in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgelegte Fassung, in der die Beklagte das Streitpatent zusätzlich verteidigt, hat der Senat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, da diese Fassung wegen § 83 Abs. 4 PatG zurückzuweisen war (vgl. unten Ziffer III 1). Die Fassungen gemäß den Hilfsanträgen I bis IV gemäß Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 stellen keine zulässige Verteidigung dar (vgl. unten Ziffer III 2 und 3).
I.
1. Das in der Verfahrenssprache Englisch abgefasste Streitpatent betrifft eine Kommunikationsstation (communication station) und weiterhin ein Verfahren zum Betrieb einer derartigen Kommunikationsstation (vgl. Streitpatent, Abs. [0001]).
Wie der Streitpatentschrift zu entnehmen ist, gibt es für Endgeräte (Terminals) in mobilen Kommunikationssystemen eine Grenze für die maximale Sendeleistung. Diese Grenze sei durch physikalische Beschränkungen oder eine Anweisung, die von einer Steuereinrichtung empfangen wird, vorgegeben (vgl. Streitpatent, Abs. [0002]).
Im Betrieb könne der Fall auftreten, dass während des Sendens eines ersten Signals, gleichzeitig ein zusätzliches Signal übertragen werden müsse. Dies könne zu einer Überschreitung der maximalen Sendeleistung führen. Für diese Fälle seien eine Reihe von Ansätzen unternommen worden, einschließlich dem, die Übertragungsleistung für das erste Signal zu reduzieren, um ein zusätzliches Signal mit genügend Leistung übertragen zu können, ohne dass die maximale Sendeleistung überschritten würde (vgl. Streitpatent, Abs. [0003]).
In einigen Systemen sei die Reduzierung der Übertragungsleistung für das erste Signal nur zu bestimmten Zeitpunkten möglich, z. B. nur am Beginn oder Ende eines Rahmens oder eines Zeitschlitzes. Diese Zeitpunkte müssen nicht mit dem Zeitpunkt des Beginns der Übertragung der zusätzlichen Signale übereinstimmen. Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems sei es, eine Reduzierung der Sendeleistung bereits im Vorfeld der Übertragung der zusätzlichen Signale durchzuführen (vgl. Streitpatent, Abs. [0004]).
Es bestehe vor diesem Hintergrund konkret das Problem, dass zu Beginn eines Zeitabschnitts noch nicht bekannt sei, von welcher Art das zusätzliche Signal ist, ob also ein zweites Signal oder ein drittes Signal zusätzlich gesendet werden soll. Da sich die Sendeleistungen für diese zweiten und dritten Signale unterscheiden können, sei zu Beginn des jeweiligen Zeitabschnitts unbekannt, um wie viel der Sendeleistungspegel des ersten Signals reduziert werden muss, damit die maximale Sendeleistung nicht überschritten wird (vgl. Streitpatent, Abs. [0005]).
Die Aufgabe des Patents bestehe nun darin, innerhalb eines angemessenen Zeitraums ein zusätzliches Signal übertragen zu können, ohne eine vorgegebene maximale Sendeleistung zu überschreiten (vgl. Streitpatent, Abs. [0009]).
Zur Lösung schlägt das Streitpatent ein Verfahren zum Betreiben einer Kommunikationsstation nach dem verteidigten Patentanspruch 1 vor, welches sich in folgende Merkmale gliedern lässt (in Anlehnung an die Merkmalsanalyse der Klägern, vgl. Anlage K1B, gegenüber dem Hinweis vom 17. September 2012 in den Gliederungspunkten verändert):
1.a A method of operating a communication station (MS) adapted to transmit a plurality of signals simultaneously at respective power levels, the method comprising: Verfahren zum Betreiben einer Kommunikationsstation zum simultanen Übertragen einer Anzahl von Signalen auf betreffenden Leistungspegeln, wobei das Verfahren umfasst:
1.b transmitting one or more first signals (DPCCH, DPDCH) simultaneously at a specified maximum combined transmits power level (Pmax); das Übertragen eines ersten Signals oder gleichzeitig mehrerer erster Signale (DPCCH, DPDCH) auf einem bestimmten maximalen kombinierten Übertragungsleistungspegel (P max ); characterised by, gekennzeichnet durch
1.c in response to a received signal, reducing the transmit power of the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) and in Reaktion auf ein empfangenes Signal, das Reduzieren der Übertragungsleistung des einen ersten Signals oder mehrerer erster Signale (DPCCH, DPDCH) und
1.d transmitting simultaneously with the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) an additional one of a second signal (ACK, NACK) at a respective second specified power level (PA , PN) and a third signal (NACK, ACK) at a respective third specified power level (PN , PA), das Übertragen eines zusätzlichen Signals eines zweiten Signals (ACK, NACK) auf einem betreffenden zweiten bestimmten Leistungspegel (P A , P N ) gleichzeitig mit dem einen ersten Signal oder mit mehreren ersten Signalen (DPCCH, DPDCH) und eines dritten Signals (NACK, ACK) auf einem betreffenden dritten bestimmten Leistungspegel (P N , P A ),
1.d1 wherein the second specified power level (PA , PN) exceeds the third specified power level (PN , PA); wobei der zweite bestimmte Leistungspegel (P A , P N ) den dritten bestimmten Leistungspegel (P N , P A ) übersteigt;
1.e1 wherein the reduction in transmit power of the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) corresponds to the second specified power level (PA, PN) irrespective of whether the additional signal is the second signal (ACK, NACK) or the third signal (NACK, ACK), wobei die Reduktion der Übertragungsleistung des einen ersten Signals oder mehrerer erster Signale (DPCCH, DPDCH) dem zweiten bestimmten Leistungspegel (P A , P N ) entspricht, ungeachtet, ob das zusätzliche Signal das zweite Signal (ACK, NACK) oder das dritte Signal (NACK, ACK) ist,
1.e2 such that when the additional signal is the third signal (NACK, ACK) the combined transmit power level is less than the specified maximum combined transmit power level (Pmax). so dass, wenn das zusätzliche Signal das dritte Signal (NACK, ACK) ist, der kombinierte Übertragungsleistungspegel niedriger ist als der bestimmte maximale kombinierte Übertragungsleistungspegel (P max ).
2. Als Fachmann, auf dessen Kenntnisse vorliegend abzustellen ist, sieht der Senat einen Diplomingenieur der Elektrotechnik mit Hochschulausbildung, der schwerpunktmäßig mit der Funkkommunikation befasst ist und über Kenntnisse der Entwicklung von (Mobil-)Funkgeräten und der bei ihnen zur Anwendung kommenden Leistungsregelungskonzepte verfügt. Bei diesem Fachmann sind Kenntnisse der zum Prioritätszeitpunkt etablierten Normen für Übertragungsverfahren der mobilen Kommunikation sowie der dafür zur Anwendung kommenden Standardgerätschaften als bekannt vorauszusetzen.
3. Ausgehend von dem Fach- und Erfahrungswissen dieses Fachmanns geht der Senat von folgenden, den einzelnen Begriffen zugrunde zu legenden Bedeutungsinhalten aus:
Die Anspruchsformulierungen der einander nebengeordneten erteilten Patentansprüche 1 und 5 beziehen sich allgemein auf ein Verfahren zum Betreiben einer Kommunikationsstation und auf die Kommunikationsstation selbst, ohne die Kommunikationsschnittstelle zwischen den Kommunikationsstationen als drahtlos oder drahtgebunden zu definieren. Diesem Umstand Rechnung tragend ist nach Überzeugung des Senats der Begriff Kommunikationsstation (communication station) seiner allgemeinen Bedeutung nach als Einrichtung zu verstehen, die Nachrichten oder Informationen empfängt und/oder absendet. Die Nachrichtenübertragung zwischen den einzelnen Kommunikationsstationen kann dabei drahtgebunden und/oder drahtlos über Luftschnittstellen erfolgen. Sämtliche vorgenannten Einrichtungen können zusammen mit weiterer Infrastruktur für die Übermittlung von Nachrichten oder Informationen unter dem Begriff Kommunikationssystem zusammengefasst werden.
Unter einem Übertragen eines ersten Signals oder gleichzeitig mehrerer erster Signale auf einem bestimmten maximalen kombinierten Übertragungsleistungspegel (Pmax) (Merkmal 1.b1) versteht der Fachmann die Übertragung der Signale auf einem bestimmten kombinierten Übertragungsleistungspegel, wobei ein maximaler Übertragungsleistungspegel nicht überschritten werden darf. (vgl. Streitpatent Sp. 1, Abs. [0003], „…which would require the terminals maximum transmit power…“, Sp. 4, Abs. [0021], “…and their combined powers are controlled so as not to exceed an allowable maximum power level P max .” und insbesondere Fig. 5, Bezz. 56 mit zugehöriger Beschreibung in Sp. 6, Absatz [0028], “…at a combined transmit power level equal to or less than the maximum allowable power level P max .”). Diese Vorgabe beinhaltet aber nicht, dass die Übertragung immer auf dem maximalen Übertragungsleistungspegel stattfindet.
Eine gleichzeitige (simultaneously) Übertragung von Signalen bedeutet nach Überzeugung des Senats, dass die Signale innerhalb eines Übertragungszeitintervalls parallel übertragen werden. Dabei muss der Beginn der Übertragung für beide Signale nicht zum selben Zeitpunkt erfolgen. Es kann beispielsweise auch während der Übertragung eines ersten Signals mit der Übertragung eines zweiten Signals begonnen werden.
II.
1. Der Gegenstand des Patents in der erteilten Fassung geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 138 (1), c) EPÜ).
Zur Beurteilung, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen und zu prüfen, ob die erteilten Patentansprüche auf einen Gegenstand gerichtet sind, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht als zur Erfindung gehörend erkennen ließ (BGH GRUR 2010, S. 509, Rdn. 25 – Hubgliedertor I; BGH GRUR 2005, 1023, 1024 – Einkaufswagen II). Der hierfür maßgebliche Inhalt ist dabei nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt, vielmehr ist anhand der Gesamtheit aller ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln, was als zur angemeldeten Erfindung gehörend anzusehen ist (vgl. BGH GRUR 2010, 910, Rdn. 46 – Fälschungssicheres Dokument, m. w. N.).
Zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung im Zusammenhang mit der Frage, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, gehört aber nur das, was den ursprünglich eingereichten Unterlagen „unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen ist, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann (BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 – Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 - Fälschungssicheres Dokument mit weiteren Nachweisen).
Das Merkmal 1.c ist zur Überzeugung des Senats den ursprünglichen Unterlagen (Anlage K1C) nicht „unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen.
Wie in der ursprünglichen Beschreibung ausgeführt, ist es während des Sendens eines ersten Signals manchmal („sometimes“) erforderlich, zusätzliche Signale zu übertragen, wodurch die maximale Sendeleistung des Endgeräts überschritten werden könnte (vgl. K1C, S. 1, Z. 16 bis 17, „…it is sometimes necessary to transmit simultaneously additional signals which would require the terminal's maximum transmit power limit to be exceeded.“). Immer dann, wenn die Mobilstation (2. Station) ein zusätzliches Signal zu übertragen wünscht („…wishing to transmit…“), also nicht direkt als Folge eines empfangenen Signals, soll deshalb die Leistung des 1. Signals um einen Betrag reduziert werden (vgl. K1C, Patentansprüche 1, 12, 18, S. 2, Z. 13, 24, S. 3, Z. 2 bis 3). Zwar ist – wie von der Beklagten dargelegt - dem Ausführungsbeispiel in den ursprünglichen Unterlagen zu entnehmen, dass in einem UMTS-Mobilfunksystem eine Mobilstation eine positive oder negative Bestätigung (ACK/NACK) an die Basisstation schicken muss, falls die Basisstation ein Datenpaket über den „High-Speed Downlink Packet Access“ HSDPA an die Mobilstation schickt (vgl. K1C, S. 5, Z. 15 bis 21), jedoch muss die Übertragungsleistung nur dann reduziert werden, wenn die Übertragung des zusätzlichen Bestätigungssignals (ACK, NACK) parallel zu den Uplink-Signalen mehr als die erlaubte maximale Übertragungsleistung erfordern würde (vgl. K1C, S. 5, Z. 29 bis 31).
Dies wird auch durch den Ablaufplan in Fig. 5 der K1C gestützt, in der die einzelnen Schritte, die durch die Mobilstation (2. Station) bei dem beanspruchten Verfahren ausgeführt werden, zusammengefasst sind. Demnach erfolgt die Reduzierung der Leistung nicht unmittelbar in Reaktion auf ein (beliebiges) Eingangssignal (vgl. Block 52, HSDPA DATA PACKET), sondern erst in Reaktion darauf, dass die maximale Leistung Pmax beim Senden eines Uplink-Signals, bestehend aus DPDCH, DPCCH und dem Signal ACK oder NACK, mit der höheren Leistung überschritten würde (vgl. K1C, S. 7, Z. 11 bis 28; Fig. 5, Block 56, Pmax EXCEEDED). Als Eingangssignal ist für das Ausführungsbeispiel bei einer UMTS-Übertragung konkret ein HSDPA-Daten-Paket ausgewiesen. Eine mittelbare oder unmittelbare Reaktion auf ein beliebiges Empfangssignal lässt sich daraus zur Überzeugung des Senats nicht ableiten.
Soweit die Beklagte argumentiert, der wesentliche Inhalt der Erfindung beruhe auf den Figuren 3 und 4 in Verbindung mit den Textstellen auf Seite 5, Zeilen 3 bis 6 und 13 bis 16 der Druckschrift K1C, kann sich der Senat dieser Auffassung nicht anschließen. Denn der Fachmann wird diese Stellen nicht für sich alleine, sondern im Kontext mit der zugehörigen weiteren Beschreibung betrachten, wohl wissend, dass üblicherweise in der Beschreibung nicht an allen Stellen immer alle erfindungswesentlichen Merkmale wiederholt werden. Aus diesem Gesamtzusammenhang erschließt sich ihm unmittelbar und eindeutig, dass die kombinierte Übertragungsleistung PD und PC der DPDCH und DPCCH-Kanäle so gesteuert wird, dass sie eine maximal erlaubte Leistung Pmax nicht übersteigt (vgl. K1C, S. 5, Z. 12; „…controlled so as not to exceed an allowable maximum power level P max .“). Eine Aussage über die tatsächliche Sendeleistung oder dass immer mit der maximalen Leistung gesendet wird, wird nicht getroffen. Demgemäß muss auch die Übertragungsleistung nicht grundsätzlich, sondern nur dann reduziert werden, wenn die parallele Übertragung eines ACK oder NACK-Signals mehr als die erlaubte maximale Übertragungsleistung erfordern würde (vgl. einmal mehr K1C, S. 5, Z. 29 bis 31; Fig. 5).
2. Auch wenn man der Beklagten folgen und von einer ausreichenden Offenbarung des Patentgegenstands in den ursprünglichen Unterlagen ausgehen würde, so stünde dem Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 der vorveröffentlichte Standard gemäß Anlage K2A (Standard ETSI TS 125 214 Version 5.6.0 Release 5) vom 1. Oktober 2003 neuheitsschädlich entgegen.
a) Das Streitpatent kann als Zeitrang die Priorität der britischen Voranmeldung GB 0318735.8 nicht wirksam beanspruchen.
Eine Priorität kann für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung gemäß Art. 88 EPÜ nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Fachmann den Gegenstand des Patentanspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes und zwar in der Weise entnehmen kann, dass sämtliche Merkmale als zur Erfindung gehörend in der Gesamtheit der Prioritätsunterlagen offenbart sind (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2012 X ZR 3/10, „UV-unempfindliche Druckplatte“). Es muss sich um dieselbe Erfindung handeln. Für die Beurteilung einer identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2003 - X ZR 4/00, „Elektronische Funktionseinheit“). Demnach ist in einem Dokument als offenbart anzusehen, was der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig den betrachteten Unterlagen entnehmen kann, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann (vgl. einmal mehr BGH GRUR 2010, 910 – Fälschungssicheres Dokument).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall bezüglich der britischen Patentanmeldung GB 0318735.8 (K2C) nicht erfüllt.
Die britische Patentanmeldung (K2C) betrifft Endgeräte (Terminals) in mobilen Kommunikationssystemen (S. 1, Z. 6 bis 8). Bei diesen mobilen Kommunikationssystemen sei es, während ein Endgerät ein erstes Signal sendet, manchmal erforderlich, ein zusätzliches Signal zu senden, was zu einer Überschreitung der maximalen Sendeleistung führen würde (S. 1, Z. 9 bis 11; „…, it is sometimes necessary to transmit …“). Es wird deshalb vorgeschlagen, die Übertragungsleistung eines ersten Signals um einen Betrag zu reduzieren, der der größten Leistungsanforderung der zusätzlich möglichen Signale entspricht (S. 1, Z. 27 bis 29). Gemäß dem Ausführungsbeispiel überträgt eine mobile Station in einem UMTS-Kommunikationssystem kontinuierlich Aufwärtssignale (= erste Signale) an eine Basisstation (S. 2, Z. 4 bis 5). Die mobile Station empfängt zudem Datenpakete auf einem Abwärtskanal, typischerweise dem „High Speed Downlink Packet Access“ (HSDPA), wobei die mobile Station (MS) für jedes empfangene Datenpaket, je nach Ergebnis einer CRC-Überprüfung, eine positive (ACK) oder negative (NACK) Bestätigung auf dem sogenannten „High-Speed dedicated Physical Control Channel“ (HS-DPCCH) an die Basisstation übertragen muss. Falls die parallele Übertragung der ACK/NACK-Signale mit den kontinuierlichen Daten eine höhere als die verfügbare maximale Übertragungsleistung erfordert - und somit nicht zwangsläufig als Reaktion auf den Empfang eines Datenpakets -, wird die Übertragungsleistung auf den Aufwärtskanälen mit den kontinuierlichen Daten an den Grenzen des Zeitschlitzes unmittelbar vor dem Start der Übertragung des ACK/NACK-Signals verringert (S. 2, Z. 14 bis 17).
Die Reduzierung der Leistung erfolgt somit gemäß der britischen Patentanmeldung GB 0318735.8 (K2C) nicht unmittelbar in Reaktion auf ein (beliebiges) Eingangssignal, sondern erst in Reaktion darauf, dass die maximale Leistung überschritten würde. Als Eingangssignal ist zudem für den Fall einer UMTS-Übertragung konkret ein HSDPA-Daten-Paket ausgewiesen. Eine mittelbare oder unmittelbare Reaktion auf ein beliebiges Empfangssignal lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht ableiten.
Während sich die britische Patentanmeldung GB 0318735.8 (K2C) ausschließlich mit Endgeräten in mobilen Kommunikationssystemen auseinandersetzt, fallen zur Überzeugung des Senats unter den Schutzbereich des erteilten Patentanspruchs 1 auch Systeme, bei denen die Nachrichtenübertragung zwischen den einzelnen Kommunikationsstationen drahtgebunden erfolgen kann (vgl. Abschnitt I, Punkt 3, Auslegung). Der Meinung der Beklagten, auf Grund der im erteilten Patentanspruch 1 im Merkmal 1.b beschriebenen Übertragung von mehreren Signalen auf einem gemeinsamen maximalen Leistungspegel, schließe der Fachmann unmittelbar auf eine Kommunikationsstation in einem Mobilfunksystem, kann sich der Senat nicht anschließen, zumal auch aus der drahtgebundenen Telefonie bekannt ist, z. B. bei der Datenübertragung im Frequenzmultiplexverfahren, mehrere Signale gleichzeitig bei einem maximalen Leistungspegel zu übertragen.
Der Anmeldetag der britischen Voranmeldung GB 0318735.8 kann folglich nicht als Zeitrang für das vorliegende Patent in Anspruch genommen werden.
b) Die von der Klägerin entgegengehaltene Druckschrift nach Anlage K2A ist bei der Prüfung der erteilten Fassung des Streitpatents auf Patentfähigkeit zu berücksichtigen, da sie vor dem maßgeblichen Anmeldetag der Öffentlichkeit zugänglich war.
Wie mit dem Hinweis des Senats nach § 83 Abs. 1 PatG vom 17. September 2012 im Vorgriff zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt, hat der Senat keine Bedenken, von einer Vorveröffentlichung der Anlage K2A (ETSI TS 125 214 Version 5.6.0 Release 5), bei der es sich um einen Standardisierungsbeitrag von ETSI (Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen) handelt, auszugehen. Das Dokument K2A entspricht inhaltlich dem von 3GPP, einer weltweiten Kooperation von Standardisierungsgremien für die Standardisierung im Mobilfunk, veröffentlichten Dokument gemäß der von der Beklagten eingeführten Anlage B1 (3GPP TS 25.214 Version 5.6.0 Release 5). Die beiden Dokumente unterscheiden sich lediglich im Layout der Titelseite, in den Angaben zum Herausgeber auf den Seiten 1 und 2, in der Kopfzeile, sowie darin, dass die 3GPP-Version keine Seite 64 mit einer Dokumentenhistorie enthält.
Nach Feststellungen des Senats sind sowohl die Anlage K2A (über die Internetseite „http://webapp.etsi.org/key/key.asp?GSMSpecPart1=25&GSMSpecPart2=214&Search=search“) als auch die Anlage B1 (über die Adresse „http://3gpp.org/ftp/Specs/2003-09/Rel-5/25_series“) jederzeit über das Internet abrufbar und herunterzuladen. Diese Beiträge stimmen vollständig mit den als Anlage K2A bzw. B1 vorgelegten Druckschriften überein. Das auf der Internetseite von ETSI mit „last modified“ bezeichnete Datum 1. Oktober 2003 ist als der späteste Zeitpunkt anzusehen, ab dem der Beitrag - in mit der Anlage K2A identischer Form - auf dem Server eingestellt wurde und seitdem unverändert und vorbehaltlos jedermann zur Verfügung steht. Das auf dem 3GPP-Server bereitgestellte Dokument trägt als „last modified“ das Datum 29. September 2003. Folglich gehört der Standard zum im Hinblick auf das Streitpatent berücksichtigungsfähigen Stand der Technik. Soweit die Beklagte die Vorveröffentlichung der K2A in der Klageerwiderung bestreitet, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass sie keine konkreten Tatsachen vorgetragen hat, die abweichend von den Ausführungen der Klägerin, etwa im Schriftsatz vom 24. Januar 2012, mit deren Hilfe der Senat den Beitrag auf dem Internet-Server von ETSI ohne Weiteres finden und als identisch mit der am 12. Juli 2010 den Mitgliedern übersandten K2A beurteilen konnte, Anlass sein könnten, noch Zweifel am Veröffentlichungstag der K2A zu stützen.
c) Die Druckschrift K2A nimmt alle Merkmale des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung neuheitsschädlich vorweg (Art. 54 EPÜ).
Dies ergibt sich aus S. 21, Kapitel 5.1.2.6. der K2A. Die Beklagte hat dem und den Ausführungen der Klägerin zur Neuheit gegenüber der K2A weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung widersprochen, auch für den Senat ergeben sich insoweit keine Zweifel.
d) Mit dem Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung kann das Patent somit keinen Bestand haben.
Dass in den nebengeordneten Patentansprüchen 5 und 9 bzw. in den rückbezogenen Unteransprüchen eigenständig erfinderische Gegenstände enthalten seien, hat die Beklagte weder geltend gemacht, noch ist dies für den Senat ersichtlich. Vielmehr hat die Beklagte im Rahmen ihrer Hilfsanträge versucht, zur Patentfähigkeit der dort beanspruchten Gegenstände zu gelangen.
III.
1. Den erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2012 vorgelegten Hilfsantrag, mit dem die Beklagte das Streitpatent in erster Linie hilfsweise verteidigt, hat der Senat gemäß § 83 Abs. 4 PatG zurückgewiesen. Nach dieser Vorschrift kann das Patentgericht eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents zurückweisen und bei seiner Entscheidung unberücksichtigt lassen, wenn dieses Vorbringen nach Ablauf der hierfür nach § 83 Abs. 2 PatG gesetzten Frist erfolgt ist und die weiteren Voraussetzungen (Nr. 1 bis 3) von § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG erfüllt sind.
a) Das neue Vorbringen der Beklagten, das erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgt ist, ist damit nach Ablauf der im Hinweis des Senats nach § 83 Abs. 1 PatG gesetzten Fristen eingereicht worden und hätte eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht (§ 83 Abs. 4 Nr. 1 PatG).
Die Beklagte hatte in ihrer fristgerechten Stellungnahme vom 26. November 2012 auf den Hinweis des Senats (vom 17. September 2012) zunächst insgesamt 8 Hilfsanträge eingereicht, die sie mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 durch neue Hilfsanträge I bis IV ohne nähere Begründung ersetzt hat. Die Klägerin hat in der ihr bis zum 3. Dezember 2012 gesetzten Schriftsatzfrist folglich bis dahin nur zu den zwischenzeitlich überholten Hilfsanträgen vom 26. November 2012 Stellung nehmen können. Erstmalig in der mündlichen Verhandlung, in der neben der erteilen Fassung ausführlich insbesondere Hilfsantrag I vom 3. Dezember 2012 diskutiert wurde, hatte die Klägerin Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Auch wenn der im Termin überreichte neue Hilfsantrag formal auf der noch innerhalb der mit dem gerichtlichen Hinweis gesetzten Fristen eingegangenen Fassung des Hilfsantrag I vom 3. Dezember 2012 basiert, enthält er nicht lediglich die Hinzufügung des Merkmals „in a mobile communication system“ jeweils im Oberbegriff der Patentansprüche 1 und 5. Vielmehr hat die Beklagte in diesen Ansprüchen inhaltliche Änderungen durch Streichung eines Merkmals vorgenommen sowie die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 4 ebenso gestrichen wie die Ansprüche 6 bis 9 und schließlich Patentanspruch 5 aus Hilfsantrag I als neuen Anspruch 2 bezeichnet. Zwar könnte die Änderung gegenüber Hilfsantrag I durch Hinzufügung des einen Merkmals als missverständliches Schreibversehen bzw. als im gegebenen Kontext technische Selbstverständlichkeit angesehen werden und somit die Zurückweisung des Verteidigungsvorbringens für sich nicht rechtfertigen. Jedoch ist der Klägerin zuzustimmen, die zurecht darauf hinweist, dass die vorgenommenen Streichungen in keinerlei Zusammenhang mit der Einfügung dieses Merkmals stehen, sondern unabhängig davon und zu jeder Zeit vor der mündlichen Verhandlung hätten erfolgen können. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang auch keine Erklärung für den späten Zeitpunkt dieser Änderungen abgegeben. Insbesondere durch die Streichung eines von mehreren kennzeichnenden Merkmalen, das zusammen mit den weiteren zahlreichen Merkmalen des umfangreichen Verfahrensanspruchs 1 in einem komplexen Bedingungszusammenhang steht mit der Folge, dass die vorgenommene Änderung in ihrer Auswirkung auf die unter Schutz gestellte Lehre einer eingehenden Prüfung bedarf, hat sich die Klägerin - für den Senat nachvollziehbar - nicht mehr in der Lage gesehen, im Termin zur neuen verteidigten Fassung ausreichend Stellung nehmen zu können.
Denn durch die neue Antragsstellung ist eine Grenze überschritten, jenseits derer sich die Klägerin im Termin nicht mehr ausreichend zur gegnerischen Verhandlungsführung einlassen konnte, so dass sich die Notwendigkeit einer Vertagung ergeben hätte. Anderenfalls wäre das rechtliche Gehör der Klägerin nicht in ausreichendem Maße gewahrt worden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, die insbesondere vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Anwendung des § 173 VwGO entwickelt worden ist und vom Bundesgerichtshof im patentrechtlichen Bereich fortentwickelt wurde, sind eine Vertagung der mündlichen Verhandlung rechtfertigende erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO regelmäßig solche, die den Anspruch auf rechtliches Gehör einer oder mehrerer Parteien berühren und die auch gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2004 - X ZR 212/02 m. w. N., veröffentlicht unter dem Schlagwort "Vertagung" in GRUR 2004, 354, häufig auch zitiert unter „Crimpwerkzeug I“). Angesichts der verfassungsrechtlichen Garantie des Anspruchs auf rechtliches Gehör verbleibt dem Gericht dann auch kein Ermessensspielraum bei der Frage der Vertagung (vgl. hierzu Senatsentscheidung vom 25. April 2012, Aktenzeichen 5 Ni 28/10 (EP) „Wiedergabeschutzverfahren“; vgl. auch Senatsentscheidung vom 2. Oktober 2012, Aktenzeichen 5 Ni 40/10).
Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung wäre danach vorliegend als erforderlich anzusehen gewesen. Mit der neuen Anspruchsfassung in ihrer Komplexität musste die Beklagte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung des Hinweises nach § 83 Abs. 1 PatG und der Reaktion der Beklagten hierauf nicht rechnen. Der neu beanspruchte Gegenstand betraf im Wesentlichen auch nicht etwa nur die Hinzufügung von Merkmalen, sondern enthält Änderungen, deren Relevanz an der erteilten Fassung ebenso zu messen sind wie am Hilfsantrag I, an dessen Gegenstand der neue Hilfsantrag anknüpft. Es kann der Klägerin auch nicht obliegen, zu einzelnen der geänderten Punkte vorab vorzutragen, ohne die neue Fassung in ihrem Gesamtzusammenhang beurteilen zu können, da einzelne Gesichtspunkte in ihrer Relevanz für die technische Lehre bei komplexen Anspruchsfassungen nicht ohne Berücksichtigung der Merkmale in ihrer Gesamtheit beurteilt werden können.
b) Die nach § 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 PatG kumulativ erforderlichen weiteren Voraussetzungen liegen ebenfalls vor. Die Beklagte hat die Verspätung nicht (genügend) entschuldigt (§ 83 Abs. 4 Nr. 2 PatG). Eine Begründung, warum sie die in erster Linie verteidigte Fassung des Anspruchs 1 erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, hat sie nicht abgegeben. Die nach § 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 PatG erforderliche Belehrung über die Folgen einer Fristversäumung (vgl. Ziffer V des Hinweises des Senats vom 17. September 2012 am Ende) war dem gerichtlichen Hinweis beigefügt.
c) Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. April 2012 (5 Ni 28/10 (EP) - BPatGE 53, 40) näher begründet hat, ist die "Kann"-Vorschrift des § 83 Abs. 4 PatG in normal gelagerten Fällen grundsätzlich anzuwenden, schon aus den Gründen der Prozessökonomie bei hoher Geschäftsbelastung und der Rechtssicherheit (a. a. O. S. 48). Ein Ausnahmefall wie in den dort genannten Sachverhalten (z. B. Missverständnis über einen Hinweis, Grenzfälle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 83 Abs. 4 PatG) oder eine damit vergleichbare Sachlage ist vorliegend für den Senat nicht erkennbar.
2. Mit Hilfsantrag I gemäß Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 kann die Beklagte das Streitpatent nicht in zulässiger Weise verteidigen.
a) Der hilfsweise verteidigte Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I sieht ein Verfahren vor, das nach Merkmalen gegliedert wie folgt charakterisiert ist (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung unterstrichen):
1.aHI A method of operating a communication mobile Station (MS) adapted to transmit a plurality of signals simultaneously at respective power levels, the method comprising:
1.b transmitting one or more first signals (DPCCH, DPDCH) simultaneously at a specified maximum combined transmits power level (Pmax); characterised by,
1.cHI in response to a received signal and if the total transmit power would exceed the specified maximum combined transmit power level (P max ) , reducing the transmit power of the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) and
1.dHI transmitting simultaneously with the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) an additional one of a second signal (ACK, NACK) at a respective second specified power level (PA , PN ) and a third signal (NACK, ACK) at a respective third specified power level (PN , PA ), wherein the second signal is either a positive acknowledgement signal (ACK) or a negative acknowledgement signal (NACK) and the third signal is the other one of the positive acknowledgement signal (ACK) or the negative acknowledgement signal (NACK),
1.d1 wherein the second specified power level (PA , PN) exceeds the third specified power level (PN , PA);
1.e1 wherein the reduction in transmit power of the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) corresponds to the second specified power level (PA, PN ) irrespective of whether the additional signal is the second signal (ACK, NACK) or the third signal (NACK, ACK),
1.e2 such that when the additional signal is the third signal (NACK, ACK) the combined transmit power level is less than the specified maximum combined transmit power level (Pmax).
b) Das geänderte Merkmal 1.cHI, ist in der ursprünglichen Offenbarung nicht als zur Erfindung gehörig offenbart und führt zu einem Aliud gegenüber der erteilten Fassung. Dies steht der nachträglichen Aufnahme in den erteilten Patentanspruch 1 entgegen.
b1) Eine wortgemäße Offenbarung des Merkmals 1.cHI ist in den ursprünglichen Unterlagen nicht enthalten. Der zuständige Fachmann entnimmt den ursprünglichen Unterlagen nur, dass es sich bei dem „combined transmit power level“ um die Summe der Übertragungsleistungen des oder der ersten Signale und des zusätzlich zu sendenden Signals handelt und dass dieser Wert auf einen maximalen Wert, den „specified maximum combined transmit power level (Pmax)“ begrenzt ist (vgl. K1C, S. 7, Z. 9 bis 10). Für eine Gesamtübertragungsleistung („total transmit power“), bei der es sich für den Fachmann an Hand des Anspruchswortlauts ersichtlich nicht um den „combined transmit power level“ handelt, da in diesem Fall dieselbe Formulierung verwendet worden wäre, findet der Fachmann in den ursprünglichen Unterlagen weder eine wortgetreue noch eine sonstige Offenbarung. Soweit die Beklagte hierzu auf die Figuren 3 und 4 mit zugehöriger Beschreibung verweist, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass der Fachmann diesen Stellen nur die maximal erlaubte Übertragungsleistung Pmax entnehmen kann (vgl. K1C, S. 2, Z. 2 „maximum allowed transmit power P max “). Auch die Beschreibung zu der Figur 5, die eine Zusammenfassung der beanspruchten Verfahrensschritte zeigt, liefert dem Fachmann hierzu keine weiteren Erkenntnisse. Diese Beschreibungsteile offenbaren ganz speziell, dass für den Fall, dass ein Uplink-Signal bestehend aus DPDCH, DPCCH und dem ACK bzw. NACK-Signal mit der höheren Leistung eine maximal erlaubte Übertragungsleistung Pmax übersteigt, die mobile Station wenigstens den DPCCH-Kanal skaliert, damit Pmax nicht überschritten wird (vgl. K1C, S. 7, Z. 15, 18 bis 23, Fig. 5, Bezz. 56). Der allgemeine Begriff einer Gesamtübertragungsleistung („total transmit power“) lässt sich daraus zur Überzeugung des Senats nicht ableiten. Das Verfahren in der mit Hilfsantrag I verteidigten Fassung geht somit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und ist ein Aliud.
b2) Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Begriff Gesamtübertragungsleistung in den ursprünglichen Unterlagen offenbart wäre, so würde dies nicht zu einem Gegenstand führen, mit dem das Patent in zulässiger Weise verteidigt werden könnte.
Der Senat schließt sich der Auffassung der Beklagten insofern an, als aus Sicht des Fachmannes unter Heranziehung der ursprünglichen Unterlagen der Anspruch nur so gelesen werden kann, dass die Bedingungen in Merkmal 1cHI kumulativ erfüllt sein müssen, d. h. beide müssen eintreten. Dies hat zur Folge, dass bei dem beanspruchten Verfahren nur dann eine Reduzierung der Leistung durchgeführt und ein zusätzliches Signal übertragen wird, wenn ein Signal empfangen und zudem die Gesamtübertragungsleistung („total transmit power“) die spezifische maximale kombinierte Übertragungsleistung Pmax übersteigt. Falls ein Signal empfangen wird und eine Gesamtübertragungsleistung die spezifische maximale kombinierte Übertragungsleistung Pmax nicht übersteigt, würde kein zusätzliches Signal gesendet. Dies ist in den ursprünglichen Unterlagen so aber nicht offenbart.
Die erteilte Fassung des Patentanspruchs 1 fordert vielmehr, dass in Reaktion auf ein empfangenes Signal (immer) ein zusätzliches Signal gesendet wird. Mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I verteidigt die Beklagte mithin eine Anspruchsfassung, die auf einer vollkommen andersartigen Bedingung für das Senden eines zweiten Signals basiert und zur Überzeugung des Senats zu einer anderen Lehre, einem Aliud führt.
Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob die noch weiter im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I enthaltenen Änderungen gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 aus den ursprünglichen Unterlagen hervorgehen.
c) Mit dem Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag I verteidigten Fassung kann das Patent somit keinen Bestand haben. Die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche 5 und 9 in der Fassung des Hilfsantrags I sind aus den zum Patentanspruch 1 ausgeführten Gründen ebenfalls nicht bestandsfähig.
3. Mit den Hilfsanträgen II bis IV gemäß Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 kann die Beklagte das Streitpatent nicht in zulässiger Weise verteidigen.
a) Die hilfsweise verteidigten Fassungen des Patentanspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen II, III und IV enthalten ebenso wie Hilfsantrag I das Merkmal,
1.cHI in response to a received signal and if the total transmit power would exceed the specified maximum combined transmit power level (P max) , reducing the transmit power of the one or more first signals (DPCCH, DPDCH) and
das zur Unzulässigkeit dieser Fassungen führt.
b) Auch die jeweiligen Patentansprüche 1 der Hilfsanträge II, III und IV beanspruchen somit Lehren, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausgestaltung der Erfindung offenbart sind. Sie stellen sich gegenüber der erteilten Fassung zudem als Aliud dar. Es wird hierzu auf die Ausführungen zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I verwiesen.
Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob die zusätzlichen Merkmale der jeweiligen Fassungen des Patentanspruchs 1 gemäß der Hilfsanträge II, III und IV gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I aus den ursprünglichen Unterlagen hervorgehen.
c) Mit dem Patentanspruch 1 in den mit den Hilfsanträgen II, III und IV verteidigten Fassungen kann das Patent somit keinen Bestand haben. Der Gegenstand der nebengeordneten Patentansprüche 4 und 7 in der Fassung des Hilfsantrags II, der nebengeordneten Patentansprüche 3 und 5 in der Fassung des Hilfsantrags III, sowie der nebengeordneten Patentansprüche 2 und 3 in der Fassung des Hilfsantrags III sind aus den zum Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I ausgeführten Gründen nicht bestandsfähig.
IV.
Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG, § 709 ZPO.