Entscheidungsdatum: 02.10.2012
Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler
1. Wird der Streitwert eines Patentnichtigkeitsverfahrens erst in der mündlichen Verhandlung festgesetzt, ist ein Antrag auf Streitwertherabsetzung auch nach deren Beginn zulässig, jedenfalls dann, wenn in der Nichtigkeitsklage ein niedrigerer Streitwert genannt werde.
2. Durch die Vorlage eines Internetauszuges betreffend die Eintragung einer Prozesspartei im Handelsregister des Vereinigten Königreichs, in dem die Prozesspartei als "schlafende" Gesellschaft (Dormant Accounts) ohne Einkünfte angegeben ist, kann eine Gefährdung der wirtschaftlichen Lage i. S. d. § 144 Abs. 1 PatG nicht glaubhaft gemacht werden.
3. Bei einer Zurückweisung einer Verteidigung der Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents gemäß § 83 Abs. 4 PatG n. F. ist ein strenger Maßstab anzulegen (wie BPatGE 53, 40 – Wiedergabeschutzverfahren).
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das deutsche Patent 101 48 799
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter Gutermuth, die Richterin Martens sowie die Richter Dipl.-Ing. Gottstein, Dipl.-Ing. Kleinschmidt und Dipl.-Ing. Musiol
für Recht erkannt:
I. Das deutsche Patent 101 48 799 wird für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 2. Oktober 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten deutschen Patents 101 48 799 (Streitpatent), das einen "Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler" betrifft und 6 Patentansprüche umfasst.
Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
1. Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler, dessen analoges Frontend aus einem Eingangswiderstand [1], einem Rückkopplungswiderstand [2], einer Integrator-Kapazität [3] und einem Flip-Flop [4] besteht, dadurch gekennzeichnet, dass ein vor dem D-Eingang des Flip-Flops [4] befindlicher Buffer [5] [7] und/oder ein hinter dem Ausgang des Flip-Flops [4] im Rückkopplungspfad befindlicher Buffer [6] [8] betriebsspannungsmäßig getrennt von dem die digitalen Schaltungsteile beinhaltenden Halbleiterchip versorgt wird, damit eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend eintritt.
Wegen der auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 wird auf die Patentschrift DE 101 48 799 C2 Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe ausgehend von der Druckschrift DE 195 18 508 A1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Zudem sei die Lehre des erteilten Patentanspruchs 5 nicht ausführbar. Die Klägerin erhebt mit Schriftsatz vom 1. August 2011 zusätzlich noch den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gegenüber der ursprünglichen Offenbarung.
Die Klägerin stützt ihr Vorbringen zur fehlenden Patentfähigkeit auf folgende Unterlagen:
D1: DE 195 18 508 A1
D2: "Sigma-Delta-ADC in Software", Design & Elektronik 10/98
D3: US 4,926,178
D4: Steven Harris: "Layout and Design Rules for Data Converters and other Mixed Signal Devices", February 1998, Application Note AN18, herausgegeben von der Cirrus Logic, Inc. (Austin, Texas, USA)
D5: US 4,746,899
D6: JP 2734731 B2
D6a: maschinell erstellte Übersetzung von D6
D7: WO 95/24077 A1.
Wegen der unzulässigen Erweiterung bezieht sich die Klägerin auf die
D9: DE 101 48 799 C2 (gemeint ist wohl die A1-Schrift).
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent 101 48 799 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte, die die erteilte Fassung des Streitpatents nur mehr hilfsweise verteidigt, beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die in der mündlichen Verhandlung überreichte geänderte Fassung von Patentanspruch 1 richtet, der sich die erteilten Patentansprüche 2 bis 6 anschließen.
Patentanspruch 1 dieser in erster Linie verteidigten Fassung lautet wie folgt (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung mittels Fettdruck sowie durch Streichungen kenntlich gemacht)
1. Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler, dessen analoges Frontend aus einem Eingangswiderstand [1], einem Rückkopplungswiderstand [2], einer Integrator-Kapazität [3] und einem Flip-Flop [4] besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die Betriebsspannung eines ein vor dem D-Eingang des Flip-Flops [4] befindlichen Buffers [5] [7] und/oder ein hinter dem Ausgang des Flip-Flops [4] im Rückkopplungspfad befindlichen Buffers [6] [8] betriebsspannungsmäßig getrennt von dem die digitalen Schaltungsteile beinhaltenden Halbleiterchip stabilisiert versorgt wird, damit eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend eintritt.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent in den verteidigten Fassungen für patentfähig, insbesondere ergebe sich sein Gegenstand nicht in naheliegender Weise aus dem von der Klägerin angeführten Stand der Technik. Die Erfindung sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Der Gegenstand des Streitpatents gehe auch nicht über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Zur Stützung ihres Vorbringens legt die Beklagte folgende Unterlagen vor:
NB-1: Anne-Johan Annema, Bram Nauta, Ronald van Langevelde, Hans Tuinhout, Analog Circuits in Ultra-Deep-Submicron CMOS, IEEE JOURNAL OF SOLID-STATE CIRCUITS, VOL. 40, NO. 1, JANUARY 2005, Seiten 132 bis 143
NB-2: Dr. Michael Gude, Gerriet Müller, Fully Digital Implemented Delta-Sigma Analog to Digital Converter, Konferenzbeitrag IP/SOC 2006 – December 6-7, 2006, Grenoble, Frankreich
NB-3: IP-SOC 2006, IP Based SoC Design, Conference & Exhibition, Dec 6-7, France, Program Committee (Liste der Commiteemitglieder)
NB-4: Abb. 1: Erfindungsgemäße Schaltung mit analogen und digitalen Anteilen (Schriftsatz vom 20. August 2012).
Die Klägerin hält die Vorlage der nunmehr beanspruchten Fassung von Patentanspruch 1 erstmals in der mündlichen Verhandlung für verspätet und beantragt deren Zurückweisung. Dem ist die Beklagte entgegengetreten.
Im Termin hat der Senat nach Erörterung mit den Parteien den Streitwert, den die Klägerin in der Klageschrift mit 100.000,00 € angenommen hatte, auf 500.000,00 € festgesetzt. Dem Antrag der Beklagten auf Streitwertbegünstigung hat die Klägerin mit der Begründung widersprochen, der vorgelegte Internetauszug (https://ewf.companieshouse.gov.uk: Registered Number 06441437, M…… Development Ltd., Dormant Accounts, BalanceSheets as at 30 November 2011) mache die angebliche Gefährdung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten nicht glaubhaft. Der Senat hat den Antrag der Beklagten durch Beschluss zurückgewiesen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Hinweis des Senats nach § 83 Abs. 1 PatG vom 19. Juli 2012 Bezug genommen sowie auf das Sitzungsprotokoll und die gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen.
Die zulässige Nichtigkeitsklage ist begründet, da die Verteidigung der Beklagten mit der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten geänderten Fassung des Streitpatents nach § 83 Abs. 4 PatG zurückzuweisen war. Soweit die Beklagte das Streitpatent hilfsweise in der erteilten Fassung verteidigt, geht dessen Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereicht worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 22 Abs. 1 PatG). Ob das Streitpatent daneben auch wegen fehlender Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 PatG) für nichtig zu erklären wäre und ob der weitere Nichtigkeitsgrund der fehlenden Ausführbarkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 22 Abs. 1 PatG) vorliegt, kann daher dahingestellt bleiben.
I.
Die in der mündlichen Verhandlung überreichte Fassung von Patentanspruch 1 des Streitpatents, auf die die Beklagte ihre Verteidigung in erster Linie stützt, ist gemäß § 83 Abs. 4 PatG zurückzuweisen. Nach dieser Vorschrift kann das Patentgericht eine Verteidigung des Beklagten mit einer geänderten Fassung des Patents zurückweisen und bei seiner Entscheidung unberücksichtigt lassen, wenn dieses Vorbringen nach Ablauf der hierfür nach § 83 Abs. 2 PatG gesetzten Frist erfolgt ist und die weiteren Voraussetzungen (Nr. 1 bis 3) von § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG erfüllt sind.
1. Die geänderte Fassung von Patentanspruch 1, mit der das Streitpatent in erster Linie verteidigt werden soll, hat die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Das neue Vorbringen ist somit nach Ablauf der im Hinweis des Senats nach § 83 Abs. 1 PatG gesetzten Fristen eingereicht worden und hätte eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht (§ 83 Abs. 4 Nr. 1 PatG).
Zwar hatte die Beklagte in ihrer fristgerechten Stellungnahme vom 20. August 2012 auf die im Hinweis geäußerten Bedenken des Senats im Hinblick auf eine möglicherweise erfolgte unzulässige Änderung gegenüber der ursprünglichen Offenbarung (DE 101 48 799 A1) reagiert, indem sie rein vorsorglich und hilfsweise beantragte, Patentanspruch 3 dadurch einzuschränken, dass der Begriff "externe Buffer" durch "externe digitale Buffer" ersetzt werden sollte. Zusätzlich sollte es in Patentanspruch 1 statt "betriebsspannungsmäßig getrennt" nunmehr "betriebsspannungsmäßig entkoppelt" heißen. Zu diesen angekündigten hilfsweisen Fassungen hat sich die Klägerin sodann auch noch vor dem Termin schriftsätzlich geäußert. Entgegen der Ankündigung hat die Beklagte jedoch diese Anspruchsfassungen in der mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt, sondern mit dem neuen Patentanspruch 1 einen Gegenstand beansprucht, der ihrem bisherigen Vortrag so nicht zu entnehmen war.
Soweit die Beklagte meint, die Klägerin habe sich auf die neue Anspruchsfassung dennoch einstellen müssen, da die vorgenommenen Änderungen der Beschreibung des Streitpatents sowie den ursprünglichen Unterlagen zu entnehmen seien, auf die sie sich ohnehin im Hinblick auf die mündliche Verhandlung hätte vorbereiten müssen, kann dies nicht zur Berücksichtigung der neuen Antragstellung führen. Denn nach Ansicht des Senats ist vorliegend eine Grenze überschritten, jenseits derer sich die Klägerin nicht mehr ausreichend im Termin zu der gegnerischen Verhandlungsführung einlassen konnte, so dass sich die Notwendigkeit einer Vertagung ergeben hätte. Anderenfalls wäre das rechtliche Gehör der Klägerin nicht in ausreichendem Maße gewahrt worden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, die insbesondere vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Anwendung des § 173 VwGO entwickelt worden ist, sind eine Vertagung der mündlichen Verhandlung rechtfertigende erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO regelmäßig solche, die den Anspruch auf rechtliches Gehör einer oder mehrerer Parteien berühren und die auch gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2004 – X ZR 212/02 m. w. N., veröffentlicht unter dem Schlagwort "Vertagung" in GRUR 2004, 354, häufig auch zitiert unter "Crimpwerkzeug I"). Angesichts der verfassungsrechtlichen Garantie des Anspruchs auf rechtliches Gehör verbleibt dem Gericht dann auch kein Ermessensspielraum bei der Frage der Vertagung (vgl. hierzu Senatsentscheidung vom 25. April 2012, Aktenzeichen 5 Ni 28/10 (EP)).
Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung wäre danach auch vorliegend als erforderlich anzusehen gewesen. Denn für die neue Anspruchsfassung gab es im Vorfeld der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung des Hinweises nach § 83 Abs. 1 PatG und der Reaktion der Beklagten hierauf keine Anzeichen. Der neu beanspruchte Gegenstand betraf auch nicht nur geringfügige Änderungen, die sich aus der Diskussion in der mündlichen Verhandlung bzw. in den Schriftsätzen quasi zwangsläufig ergeben hätten. Soweit in der neuen Anspruchsfassung mehrere Gesichtspunkte vorhanden waren, zu denen die Klägerin hätte Stellung nehmen müssen, kann von ihr nicht verlangt werden, zu einzelnen der geänderten Punkte vorab vorzutragen. Die Beurteilung einzelner Gesichtspunkte der geänderten Fassung konnte vorliegend nicht ohne Berücksichtigung der Merkmale in ihrer Gesamtheit mit ihren Auswirkungen auf die technische Lehre insgesamt erfolgen.
2. Die nach § 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 PatG kumulativ erforderlichen weiteren Voraussetzungen liegen ebenfalls vor. Die Beklagte hat die Verspätung nicht genügend entschuldigt (§ 83 Abs. 4 Nr. 2 PatG). Eine Begründung, warum sie die in erster Linie verteidigte Fassung des Anspruchs 1 erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, hat sie nicht abgegeben. Die nach § 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 PatG erforderliche Belehrung über die Folgen einer Fristversäumung (vgl. Ziffer V des Hinweises des Senats vom 19. Juli 2012 am Ende) war dem gerichtlichen Hinweis beigefügt.
3. Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. April 2012 (5 Ni 28/10 (EP) - BPatGE 53, 40) näher begründet hat, ist die "Kann"-Vorschrift des § 83 Abs. 4 PatG in normal gelagerten Fällen grundsätzlich anzuwenden, schon aus den Gründen der Prozessökonomie bei hoher Geschäftsbelastung und der Rechtssicherheit (a. a. O. S. 48). Ein Ausnahmefall wie in den dort genannten Sachverhalten (z. B. Missverständnis über einen Hinweis, Grenzfälle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 83 Abs. 4 PatG) oder ein damit vergleichbarer Sachverhalt ist vorliegend für den Senat nicht erkennbar.
II.
Zur hilfsweise verteidigten, erteilten Fassung des Patentanspruchs 1
1. Grundsätzlich könnte sich die Frage stellen, ob die hilfsweise Verteidigung einer (weitergehenden) Fassung neben einer in erster Linie beanspruchten beschränkten Fassung als zulässig anzusehen ist. Im Fall einer Zurückweisung einer (beschränkten) Fassung nach § 83 Abs. 4 PatG ist dies aber ebenso als zulässig anzusehen wie in früheren Fällen, in denen das Gericht die Zulässigkeit einer geänderten Fassung - z. B. wegen einer damit verbundenen Schutzbereichserweiterung - verneint hat, wodurch dann das Patent in seiner erteilten Fassung der Prüfung zugrunde zu legen ist (vgl. Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 230). Nachdem die Beklagte eindeutig erklärt hat, das Patent auch in der erteilten Fassung verteidigen zu wollen, kann es dahinstehen, ob das Gericht auch ohne eine derartige Erklärung diese Prüfung "von Amts wegen" hätte durchführen müssen (vgl. BPatG, Urteil vom 26. Juni 2007, BPatGE 50, 72 = GRUR 2009, 145 - Fentanylpflaster, dazu Keukenschrijver a. a. O., Rdnr. 230 und Fußnote 929).
2. Das Streitpatent betrifft einen Delta-Sigma-Analog/Digital-Wandler.
A/D-Wandler nach dem Delta-Sigma-Prinzip wandeln ein analoges Signal in zwei Schritten in ein digitales Signal mit einer vorgegebenen Wortbreite. Ein Delta-Sigma-AD-Wandler besteht in einer Grundschaltung aus einem Delta-Sigma-Modulator, der den sogenannten Bitstream erzeugt, und einem nachgeschalteten Tiefpassfilter. Der Delta-Sigma-Modulator selbst setzt sich in seiner einfachsten Schaltungsvariante aus einem Integrator, einem Komparator und einem getakteten 1-Bit-Speicher (D-Flip-Flop) zusammen. Im Modulator wird das Eingangssignal einer bestimmten Bandbreite mit einer hohen Überabtastrate abgetastet und das so generierte digitale Signal nach einer Digital-Analog-Wandlung am Eingang gegengekoppelt. Eine typische Eigenschaft dieses Modulationsprinzips ist, dass die spektrale Leistungsdichte des unerwünschten Wandlungsrauschens bei niedrigen Frequenzen verkleinert und bei hohen Frequenzen, die außerhalb des zu erfassenden Frequenzbandes liegen, erhöht wird, wodurch eine Erfassung der niederfrequenten Signalanteile mit hohem Rauschabstand ermöglicht wird. Die aufgrund des ungünstigen Signal-Rauschverhältnisses nicht genutzten höheren Frequenzen werden durch ein (Tiefpass-) Filter entfernt.
Im Hinblick auf verschiedene Schaltungsrealisierungen eines Delta-Sigma-Analog/Digital-Wandlers verweist die Patentschrift auf den Fachartikel "Delta-Sigma Data Converters: Theory, Design, and Simulation" von Steven R. Norsworthy, u. a. ISBN: 0780310454 (1996) (vgl. Absatz [0002]). Weitere Schaltungsrealisierungen, die aus einem analogen und einem integrierten digitalen Schaltungsteil bestehen, seien in den Druckschriften DE 195 18 508 A1 (D1) und JP 10-2734731 B2 angegeben (vgl. Absatz [0004]).
Auch für die in der US 6,232,902 B1 aus Gründen der Stromaufnahme für die Begrenzung der Frequenz des Ausgangssignals des Flip-Flops beschriebene aufwändige Schaltung mit Timern werde eine einfachere Lösung vorgeschlagen (vgl. Absatz [0015]).
Ausgehend vom vorstehenden Stand der Technik hat es sich das Streitpatent zur Aufgabe gemacht, den analogen Teil eines Delta-Sigma-A/D-Wandlers (analoges Frontend) soweit zu verbessern, dass bei Beibehaltung des einfachen Aufbaus eine erhebliche Steigerung der Auflösung möglich werde, wobei die für gängige Audio-Codecs benötigte Auflösung von mindestens 13 Bit angestrebt werde (vgl. Absatz [0007]).
Zur Lösung der vorstehenden Aufgabe schlägt das Patent einen Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler vor, der sich in folgende Merkmale gliedern lässt (Änderungen gegenüber ursprünglichen Fassung fett):
a) Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler, dadurch gekennzeichnet , dass
b) das dessen analoges Frontend aus einem Eingangswiderstand, einem Rückkopplungswiderstand, einer Integrator-Kapazität und einem Flip-Flop besteht,
dadurch gekennzeichnet,
c) dass ein vor dem D-Eingang des Flip-Flops befindlicher Buffer und/oder
d) ein hinter dem Ausgang des Flip-Flops im Rückkopplungspfad befindlicher Buffer
e) betriebsspannungsmäßig getrennt von dem die digitalen Schaltungsteile beinhaltenden Halbleiterchip versorgt wird, damit eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend eintritt.
3. Der streitpatentliche Gegenstand richtet sich an einen Diplomingenieur (FH) der Elektrotechnik, der mit dem Entwurf von Schaltungen für die Analog-Digital-Wandlung für die Übertragungstechnik befasst ist.
4. Ausgehend vom Fachwissen des so definierten Fachmanns legt der Senat die erteilte Fassung wie folgt aus:
Beansprucht ist ein Delta-Sigma Analog-/Digital-Wandler, der unter anderem aus einem analogen Frontend und ein oder zwei Buffern gebildet wird. Das analoge Frontend wiederum setzt sich ausweislich des Merkmals b) aus einem (D)-Flip-Flop, einem Eingangswiderstand, einem Rückkopplungswiderstand und einer Integrator-Kapazität zusammen. Damit präsentiert sich der als "analoges Frontend" bezeichnete Schaltungsverbund dem Fachmann als schaltungstechnisch gemischter analog/digitaler Schaltungsaufbau.
Hinsichtlich der Schaltungsausführung der beiden Buffer sind der Patentschrift keine eindeutigen Zuordnungen zu analoger oder digitaler Schaltungstechnik entnehmbar, so dass für den Verwendungszweck geeignete Bufferschaltungen in allen bekannten schaltungstechnischen Ausführungsformen in Betracht zu ziehen sind.
Soweit im Anspruch (Merkmal e) eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend angesprochen ist, hat die Beklagte sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie unter Entkopplung ausschließlich eine Entstörung der Betriebsspannung verstanden wissen will, wie sie bspw. durch sogenannte Entkopplungskondensatoren oder in Form von Stabilisierungsmaßnahmen in den Versorgungsspannungszuführungen erreicht werde. Soweit die Beklagte daraus schlussfolgert, dass eine Entkopplung der Betriebsspannung im vorstehenden Sinne gerade das Gegenteil einer völligen Trennung der Spannungsquellen sei, steht diese Auffassung im Einklang mit dem Verständnis des zuständigen Durchschnittsfachmanns, auf die es für die Beurteilung des Patentanspruchs ankommt. Allerdings sind derartig ausgeführte Entkopplungsmaßnahmen im erteilten Patentanspruch 1 nicht beansprucht. Vielmehr wird nach dem dort vorgegebenen Merkmalskomplex c) bis e) eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend dadurch erreicht, dass die Buffer betriebsspannungsmäßig getrennt von dem die digitalen Schaltungsteile beinhaltenden Halbleiterchip zu versorgen sind. Damit ist bei fachmännischer Lesart auch die schaltungstechnisch einfachste Entkopplungsmaßnahme in Form einer Betriebsspannungsversorgung mit jeweils getrennten Spannungsquellen für die einzelnen Schaltungskomponenten mit umfasst.
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung argumentiert hat, um der Erfindung gerecht zu werden, müsse man den erteilten Patentanspruch 1, insbesondere den Merkmalskomplex c) bis e), unter Zuhilfenahme der Beschreibung beschränkt auslegen, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Eine beschränkende Auslegung der Patentansprüche unter Zuhilfenahme der Beschreibung wäre nur dann geboten, wenn sich aufgrund der Wortwahl der technische Sinngehalt der Anspruchsfassung dem Fachmann nicht erschließen würde bzw. der damit unter Schutz zu stellende Gegenstand nicht eindeutig ermittelbar wäre. Ein solcher Fall liegt hier aber zur Überzeugung des Senats nicht vor. Vielmehr sind die einzelnen Schaltungsmaßnahmen mit in der Fachwelt etablierten Begriffen belegt, mit denen der Fachmann einen eindeutigen Wirkungsablauf verknüpft. Soweit die Beklagte in der Beschreibung enthaltene, den Schutzumfang einschränkende Sachverhalte in den Wortlaut der Anspruchsfassung mit hineingelesen haben will, mag dies zwar der Intention der Beklagten Rechnung tragen, einen sich vom allgemeinen Verständnis möglicherweise abhebenden Sachverhalt konstruieren zu können. Da aber im vorliegenden Fall der Anspruchswortlaut den unter Schutz gestellten Delta-Sigma-Analog-/Digital-Wandler in eindeutiger und klarer Weise wiedergibt, ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unzulässig, den allgemein gehaltenen erteilten Patentanspruch 1 einschränkend auszulegen und den Sinngehalt des Patentanspruchs auf die in der Beschreibung enthaltenen Ausführungsformen einzuschränken (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 - Schussfädentransport).
5. Unter Zugrundelegung des vorstehend dargelegten Verständnisses der Anspruchsfassung erweist sich der Patentanspruch 1 als unzulässig, weil die Merkmale c) bis e) der erteilten Fassung in den ursprünglichen Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend offenbart sind (BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 – Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 - Fälschungssicheres Dokument; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 – X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 - Olanzapin).
Im Zusammenhang mit der Beschaltung des Rückführungspfads sind ursprünglich entgegen der im erteilten Patentanspruch 1 allgemein angegebenen "Buffer", deren Arbeitsweise als analoge oder digitale Schaltung mithin offen bleibt, nur digitale Signalbuffer offenbart (vgl. urspr. Beschreibung Absatz [0013]). Diese verallgemeinernde Angabe "Buffer" findet sich wegen der Alternative "oder" sowohl in Merkmal c) als auch in Merkmal d).
Die Angabe "betriebsspannungsmäßig getrennt ... versorgt" versteht der Fachmann in ihrer Allgemeinheit, wie unter 3. dargelegt, auch dahingehend, dass für die Spannungsversorgung der Buffer und der digitalen Schaltungsteile jeweils auch auf separate Spannungsquellen zurückgegriffen wird. Eine betriebsspannungsmäßige Trennung als Entkopplungsmaßnahme im Sinne der ursprünglichen Offenbarung beschränkt sich dagegen nur auf konkrete Maßnahmen, die in einer Spannungsstabilisierung und Verschaltung von Siebmitteln bestehen (vgl. urspr. Beschreibung, Absatz [0013] und Patentanspruch 4). Werden also mehrere Schaltungskomponenten über eine Betriebsspannungsquelle versorgt, so führen Stabilisierungsmaßnahmen bzw. Siebmittel in einer der Versorgungszuführungen aber nicht zwangsweise zu einer betriebsspannungsmäßigen Trennung im Sinne des vorstehend dargelegten allgemeinen fachlichen Verständnisses. Auch die offenbarte Maßnahme des Herausführens von Versorgungsspannungsleitungen aus dem Halbleiterchip für den Anschluss des analogen Frontends (vgl. urspr. Beschreibung, Absatz [0014] und Patentanspruch 5) zieht zunächst keine betriebsspannungsmäßige Trennung der analogen und digitalen Schaltungskomponenten nach sich, da diese Maßnahme lediglich besagt, dass die Betriebsspannungsquelle des Chips auch für die Versorgung der externen Komponenten herangezogen wird.
Die in den ursprünglichen Unterlagen weiter vorgesehene Maßnahme einer vom Rest des Halbleiterchips getrennten Spannungsversorgung der auf dem Halbleiterchip lokalisierten Buffer eröffnet zwar die Möglichkeit einer betriebsspannungsmäßigen Trennung zwischen Buffer und den übrigen Schaltungskomponenten des Chips, mit der aber lediglich eine Entstörung der Versorgungsspannung für die Buffer offenbart ist (vgl. urspr. Beschreibung Absatz [0014]). Eine Entkopplung zwischen Halbleiterchip und analogem Frontend folgt daraus aber nicht zwangsweise, da zwischen dem Rest des Halbleiterchips und dem analogen Frontend trotz dieser Maßnahme weiter eine betriebsspannungsmäßige Kopplung bestehen kann.
III.
Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen.
Diese Verpflichtung bemisst sich nach dem vollen Streitwert, da der Antrag der Beklagten auf Streitwertbegünstigung gemäß § 144 PatG zurückzuweisen war. Zwar konnte er zulässigerweise noch nach Beginn der Verhandlung zur Hauptsache gestellt werden (§ 144 Abs. 2 Satz 3 PatG), da der Senat erstmals im Termin über den Streitwert (endgültig) entschieden und dabei abweichend von der Angabe in der Klageschrift mit 100.000,00 € eine Festsetzung auf 500.000,00 € vorgenommen hatte.
Jedoch hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde (§ 144 Abs. 1 Satz 1 PatG). Soweit der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Termin hierzu vorgetragen hat, die Beklagte erziele keine Einkünfte, und zur Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang lediglich auf die Bilanz der Beklagten zum Stichtag 30. November 2011 (Balance Sheet as at 30 November 2011) verwiesen hat, die er als Kopie eines Internetauszugs betreffend die Eintragung der Beklagten im Handelsregister des Vereinigten Königreichs (ewf.companieshouse.gov.uk) vorgelegt hat, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine Beurteilung, über welche Vermögenswerte die Beklagte, die jedenfalls unstreitig Inhaberin mehrerer europäischer wie deutscher Patente ist, tatsächlich verfügt und inwieweit durch die Kostentragung im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren eine Gefährdung eintreten könnte. Der Antrag ist damit bereits mangels Glaubhaftmachung zurückzuweisen.
Soweit aus der Registerkopie hervorgeht, es handele sich bei der Beklagten um eine "schlafende" Gesellschaft (Dormant Accounts), die mit einem Grundkapital von lediglich einem britischen Pfund (total shareholder funds 1 £) ausgestattet sei, spricht im Übrigen einiges dafür, dass die Beklagte - weil "schlafend" - derzeit nicht am Wirtschaftsleben teilnimmt. Somit ist zweifelhaft, ob eine erhebliche wirtschaftliche Gefährdung vorliegend überhaupt hätte eintreten können. Eine solche kommt aber nach der Rechtsprechung (vgl. BGH GRUR 1953, 284, zitiert bei Keukenschrijver in Busse, Patentgesetz, 6. Auflage, § 144, Rn. 12, Fn. 14) bei einer vermögenslosen und nicht mehr tätigen juristischen Person jedenfalls regelmäßig nicht in Betracht. Zur Vermeidung von Missbräuchen kann es erforderlich sein, auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dritter Personen einzubeziehen, wenn der Rechtstreit in deren Interesse geführt wird (vgl. BGH, Entscheidung vom 20. Januar 2004, X ZR 133/98, zitiert bei Benkard, Patentgesetz, 10. Auflage, § 144, Anm. 6 m. w. N.).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG, § 709 ZPO.