Entscheidungsdatum: 13.12.2012
1. § 89a Abs. 3 SGB VIII (juris: SGB 8) begründet einen eigenständigen Kostenerstattungsanspruch auch in solchen Fallgestaltungen, in denen ein Anspruch nach § 89a Abs. 1 SGB VIII zuvor deshalb nicht bestand, weil der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständige Träger der Jugendhilfe vorher aufgrund anderer Bestimmungen für die Hilfeleistung zuständig war.
2. § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vermittelt den Einrichtungsorten Schutz vor unangemessenen Kostenbelastungen nur für den Zeitraum, in der die nach dieser Vorschrift maßgebende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einer Einrichtung, anderen Familie oder sonstigen Wohnform hatte.
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten, die er für die Leistung von Hilfe zur Erziehung und von Hilfe für junge Volljährige aufgewendet hat. Die Beklagte macht im Wege der Widerklage die Rückzahlung bereits gewährter Erstattungsleistungen geltend.
Der am 8. November 1985 geborene Hilfeempfänger fand nach dem Tod seiner Mutter im September 1991 Aufnahme in Pflegefamilien, die im Zuständigkeitsbereich des Klägers wohnhaft waren. Sein Vater, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt zuvor ebenfalls im Zuständigkeitsbereich des Klägers hatte, verbüßte im Zeitraum von November 1996 bis April 1999 in der im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gelegenen Justizvollzugsanstalt eine Strafhaft. Nach seiner Haftentlassung war er bis Ende Juni 2006 im Zuständigkeitsbereich der Beklagten wohnhaft.
Der Kläger leistete in dem Zeitraum von September 1991 bis zum 7. November 2003 Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege sowie in dem Zeitraum vom 8. November 2003 bis Ende Juni 2006 Hilfe für junge Volljährige. Einen Anspruch des Klägers auf Erstattung der seit April 1999 angefallenen Hilfeleistungen erkannte die Beklagte unter dem Vorbehalt des Widerrufs im Falle eines Irrtums über die Auslegung rechtlicher Bestimmungen an. In der Folgezeit stellte sie die Erstattung der Leistungen zunächst teilweise, hiernach zur Gänze ein. Im Februar 2003 machte sie ihrerseits gegenüber dem Kläger fristwahrend einen Anspruch auf Rückgewährung der bereits erstatteten Leistungen geltend.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 7 178,55 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 v.H. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie die ab dem 1. Juni 2004 bis zum 30. Juni 2006 für den Hilfeempfänger erbrachten notwendigen Jugendhilfeaufwendungen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 v.H. über dem Basiszinssatz ab Fälligkeit der jeweiligen Erstattungsansprüche zu erstatten, und die Widerklage der Beklagten abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger könne gemäß § 89a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 SGB VIII die Erstattung derjenigen Kosten beanspruchen, die er nach der Haftentlassung des Vaters des Hilfeempfängers für die Hilfeleistungen aufgewendet habe. Dem widerstreite nicht, dass er als Träger der öffentlichen Jugendhilfe schon vor seiner örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII auf der Grundlage des § 86 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII örtlich zuständig gewesen sei und deshalb ein Kostenerstattungsanspruch im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII infolge der Identität von leistungspflichtigem und erstattungspflichtigem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht bestanden habe. Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sei auch dann anzunehmen, wenn diese auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen basiere. Werde ein Pflegling - wie hier - in eine Pflegestelle innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des bereits zuvor örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers vermittelt, sei dies nicht anders zu beurteilen als ein Fall der "Vermittlung" in eine Pflegestelle "von außen". Der Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs stehe nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Denn die Beklagte habe gegen den Kläger nicht ihrerseits einen Kostenerstattungsanspruch nach § 89e SGB VIII, da der nach dieser Norm garantierte Schutz der Einrichtungsorte jedenfalls nur für die Zeit gelte, in der die nach der Vorschrift maßgebende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einer entsprechenden Einrichtung gehabt habe. Eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Norm auf die Zeit nach dem Verlassen der Einrichtung habe in deren Wortlaut keine Andeutung gefunden. Die Widerklage mit dem Antrag, den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 31 402,92 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 v.H. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, sei unbegründet, da einer Rückabwicklung der Erstattungsleistungen entgegenstehe, dass diese auf der Grundlage des § 89a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 SGB VIII erbracht worden seien.
Zur Begründung ihrer Revision rügt die Beklagte, die Annahme des Berufungsgerichts, § 89a SGB VIII erfasse auch den Fall, dass ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe zunächst nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII beziehungsweise nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig sei und dies nach § 86 Abs. 6 SGB VIII auch nach einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts eines Elternteils bleibe, verstoße gegen Bundesrecht. § 89a Abs. 3 SGB VIII verweise auf § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und setze voraus, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach dieser Vorschrift bestehe. Die Widerklage sei begründet, weil ihr gegen den Kläger nach § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ein Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 14 374,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 v.H. über dem Basiszinssatz zustehe. § 89e SGB VIII finde auch in den Fällen des § 86 Abs. 6 SGB VIII Anwendung. Andere Vorschriften, die es Einrichtungsorten erlauben würden, die aus der örtlichen Präsenz der Einrichtung folgenden finanziellen Belastungen abzufedern, existierten nicht. Der von § 89e SGB VIII bezweckte lückenlose Schutz der Einrichtungsorte ende nicht mit dem Verlassen der Einrichtung.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
1. Das Verfahren war gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beklagte ihre Widerklage zurückgenommen hat. Insoweit sind die Vorentscheidungen wirkungslos (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
2. Soweit die Revision infolge der Teilklagerücknahme nicht gegenstandslos geworden ist, ist sie unbegründet. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende und die Widerklage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist begründet (a). Die Widerklage ist, soweit über sie noch zu entscheiden war, unbegründet (b).
a) Im Einklang mit § 89a Abs. 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990
aa) § 89a Abs. 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990
(1) Entgegen der Auffassung der Beklagten begründet § 89a Abs. 3 SBG VIII einen eigenständigen Kostenerstattungsanspruch. Nach § 89a Abs. 3 SGB VIII wird, wenn sich während der Gewährung der Leistung nach Absatz 1 der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt ändert, der örtliche Träger kostenerstattungspflichtig, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden wäre. Die Bestimmung räumt einem örtlichen Träger der Jugendhilfe das Recht ein, von einem anderen Träger der Jugendhilfe eine Kostenerstattung zu verlangen. Der Anspruchsqualität steht nicht entgegen, dass § 89a Abs. 3 SGB VIII im Zusammenhang mit dem Merkmal "während der Gewährung der Leistung nach Absatz 1" auf § 89a Abs. 1 SGB VIII Bezug nimmt. Mit dieser Verweisung wird allein das Merkmal "Gewährung einer Leistung" konkretisiert.
(2) Die Voraussetzungen des § 89a Abs. 3 SGB VIII liegen vor. Der Kläger hat eine Leistung nach § 89a Abs. 1 SGB VIII erbracht ((a)). § 89a Abs. 3 SGB VIII setzt keinen bestehenden Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII voraus ((b)). Der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt hat sich während der Gewährung der in Rede stehenden Jugendhilfeleistung geändert und die (fiktive) örtliche Zuständigkeit der Beklagten begründet ((c)).
(a) Die Kosten, deren Erstattung der Kläger begehrt, entstanden durch eine Leistung nach § 89a Abs. 1 SGB VIII.
Der Erstattungsanspruch des § 89a Abs. 3 SGB VIII bezieht sich auf Leistungen nach § 89a Abs. 1 SGB VIII. Das sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat. Nach § 86 Abs. 6 SGB VIII ist für den Fall, dass ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson lebt und sein Verbleiben bei dieser Pflegeperson zu erwarten ist, der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Kläger hat Kosten aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII erbracht. Nachdem der Hilfebedürftige zwei Jahre bei einer Pflegefamilie mit gewöhnlichem Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Klägers gelebt hatte, war dessen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SBG VIII für die dem Hilfebedürftigen gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§ 27 i.V.m. § 33 SGB VIII jeweils i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998) begründet. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger dem Hilfebedürftigen bereits zuvor Hilfe gewährt hatte. Die Begründung der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SBG VIII setzt keinen Wechsel des Leistungsträgers voraus (vgl. BTDrucks 13/3082 S. 12). Die örtliche Zuständigkeit des Klägers blieb bestehen, nachdem der Hilfebedürftige volljährig geworden war und ihm Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 beziehungsweise des Gesetzes vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729) gewährt wurde (§ 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII).
Bei der dem Hilfebedürftigen zunächst in Form der Vollzeitpflege und danach als Hilfe für junge Volljährige gewährten Hilfen handelt es sich um eine einheitliche Leistung, die Grundlage eines Erstattungsanspruchs nach § 89a Abs. 3 SGB VIII sein kann.
Der Leistungsbegriff des § 89a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 SGB VIII entspricht dem zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff des Kinder- und Jugendhilferechts. Danach sind sämtliche zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderliche Maßnahmen und Hilfen eine einheitliche Leistung, zumal wenn sie im Einzelfall nahtlos aneinander anschließen, also ohne beachtliche zeitliche Unterbrechung gewährt werden. Die Leistungsgewährung wird mit Blick darauf, dass der Hilfeprozess regelmäßig auf einen längeren Zeitraum angelegt ist, durch Anpassungen an den individuellen Bedarf nicht unterbrochen. Dies gilt auch dann, wenn diese - wie hier - zu einem Wechsel der Rechtsgrundlage für die Hilfegewährung führen (stRspr, vgl. Urteil vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 5 C 17.09 - Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 12 Rn. 15 m.w.N.). Gemessen daran sind die dem Hilfebedürftigen gewährten Hilfen als einheitliche Leistung anzusehen, was auch in § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zum Ausdruck kommt.
(b) Dem Erstattungsanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass er hinsichtlich der von ihm aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 SGB VIII aufgewendeten Kosten keinen Erstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 SGB VIII hatte, weil er bereits zuvor der zuständige Hilfeträger war. § 89a Abs. 3 SGB VIII knüpft nicht an einen bestehenden Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 SGB VIII an. Eine Kostenerstattung nach § 89a Abs. 3 SGB VIII kann daher auch dann beansprucht werden, wenn die Begründung der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 nicht mit einem Trägerwechsel verbunden ist. Dies ergibt eine an Wortlaut, Systematik, Zweck und Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung der Vorschrift.
Mit der in § 89a Abs. 3 SGB VIII genannten "Leistung nach Absatz 1" sind - wie dargelegt - die aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendeten Kosten für Maßnahmen und Hilfen der Jugendhilfe gemeint, die auf einem qualitativ unveränderten jugendhilferechtlichen Bedarf beruhen. Durch die Verweisung auf Absatz 1 wird die Leistung dahin konkretisiert, dass sie aufgrund einer örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII gewährt werden muss. Der Wortlaut der Bestimmung verlangt nicht, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 SGB VIII bestand.
Dem aus dem Wortlaut gewonnenen Ergebnis widerstreitet in systematischer Hinsicht nicht, dass bezogen auf § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist, dass dieser Erstattungsanspruch einen Übergang der Zuständigkeit von dem nach dem maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (sogenanntes "Herkunftsjugendamt") auf den nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständigen Jugendhilfeträger (sogenanntes "Pflegestellenjugendamt") und damit einen Wechsel des örtlich zuständigen Trägers infolge der zweijährigen Familienpflege erfordert (Urteile vom 5. April 2007 - BVerwG 5 C 25.05 - BVerwGE 128, 301 = Buchholz 436.511 § 89a KJHG/SGB VIII Nr. 3, jeweils Rn. 10 f., vom 30. September 2009 - BVerwG 5 C 18.08 - BVerwGE 135, 58 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 9, jeweils Rn. 31, und vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 12; Beschlüsse vom 23. Oktober 2002 - BVerwG 5 B 12.02 - juris Rn. 8 und vom 8. Juni 2010 - BVerwG 5 B 52.09 - EuG 2011, 100 <101>). Das Erfordernis eines Trägerwechsels besteht auch bei § 89a Abs. 3 SGB VIII. § 89a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII erfassen allerdings unterschiedliche Zeitabschnitte. § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII knüpft für die Bestimmung des Erstattungspflichtigen maßgeblich an den Zeitpunkt der Aufnahme der Leistungsgewährung nach § 86 Abs. 6 SGB VIII an. Demgegenüber orientiert sich der Erstattungsanspruch nach § 89a Abs. 3 SGB VIII an den Verhältnissen während der Leistungsgewährung aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII. Dementsprechend ist es für sein Bestehen unerheblich, ob der Träger des Pflegestellenjugendamts bereits zuvor die Erstattung seiner Aufwendungen nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu beanspruchen vermochte.
Zweck und Entstehungsgeschichte des § 89a SGB VIII bekräftigen dieses Normverständnis. Die Vorschrift trägt nach der Vorstellung des Gesetzgebers dem Umstand Rechnung, "dass insbesondere am Rand von Ballungsgebieten und Großstädten kaum mehr Pflegestellen gefunden" wurden, weil die dortigen Jugendämter befürchteten, "nach zwei Jahren die entsprechenden Kosten (...) übernehmen" zu müssen (BTDrucks 12/2866 S. 24). Diesen Befund hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, die Pflegestellenorte durch die Regelung des § 89a SGB VIII vor unangemessenen Kostenbelastungen zu schützen und hierdurch die finanziellen Rahmenbedingungen für die Sicherstellung eines ausreichenden Angebotes an Pflegestellen zu schaffen. Mit den durch die Bereitstellung einer Pflegestelle anfallenden Kosten sollten nicht die nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständigen örtlichen Träger, sondern diejenigen Träger belastet werden, die im Falle einer Anknüpfung an den nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalt zur Leistung verpflichtet wären (vgl. Urteil vom 30. September 2009 a.a.O.). Diesem Ziel des Schutzes der Pflegestellenorte vor unangemessenen Kostenbelastungen liefe es zuwider, örtliche Träger, die zunächst nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII leistungspflichtig waren und infolge einer Vermittlung des Pflegekindes in eine Pflegestelle innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs nach § 86 Abs. 6 SGB VIII leistungspflichtig blieben, von dem Anwendungsbereich des § 89a Abs. 3 SGB VIII auszunehmen und sie damit für einen Zeitraum zu belasten, für den sie - ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII - wegen des Wechsels des nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts nicht mehr zur Leistung verpflichtet wären.
(c) Der für die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt hat sich während der Gewährung der Leistung nach § 89a Abs. 1 SGB VIII geändert.
Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt sich nach der gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Art. I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl I S. 3015) - SGB I -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2000 (BGBl I S. 1983), auch im Bereich des Jugendhilferechts anzuwendenden Legaldefinition in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. November 1982 (BGBl I S. 1450). Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die diesbezügliche Prognoseentscheidung ist auf der Grundlage der objektiven Umstände des Einzelfalles zu treffen. Maßgeblich ist, wo sich der Betroffene "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibens aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (stRspr, vgl. Urteil vom 2. April 2009 - BVerwG 5 C 2.08 - BVerwGE 133, 320 <326 f.> = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 7). Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist für den Fall, dass nur ein Elternteil des Hilfeempfängers lebt, nach § 86 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII auf den gewöhnlichen Aufenthalt dieses Elternteils abzustellen.
Gemessen daran ist das Berufungsgericht zu Recht von einer Änderung des nach § 86 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts des Vaters des Hilfeempfängers ausgegangen. Nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) hatte dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt bis zu seiner Inhaftierung im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Ob er während seiner zweieinhalbjährigen Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt F. einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten begründet hat, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. hierzu Urteil vom 4. Juni 1997 - BVerwG 1 C 25.96 - Buchholz 402.240 § 63 AuslG 1990 Nr. 1 S. 3 = NVwZ-RR 1997, 751 f. m.w.N.; VGH München, Beschluss vom 23. Januar 2012 - 12 BV 11.1080 - JAmt 2012, 272 = juris Rn. 27 f. m.w.N.), da er jedenfalls nach den ebenfalls bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts in dem allein streitgegenständlichen Zeitraum nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 15. April 1999 bis zur Einstellung der Jugendhilfeleistungen am 30. Juni 2006 seinen Wohnsitz und anknüpfend daran seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten hatte.
(3) Die Kostenerstattungspflicht der Beklagten, die ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig wäre, endet nicht zwangsläufig mit der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Hilfeempfängers.
Ganz Überwiegendes spricht dafür, dass bereits der zuständigkeitsrechtliche Leistungsbegriff und der Zweck des § 89a SGB VIII die Annahme rechtfertigen, dass auch die Erstattungspflicht nach § 89a Abs. 3 SGB VIII in den Fällen der Fortsetzung einer Leistung nach den §§ 27 bis 35a SGB VIII in Form der Gewährung einer Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII bestehen bleibt. Dem zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff wie auch dem Zweck des § 89a SGB VIII, den Schutz der Pflegestellenorte vor unangemessenen Belastungen sicherzustellen, liefe es zuwider, die bestehende Erstattungspflicht des Jugendhilfeträgers, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden wäre, trotz fortwährender Deckung des qualitativ nicht veränderten Bedarfs des Hilfeempfängers mit der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres enden zu lassen und die finanziellen Lasten der Leistungserbringung damit den Pflegestellenorten zu überantworten.
Ob einer solchen Erstreckung der Kostenerstattungspflicht in systematischer Hinsicht entgegensteht, dass § 89a Abs. 3 SGB VIII keine dem § 89a Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII entsprechende Vorschrift enthält, bedarf hier keiner Entscheidung. Gemäß § 89a Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII bleibt die Kostenerstattungspflicht nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestehen, wenn die Leistung über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII fortgesetzt wird (Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 5 C 56.01 - BVerwGE 117, 194 = Buchholz 436.511 § 89a KJHG/SGB VIII Nr. 1
Würde die Verweisung auf den zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff insoweit nicht weiterführen oder stünde das Fehlen einer § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII entsprechenden Regelung einer Erstreckung der Kostenerstattungspflicht entgegen, so wäre die Rechtsfolge des § 89a Abs. 3 SGB VIII jedenfalls im Wege eines Analogieschlusses auf den von § 89a Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII geregelten Sachverhalt zu übertragen. Der Tatbestand des § 89a Abs. 3 SGB VIII wäre insoweit wegen des Fehlens einer vergleichbaren Regelung als unvollständig anzusehen. Dem läge ein versehentliches, dem Normzweck zuwiderlaufendes Regelungsversäumnis des Gesetzgebers zugrunde. Eine solche planwidrige Regelungslücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er ihn bedacht hätte (Beschluss vom 11. September 2008 - BVerwG 2 B 43.08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr. 1 Rn. 7 m.w.N.). So verhält es sich in Anbetracht des seitens des Gesetzgebers angestrebten weitreichenden Schutzes der Pflegestellenorte und des einheitlichen, der Deckung eines fortwährenden Bedarfs dienenden Leistungszwecks hier.
(4) Der Kläger ist erstattungsberechtigt. Der Anspruch nach § 89a Abs. 3 SGB VIII steht dem örtlichen Träger zu, der aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII beziehungsweise § 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII Kosten aufgewendet hat. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage seiner für den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen zu Recht dahin erkannt, dass die Voraussetzungen des § 86 Abs. 6 SGB VIII beziehungsweise des § 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII in Bezug auf die vom Kläger aufgewendeten Kosten vorlagen. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
bb) Der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nach § 89a Abs. 3 SGB VIII steht nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. hierzu Urteile vom 23. November 1993 - BVerwG 1 C 21.92 - BVerwGE 94, 294 <298 f.> = Buchholz 451.64 BBankG Nr. 3 S. 6, jeweils m.w.N., und vom 30. September 2009 - BVerwG 5 C 18.08 - BVerwGE 135, 58 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 9 Rn. 30) entgegen, da die Beklagte von dem Kläger nicht ihrerseits (Rück-)Erstattung der an diesen geleisteten Jugendhilfeleistungen in entsprechender Höhe beanspruchen kann. Ein solcher Anspruch folgt weder aus § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII i.d.F. des Gesetzes vom 8. September 2005, der § 89e Abs. 1 SGB VIII i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 entspricht, (1) noch aus § 112 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (Art. 1 des Gesetzes vom 18. August 1980
(1) Gemäß § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist für den Fall, dass sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt eines Elternteils richtet und dieser in einer Einrichtung begründet worden ist, die dem Strafvollzug dient, der örtliche Träger zur Erstattung der Kosten verpflichtet, in dessen Bereich die Person vor der Aufnahme in eine Einrichtung den gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Die Frage, ob der Anwendungsbereich dieser Norm hier überhaupt eröffnet ist, bedarf keiner Beantwortung, da jedenfalls deren Voraussetzungen für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht vorliegen. Das Berufungsgericht ist ohne Verstoß gegen § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII davon ausgegangen, dass der Schutz des Einrichtungsorts nur für den Zeitraum gilt, in der die nach dieser Vorschrift maßgebende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Einrichtung hat beziehungsweise hatte (ausdrücklich offengelassen noch im Urteil vom 11. Dezember 2003 a.a.O. S. 9; wie hier auch VGH München, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 12 ZB 08.1452 - juris Rn. 9; Reisch, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas - Jugendhilferecht Stand: April 2012, KJHG Art. 1 Erl. § 89e, Rn. 5; Kunkel, in: Kunkel, Sozialgesetzbuch VIII, 4. Aufl. 2011, § 89e Rn. 5; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, 4. Aufl. 2011, § 89e, Rn. 6, DIJuF-Rechtsgutachten vom 15. April 2004 - J 3.315 Rei - JAmt 2004, 481 f. und vom 26. November 2004 - J 3.311 Rei - JAmt 2004, 582). Das ergibt die Auslegung der Norm anhand der anerkannten Auslegungskriterien.
Der Wortlaut des § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII knüpft in beiden Halbsätzen ausdrücklich an einen durch die Aufnahme in eine Einrichtung begründeten gewöhnlichen Aufenthalt an. Anhaltspunkte, dass damit zugleich die Kostenerstattung für einen nicht näher beschriebenen Anschlussaufenthalt geregelt werden sollte, vermitteln weder die Verwendung des Perfekt Passiv im ersten Teilsatz noch der Gebrauch des Präsens im zweiten Teilsatz.
Gegenteiliges folgt auch nicht in systematischer Hinsicht aus § 83 Abs. 1 JWG, der auf § 103 des Bundessozialhilfegesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. Januar 1987 (BGBl I S. 401) verwies. Der von der Beklagten bemühte Vergleich mit § 103 Abs. 3 BSHG (§ 106 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch i.d.F. Gesetzes vom 27. Dezember 2003
Einem Verständnis, das der Norm Geltung auch für den Zeitraum nach Verlassen der Einrichtung beimisst, widerstreiten auch Sinn und Zweck des § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Die Vorschrift ist - wie bereits ihre Überschrift deutlich macht - dem lückenlosen Schutz der Einrichtungsorte auf Erstattungsebene zu dienen bestimmt. Sie zielt auf einen Lastenausgleich zugunsten kommunaler Gebietskörperschaften, in deren Zuständigkeitsbereich erziehungs-, pflege-, betreuungs- oder behandlungsbedürftige Personen Aufnahme in Einrichtungen von überörtlicher Bedeutung, anderen Familien oder sonstigen Wohnformen allein wegen ihres besonderen Bedarfs finden. Sie soll verhindern, dass solche "Anstaltsorte" im Sinne des Fürsorgerechts, in denen aus anderen Zuständigkeitsbereichen kommende Kinder, Jugendliche oder deren Eltern einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, im Verhältnis zu kommunalen Gebietskörperschaften ohne eine entsprechende Infrastruktur überproportional finanziell belastet werden und infolgedessen im öffentlichen Interesse benötigte Einrichtungen nicht mehr gebaut oder vorhandene geschlossen werden. § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll Kostenschutz überall dort gewähren, wo ein solcher nicht bereits zuständigkeitsrechtlich sichergestellt ist (Urteile vom 22. November 2001 - BVerwG 5 C 42.01 - BVerwGE 115, 251 <253 ff.> = Buchholz 436.511 § 89e KJHG/SGB VIII Nr. 1 S. 2 ff., vom 25. Oktober 2004 - BVerwG 5 C 39.03 - Buchholz 436.511 § 89e KJHG/SGB VIII Nr. 2 S. 8 und 10, vom 25. März 2010 - BVerwG 5 C 12.09 - BVerwGE 136, 185 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 10, jeweils Rn. 28, und vom 29. September 2010 - BVerwG 5 C 21.09 - BVerwGE 138, 48 = Buchholz 436.511 § 89e KJHG/SGB VIII Nr. 4, jeweils Rn. 20, und Beschluss vom 29. September 2006 - BVerwG 5 B 8.06 - EuG 2008, 45 <47>). Ein entsprechender Schutz der Einrichtungsorte ist indes nur gerechtfertigt, solange die maßgeblichen Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einer der bezeichneten Einrichtungen, anderen Familien oder sonstigen Wohnformen haben und eine der dort angebotenen Leistungen in Anspruch nehmen. Der hierdurch begründete spezifische Zusammenhang endet mit dem Verlassen der betreffenden Einrichtung, Familie oder Wohnform. Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen eine Person in der Folge ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Einrichtungsort oder anderenorts neu begründet, wird maßgeblich durch die individuellen Umstände des jeweiligen Einzelfalls geprägt. Die Vielfalt der diese beeinflussenden Umstände entzieht sich einer aus der Ex-ante-Perspektive des Gesetzgebers zu berücksichtigenden Typizität.
Ebenso wenig geben die Gesetzesmaterialien Veranlassung, den Schutz der Einrichtungsorte über den Zeitpunkt des Verlassens der Einrichtung hinaus zu erstrecken. Auch in ihnen wird allein an die Begründung eines Aufenthalts in einer Einrichtung, nicht jedoch auf einen Anschlussaufenthalt nach Verlassen der Einrichtung angeknüpft (BTDrucks 12/2866 S. 25).
(2) Die Beklagte kann die Rückerstattung der an den Kläger geleisteten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 14 374,44 € auch nicht aus § 112 SGB X beanspruchen, da diese nicht ohne Rechtsgrundlage, sondern in Erfüllung der Erstattungspflicht aus § 89a Abs. 3 SGB VIII erbracht wurden.
b) Hieraus folgt zugleich, dass auch die Widerklage, soweit über sie noch zu entscheiden war, unbegründet ist.