Entscheidungsdatum: 01.03.2012
1. Übernehmen die Großeltern eines Kindes oder Jugendlichen dessen Vollzeitpflege, erfolgt diese Pflege auch dann "in einer anderen Familie" im Sinne des § 33 Satz 1 SGB VIII (juris: SGB 8) und "außerhalb des Elternhauses" im Sinne des § 27 Abs. 2a und des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wenn die Eltern des Kindes oder Jugendlichen ebenfalls bei den Großeltern wohnen.
2. Der Umfang der bei selbst beschafften Hilfen nach § 36a Abs. 3 SGB VIII erforderlichen Aufwendungen orientiert sich an den Kosten, die bei rechtzeitiger Gewährung der Hilfe vom Jugendhilfeträger nach den zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu tragen gewesen wären.
Die Kläger begehren jugendhilferechtlichen Aufwendungsersatz für die Vollzeitpflege ihres Enkelkindes.
Die Kläger sind die Großeltern der am 23. November 2005 geborenen Emily M. Die Mutter des Kindes war zum Zeitpunkt seiner Geburt erst 15 Jahre alt. Daher hat das Amtsgericht den Großeltern die Vormundschaft für das Kind übertragen, in deren Haushalt die minderjährige Mutter und ihr Kind von Anfang an lebten. Die Kläger beantragten am 19. April 2006 die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege und die Bewilligung von Pflegegeld. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 19. Mai 2006 ab. Hiergegen haben die Kläger am 22. Juni 2006 Klage erhoben, die Pflege ihres Enkelkindes aber fortgesetzt. Nachdem die gesamte Großfamilie am 21. Juni 2007 in den Nachbarlandkreis umgezogen war, beantragten die Kläger dort mit Schreiben vom 21. Oktober 2007 die Bewilligung von Vollzeitpflege, was mit Bescheid vom 10. Dezember 2007 ebenfalls abgelehnt wurde und Gegenstand eines weiteren Verwaltungsrechtstreits ist. Den Großeltern wurde nach dem Auszug der Kindesmutter aus der gemeinsamen Wohnung ab August 2009 Vollzeitpflege bewilligt.
Das Verwaltungsgericht hat der zuerst erhobenen Klage gegen die beklagte Stadt mit Urteil vom 21. Mai 2008 stattgegeben und diese verpflichtet, den Klägern "Hilfe zur Erziehung in Form der Gewährung von Pflegegeld" für ihr Enkelkind ab dem 19. April 2006 zu bewilligen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 13. Januar 2011 das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Pflegegeld bestehe schon deswegen nicht, weil das Kind von Geburt an mit seiner Mutter und seinen Großeltern zusammen gelebt habe, so dass keine Pflege "außerhalb des Elternhauses" im Sinne der § 27 Abs. 2a, § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorliege. Unter dem Begriff des Elternhauses sei der Ort zu verstehen, an dem sich der Minderjährige mit seinen Eltern aufhalte und an dem sich Eltern-Kind-Beziehungen entwickeln könnten. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII regele die Sicherstellung des Lebensunterhalts eines Kindes oder Jugendlichen, der außerhalb der eigenen Familie erzogen werde. Da Mutter und Kind hier nicht getrennt seien, finde keine Pflege außerhalb des Elternhauses statt. Dementsprechend sehe auch § 33 Satz 1 SGB VIII die Gewährung von Vollzeitpflege nur vor, wenn zwischen der "Herkunftsfamilie" und der die Pflege durchführenden "anderen Familie" unterschieden werden könne. Eine solche Unterscheidung sei aber nicht möglich, wenn das Kind, die Mutter und die Großeltern in einer aus drei Generationen bestehenden Familie in einem Haushalt zusammen lebten. Es liege somit auch keine Vollzeitpflege vor.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 27, 33, 39 SGB VIII. Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege sei nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die Betreuung durch Großeltern in deren Familie erfolge. Die Großeltern zählten unabhängig von den Wohnverhältnissen nicht zur "Herkunftsfamilie", zu der nur die hilfebedürftigen Kinder und ihre Eltern zu rechnen seien. Es bestünden im vorliegenden Fall keine Zweifel darüber, dass die Kindesmutter als "Herkunftsfamilie" nicht erziehungsfähig sei. Bei dem Haus der Großeltern handele es sich auch nicht um das "Elternhaus" des Enkelkindes. Vielmehr verfüge die leibliche Mutter nicht über einen eigenen Haushalt. Aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ergebe sich zudem die Verpflichtung des Staates, familiäre Bindungen des Kindes zu seinen Eltern oder Großeltern möglichst zu erhalten oder wiederherzustellen, so dass auch beim Zusammenleben von drei Generationen unter einem Dach Vollzeitpflege gewährt werden müsse. In zeitlicher Hinsicht bestehe der Anspruch auf Vollzeitpflege vom Zeitpunkt der Antragstellung am 19. April 2006 bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Befriedigung am 1. August 2009. Im vorliegenden Rechtsstreit sei die beklagte Stadt zur Hilfegewährung bis 21. Oktober 2007 verpflichtet. Dass die Kläger im Juni 2007 aus dem Bereich der Beklagten weggezogen seien, berühre den Anspruch nicht.
Die Beklagte verteidigt den angegriffenen Beschluss. Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich der Rechtsauffassung der Kläger angeschlossen.
Die zulässige Revision ist begründet. Der angegriffene Beschluss beruht auf der Verletzung von Bundesrecht und stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf Übernahme ihrer erforderlichen Aufwendungen für die von ihnen in der Zeit vom 19. April 2006 bis zum 21. Oktober 2007 erbrachte Vollzeitpflege ihres Enkels (1.). Der Anspruch richtet sich gegen die Beklagte (2.) Die Kläger sind nicht aus prozessualen Gründen gehindert, diesen Anspruch im Revisionsverfahren geltend zu machen (3.).
1. Das Begehren der Kläger ist nach § 36a Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Achtes Buch - (SGB VIII) begründet.
Diese Bestimmung verleiht einen Anspruch auf die Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für selbst beschaffte Hilfen. Das sind Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII erbracht werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist. Der Übernahmeanspruch setzt nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3). Dies war hier der Fall.
a) Die Kläger hatten die Beklagte zu Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendung beansprucht wird, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt. Dies geschah spätestens mit Antrag vom 19. April 2006, mit dem die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege und die Bewilligung von Pflegegeld begehrt wurde.
b) Die Kläger hatten in dem hier in Rede stehenden Zeitraum einen Anspruch auf Gewährung von Vollzeitpflege.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat ein Personenberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Nach § 33 Satz 1 SGB VIII soll Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege Kindern oder Jugendlichen unter anderem entsprechend den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen (§ 27 Abs. 2a Halbs. 1 SGB VIII). Wird Hilfe zur Erziehung unter anderem in Form der Vollzeitpflege gewährt, so ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Danach konnten die Kläger die Vollzeitpflege einschließlich des Unterhalts für ihren Enkel beanspruchen.
aa) Die Voraussetzungen des § 33 Satz 1 SGB VIII lagen vor. Insbesondere wurde die Vollzeitpflege durch die Kläger "in einer anderen Familie" erbracht.
§ 33 Satz 1 SGB VIII unterscheidet zwischen der "Herkunftsfamilie" und der "anderen Familie". Findet die Pflege in der Herkunftsfamilie statt, scheidet ein Anspruch nach § 33 Satz 1 SGB VIII aus. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass aus Sicht des § 33 Satz 1 SGB VIII die Herkunftsfamilie die Familie ist, aus der das Kind oder der Jugendliche ursprünglich herkommt. Das ist die aus den Eltern und gegebenenfalls Geschwistern bestehende sogenannte Kernfamilie (vgl. Urteile vom 12. September 1996 - BVerwG 5 C 31.95 - Buchholz 436.511 § 27 KJHG/SGB VIII Nr. 3 S. 10 und vom 15. Dezember 1995 - BVerwG 5 C 2.94 - BVerwGE 100, 178 <179 f.>). Demnach gehören die Großeltern nicht zur Herkunftsfamilie. Erbringen sie die Vollzeitpflege, sind sie als "andere Familie" im Sinne von § 33 Satz 1 SGB VIII anzusehen (vgl. Urteil vom 12. September 1996 a.a.O. S. 10). Dies entspricht den Erwägungen, aus denen der Gesetzgeber mit § 27 Abs. 2a SGB VIII die Verwandtenpflege unter erleichterten Bedingungen zugelassen hat. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird insoweit dargelegt (vgl. BTDrucks 15/3676 S. 35), es entspreche einer jahrzehntelangen Praxis, Vollzeitpflege als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur in Haushalten von Personen zu gewähren, die mit dem Kind oder Jugendlichen nicht (näher) verwandt seien, sondern auch in Haushalten von nahen Verwandten wie insbesondere Großeltern. Diese seien insoweit als "andere Familie" anzusehen und gehörten nicht zur Herkunftsfamilie.
Die die Pflege erbringenden Großeltern sind auch dann als "andere Familie" anzusehen, wenn zwischen ihnen und den Eltern des Kindes oder Jugendlichen keine räumliche Trennung besteht, weil alle drei Generationen in einem Haushalt zusammenleben. Die gegenteilige Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Bereits der Wortlaut des § 33 Satz 1 SGB VIII weist in die Richtung, dass es für die Unterscheidung von "Herkunftsfamilie" und "anderer Familie" nicht (auch) auf die Wohnverhältnisse in räumlicher Hinsicht ankommt, sondern allein darauf, ob aus verwandtschaftlicher Sicht die Pflege in der Herkunftsfamilie gewährt wird oder nicht.
Eine an Sinn und Zweck des § 33 Satz 1 SGB VIII ausgerichtete Auslegung gebietet die Annahme, dass eine von den Großeltern geleistete Vollzeitpflege auch dann in einer "anderen Familie" stattfindet, wenn die Eltern des Kindes oder Jugendlichen im selben Haushalt leben. § 33 SGB VIII verfolgt das Ziel, die Erziehungsbedingungen eines Kindes oder Jugendlichen durch Einschaltung von Pflegepersonen zu verbessern, wenn der erzieherische Bedarf durch Mitglieder der Herkunftsfamilie nicht abgedeckt werden kann. Bei der Auswahl der Pflegepersonen sind die persönlichen Bindungen des Kindes oder Jugendlichen in besonderer Weise zu berücksichtigen. Hat ein Kind oder Jugendlicher eine besondere Beziehung etwa zu seinen Großeltern, liefe es dem Sinn und Zweck des § 33 SGB VIII zuwider, diese deshalb nicht als "andere Familie" anzusehen und von dem Anspruch auf Vollzeitpflege auszuschließen, weil in ihrem Haushalt auch noch die Eltern oder ein Elternteil leben und es damit an einer räumlichen Trennung fehlt. Aus der Entstehungsgeschichte des § 33 SGB VIII folgt nichts anderes (vgl. BTDrucks 11/5948 S. 16).
Die Auslegung unter systematischen Gesichtspunkten läuft dem aus der teleologischen Deutung gewonnenen Befund nicht zuwider. Insbesondere folgt aus dem Zusammenhang des § 33 Satz 1 SGB VIII mit dem Tatbestandsmerkmal "außerhalb des Elternhauses" in § 27 Abs. 2a SGB VIII und § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht, dass Großeltern, die mit ihrem Kind und einem Enkel einen Haushalt teilen, keinen Anspruch auf Vollzeitpflege haben. Anders läge es nur, wenn das Merkmal "außerhalb des Elternhauses" stets eine räumliche Trennung zwischen dem Ort, an dem Hilfe zur Erziehung gewährt wird, und demjenigen, an dem die Eltern des Kindes oder Jugendlichen leben, voraussetzt und ein solcher Begriffsinhalt die Auslegung des Merkmals "andere Familie" im Sinne von § 33 Satz 1 SGB VIII maßgeblich steuert. Dies ist nicht der Fall.
§ 27 Abs. 2a SGB VIII und § 39 Abs. 1 SGB VIII beziehen sich nicht nur auf die Vollzeitpflege im Sinne von § 33 SGB VIII, sondern auch auf andere in den §§ 28 ff. SGB VIII geregelte Hilfearten. Soweit die Bestimmungen § 33 SGB VIII betreffen, wird Erziehungshilfe auch dann außerhalb des Elternhauses gewährt, wenn die in Rede stehende räumliche Trennung nicht gegeben ist. Dies ergibt sich allerdings nicht schon aus dem Wortlaut des Begriffs "Elternhaus". Dieser wird im allgemeinen Sprachgebrauch in zwei Bedeutungen verwendet, einer räumlich-konkreten und einer übertragen-funktionellen. Im ersten Sinn bedeutet er das elterliche Haus als Ort, in dem die Kindheit verbracht wird. In der zweiten Bedeutung meint er die Familie als Stätte der Erziehung mit ihrem prägenden Einfluss (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 2. Band, 1981, S. 470). Im Zusammenhang mit der Vollzeitpflege ist der Begriff des Elternhauses in § 27 Abs. 2a SGB VIII und § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII im übertragenen Sinn zu verstehen. Dafür sprechen bereits die Begründungen der Entwürfe zu § 33 SGB VIII und § 39 Abs. 1 SGB VIII, in denen die Begriffe "außerhalb des Elternhauses" und "außerhalb der eigenen Familie" synonym gebraucht werden (vgl. BTDrucks 11/5948 S. 71 und 75). Dies erweist sich als deutlicher Hinweis dahin, dass dem Merkmal "außerhalb des Elternhauses" die gleiche Bedeutung beizumessen ist, wie demjenigen der "anderen Familie", bei dem es - wie aufgezeigt - mit Blick auf den Sinn und Zweck des § 33 SGB VIII nicht auf eine räumliche Trennung von der Herkunftsfamilie ankommt. Nur ein übertragenes Begriffsverständnis des "Elternhauses" im Sinne des elterlichen Haushalts trägt der aufgezeigten Zielsetzung des § 27 Abs. 2a SGB VIII ausreichend Rechnung, die nahen Verwandten des hilfebedürftigen Kindes oder Jugendlichen stärker an der Vollzeitpflege zu beteiligen. Die Gesetzesmaterialien zu jener Vorschrift liefern keinen Anhaltspunkt dafür, dass durch die Formulierung "außerhalb des Elternhauses" eine Einschränkung der Vollzeitpflege durch Verwandte im Sinne eines räumlichen Trennungsgebots bezweckt ist. Auch die Stellung des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII im Kontext der gemeinsamen Vorschriften der Hilfe zur Erziehung streitet dafür, den Begriff "außerhalb des Elternhauses" als synonyme Formulierung zu "außerhalb der eigenen Familie", wie er sich auch in § 36 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VIII findet, zu verstehen. Ferner widerspräche es - wie von den Klägern zutreffend hervorgehoben wird - der Intention des § 33 SGB VIII sowie des § 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VIII, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie zu verbessern, wenn das Zusammenleben der Pflegeeltern mit einem altersbedingt noch nicht erziehungsfähigen leiblichen Elternteil das entscheidende Kriterium für die Ablehnung des Anspruchs auf Vollzeitpflege wäre. Denn ein solches Zusammenleben kann auch dazu führen, die Erziehungsfähigkeit und -bereitschaft des Elternteils zu stärken. Mithin wird eine Vollzeitpflege im Sinne von § 33 SGB VIII auch dann außerhalb des Elternhauses gewährt, wenn - wie hier - die Pflegeeltern und ein Elternteil im selben Haushalt leben.
bb) Auch die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Vollzeitpflege lagen vor.
Da das Amtsgericht den Klägern mit Beschluss vom 1. Dezember 2005 die Vormundschaft für das Kind übertragen hat (vgl. § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB), sind sie im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB VIII als Personensorgeberechtigte zur Geltendmachung des Anspruchs auf Vollzeitpflege und des Annexanspruchs auf Pflegegeld berechtigt gewesen (vgl. Urteil vom 12. September 1996 a.a.O. S. 8). Auch hat für das Enkelkind der Kläger ein ungedeckter erzieherischer Bedarf im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB VIII bestanden, weil die Mutter des Kindes aufgrund ihres jugendlichen Alters zur Erziehung nicht in der Lage gewesen ist. Zwar haben die Kläger als Großeltern die Erziehungsaufgabe nach der Geburt des Kindes etwa ein halbes Jahr lang freiwillig und unentgeltlich übernommen. Seit sie mit ihrem Antrag vom 19. April 2006 erklärt haben, nicht mehr zur weiteren Erziehung des Kindes ohne staatliche Unterstützung bereit zu sein, ist der Bedarf jedoch nicht mehr von dritter Seite gedeckt gewesen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1995 a.a.O. <181>).
Vor diesem Hintergrund ist die beantragte Vollzeitpflege durch die Großeltern eine im Hinblick auf das Kindeswohl im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB VIII geeignete und notwendige Maßnahme gewesen. Dass aufgrund der ab Geburt bestehenden persönlichen Bindungen des Kindes die Vollzeitpflege durch die Großeltern dem Kindeswohl entsprochen hat, drängt sich auf, zumal an der persönlichen Eignung der Kläger zur Erziehung des Kindes kein vernünftiger Zweifel besteht. Die Klägerin zu 1 hat nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ihre Arbeitsstelle aufgegeben, um sich im gebotenen Umfang um ihre Enkeltochter zu kümmern. Auch die Bereitschaft der Kläger, die Vollzeitpflege ihres Enkelkindes nach § 27 Abs. 2a SGB VIII in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Beklagten entsprechend einem Hilfeplan zu leisten, ist von der Beklagten im Revisionsverfahren nicht in einer Weise substanziiert in Frage gestellt worden, die den Senat veranlassen könnte, insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich zu erachten. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass im konkreten Fall eine niedrigschwelligere Hilfeform ausgereicht hätte, um den erzieherischen Bedarf des im maßgeblichen Zeitraum einhalb- bis eineinhalbjährigen Kindes zu decken.
c) Die Vollzeitpflege duldete auch keinen zeitlichen Aufschub im Sinne von § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, was zwischen den Parteien auch nicht umstritten ist. Der erkennende Senat ist im Zusammenhang mit der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt stets davon ausgegangen, dass schon während des Verwaltungsverfahrens ein unaufschiebbarer Bedarf vorliegt (vgl. Urteil vom 23. Juni 1994 - BVerwG 5 C 26.92 - BVerwGE 96, 152 <158>). Nichts anderes gilt, wenn es um die Deckung des erzieherischen Bedarfs eines Kleinkindes durch jugendhilferechtliche Maßnahmen und die Sicherstellung des Unterhalts geht.
d) Der Umfang der nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu übernehmenden erforderlichen Aufwendungen entspricht dem Betrag, der bei rechtzeitiger Gewährung der Hilfe vom Jugendhilfeträger nach den zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu tragen gewesen wäre.
Vor Inkrafttreten des § 36a Abs. 3 SGB VIII waren die Jugendhilfeträger im Falle zulässiger Selbstbeschaffung nach der Rechtsprechung verpflichtet, die begehrte Hilfe durch einen Hilfebescheid rückwirkend zu bewilligen und auf dieser Grundlage die entsprechenden Kosten zu übernehmen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1995 a.a.O. <182>). Im Anwendungsbereich des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist eine Bewilligung für die Vergangenheit entbehrlich. Mit dem Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen hat der Gesetzgeber im Vergleich zur früheren Rechtslage keine Schlechterstellung der Berechtigten bezweckt. Dies ergibt sich bereits aus den in der Begründung des Gesetzentwurfs enthaltenen Verweisen auf die bisherige Rechtsprechung (vgl. BTDrucks 15/3676 S. 13, 26 und 36 sowie BTDrucks 15/5616 S. 8 und 26), die im Fall der rechtswidrigen Vorenthaltung einer Hilfe den Betroffenen in finanzieller Hinsicht nicht schlechter gestellt hat als im Fall der rechtzeitigen Leistungsgewährung. Auch die von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gebotene Gleichbehandlung beider Fallgruppen schließt es aus, bei der Bestimmung des Umfangs der erforderlichen Aufwendungen sich auf die von den Betroffenen tatsächlich erbrachten Vermögensopfer zu beschränken. Vielmehr sind nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII alle Kosten, die vom Jugendhilfeträger bei rechtzeitiger Bewilligung zu erstatten gewesen wären, zu übernehmen. Mithin sind im Fall der selbst beschafften Hilfe nicht nur die tatsächlich nachweisbaren Vermögenseinbußen, sondern auch die in § 39 SGB VIII vorgesehenen Pauschalen zu übernehmen. Hängt im Fall der Leistungsbewilligung die Höhe des Pflegegeldes nach § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII von einer Prüfung der Einkommensverhältnisse und gegebenenfalls von einer Ermessensentscheidung des Jugendhilfeträgers ab, muss auch bei der Übernahme der Aufwendungen nach § 36a Abs. 3 SGB VIII eine entsprechende Prüfung und Ermessensentscheidung stattfinden.
2. Die Kläger sind berechtigt, den Anspruch uneingeschränkt gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Diese war während des gesamten Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen begehrt wird, für die Gewährung von Vollzeitpflege (auch) örtlich zuständig. Für die Zeit des Aufenthalts der Mutter im Bereich der Beklagten folgt dies aus § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bzw. aus § 86 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB VIII. Der Umzug der Mutter in den Bereich des Landkreises Stade führte nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII zu keiner Änderung der Zuständigkeit, weil die Personensorge keinem Elternteil zustand und in einem solchen Fall die bestehende Zuständigkeit trotz Aufenthaltswechsels eines Elternteils erhalten bleibt (vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 5 C 25.10 - juris Rn. 34 ff. m.w.N.)
3. Die Kläger sind nicht aus prozessrechtlichen Gründen gehindert, im Revisionsverfahren die Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für den in Rede stehenden Zeitraum zu begehren. Eine im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässige Klageänderung liegt nicht darin, dass anders als in den Vorinstanzen nicht die Gewährung von Vollzeitpflege nach § 33 Abs. 1 SGB VIII und Unterhalt im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, sondern Aufwendungsübernahme begehrt wird. Dies ist nach § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen, weil dasselbe Interesse weiterverfolgt wird. Soweit im Vergleich zu den Vorinstanzen das Begehren auf die Zeit bis zum 21. Oktober 2007 beschränkt wird, liegt darin eine Konkretisierung des Begehrens in zeitlicher Hinsicht.