Bundesarbeitsgericht

Entscheidungsdatum: 26.06.2013


BAG 26.06.2013 - 5 AZR 231/12

Überstundenvergütung - Wechselschichtzulage - verlängerte Arbeitszeit nach § 12 Abs 6 Buchst b DRK-RTV - Auslegung


Gericht:
Bundesarbeitsgericht
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
26.06.2013
Aktenzeichen:
5 AZR 231/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend ArbG Reutlingen, 6. Mai 2011, Az: 3 Ca 150/09, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 6. Februar 2012, Az: 4 Sa 55/11, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. Februar 2012 - 4 Sa 55/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über weitere Vergütung.

2

Der Kläger war beim beklagten Verein zuletzt als Rettungsassistent in der Rettungswache B beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der DRK-Reformtarifvertrag über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes in der Fassung des 29. Änderungstarifvertrags vom 15. August 2007 (im Folgenden: DRK-RTV) Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:

        

„§ 12 Regelmäßige Arbeitszeit

        

(1)     

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich.

        

(2)     

Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen. Abweichend von Satz 1 kann bei Mitarbeitern, die ständig Wechselschicht- oder Schichtarbeit zu leisten haben, ein längerer Zeitraum zugrunde gelegt werden.

        

…       

        
        

(6)     

Die regelmäßige Arbeitszeit kann verlängert werden bis zu 12 Stunden täglich

                 

a)    

und durchschnittlich 45 Stunden wöchentlich, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens zwei Stunden täglich fällt,

                 

b)    

und durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt.

        

…       

        
        

§ 13 Sonderformen der Arbeit

        

(1)     

Wechselschichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan/Dienstplan, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, bei dem der Mitarbeiter längstens nach Ablauf eines Monats erneut zu mindestens zwei Nachtschichten herangezogen wird. Wechselschichten sind wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird. Nachtschichten sind Arbeitsschichten, in denen die Nachtarbeit zeitlich überwiegt.

        

…       

        
        

(7)     

Mehrarbeit sind die Arbeitsstunden, die Teilzeitbeschäftigte über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinaus bis zur regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 12 Abs. 1 und 6) leisten.

        

(8)     

Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten gemäß § 12 Abs. 1 für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.

        

(9)     

Abweichend von Abs. 8 sind nur die Arbeitsstunden Überstunden, die

                 

…       

        
                 

c)    

im Fall von Wechselschicht- oder Schichtarbeit über die im Schichtplan festgelegten täglichen Arbeitsstunden einschließlich der im Schichtplan vorgesehenen Arbeitsstunden, die bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden,

                 

angeordnet worden sind.

        

…       

        
        

§ 14 Ausgleich für Sonderformen der Arbeit

        

(1)     

Überstunden, die im ersten Kalenderhalbjahr entstehen, müssen bis zum 31.12. des gleichen Jahres durch Freizeit ausgeglichen werden. Überstunden, die im zweiten Kalenderhalbjahr entstehen, müssen bis zum 30.6. des folgenden Kalenderjahres durch Freizeit ausgeglichen werden. Dieser Freizeitausgleich erfolgt ohne besonderen Zeitzuschlag. Dies gilt auch bei einer Übertragung von Überstunden in das Arbeitszeitkonto (§ 15).

        

(2)     

Der Mitarbeiter erhält neben seinem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung bzw. deren Bewertung als Arbeitszeit gemäß Abs. 10 und 11 Zeitzuschläge. Sie betragen:

                 

a)    

für nicht durch Freizeit gemäß Abs. 1 ausgeglichene Überstunden

50 v.H.

        
                 

…       

        
                 

des auf eine Stunde entfallenden Anteils des monatlichen Entgelts der Stufe 1 der jeweiligen Entgeltgruppe bzw. bei Entgeltgruppe 1 der Stufe 2.

                 

…       

        

(7)     

Der Mitarbeiter, der ständig nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt ist, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten (§ 13 Abs. 1) vorsieht, und der dabei in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Arbeits-stunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht leistet, erhält eine Wechselschichtzulage von Euro 102,26 monatlich.

        

…       

        
        

(9)     

Die Absätze 7 und 8 gelten nicht für

                 

…       

        
                 

b)    

Mitarbeiter, in deren regelmäßige Arbeitszeit regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt.

        

…“    

3

Auf der Grundlage der vom Kläger im Zeitraum März 2007 bis Februar 2009 geleisteten Arbeitsschichten wurden die „reinen“ Einsatzzeiten dokumentiert. In dieser Zeit arbeitete der Kläger in einem 19 Wochen umfassenden Schichtturnus. Zudem wurden die vom Kläger in den Transportberichten angegebenen weiteren einsatzbezogenen Zeiten als Arbeitszeit berücksichtigt. Darüber hinaus wurden Zeitgutschriften für die Dienstübernahme und Umkleidezeiten, den täglichen Fahrzeug-Check sowie den Montag-Check vorgenommen. Weitere, nicht täglich anfallende Tätigkeiten bewertete der Beklagte aufgrund einer Messung, die vom Rettungsdienstleiter F im Beisein des Betriebsratsmitglieds Fä am 8./9. September 2009 durchgeführt wurden. Splitterzeiten von weniger als zehn Minuten wurden als Arbeitszeit berücksichtigt. Hiervon ausgehend errechnete der Beklagte eine durchschnittliche Arbeitsbereitschaft des Klägers je Schicht von 6 Stunden 16 Minuten 9 Sekunden.

4

Mit der Klage hat der Kläger zuletzt die Zahlung einer Wechselschichtzulage für den Zeitraum vom 1. Februar 2007 bis zum 31. Januar 2009 sowie von Überstundenvergütung für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2008 begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit zu verlängern. Die tägliche Arbeitsbereitschaft von mehr als drei Stunden sei auf die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden und nicht auf die bereits verlängerte Wochenarbeitszeit zu beziehen. Sowohl die vom Beklagten ermittelten Einsatzzeiten als auch die am 8./9. September 2009 gemessenen Zeiten seien unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen und unter Verletzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ermittelt worden.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 11.514,20 Euro brutto zuzüglich Zinsen zu zahlen.

6

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Auswertung der Arbeitszeiten erfasse die anzunehmende Arbeitsbereitschaft im betreffenden Zeitraum zutreffend.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

8

A. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger Ansprüche auf eine Wechselschichtzulage für die Monate August bis Dezember 2007 in Höhe von insgesamt 511,30 Euro brutto verfolgt. Insofern fehlt es an einer ordnungsgemäßen Revisionsbegründung, § 72 Abs. 5 ArbGG, § 551 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. Hinsichtlich dieser Ansprüche hat das Landesarbeitsgericht die Klage wegen Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist für unbegründet erachtet. Mit dieser tragenden Begründung setzt sich die Revision nicht auseinander.

9

B. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers wirksam gemäß § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV auf wöchentlich 48 Stunden verlängert, denn in diese verlängerte Arbeitszeit fiel regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich. Damit hat der Kläger keine über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehenden Überstunden geleistet. Gemäß § 14 Abs. 9 Buchst. b) DRK-RTV besteht kein Anspruch auf eine Wechselschichtzulage.

10

I. Nach § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV hat der Beklagte die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers wirksam verlängert. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift wurden erfüllt, denn in die nach § 12 Abs. 6 DRK-RTV verlängerte regelmäßige Arbeitszeit fielen Zeiten der Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich. Es kam nicht darauf an, ob bereits in die regelmäßige Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden Zeiten der Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fielen. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags. Die Worte „in sie“ in § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV beziehen sich auf die bis zu zwölf Stunden täglich bzw. 48 Stunden wöchentlich verlängerte Arbeitszeit und nicht auf die in § 12 Abs. 1 DRK-RTV definierte regelmäßige Arbeitszeit von 38,5 Stunden (vgl. zu § 15 BAT: BAG 24. September 1992 - 6 AZR 101/90 - zu II 2 d der Gründe und zu § 14 TV-DRK West: BAG 9. März 2005 - 5 AZR 385/02 - zu I 2 a der Gründe; anders noch BAG 17. März 1988 - 6 AZR 268/85 - zu II 5 b der Gründe, BAGE 58, 19).

11

1. Bereits der Wortlaut der Norm spricht für diese Auslegung. Das Personalpronomen „sie“ steht als Ersatz für den im ersten Halbsatz verwendeten Begriff der „auf 48 Stunden verlängerten Arbeitszeit“, denn innerhalb des Satzes steht der Rechtsbegriff „verlängerte regelmäßige Arbeitszeit“ dem Personalpronomen räumlich näher als der Begriff „regelmäßige Arbeitszeit von 38,5 Stunden“. An anderer Stelle verwendet der Tarifvertrag bei ähnlicher Bezugnahme oder Verweisung eine klarstellende Formulierung (zB einen in Klammern gesetzten Verweis). Beispiele finden sich in § 13 Abs. 7 und Abs. 8 DRK-RTV.

12

2. Aus der Systematik des DRK-RTV folgt, dass für den betroffenen Personenkreis die verlängerte Arbeitszeit zu der regelmäßigen Arbeitszeit wird. Dies zeigt die Regelung in § 14 Abs. 9 DRK-RTV, die für Mitarbeiter gilt, „in deren“ regelmäßige Arbeitszeit regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt. Abgestellt wird nicht abstrakt auf die regelmäßige Arbeitszeit iSd. § 12 Abs. 1 DRK-RTV, sondern auf die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des jeweiligen Arbeitnehmers.

13

Im gleichen Sinne ist § 13 Abs. 7 DRK-RTV zu werten, der die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten mittels des Klammerzusatzes „§ 12 Abs. 1 und 6“ definiert. Auch hieraus ergibt sich, dass der Tarifvertrag die gemäß § 12 Abs. 6 DRK-RTV verlängerte Arbeitszeit als regelmäßige Arbeitszeit ansieht.

14

3. Die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags kommt bestätigend hinzu. Der DRK-RTV trat zum 1. Januar 2007 in Kraft, also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Bundesarbeitsgericht zur gleichlautenden Vorschrift des § 15 Abs. 2 BAT schon entschieden hatte, dass sich die Worte „in sie“ auf die verlängerte regelmäßige Arbeitszeit beziehen. Hätten die Tarifvertragsparteien daher den Willen gehabt, dies im DRK-RTV anders zu regeln, wäre im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Klarstellung angezeigt gewesen.

15

Soweit die Revision darauf verweist, das Inkrafttreten des ArbZG erfordere eine im Vergleich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. September 1992 (- 6 AZR 101/90 -) abweichende Betrachtungsweise, geht dieser Einwand fehl, weil § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ArbZG inhaltlich seiner Vorgängerregelung in § 7 Abs. 2 ArbZO entspricht.

16

4. Der Wille der Tarifvertragsparteien steht dem gefundenen Auslegungsergebnis nicht entgegen. Unterstellt man zugunsten der Revision, dass die Tarifvertragsparteien mit der tarifvertraglichen Regelung von der Öffnungsklausel des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ArbZG Gebrauch machen wollten, wird im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ArbZG gerade die Auffassung vertreten, dass für die Berechnung des Anteils der Arbeitsbereitschaft auf den Anteil derselben an der verlängerten Arbeitszeit abzustellen sei (Baeck/Deutsch ArbZG 2. Aufl. § 7 Rn. 51; Schliemann ArbZG 2009 § 7 Rn. 41).

17

II. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV wurden im Arbeitsverhältnis des Klägers erfüllt. Dies hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt. In Anwendung der vom BAG entwickelten Grundsätze (vgl. BAG 9. März 2005 - 5 AZR 385/02 - zu I 2 a der Gründe) hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts festgestellt, dass für den Kläger im Zeitraum März 2007 bis Februar 2009 Zeiten der Arbeitsbereitschaft von mehr als drei Stunden täglich angefallen sind. Gegen diese Würdigung hat die Revision keine Verfahrensrügen erhoben. Verstöße gegen datenschutzrechtliche oder betriebsverfassungsrechtliche Bestimmungen bei der Erhebung oder Verarbeitung der Daten hat der Kläger nicht aufgezeigt.

18

C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

        

        

    Pollert    

        

    Mattausch