Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 29.06.2011


BGH 29.06.2011 - 4 StR 56/11

Strafverfahren: Voraussetzungen des Absehens von der Anordnung des Wertersatzverfalls


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
29.06.2011
Aktenzeichen:
4 StR 56/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Essen, 30. Juni 2010, Az: 26 KLs 21/10 - 71 Js 94/10
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. Juni 2010, soweit es den Angeklagten betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Betrugs entfällt;

b) im Strafausspruch und hinsichtlich der Feststellung über das Absehen von der Verfallsanordnung sowie den Wert des Erlangen mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit versuchtem Betrug und Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zugleich hat es festgestellt, dass wegen entgegenstehender Ansprüche des Verletzten nicht auf Verfall erkannt worden ist und der Wert des Erlangten 25.000 Euro beträgt. Hiergegen wendet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

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1. Die Verfahrensrüge, mit welcher eine Verletzung des § 261 StPO durch Verwertung des nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführten Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17. November 2009 geltend gemacht wird, dringt nicht durch.

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Die Revision beanstandet zwar zu Recht, dass das gegen den mitangeklagten Bruder des Angeklagten ergangene Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17. November 2009 im Wege des Selbstleseverfahrens nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist, weil die Vorsitzende keine Feststellung darüber getroffen hat, dass auch die Berufsrichter vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2009 – 2 StR 280/09, StV 2010, 225, 226; vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 5; vom 22. Dezember 2010 – 2 StR 386/10, StV 2011, 267, 268). Für die revisionsgerichtliche Prüfung durch den Senat ist das Protokoll in der ursprünglichen Fassung maßgebend. Denn die vom Landgericht durchgeführte Protokollberichtigung entspricht weder in verfahrensmäßiger noch in sachlicher Hinsicht den Anforderungen, die der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung zur Rügeverkümmerung (Beschluss vom 23. April 2007 – GSSt 1/06, BGHSt 51, 298 Rn. 58, 60 ff.) für eine wirksame Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls entwickelt hat.

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Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil jedoch nicht, weil das Landgericht seine Feststellungen zu den einschlägigen Vortaten des Angeklagten durch Verlesung des gegen den Angeklagten ergangenen Urteils des Amtsgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. September 2008 getroffen hat. Lediglich zur Darstellung des Gegenstands der Vorverurteilung hat die Strafkammer auch auf die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Passagen aus dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17. November 2009 gegen den Bruder des Angeklagten verwiesen. Zum Verständnis des Urteils sind diese Passagen indes nicht erforderlich, da die übrigen Urteilsausführungen in einer für die sachlich-rechtliche Prüfung des Urteils hinreichenden Weise erkennen lassen, was für Taten dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. September 2008 zu Grunde lagen. So ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass der Angeklagte wegen der Begehung von – mit der neu abgeurteilten Tat vergleichbaren – Rip-Deals verurteilt wurde, wobei der in erster Linie als Fahrer fungierende Angeklagte zu den Bandenmitgliedern gehört hatte und mit den anderen Tatbeteiligten übereingekommen war, zum Erwerb der begehrten Gelder notfalls Gewalt anzuwenden, falls ein Betrug scheitern sollte.

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2. Die materiell-rechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der verhängten Freiheitsstrafe sowie der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO.

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a) Die Verurteilung auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten Betrugs hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

7

Nach den Feststellungen war für den Tattag ein Treffen verabredet, bei welchem nach den vorausgegangenen Absprachen der Geschädigte 25.000 Euro übergeben und im Gegenzug (vermeintlich) 50.000 Schweizer Franken erhalten sollte. Nachdem der Angeklagte am verabredeten Ort erschienen und in das Fahrzeug des Geschädigten eingestiegen war, packte er ein Bündel Papierscheine aus, das oben und unten jeweils mit einem echten 1.000 Schweizer-Franken-Schein versehen war, im Übrigen aber Falschgeld enthielt. Der Geschädigte entnahm seinerseits seiner Brusttasche einen Briefumschlag mit 25.000 Euro und „wollte“ nunmehr um die Schweizer Franken bitten, um diese zu zählen. „Stattdessen“ packte der Angeklagte mit festem und schmerzhaftem Griff die den Umschlag haltende Hand des Geschädigten, hielt diese kurzzeitig fest und entriss ihr dann den Umschlag, wobei er dem Geschädigten eine leichte Kratzwunde am Handrücken zufügte. Anschließend floh der Angeklagte mit der Beute.

8

Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 52 StGB, nicht aber einen Schuldspruch auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten Betrugs. Dass der Angeklagte nicht von vornherein eine gewaltsame Wegnahme des Geldes vorhatte, sondern zunächst (nur) die irrtumsbedingte Übergabe des Geldes anstrebte und sich erst nach dem Scheitern dieses Vorhabens dazu entschloss, den Umschlag mit Gewalt an sich zu bringen, ist der Sachverhaltsschilderung der Strafkammer nicht zu entnehmen. Bei den im Vorfeld des Treffens am Tattag entfalteten vielfältigen Täuschungshandlungen handelt es sich schließlich lediglich um bloße Vorbereitungshandlungen, die eine Strafbarkeit wegen versuchten Betrugs nicht zu begründen vermögen. Da auszuschließen ist, dass noch weiter gehende tatsächliche Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen werden können, ändert der Senat den Schuldspruch und lässt die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Betrugs entfallen.

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b) Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der verhängten Freiheitsstrafe zur Folge. Da die Strafkammer ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte sich tateinheitlich auch wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht habe, kann der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass sich der fehlerhafte Schuldspruch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.

10

c) Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO über das Absehen von der Anordnung des Wertersatzverfalls und den Wert des Erlangten kann keinen Bestand haben.

11

Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Regelung des § 73c Abs. 1 StGB im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu beachten ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, NJW 2011, 624 Rn. 15 m.w.N.). Wird in Anwendung des § 73c Abs. 1 StGB teilweise von der Anordnung des Verfalls abgesehen, hat dies zur Folge, dass der in der Urteilsformel allein zu bezeichnende Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag, den der Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt, hinter dem Erlangten bzw. dessen Wert zurückbleibt (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, aaO, Rn. 12 ff.). Die Strafkammer hat die - hier nicht fern liegenden - Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 StGB nicht erkennbar geprüft. Hierzu hätte sie nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten treffen und sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, inwieweit der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist.

Ernemann     

Roggenbuck     

RiBGH Dr. Franke

befindet sich im

Urlaub und ist daher

gehindert zu

unterschreiben.

Ernemann

Mutzbauer      

Bender