Entscheidungsdatum: 13.02.2013
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 21. September 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der unter anderem wegen Trunkenheit im Verkehr mehrfach vorbestrafte Angeklagte, der nach eigenen Angaben in der Zeit vor der Tat täglich etwa zehn Flaschen Bier und gelegentlich Schnaps konsumierte, befand sich in der Nacht zum 8. April 2012 mit seinem Bekannten F. , dem späteren Tatopfer, allein in dessen Wohnung. Während beide Bier und Schnaps tranken, kam es im Verlauf des Abends zu einem auch unter dem Einsatz von Fäusten geführten Streit um "alte Geschichten", der jedoch mit einer Versöhnung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten endete. Zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr kam es sodann ohne erkennbaren Anlass zu einem lautstarken, allein von der Stimme des Angeklagten dominierten Geschehen, in dessen Verlauf der Angeklagte dem Geschädigten mit einem 18 cm langen Gemüsemesser und einem 17 cm langen Schälmesser ohne rechtfertigenden Grund mit Tötungsvorsatz zwei Stiche in die Brust und drei Stiche in den Rücken beibrachte, die lebensgefährliche Verletzungen verursachten. Der Wohnungsnachbar des Tatopfers, der Zeuge A. , verständigte kurz nach 4.30 Uhr die Polizei, nachdem der Angeklagte zuvor mit nacktem Oberkörper an der Wohnungstür des Zeugen A. geklingelt und gegen die Tür geschlagen und getreten hatte. Den eintreffenden Polizeibeamten öffnete der vollkommen unbekleidete und an Armen und Beinen blutverschmierte Angeklagte die Wohnungstür und eilte daraufhin sofort ins Bad, wo er versuchte, sich mit angefeuchteten Handtüchern das Blut abzuwaschen. Danach lief er kreuz und quer durch die Wohnung und drängte sich mehrfach mit den Worten: "Meine Frau, meine Frau, ich will die jetzt ficken" zu dem Geschädigten hin, der blutüberströmt vor der Couch im Wohnzimmer auf dem Boden lag. Da der Angeklagte von seinem Tun nicht abließ und nach einem der eingesetzten Polizeibeamten schlug und trat, wurden ihm Handfesseln angelegt. Während des Einsatzes der Polizei bot der Angeklagte den Beamten immer größer werdende Geldbeträge bis hin zu 500.000 € an, damit sie ihn laufen ließen; ferner drohte er ihnen, anderenfalls würden andere kommen und ihre Familien auslöschen. Am 8. April 2012 um 5.58 Uhr wurde bei dem Angeklagten eine Blutalkoholkonzentration von 2,97 ‰ gemessen. Der Geschädigte verstarb im Krankenhaus am 18. April 2012 an einer trotz ordnungsgemäßer Thromboseprophylaxe eingetretenen Lungenembolie auf Grund der durch die Verletzungen erzwungenen Bettlägerigkeit.
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte infolge seines Alkoholkonsums bei Begehung der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert, nicht jedoch schuldunfähig gewesen sei. Dem rechnerisch ermittelten Wert der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in Höhe von 3,77 ‰ komme angesichts der Alkoholgewöhnung des Angeklagten nur geringe Aussagekraft zu. Die Bewertung der psychodiagnostischen Kriterien ergebe kein einheitliches Bild. Eine mittelgradige Berauschung des Angeklagten mit der Folge eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten sei nicht sicher belegbar, aber auch nicht auszuschließen. Für einen solchen Rauschzustand spreche seine Situationsverkennung dahin, dass er angenommen habe, in der Wohnung liege seine Frau. Seine Versuche, sich das Blut abzuwaschen, belegten demgegenüber das Vorhandensein guter kognitiver Fähigkeiten, ebenso die Tatsache, dass er den Polizeibeamten immer höhere Geldsummen angeboten habe, damit sie ihn laufen ließen.
II.
Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch die Strafkammer begegnet insbesondere im Hinblick auf die Bewertung der Tatzeit-Blutalkoholkonzentration durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Strafkammer hat zum Nachteil des Angeklagten eine zu niedrige Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt zu Grunde gelegt.
Ausgehend vom BAK-Wert der nur vier Stunden nach Beginn des von der Strafkammer angenommenen Tatzeitraums beim Angeklagten entnommenen Blutprobe (zur Bedeutung des Zeitraums zwischen Tat und Blutentnahme vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1988 - 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308, 315, 317; Senatsbeschluss vom 24. Januar 2008 - 4 StR 542/07, StraFo 2008, 334, Tz. 8) ergibt sich als Tatzeit-Blutalkoholkonzentration nicht, wie der Sachverständige meint, der vom Landgericht angenommene Wert von 3,77 ‰, sondern ein solcher von 3,97 ‰, da nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der Schuldfähigkeit ein stündlicher Abbauwert von 0,2 ‰ und ein Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ zugrunde zu legen ist (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 24. Januar 2008 aaO, Tz. 7 mwN).
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Indizwirkung der Tatzeit-Blutalkoholkonzentration vor dem Hintergrund der Alkoholgewöhnung des Angeklagten und seines Verhaltens während und nach der Tat bewertet hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es zwar keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die Schuldfähigkeit regelmäßig aufgehoben ist; Entsprechendes gilt für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (BGH, Urteil vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 72 ff.; Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 37). So ist es dem Tatrichter auch nicht verwehrt, die Alkoholgewöhnung des Täters bei der Bewertung der festgestellten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, NStZ 2000, 136). Gleichwohl hat diese insofern Bedeutung, als sie - unter Beachtung des Zweifelssatzes - Aufschluss über die Stärke der alkoholischen Beeinflussung gibt und in diesem Sinne ein zwar nicht allgemein gültiges, aber gewichtiges Beweisanzeichen neben anderen ist (Senatsbeschluss vom 9. November 1999 aaO). Zwar kann die Schuldfähigkeit auch bei Werten, die deutlich über 3 ‰ liegen, insbesondere bei Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit noch (möglicherweise eingeschränkt) erhalten geblieben sein (vgl. SSW-StGB/Schöch, § 20 Rn. 36 mN zur Rspr.). In einem solchen Fall ist jedoch regelmäßig die Prüfung einer Aufhebung der Schuldfähigkeit veranlasst (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 - 2 StR 447/09, BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 20). Die Bewertung und Gewichtung der dafür entscheidungserheblichen Indizien im Rahmen der Gesamtwürdigung des Beweisstoffes ist im Wesentlichen Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann in diese Würdigung nur eingreifen, wenn sie auf fehlerhaften Erwägungen oder Vorstellungen beruht (BGH, Urteil vom 31. Oktober 1989 - 1 StR 419/89, BGHSt 36, 286, 293). So verhält es sich hier.
b) Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang angestellte Gesamtwürdigung ist bereits lückenhaft.
Nach den Urteilsfeststellungen stieß der Angeklagte im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat im Treppenhaus mit unbekleidetem Oberkörper ohne erkennbaren Anlass unter lautem Schreien eine Drohung aus und zerschlug eine Flasche, die er dann dort liegen ließ. Ferner öffnete er beim Eintreffen der Polizei vollständig unbekleidet die Wohnungstür. Diese Umstände können nach Lage des Falles jeder für sich oder im Zusammenwirken für die Frage der Schuldfähigkeit von Bedeutung sein; sie hätten daher nicht unerörtert bleiben dürfen.
c) Durchgreifende Bedenken erweckt auch die Erwägung, der Versuch des Angeklagten, sich nach Erscheinen der Polizeibeamten das Blut abzuwaschen, lasse auf erhalten gebliebene gute kognitive Fähigkeiten schließen. Schon dies lässt für sich genommen besorgen, dass das Landgericht einem Verhalten, das eher dem Kreis einfacher Handlungsmuster zuzuordnen ist, für die Entkräftung der Indizwirkung der erheblichen Tatzeit-Blutalkoholkonzentration eine zu große Bedeutung beigemessen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, NStZ 2000, 136). Dass den Geldangeboten des Angeklagten den einschreitenden Beamten gegenüber eine solche Indizwirkung ebenfalls zukommt, liegt angesichts des fernliegenden Erfolges der Bestechungsversuche und des Umstandes, dass der Angeklagte die Angebote mit haltlosen Drohungen verband, eher fern.
III.
Die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf daher neuer Prüfung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen medizinischen Sachverständigen. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass der neue Tatrichter zur Annahme der Voraussetzungen des § 20 StGB gelangt, hat das angefochtene Urteil insgesamt keinen Bestand.
Für den Fall, dass auch die neue Verhandlung eine lediglich erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) ergeben sollte, wird Folgendes zu bedenken sein:
1. Im Hinblick darauf, dass die Strafkammer die Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags im Sinne von § 213 StGB auf Grund der "massiven Einwirkung" des Angeklagten auf den Geschädigten abgelehnt hat, merkt der Senat an, dass auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich ist, sodass für eine derartige strafschärfende Erwägung zwar grundsätzlich Raum bleibt, indes nur nach dem Maß der geminderten Schuld. Dass dem Tatrichter diese Problematik bewusst war, muss das Urteil erkennen lassen (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104).
2. Die vom Landgericht angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB begegnet mit der bisherigen Begründung ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar liegt der für die Unterbringungsanordnung erforderliche Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, beim Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen auf der Hand. Auch kann die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr weiterer erheblicher Straftaten schon allein durch die Anlasstat begründet werden (Senatsbeschluss vom 20. Januar 2004 - 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204). Die Urteilsgründe beschränken sich indes zur Gefährlichkeitsprognose auf die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes, was dem Senat die Prüfung, ob die Strafkammer insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist, unmöglich macht. Eine Darlegung der "detaillierten und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen" zu den Anordnungsvoraussetzungen wäre im vorliegenden Fall umso mehr geboten gewesen, als die Einzelheiten des zur Tat führenden Geschehens ebenso wenig eindeutig festgestellt werden konnten wie das Motiv des Angeklagten für die Tat. Die für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der - vom Landgericht nicht erörterte - Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten zum Urteilszeitpunkt gehört (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141), hätten hier ebenfalls einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Bender Reiter