Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 06.12.2018


BGH 06.12.2018 - 4 StR 260/18

Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
06.12.2018
Aktenzeichen:
4 StR 260/18
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:061218U4STR260.18.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Stade, 12. Februar 2018, Az: 20 Ss 8/18
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 12. Februar 2018 wird verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (vorsätzlichen) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und fünf Monaten verurteilt und vom Vorwurf einer Brandstiftung freigesprochen. Ferner hat es Einziehungsentscheidungen getroffen und Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Nach Beschränkung und Teilrücknahme ihres Rechtsmittels beanstandet sie zuletzt nur noch, dass der Angeklagte nicht auch wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

2

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte K.    fuhren am frühen Morgen des 22. Februar 2017 gegen 1.10 Uhr zu einem Raiffeisenmarkt in der Gemeinde W.             , um dort einzubrechen und hochwertige Werkzeuge zu entwenden. Im Beifahrerfußraum ihres hochmotorisierten Fahrzeugs, das sie einige Monate zuvor gestohlen hatten und an welches sie kurz zuvor ebenfalls entwendete Kennzeichen angebracht hatten, transportierten sie drei große Feldsteine. Mit einem dieser Steine warfen sie die Eingangstür des Verkaufsraums ein, wodurch eine Alarmanlage ausgelöst wurde, und entwendeten eine Motorsense und einen Laubsauger. Um 1.16 Uhr verließen sie den Tatort. Der Angeklagte steuerte das Fahrzeug, K.    befand sich auf dem Beifahrersitz. Nach kurzer Fahrt gelangten sie auf eine Autobahn. Dort nahm ein Zivilfahrzeug der Polizei ihre Verfolgung auf. Der Angeklagte und sein Beifahrer bemerkten dies und gingen auch davon aus, dass es sich hierbei um ein Polizeifahrzeug handelte.

4

Um 1.29 Uhr lenkte der Angeklagte das Fluchtfahrzeug zunächst von der rechten auf die linke Fahrspur und anschließend dicht an die Mittelleitplanke heran; K.    warf nun einen der beiden im Beifahrerfußraum verbliebenen Feldsteine, der ein Gewicht von zwölf Kilogramm hatte, aus dem Fenster der Beifahrerseite auf die Fahrbahn. Das Polizeifahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von 181 km/h und befand sich etwa 80 Meter hinter dem vom Angeklagten gesteuerten Pkw. Für den Polizeibeamten H.   als Fahrer des Polizeifahrzeugs war der nach rechts über die Fahrbahn rollende Stein erst mit Eintritt in den Lichtkegel des Abblendlichts erkennbar; die Reaktionszeit betrug etwa eine Sekunde. Durch eine reaktionsschnelle Lenkbewegung konnte der Beamte H.   einen Zusammenstoß mit dem Stein abwenden. Etwa 18 Sekunden später warf K.    , nachdem der Angeklagte wiederum das Fluchtfahrzeug nah an die Mittelleitplanke gelenkt hatte, den letzten der ursprünglich drei im Beifahrerfußraum befindlichen Feldsteine aus dem Beifahrerfenster. Dieser hatte ein Gewicht von 27 Kilogramm. Das Polizeifahrzeug befand sich zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 128 km/h etwa 15 Meter hinter dem Fluchtfahrzeug. Erneut konnte der Beamte H.   ausweichen, wobei ihm wiederum nur eine Reaktionszeit von etwa einer Sekunde zur Verfügung stand. In beiden Fällen wäre es ohne die Lenkbewegungen des Polizeibeamten zu einer Kollision mit dem Stein und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen.

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Etwa sechs Minuten später warf K.    die zuvor entwendete 1,1 Meter lange Motorsense aus dem Beifahrerfenster. Das Polizeifahrzeug, das zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von 226 km/h hatte, überfuhr die Motorsense, ohne dass hierbei eine Gefahr für das Fahrzeug bestand. Eine halbe Minute später verließen der Angeklagte und K.    mit ihrem Fahrzeug die Autobahn an einer Ausfahrt. Dort warf K.    den Laubbläser aus dem Beifahrerfenster; diesem Hindernis konnte der Beamte H.   gefahrlos ausweichen.

6

Die Würfe der Steine und Werkzeuge durch K.    erfolgten jeweils in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit dem Angeklagten. Beide handelten mit dem Ziel, einen schweren Verkehrsunfall des sie verfolgenden Polizeifahrzeugs herbeizuführen, um dadurch ihre weitere Verfolgung und die Aufdeckung ihrer Täterschaft bei dem Einbruchsdiebstahl zu vereiteln. Ihnen war bewusst, dass es hierdurch auch zum Tod der Polizeibeamten kommen könnte; dies billigten sie.

7

Nach Verlassen der Autobahn setzten der Angeklagte und K.    ihre Fahrt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 170 km/h auf einer Kreisstraße fort, wobei es ihnen gelang, den Abstand zu dem sie weiterhin verfolgenden Polizeifahrzeug zu vergrößern. Obwohl sich in ihrem Fahrzeug noch ein Benzinkanister und ein Seesack mit Einbruchswerkzeug, darunter einem langen Hebeleisen, befanden, nahmen sie davon Abstand, diese Gegenstände als weitere Wurfgeschosse gegen das Polizeifahrzeug einzusetzen, obwohl ihnen das hierfür erforderliche Befahren der linken Fahrspur ohne weiteres möglich gewesen wäre. Ihren zuvor gefassten bedingten Tötungsvorsatz gaben sie aus eigenem Antrieb auf; sie beschlossen, den Polizeibeamten schlicht davonzufahren, was ihnen auch gelang.

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2. Mit Blick auf die Fluchtfahrt hat die Schwurgerichtskammer angenommen, der Angeklagte habe sich des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 in Verbindung mit § 315 Abs. 3 Nr. 1a und b StGB schuldig gemacht, nicht jedoch eines versuchten Mordes. Zwar sei er zur Begehung eines Verdeckungsmordes entschlossen gewesen und habe gemeinsam mit seinem Mittäter K.    auch unmittelbar zur Tatbegehung angesetzt, jedoch sei er von dem Mordversuch gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten.

II.

9

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

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Eine zulässige Verfahrensrüge hat die Beschwerdeführerin nicht erhoben. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils hat auch keinen sachlich-rechtlichen Fehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben. Die Annahme des Landgerichts, dass er sich im Hinblick auf die Fluchtfahrt neben einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 in Verbindung mit § 315 Abs. 3 Nr. 1a und b StGB nicht auch wegen eines versuchten Mordes strafbar gemacht hat, weil er von dieser versuchten Tat gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist, ist nicht zu beanstanden.

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a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin weist die Annahme der Schwurgerichtskammer, der Versuch sei nicht fehlgeschlagen, keinen Rechtsfehler auf.

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aa) Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende subjektive Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399; Beschlüsse vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 262/15, NStZ 2016, 207, 208; vom 9. September 2014 – 4 StR 367/14, NStZ 2015, 26, 27).

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bb) Hieran gemessen halten die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es einen fehlgeschlagenen Versuch abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung stand.

14

Das Landgericht hat zunächst für die Prüfung der Frage, ob der Versuch fehlgeschlagen war, auf die Sicht des Angeklagten nach dem Ende der letzten Ausführungshandlung – dem Wurf des Laubsaugers auf die Autobahn – und damit zutreffend auf den sogenannten Rücktrittshorizont (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschlüsse vom 19. November 2015 – 2 StR 462/15, NStZ-RR 2016, 105 [Ls]; vom 27. November 2014 – 3 StR 458/14, NStZ-RR 2015, 105, 106) abgestellt.

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Bezogen auf diesen Zeitpunkt hat es angenommen, dass dem Angeklagten und seinem Mittäter die Vollendung der Tat objektiv noch möglich war, weil ihnen auch nach dem Wurf der Steine, der Motorsense und des Laubsaugers in ihrem Fahrzeug griffbereit noch weitere Wurfgeschosse in Gestalt eines – neben anderen Einbruchswerkzeugen in einem Bundeswehrseesack befindlichen – langen Hebeleisens und eines Benzinkanisters zur Verfügung standen, wobei insbesondere das Hebeleisen bei einer Verwendung als Wurfgeschoss aus kurzer Distanz auf ein nachfolgendes Fahrzeug geeignet war, einen schweren Verkehrsunfall zu verursachen, und dass diese Umstände dem Angeklagten auch bewusst waren.

16

Diese Annahmen hat das Landgericht jeweils ausreichend belegt. Mit Blick auf die Gefährlichkeit des Hebeleisens als Angriffsmittel hat es sich in der Beweiswürdigung den Angaben des von ihm gehörten Sachverständigen für die Rekonstruktion von Verkehrsunfällen Dipl.-Ing. O.      angeschlossen, der bekundet hat, dass das Hebeleisen ein sehr gefährliches Wurfgeschoss dargestellt hätte, wenn es bei versetzter Fahrweise gegen die Windschutzscheibe des nachfolgenden Fahrzeugs geworfen oder es sich beim Hinauswerfen auf die Fahrbahn aufgestellt hätte und hochgeschleudert worden wäre.

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Dass dem Angeklagten bewusst war, im Fahrzeug griffbereit über das Hebeleisen sowie weitere als Wurfgegenstände in Betracht kommende Gegenstände zu verfügen, hat die Strafkammer zulässigerweise daraus geschlossen, dass der Angeklagte und sein Mittäter K.    den Seesack mitsamt dem hieraus herausragenden Hebeleisen und weiteren Einbruchswerkzeugen bereits kurze Zeit nach Abreißen des Sichtkontakts zwischen ihnen und den sie verfolgenden Polizeibeamten gezielt aus ihrem Fahrzeug in den Seitenraum neben der Straße warfen, um bei einer etwaigen Kontrolle nicht im Besitz dieser Gegenstände angetroffen zu werden.

18

Seine Überzeugung schließlich, dass dem Angeklagten auch bewusst war, dass der Wurf mit einem Hebeleisen gegen ein dicht nachfolgendes Fahrzeug gefährlich ist und zu einem schweren Verkehrsunfall dieses Fahrzeugs führen kann, hat das Landgericht ersichtlich aufgrund einer Gesamtschau der festgestellten konkreten Umstände – es handelte sich um ein langes und großes Hebeleisen; dieses war dem Angeklagten als mitgeführtes Einbruchswerkzeug auch gegenwärtig; er und sein Mittäter hatten bereits andere Gegenstände, die ebenfalls auf der Rückbank ihres Fahrzeugs gelagert waren, in Richtung des sie verfolgenden Polizeifahrzeugs in der Vorstellung geworfen, dass sie dadurch einen Unfall dieses Fahrzeugs herbeiführen würden; beide Fahrzeuge wurden mit sehr hoher Geschwindigkeit bewegt – getroffen; hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

19

b) Die weiteren Erwägungen, mit denen das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten vom unbeendeten Mordversuch gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB angenommen hat, indem er und sein Mittäter K.    einvernehmlich von der weiteren Umsetzung ihres Vorhabens, einen schweren Verkehrsunfall des Polizeifahrzeugs herbeizuführen, Abstand nahmen und stattdessen dem Polizeifahrzeug davonfuhren, halten rechtlicher Nachprüfung ebenfalls stand.

20

3. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft deckt auch keinen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 301 StPO).

Sost-Scheible     

      

Roggenbuck     

      

Cierniak

      

Feilcke     

      

Paul