Entscheidungsdatum: 04.08.2016
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 18. Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe wird das Verfahren eingestellt; im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Diebstahls mit Waffen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte spätestens seit 2010 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Er interpretiert tatsächlich in seinem Bauchraum vorhandene Lipome als mit einem Seil verbundene, von äußeren Einflüssen und seinen Gedanken abhängige Krebsgeschwüre. Infolge seiner Erkrankung und des damit verbundenen Beeinflussungserlebens hat der Angeklagte Beeinträchtigungsideen und fühlt sich verfolgt. Des Weiteren besteht beim Angeklagten eine Polytoxikomanie mit schwerer Opiatabhängigkeit.
Im Sommer 2013 hatte der Angeklagte ein Fahrrad entwendet, ohne zu wissen, dass dieses der Mutter eines Bekannten gehörte. Als der Bekannte von dem Diebstahl Kenntnis erlangte, stellte er den Angeklagten zur Rede und forderte ihn zur Rückgabe auf. Nachdem das Angebot des Angeklagten, für das nicht mehr vorhandene gestohlene ein anderes Fahrrad zu übergeben, von der Mutter des Bekannten abgelehnt worden war, riefen die Mutter und der Bekannte selbst zuletzt am Vorabend des Tattags bei dem Angeklagten an und verlangten die Rückgabe des gestohlenen Fahrrads. Der Angeklagte fühlte sich durch die Anrufe unter Druck gesetzt und befand sich in der Vorstellung, er werde von seinem Bekannten und dessen Mutter regelrecht verfolgt.
Am 27. Juli 2013 gegen 20.20 Uhr verließ der Bekannte mit einem Begleiter seine Wohnung und begab sich auf die Straße. Als der Angeklagte, der sich zufällig an einem Kiosk in Sichtweite aufhielt, den Bekannten erblickte, erkannte er ihn und fühlte sich von diesem verfolgt. Noch unter dem Eindruck des vorabendlichen Anrufs meinte der Angeklagte, der Bekannte wolle ihn stellen und angreifen. Deshalb ergriff er einen auf dem Boden liegenden etwa 60 bis 80 cm langen dicken Ast und verbarg diesen unter der Jacke. Obwohl die beiden Männer sich ihm nicht näherten, wollte er die Sache nicht auf sich beruhen lassen und ging schnellen Schrittes aggressiv auf beide zu. Er schrie den Bekannten auf Russisch an, zog, als dieser ihm auf Russisch antwortete, unvermittelt den unter seiner Jacke verborgenen Ast hervor und schlug damit heftig mindestens zweimal auf den Kopf und in das Gesicht des Bekannten. Dabei zerbrach der Ast, der womöglich etwas morsch war, unter der Kraft der wuchtig geführten Schläge. Der Geschädigte, der infolge der Schläge kurz zu Boden ging, erlitt eine Platzwunde an der Lippe sowie eine Verletzung im Zahnbereich, die zum Verlust von drei Schneidezähnen führte. Der Angeklagte ließ sodann von dem Geschädigten ab und entfernte sich. Bei der Tat war der Angeklagte aufgrund der paranoid-halluzinatorischen Psychose nicht mehr in der Lage, sein Verhalten entsprechend der noch vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern (Tat II.1 der Urteilsgründe).
Am 31. August 2013 suchte der Angeklagte die Verkaufsräumlichkeiten der Firma K. in W. auf, entnahm der Auslage fünf Flaschen Wodka im Gesamtwert von 62,45 Euro, steckte sie in seine mitgeführte Tasche und passierte den Kassenbereich, ohne die Waren zu bezahlen. Dabei trug er in seinem Rucksack ein Einhandmesser mit 8,5 cm langer Klinge und in seiner Hosentasche ein Taschenmesser bei sich. Er hatte unter Suchtdruck nach Heroin vor, die Waren ohne Bezahlung für sich zu behalten und sie später gegen 1 g Heroin einzutauschen. Der Angeklagte war aufgrund des wegen seiner Polytoxikomanie und Opiatabhängigkeit bestehenden schweren Suchtdrucks im Zusammenwirken mit der fortbestehenden paranoid-halluzinatorischen Psychose – bei sicher erheblich beeinträchtigtem Hemmungsvermögen – nicht ausschließbar nicht in der Lage, sein Verhalten entgegen der Einsicht in das Unrecht zu steuern (Tat II.2 der Urteilsgründe).
II.
Hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe ist das Verfahren einzustellen, da es insoweit an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses fehlt.
1. Wegen der Körperverletzungstat erhob die Staatsanwaltschaft mit Anklageschrift vom 24. Juni 2014 Anklage zum Amtsgericht - Strafrichter - Witten. Nachdem der Strafrichter das Verfahren am 10. September 2014 zur Übernahme vorgelegt hatte, übernahm das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten das Verfahren mit Beschluss vom 12. September 2014 und verband es mit dem dort anhängigen Verfahren, welches aufgrund der Anklageschrift vom 29. August 2014 die Tat II.2 der Urteilsgründe zum Gegenstand hatte. Am 12. September und 30. September 2014 ergingen acht weitere Beschlüsse, mit denen das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten jeweils die Übernahme von Verfahren hinsichtlich beim Amtsgericht - Strafrichter - Witten erhobener Anklagen und deren Verbindung zu dem beim Amtsgericht - Schöffengericht - Witten anhängigen Verfahren beschloss. Mit Beschluss vom 27. November 2014 ließ das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 29. August 2014 zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Die weiteren Anklagen, einschließlich der Anklage vom 24. Juni 2014 bezüglich der Tat II.1 der Urteilsgründe, finden in dem Eröffnungsbeschluss vom 27. November 2014 keine Erwähnung. Insoweit sind auch später keine Eröffnungsentscheidungen ergangen.
2. Damit fehlt es für die Tat II.1 der Urteilsgründe an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Eröffnungsentscheidung vom 27. November 2014 bezog sich ausdrücklich nur auf die Anklage vom 29. August 2014 und nicht auf die Anklage vom 24. Juni 2014. Ihr kann, bezogen auf die Anklage vom 24. Juni 2014, auch nicht die Bedeutung einer konkludenten Eröffnung des Hauptverfahrens beigemessen werden. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt zwar eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 1999 - 2 StR 376/99, NStZ 2000, 442, 443 mwN; vom 3. Mai 2001 - 4 StR 59/01, bei Becker, NStZ-RR 2002, 68; vom 5. Februar 1998 - 4 StR 606/97, BGHR StPO § 203 Beschluss 4). Dem Beschluss vom 27. November 2014, der sich nach seinem Wortlaut ausschließlich auf die Anklage vom 29. August 2014 bezieht, ist aber mit der erforderlichen Sicherheit nicht zu entnehmen, dass das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten hinsichtlich der Anklage vom 24. Juni 2014 die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und angenommen hat. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in der im Zusammenhang mit dem Beschluss vom 27. November 2014 ergangenen Terminsverfügung die Ladung von zwei Zeugen zu dem mit Anklage vom 24. Juni 2014 erhobenen Tatvorwurf angeordnet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1987 - 3 StR 493/87, BGHR StPO § 203 Beschluss 1).
Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2011 - 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225, 226; vom 9. Januar 1987 - 3 StR 601/86, NStZ 1987, 239; vom 15. Mai 1984 - 5 StR 283/84, NStZ 1984, 520; vom 9. Juni 1981 - 4 StR 263/81, DRiZ 1981, 343; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 207 Rn. 12 mwN; Seidl in KMR, § 203 Rn. 11 ff. [Stand Mai 2012]; Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 84 ff.).
III.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, weil der von der Strafkammer angenommene symptomatische Zusammenhang zwischen der als Anlasstat verbleibenden Diebstahlstat am 31. August 2013 und der psychotischen Erkrankung des Angeklagten nicht tragfähig begründet ist.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 6. Juli 2016, BGBl. I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 - 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
2. Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der psychotischen Erkrankung des Angeklagten und der Diebstahlstat am 31. August 2013 (Tat II.2 der Urteilsgründe) nicht gerecht.
Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Feststellungen dazu, ob und in welcher Weise die paranoid-halluzinatorische Psychose des Angeklagten Auswirkungen auf die Begehung der Diebstahlstat am 31. August 2013 hatte, hat das Landgericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte bei der Tat in Rucksack und Hosentasche zwei Messer mit sich führte, lässt Rückschlüsse auf eine Beeinflussung der Tat durch die psychische Erkrankung des Angeklagten nicht zu. Soweit die Urteilsgründe in diesem Kontext auf psychosebedingte Verfolgungsideen des Angeklagten verweisen, entbehrt dies zudem einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Während der psychiatrische Sachverständige für seinen entsprechenden Befund die Bekundungen des sachverständigen Zeugen Dr. G. als Anknüpfungstatsachen herangezogen hat, geben die im Urteil wiedergegebenen Angaben dieses Zeugen in der Hauptverhandlung für ein nachhaltiges Verfolgungserleben des Angeklagten keinen Anhalt.
Schließlich vermag auch der zeitliche Zusammenhang mit der Tat am 27. Juli 2013 einen Einfluss der Psychose auf die Diebstahlstat nicht zu belegen. Denn das Landgericht hat auch hinsichtlich der Körperverletzungstat nicht hinreichend dargetan, dass die Tat auf die psychische Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen ist. Die Annahme einer psychotischen Tatmotivation hat die Strafkammer insbesondere darauf gestützt, dass das gewaltsame Vorgehen des Angeklagten, das nicht unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das Fahrrad gestanden habe, spontan ohne konkreten Anlass oder Auslöser erfolgt sei. Diese Ausführungen lassen sich indes ohne weitere, von der Strafkammer nicht angestellten Erwägungen mit den Feststellungen und dem weiteren Beweisergebnis nicht in Einklang bringen. Danach gab es im Vorfeld der Tat zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten eine Auseinandersetzung um die Rückgabe des entwendeten Fahrrads, die sich über längere Zeit hinzog und noch am Vorabend des Tattags zu einem Telefonanruf des Geschädigten beim Angeklagten führte. Unmittelbar vor dem Angriff mit dem Ast kam es zu einem lautstarken Wortwechsel, bei welchem es nach der Zeugenaussage des Begleiters des Geschädigten in der Hauptverhandlung um ein Fahrrad ging. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht die Möglichkeit, dass der tätliche Angriff des Angeklagten auf den Geschädigten durch den Streit um die Rückgabe des Fahrrads motiviert und damit auf einen normalpsychologisch erklärbaren Beweggrund zurückzuführen war, nicht nachvollziehbar ausgeschlossen.
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13 Rn. 18, insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abgedruckt).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender