Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 15.04.2014


BPatG 15.04.2014 - 4 Ni 24/12 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Zwischenwirbelimplantat" – am Verletzungsstreit orientierte Bemessung des Gebührenstreitwerts – Abstellung auf die verfahrenseinleitende Antragsstellung und das hierdurch bestimmte Drohpotential


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
15.04.2014
Aktenzeichen:
4 Ni 24/12 (EP)
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zwischenwirbelimplantat

Auch bei einer sich am Verletzungsstreit orientierenden Bemessung des Gebührenstreitwerts im Nichtigkeitsverfahren ist nach § 40 GKG auf die verfahrenseinleitende Antragsstellung der jeweiligen Verfahren und das hierdurch bestimmte Drohpotential abzustellen, während nachträgliche Entwicklungen grundsätzlich die zu Beginn des Verfahrens zu treffenden Wertungen über den Gegenstandswert unberührt lassen.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent …

(DE…)

hier: Streitwertfestsetzung

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 15. April 2014 durch den Vorsitzenden Richter Engels, die Richterin Kopacek und den Richter Dipl.-Ing. Veit

beschlossen:

Der Streitwert für das Verfahren wird auf 1.800.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Nach Rücknahme der Nichtigkeitsklage durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Januar 2014 war der Streitwert für das Verfahren vor dem Bundespatentgericht nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG auf 1.800.000 € festzusetzen.

2

Der Senat hat durch Beschluss vom 12. Juli 2012 den Streitwert für die am 8. Juni 2012 eingegangene Nichtigkeitsklage vorläufig entsprechend der Angabe in der Klageschrift auf 1.000.000 € festgesetzt. Nach erstmaliger Kenntnis des vor dem LG Mannheim geführten parallelen Verletzungsstreitverfahrens durch die Klageerwiderung vom 4. Februar 2013 hat der Senat im qualifizierten Hinweis vom 19. Dezember 2013 darauf hingewiesen, dass der Streitwert in Anbetracht der Festsetzung im Verletzungsstreitverfahren bereits auf 1.250.000 € festzusetzen sei, im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung sowie Laufzeit des Streitpatents der Wert sogar zwischen 3.000.000 € und 5.000.000 € zu schätzen sein dürfte. Mit Schriftsatz vom 8. Januar 2014 hat die Klägerin ihre Nichtigkeitsklage zurückgenommen.

3

Das Landgericht Mannheim hat im parallelen Verletzungsrechtsstreit (Az.: 7 O 331/11) zunächst durch Beschluss v. 18. Juli 2013 einen Streitwert von 1.000.000 € und nach Verbindung der sowohl gegen die hiesige Klägerin als auch deren Mutterkonzern geführten parallelen Verfahren den Gesamtstreitwert unter Berücksichtigung des Additionsverbots wegen wirtschaftlicher Identität zur Schadensfeststellung auf 1.800.000 € festgesetzt (vgl. Anlage NB 7). Im dortigen Verfahren hat die jetzige Klägerin dieser Streitwertfestsetzung nicht widersprochen.

4

Aufgrund des mit Schriftsatz vom 21. Januar 2014 gestellten Kostenantrags der Beklagten und des Antrags auf Festsetzung eines Streitwerts von mindestens 2.250.000 € hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 27. Februar 2014 vorgetragen, die Streitwertfestsetzung unter den Kriterien des vom Landgericht Mannheim bemessenen Werts sei unsachgemäß; der ursprünglich angenommene Wert von 1.000.000 € sei ausreichend. Denn die hiesige Beklagte nutze das Patent selbst nicht, bis heute habe sie kein patentgemäßes Produkt hergestellt oder vertrieben noch eine Lizenz auf das Patent erteilt. Das Verletzungsstreitverfahren sei zudem über ein Produkt geführt worden, welches das Patent definitiv nicht verletze. Deshalb sei auch die Verletzungsklage aus dem Patent schon vor der dortigen mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 17. Juli 2012 zurückgenommen und die gegenständliche Nichtigkeitsklage nur vorsorglich von der Klägerin erhoben worden.

5

Die Beklagte hat sich auf den Schriftsatz der Klägerin vom 27. Februar 2014 nicht geäußert.

II.

6

Nach § 2 Abs. 2 Satz 4 PatKostG finden für die Festsetzung des Streitwerts im Patentnichtigkeitsverfahren die Vorschriften des Gerichtskostengesetztes (GKG) entsprechend Anwendung. Deshalb sind nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG die für den Wert zu erhebenden Gebühren festzusetzen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder wenn sich das Verfahren anderweitig erledigt, wie vorliegend infolge Rücknahme der Klage.

7

Hierbei richtet sich die Höhe der Gebühren gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 PatKostG nach dem Streitwert, mithin auch nach § 51 Abs. 1 GKG, wonach in Verfahren über Ansprüche nach dem Patentgesetz der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 12. April 2011, X ZR 28/09 = GRUR 2011, 757 – Nichtigkeitsstreitwert) wird dieser Wert im Patentnichtigkeitsverfahrens durch den gemeinen Wert des Patents bei Klageerhebung zuzüglich des Betrags der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen bestimmt, wobei für die Festsetzung des Werts regelmäßig von dem Streitwert eines auf das Streitpatent gestützten Verletzungsprozesses ausgegangen werden kann. Da mit der erstrebten Vernichtung des Streitpatents im Nichtigkeitsverfahren der Patentverletzungsklage die Grundlage entzogen werden soll, beziffert der Streitwert des Patentverletzungsverfahrens grundsätzlich das Interesse des Nichtigkeitsklägers und damit die untere Grenze des Streitwerts für das Patentnichtigkeitsverfahren (BGH Nichtigkeitsstreitwert, a. a. O.). Zugleich wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der gemeine Wert des Patents in der Regel über das im Verletzungsprozess auf den geltend gemachten Ansprüchen des Patentinhabers basierende, maßgebliche Individualinteresse des dortigen Klägers bzw. der Streitparteien hinausgeht. Dies berücksichtigt der Bundesgerichtshof mangels anderer Anhaltspunkte regelmäßig mit einem Zuschlag von 25 % und weist zugleich darauf hin, dass für die Beurteilung etwaiger abweichender Anhaltspunkte im Hinblick auf die Höhe des Schadens auf den Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage abzustellen ist (vgl. BGH Nichtigkeitsstreitwert, a. a. O).

8

Zur Bestimmung des billigen Ermessens weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass der im Verletzungsverfahren vom Kläger bezifferte Betrag der Schadensersatzforderung in voller Höhe in die Wertbestimmung einzustellen ist, wenn bei Erhebung der Nichtigkeitsklage – also im maßgeblichen Zeitpunkt nach § 40 GKG – über die streitige Höhe des wegen Verletzung des Streitpatents bereits entstandenen Schadens noch keine abschließende gerichtliche Entscheidung ergangen ist (BGH Beschl. V. 28.7.2009, X ZR 153/04 = GRUR 2009, 1100 – Druckmaschinen-Temperierungssystem III; BGH Nichtigkeitsstreitwert, a. a. O). Ob sich dieser Wert als realistisch erweist oder als völlig unrealistischer "Phantasiewert", ist im Hinblick auf die allein dem Verletzungsstreitgericht vorbehaltene konkrete Schadensermittlung eine Frage der Berechtigung der Schadensersatzforderung, die ausschließlich im Patentverletzungsprozess zu klären ist. Ebenso unerheblich ist in Anbetracht der Regelung in § 144 PatG, § 51 Abs. 5 GKG, welche eine Streitwertherabsetzung ermöglichen, ob die danach maßgebliche Höhe des Streitwerts im Nichtigkeitsverfahren zu einer erheblichen Belastung für die Streitparteien führt.

9

Danach ist für die Bemessung des Gebührenstreitwerts im Nichtigkeitsverfahren auf das vom Kläger vertretene Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung des angegriffenen Patents (st. Rspr. BGH GRUR 1957, 79) im Zeitpunkt der Erhebung der Klage abzustellen, so wie es auch ausdrücklich in § 40 GKG allgemein für die Wertberechnung auf Basis der verfahrenseinleitende Antragsstellung bestimmt ist und wie es dem Zeitpunkt entspricht, in dem nach § 63 GKG der Gebührenstreitwertwert vorläufig ohne Anhörung der Parteien festzusetzen ist. Nachträgliche Entwicklungen lassen dagegen die zu Beginn des Verfahrens zu treffenden Wertungen über den Gegenstandswert unberührt (vgl. hierzu auch Schmid in Bühring, Gebrauchsmustergesetz, 8. Aufl., § 17 Rdn. 11b), auch wenn die zu treffende (endgültige) Wertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, wie hier nach Erledigung des Verfahrens. So verweist auch die Rechtsprechung des BPatG zum Gebrauchsmusterverfahren zutreffend darauf hin, dass bei der Frage nach dem Gegenstandswert in erster Linie zu prüfen ist, welches „Drohpotential“ das Gebrauchsmuster für die am Markt beteiligten Mitbewerber aufwies und die Frage der Rechtsbeständigkeit somit bei der Bemessung des Gegenstandswertes grundsätzlich zu unterstellen ist (BPatG Beschl. V. 14. März 2013, 35 W (pat) 3/10; vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 84 Rdn. 57). Wie auch der Bundesgerichtshof hervorhebt (BGH Druckmaschinen-Temperierungssystem III, a. a. O), ist die Beantwortung der Frage einer sachlichen Berechtigung aus dem geltend gemachten Recht der Prüfung durch das Verletzungsgericht vorbehalten.

10

Dies gilt auch für die sich am Verletzungsstreit orientierende Wertfestsetzung im Nichtigkeitsverfahren, die sich deshalb grundsätzlich an dem durch die Erhebung der Verletzungsklage zum Ausdruck kommenden Drohpotential des Patentinhabers zu orientieren hat und nicht daran, ob sich dieses tatsächlich nach Sachprüfung durch das Verletzungsstreitgericht als unberechtigt oder überhöht erweist. Ausnahmen hiervon können allenfalls gerechtfertigt sein, wenn bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Wertfestsetzung durch den Senat nach § 40 GKG Umstände vorliegen, wie eine rechtsbeständige Entscheidung im Verletzungsstreitverfahren, die eine Orientierung an dem durch die Erhebung der Verletzungsklage ursprünglich zum Ausdruck gekommenen Drohpotential des Streitpatents als unsachgemäß erscheinen lassen – z. B. im Hinblick auf die endgültige Klärung von Schadensersatzforderungen oder die Reduzierung zukünftigen Drohpotentials durch Klärung des Schutzumfangs. Soweit der Senat in einer früheren Entscheidung (BPatG Beschl. v. 28. Oktober 2011 - 4 Ni 45/09 = BPatGE 53, 126) weitergehend ohne zugleich zeitliche Differenzierung die Auffassung vertreten hat, ein angeblicher Verletzungsgegenstand, der das Patent tatsächlich aber nicht verletzt und dessen Benutzung deshalb nicht geeignet ist, Schadensersatzansprüche zu verursachen, könne den Wert des Patents nicht beeinflussen, wird hieran nicht festgehalten. Es ist deshalb auch ohne Bedeutung, dass die hiesige Beklagte nach Erhebung der Nichtigkeitsklage ihre Verletzungslage zurückgenommen hat, aus welcher Motivation dies geschah und ob dies im Hinblick auf fehlende Erfolgsaussichten oder wegen eines weiteren zielführenden Schutzrechts erfolgte, wie auch unerheblich ist, ob die Klägerin die Nichtigkeitsklage „höchst vorsorglich“ erhoben hat, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer sicheren Abweisung der Verletzungsklage gerechnet habe.

11

Soweit die Klägerin vorgetragen hat, es sei zu berücksichtigen, dass die Verletzungsklage nach Verbindung gegen zwei Beklagte gerichtet war und der festgesetzte Betrag von 1.800.000 € den Gesamtwert betreffe, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung als sie bereits das LG Mannheim im Rahmen des § 39 GKG und unter Berücksichtigung des Additionsverbots wegen wirtschaftlicher Identität unter Hinweis auf Herget in Zöller, ZPO, 29. Aufl. § 5 Rdn. 8 in Ansatz gebracht hat. Auch kann der – im Übrigen spekulative – Umstand, dass die hiesige Beklagte ihre Rechte zugleich aufgrund eines – ggf. auch weiter gefassten – Gebrauchsmusters durchsetzen konnte, zu keiner anderen Bewertung führen, da hierdurch weder der Wert des auf dem Streitpatent gestützten Verletzungsrechtsstreit gemindert wurde noch losgelöst hiervon dessen gemeiner Wert als Ausschließlichkeitsrecht durch das Bestehen weitere Schutzrechte berührt oder gemindert wird.

12

Es ist daher nach Auffassung des Senats gerechtfertigt, den Streitwert auch in vorliegendem Fall jedenfalls nach dem Interesse der Klägerin an der Abwehr der gegen sie von der Patentinhaberin im Verletzungsverfahren geltend gemachten Ansprüche zu bemessen und entsprechend der Streitwertsetzung im Verletzungsverfahren mit 1.800.000 € zu bewerten. Ein möglicher "Zuschlag" in Höhe von 25 % zur Erfassung des über das Interesse des Nichtigkeitsklägers hinausgehenden gemeinen Werts des Streitpatents, mit dem insbesondere einer Eigennutzung des Streitpatents durch den Patentinhaber Rechnung getragen werden soll, ist vorliegend nicht veranlasst, da dem Senat keine hinreichenden Erkenntnisse zu einer Eigennutzung des Streitpatents durch die Patentinhaberin vorliegen und diese den klägerischen Ausführungen zur fehlenden Eigennutzung nicht entgegengetreten ist.