Entscheidungsdatum: 18.11.2010
Ein Normenkontrollantrag ist auch dann nach § 47 Abs. 2a VwGO unzulässig, wenn der Antragsteller im Rahmen der öffentlichen Auslegung Einwendungen nicht oder nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, die sich der planenden Gemeinde nach Lage der Dinge aufdrängen mussten.
Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan Nr. 14 "Osterreinen - Forggenseestraße" der Antragsgegnerin. Sie sind - zusammen mit weiteren Personen - Miteigentümer des im Plangebiet gelegenen Grundstücks mit der Flurstücksbezeichnung A, das mit mehreren Wohngebäuden bebaut ist. An das Grundstück grenzen südlich zwei hintereinander liegende Grundstücke (Flurstücke A und A) an, für die der Bebauungsplan je ein Baufenster festsetzt.
Die öffentliche Auslegung des Plans wurde am 11. Oktober 2007 durch Anschlag an der Gemeindetafel öffentlich bekannt gemacht. In der Bekanntmachung heißt es u.a.:
In der Zeit der Auslegungsfrist können alle Bürger den Planentwurf mit Begründung einsehen und Anregungen (schriftlich oder zur Niederschrift) vorbringen. Es wird darauf hingewiesen, dass nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen bei der Beschlussfassung unberücksichtigt bleiben können. Weiter wird darauf hingewiesen, dass ein Antrag nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung unzulässig ist, soweit mit ihm Einwendungen geltend gemacht werden, die vom Antragsteller im Rahmen der Auslegung nicht oder verspätet geltend gemacht wurden, aber hätten geltend gemacht werden können.
Die Antragsteller haben während des Auslegungszeitraums (19. Oktober bis 19. November 2007) keine Einwendungen erhoben. Am 10. Dezember 2007 beschloss der Rat der Antragsgegnerin den Bebauungsplan als Satzung. Die Schlussbekanntmachung erfolgte am 18. Januar 2008.
Die Antragsteller haben am 15. Januar 2009 Normenkontrollantrag gestellt. Sie halten den Bebauungsplan für abwägungsfehlerhaft. Der Rat der Antragsgegnerin habe weder in Rechnung gestellt, dass die Bebauung, die auf den südlich gelegenen Grundstücken ermöglicht werde, ihnen die an dieser Stelle besonders eindrucksvolle Aussicht auf den Forggensee sowie die dahinter liegende Bergkulisse einschließlich des Schlosses Neuschwanstein nehme, noch berücksichtigt, dass die beiden Grundstücke in einem Landschaftsschutzgebiet lägen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag als unzulässig abgelehnt. Die Antragsteller seien mit ihren Einwendungen gemäß § 47 Abs. 2a VwGO präkludiert, weil sie nur Einwendungen vorbrächten, die sie im Rahmen der öffentlichen Auslegung des angefochtenen Bebauungsplans nicht geltend gemacht hätten, aber hätten geltend machen können. § 47 Abs. 2a VwGO erfasse auch Einwendungen, die Belange beträfen, die sich der Antragsgegnerin bei der Ermittlung des Abwägungsmaterials hätten aufdrängen müssen. Der Entwurf des Bebauungsplans sei auch ordnungsgemäß öffentlich ausgelegt worden. Die Bekanntmachung von Ort und Dauer der Auslegung durch einen Anschlag an der Gemeindetafel sei nicht zu beanstanden. Der Umstand, dass sich auf dem Gebiet der Antragsgegnerin viele Ferienhäuser bzw. -wohnungen befänden, stehe dem nicht entgegen. Es habe den Antragstellern oblegen, sich über die Form öffentlicher Bekanntmachungen zu informieren und für den Fall ihrer Abwesenheit dafür Sorge zu tragen, von solchen Bekanntmachungen Kenntnis zu erlangen. Schließlich seien die Antragsteller auf die sich aus § 47 Abs. 2a VwGO ergebenden Rechtsfolgen hingewiesen worden. Unschädlich sei, dass der entsprechende Hinweis in der Bekanntmachung vom 11. Oktober 2007 nicht vollständig dem Wortlaut des § 47 Abs. 2a VwGO entspreche.
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. §§ 141, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt.
Gemäß § 47 Abs. 2a VwGO ist der Antrag einer natürlichen oder juristischen Person, der einen Bebauungsplan zum Gegenstand hat, unzulässig, wenn die den Antrag stellende Person nur Einwendungen geltend macht, die sie im Rahmen der öffentlichen Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) nicht geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können, und wenn auf diese Rechtsfolge im Rahmen der Beteiligung hingewiesen worden ist.
1. Die Einwendungen, die die Antragsteller im Normenkontrollverfahren dem umstrittenen Bebauungsplan entgegengehalten haben, hätten sie bereits anlässlich der öffentlichen Auslegung geltend machen können. Ob die Antragsgegnerin die Belange, die aus Sicht der Antragsteller gegen den Bebauungsplan sprechen, von sich aus hätte erkennen und in die Abwägung einstellen müssen, kann offen bleiben; denn § 47 Abs. 2a VwGO erfasst auch Einwendungen, die sich der planenden Gemeinde nach Lage der Dinge hätten aufdrängen müssen.
§ 47 Abs. 2a VwGO unterscheidet seinem Wortlaut nach nicht danach, ob die Einwendungen Belange betreffen, die für die planende Stelle ohne Weiteres als abwägungserheblich ersichtlich sind, oder Belange, die erst dadurch ins Blickfeld rücken, dass sie im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung von den Betroffenen geltend gemacht werden. Der Verzicht auf diese Differenzierung ist nach Sinn und Zweck der Norm beabsichtigt. Die Regelung hat zum Ziel, die jeweiligen Interessen rechtzeitig dem Abwägungsmaterial hinzuzufügen und im Hinblick auf die grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen Plangeber und den Verwaltungsgerichten zu verhindern, dass sachliche Einwendungen ohne Not erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden (BTDrucks 16/2496 S. 18). Dieses Ziel ist nicht nur für den Fall relevant, dass abwägungsbeachtliche Belange erst aufgrund ihrer Geltendmachung durch Betroffene für die Gemeinde sichtbar werden. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass auch auf der Hand liegende Belange von der Gemeinde übersehen und nicht - wie geboten - in die Abwägung eingestellt werden. Mit der Forderung, dass solche Belange im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung ebenfalls geltend zu machen sind, will der Gesetzgeber eine lückenlose Zusammenstellung des Abwägungsmaterials gewährleisten und das öffentliche Interesse an der Vermeidung von - der Investitions- und Rechtssicherheit abträglichen - Abwägungsfehlern schützen (vgl. BTDrucks 16/2496 S. 11). Auch hätte § 47 Abs. 2a VwGO keinen eigenständigen, über den bisherigen Rechtszustand hinausgehenden Regelungsgehalt, wenn er nur Einwendungen erfasste, mit denen für die Gemeinde nicht sichtbare, der Planung widerstreitende Belange geltend gemacht würden. Bereits vor Inkrafttreten des § 47 Abs. 2a VwGO zum 1. Januar 2007 hatte der Senat die Unzulässigkeit eines Normenkontrollantrags wegen fehlender Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) angenommen, wenn der Antragsteller einen Verstoß gegen das Abwägungsgebot wegen der Missachtung oder Fehlgewichtung eines Belangs rügte, der für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Bebauungsplan nicht erkennbar war (vgl. Urteil vom 30. April 2004 - BVerwG 4 CN 1.03 - NVwZ 2004, 1120 f.). Eine weitergehende Bedeutung kommt der Präklusionsnorm des § 47 Abs. 2a VwGO mithin nur dann zu, wenn sie auch Einwendungen einschließt, die sich aufdrängende Belange zum Gegenstand haben. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesetzgeber auf die Bestätigung der Senatsrechtsprechung beschränken wollte, sind nicht ersichtlich.
Zu Unrecht vertreten die Antragsteller die Auffassung, eine Auslegung des § 47 Abs. 2a VwGO, die sämtliche Einwendungen einbeziehe, sei verfassungsrechtlich unzulässig, weil sie schwere Verstöße gegen § 1 Abs. 7 BauGB legalisiere und deshalb mit Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der Ausschluss von Einwendungen, die in einem behördlichen Verfahren nicht oder verspätet erhoben worden sind, in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren sowohl im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) als auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) - der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht betroffen - unbedenklich ist, wenn der Gesetzgeber damit ein legitimes Ziel verfolgt, die Obliegenheit zur Mitwirkung im behördlichen Verfahren für den betroffenen Bürger typischerweise erkennbar und nicht geeignet ist, den gerichtlichen Rechtsschutz zu vereiteln oder in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Urteil vom 24. Mai 1996 - BVerwG 4 A 38.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119 S. 137; Beschluss vom 17. Oktober 2005 - BVerwG 7 BN 1.05 - Buchholz 445.3 Landeswasserrecht Nr. 4 Rn. 7). Das Ziel des § 47 Abs. 2a VwGO, die jeweiligen Interessen rechtzeitig dem Abwägungsmaterial zuzuführen und im Hinblick auf die grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen Plangeber und den Verwaltungsgerichten zu verhindern, dass sachliche Einwendungen ohne Not erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden, ist legitim. Aufgrund der in § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BauGB und § 47 Abs. 2a VwGO normierten Hinweispflichten ist sichergestellt, dass die betroffenen Bürger sowohl über ihre Obliegenheit zur Erhebung von Einwendungen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung als auch über die Folgen der Nichtbeachtung informiert werden. Eine unverhältnismäßig hohe Hürde für die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes richtet § 47 Abs. 2a VwGO nicht auf. Weder die Obliegenheit, überhaupt Einwendungen zu erheben, noch die einmonatige Frist des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BauGB, binnen derer die Einwendungen zu erheben sind, erschweren den Zugang zum Gericht in unzumutbarer Weise. Dies liegt an den geringen Anforderungen, die an Einwendungen zu stellen sind. Einwendungen sind sachliches, auf die Verhinderung oder die Modifizierung des Plans abzielendes Gegenvorbringen (vgl. Urteil vom 17. Juli 1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 <300>). Sie müssen zwar erkennen lassen, in welcher Hinsicht aus Sicht des Einwendenden Bedenken gegen die in Aussicht genommene Planung bestehen könnten, und so konkret sein, dass die Gemeinde erkennen kann, in welcher Weise sie bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll (vgl. Urteil vom 30. Januar 2008 - BVerwG 9 A 27.06 - NVwZ 2008, 678 <679>). Der Betroffene kann sich jedoch darauf beschränken, in groben Zügen darzulegen, welche Beeinträchtigungen er befürchtet. Eine weitergehende Begründung darf ihm ebenso wenig abverlangt werden wie eine rechtliche Einordnung seiner Einwendungen (vgl. Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - BVerwGE 131, 316 Rn. 36).
§ 47 Abs. 2a VwGO verstößt ferner nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dass derjenige Antragsteller, der im Rahmen der öffentlichen Auslegung Einwendungen hätte geltend machen können, dies aber nicht oder nicht rechtzeitig getan hat, anders behandelt wird als derjenige, der - aus welchen Gründen auch immer - im Rahmen der öffentlichen Auslegung keine Einwendungen geltend machen konnte, bezieht seine sachliche Rechtfertigung daraus, dass in dem einen Fall das Schweigen zurechenbar ist, in dem anderen dagegen nicht.
2. Die öffentliche Auslegung des Planentwurfs (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB) und die ortsübliche Bekanntmachung ihres Orts und ihrer Dauer (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB) sind ordnungsgemäß erfolgt. Die Antragsgegnerin hat sich für die Bekanntmachung durch Anschlag an der Gemeindetafel entschieden. Die Antragsteller rügen diese Art der Bekanntmachung zu Unrecht als bundesrechtswidrig.
Das Baugesetzbuch regelt nicht, welche Art der Bekanntmachung ortsüblich ist, sondern überlässt dies dem Landes- oder Ortsrecht. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in Anwendung von Landes- oder Ortsrecht entschieden hat, dass die Antragsgegnerin die Auslegung des Planentwurfs mittels eines Aushangs an der Gemeindetafel habe bekanntmachen dürfen, ist der Senat hieran gebunden (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Zu prüfen hat er jedoch, ob das Landes- bzw. Ortsrecht mit dem grundgesetzlich verankerten Rechtsstaatsgebot vereinbar ist. Dieses Gebot verlangt in seiner Ausprägung als Gebot zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, dass die Möglichkeit, einen ausgelegten Planentwurf zur Kenntnis zu nehmen, nicht unverhältnismäßig oder unzumutbar eingeschränkt sein darf (Urteil vom 23. April 1997 - BVerwG 11 A 7.97 - BVerwGE 104, 337 <341>; Beschluss vom 8. März 2007 - BVerwG 9 B 18.06 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 187 Rn. 6). Ein Verstoß dagegen ist weder dargelegt noch ersichtlich. Bekanntmachungen durch Anschlag an einer (einzigen) Verkündungstafel sind grundsätzlich mit dem Rechtsstaatsgebot vereinbar (Beschluss vom 8. März 2007 a.a.O. Rn. 5). Auch vorliegend ist die Wahl dieser Art der Bekanntmachung nicht zu beanstanden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Antragsgegnerin im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten (Größe und räumliche Ausdehnung des Gemeindegebiets, Siedlungsstruktur, innergemeindliche Verkehrsverbindungen und -beziehungen) weitere Möglichkeiten zur Kenntnisnahme der ortsüblichen Bekanntmachung hätte eröffnen müssen. Die Antragsgegnerin musste sich auch nicht deshalb für eine andere Form der Bekanntmachung - etwa über das Internet - entscheiden, weil sich etliche Eigentümer von Grundstücken im Gemeindegebiet nur zeitweilig dort aufhalten. Es ist deren Sache, sich über die Art der Bekanntmachung sie möglicherweise betreffender örtlicher Angelegenheiten zu informieren und - z.B. bei längeren Abwesenheitszeiten - in geeigneter Weise, insbesondere durch die Beauftragung dritter Personen, dafür Sorge zu tragen, dass sie von Bekanntmachungen Kenntnis erhalten (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 4. November 1999 - 2 E 29/96 N - juris Rn. 37).
3. Auf die Rechtsfolge des § 47 Abs. 2a VwGO sind die Antragsteller im Rahmen der Bekanntmachung der Auslegung des Planentwurfs hingewiesen worden. Der Umstand, dass der Hinweis vom Text der Vorschrift abweicht und sich stattdessen am Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BauGB orientiert, steht dem Eintritt der Präklusionswirkung gemäß § 47 Abs. 2a VwGO nicht entgegen. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe seiner Entscheidung vom 27. Oktober 2010 - BVerwG 4 CN 4.09 -, die diesem Urteil in Abschrift beigefügt ist.