Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 01.09.2016


BVerwG 01.09.2016 - 4 C 2/15

Voraussetzungen der wirksamen Überleitung von städtebaulichen Vorschriften ''als Bebauungspläne''; Entscheidung nach Beweislastregeln


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
01.09.2016
Aktenzeichen:
4 C 2/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:010916U4C2.15.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 6. Februar 2015, Az: 8 S 450/13, Urteilvorgehend VG Stuttgart, 3. April 2012, Az: 13 K 50/11, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Voraussetzung der Fortgeltung altrechtlicher Vorschriften und Pläne nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 "als Bebauungspläne" war, dass deren Inhalt als Abwägungsergebnis nach dem Bundesbaugesetz durch Bebauungsplan hätte geschaffen werden können. Daran fehlt es, wenn der Inhalt des Plans oder der Vorschrift als Interessenausgleich "zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis" steht (Bestätigung von BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1972 - 4 C 14.71 - BVerwGE 41, 67).

2. Die Übergangsvorschrift in § 244 Abs. 2 BauGB 1986, die bestimmte, dass Mängel in der Abwägung unbeachtlich werden, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 geltend gemacht worden sind, ist auf altrechtliche Vorschriften und Pläne, die vor dem 29. Juni 1961 festgestellt, aber nicht übergeleitet worden sind, nicht anwendbar.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren einen Bauvorbescheid. In Streit steht, ob der Stadtbauplan 1935/63 der Beklagten aus dem Jahre 1935, der ein bestehendes Bauverbot auf bislang überbaubare Flächen der Grundstücke der Kläger erweiterte, gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 wirksam übergeleitet wurde und deshalb einer Neubebauung entgegensteht.

2

Die Kläger, eine Erbengemeinschaft, sind Eigentümer zusammenhängender Grundstücke in S., die mit Wohn- und Nebengebäuden bebaut sind. Die Grundstücke grenzen an die B. Straße und auf der straßenabgewandten Seite an den N.-bach.

3

Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich der Stadtbaupläne 1929/17 vom 30. November 1928 und 1935/63 vom 23. November 1935. Der Stadtbauplan 1929/17 setzte parallel zur Straße eine Baulinie und entlang des Baches eine Bauverbotsfläche in der Weise fest, dass eine Bebauung der Grundstücke auf einer zwölf Meter tiefen Teilfläche möglich war. Der Stadtbauplan 1935/63, mit dem der Stadtbauplan 1929/17 geändert wurde, setzt in dem an die B. Straße angrenzenden Bereich eine Verbreiterung der öffentlichen Verkehrsfläche und für die übrigen Grundstücksflächen ein vollständiges Bauverbot fest.

4

Im Jahre 2009 beantragten die Kläger die Erteilung eines Bauvorbescheids mit dem Inhalt, dass eine Neubebauung der Grundstücke "in Anlehnung an den Bebauungsplan 1929/17 möglich" sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Der Stadtbauplan 1929/17 sei nicht anwendbar, weil die Festsetzungen des rechtsverbindlichen Stadtbauplans 1935/63 zu beachten seien. Hiernach lägen ca. 85 % der von den Klägern für ein Bauvorhaben geplanten Grundfläche innerhalb der Bauverbotszone, der übrige Teil auf öffentlichen Verkehrsflächen. Befreiungen könnten nicht erteilt werden.

5

Widerspruch und erstinstanzliche Klage blieben erfolglos.

6

Auf die Berufung der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, den begehrten Bauvorbescheid zu erteilen. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Überbauung richte sich nach den Festsetzungen des Stadtbauplans 1929/17 und nicht nach denjenigen des Stadtbauplans 1935/63, weil dieser in Anwendung von § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 nicht wirksam übergeleitet worden sei. Sein Abwägungsergebnis - die Erweiterung des Bauverbots auf bislang überbaubare Flächen - habe am Tag der Überleitung, dem 29. Juni 1961, nicht mit den Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 GG im Einklang gestanden. Für eine Einschränkung bestehenden Baurechts müssten gewichtige, städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange sprechen. Die Gründe, die zur Erweiterung der Bauverbotsfläche und damit zur Aufhebung der Bebaubarkeit der Grundstücke geführt hätten, seien unbekannt und nicht mehr aufklärbar. Die Beklagte sei auch nicht in der Lage gewesen, anhand der Situation am Tag der mündlichen Verhandlung Gründe darzutun, die einer Bebauung aus städtebaulichen Erwägungen im Wege stehen könnten. Wegen der fehlenden Aufklärbarkeit der Gründe, aus denen das Bauverbot erweitert worden ist, habe der Verwaltungsgerichtshof davon auszugehen, dass die Erweiterung nicht von gewichtigen, städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelangen getragen und daher am 29. Juni 1961 als unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums nicht überleitungsfähig gewesen sei. Insoweit sei die Beklagte materiell beweisbelastet. Die fehlende Überleitungsfähigkeit sei auch nicht nachträglich nach § 244 Abs. 2 BauGB 1986 unbeachtlich geworden. Die Vorschrift sei auf städtebauliche Pläne, die vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes festgestellt worden sind, nicht anwendbar.

7

Mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 86 Abs. 1 und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof in eine Entscheidung nach Beweislast eingetreten sei, ohne zuvor danach gefragt zu haben, ob es überhaupt begründeten Anlass gebe, an der materiellen Rechtswirksamkeit des Stadtbauplans 1935/63 zu zweifeln. Bundesrecht sei auch verletzt, soweit der Verwaltungsgerichtshof § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB 1986 auf Pläne, die vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 erlassen worden sind, nicht angewandt habe. Der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift eine "Generalbereinigung" in Bezug auf die Angreifbarkeit der Abwägung erreichen wollen. Mit Ablauf der Rügefrist am 30. Juni 1994 seien Mängel im Abwägungsergebnis deshalb unbeachtlich geworden.

8

Die Kläger verteidigen das angegriffene Urteil jedenfalls im Ergebnis.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang.

10

Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof den Klägern den beantragten Bauvorbescheid zugesprochen. Der Stadtbauplan 1935/63 der Beklagten steht der beabsichtigten Neubebauung nicht entgegen. Das in dem Plan enthaltene Bauverbot für die Grundstücke der Kläger ist nicht nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 wirksam übergeleitet worden (1.). Die fehlende Überleitung ist auch nicht nach § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB 1986 unbeachtlich geworden (2.). Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Neubebauung der Grundstücke richtet sich deshalb nach den Festsetzungen des Stadtbauplans 1929/17.

11

1. Das mit dem Stadtbauplan 1935/63 für das klägerische Grundstück festgesetzte Bauverbot ist nicht nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 wirksam übergeleitet worden.

12

a) Nach § 173 Abs. 3 Satz 1 des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341) - BBauG 1960 - galten die bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes bestehenden baurechtlichen Vorschriften und festgestellten städtebaulichen Pläne als Bebauungspläne fort, soweit sie verbindliche Regelungen der in § 9 BBauG bezeichneten Art enthielten.

13

Die rechtlichen Anforderungen an die Überleitung nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 sind in der Rechtsprechung des Senats (BVerwG, Urteile vom 3. Juni 1971 - 4 C 64.69 - Buchholz 406.11 § 173 BBauG Nr. 8 und vom 20. Oktober 1972 - 4 C 14.71 - BVerwGE 41, 67 <68>) geklärt: Die Überleitung setzte - wie das Wort "bestehende" nahelegt, aber auch nach dem Sinnzusammenhang nicht zweifelhaft sein kann - zum einen voraus, dass die Vorschriften und Pläne - gemessen an dem im Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Recht - bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 gültig waren. Zum anderen hat der Senat (BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1972 - 4 C 14.71 - BVerwGE 41, 67 <68>) dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Überleitung "als Bebauungspläne" angeordnet hatte, entnommen, dass die Vorschriften und Pläne - auch über den ausdrücklich in Bezug genommenen § 9 BBauG 1960 hinaus - ganz allgemein einen Inhalt haben mussten, der nach neuem Recht Inhalt eines Bebauungsplans sein konnte. Die Überleitungsfähigkeit hing deshalb auch davon ab, ob das Abwägungsergebnis im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 am 29. Juni 1961 "bebauungsplangemäß" war. Eine Vorschrift oder ein Plan, deren Inhalt als Abwägungsergebnis nicht durch Bebauungsplan hätte geschaffen werden können, wurde vom Bundesbaugesetz 1960 nicht "als Bebauungsplan" übergeleitet. Von diesen rechtlichen Anforderungen hat sich auch der Verwaltungsgerichtshof leiten lassen.

14

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat den Stadtbauplan 1935/63 als nicht überleitungsfähig angesehen, weil die Gründe, die zur Erweiterung des Bauverbots auf den Grundstücken der Kläger geführt haben, unbekannt und auch nicht mehr aufklärbar seien und deshalb nach Beweislastgrundsätzen davon auszugehen sei, dass die Erweiterung nicht von gewichtigen, städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelangen getragen gewesen sei und im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 eine unverhältnismäßige, nicht im Einklang mit den Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 GG stehende Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dargestellt habe. Diese Annahmen sind im Ergebnis bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

15

aa) Der Verwaltungsgerichtshof hat zutreffende rechtliche Maßstäbe für das Vorliegen eines Fehlers im Abwägungsergebnis angenommen.

16

Das Abwägungsergebnis eines Bebauungsplans ist rechtlich zu beanstanden, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil andernfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Interessen und Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - 4 C 105.66 - BVerwGE 34, 301 <309>), und deshalb die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten sind (BVerwG, Urteil vom 22. September 2010 - 4 CN 2.10 - BVerwGE 138, 12 Rn. 22 f.).

17

Ein wirksamer Bebauungsplan bestimmt Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Dabei unterliegt die Gemeinde als Satzungsgeber - nicht anders als der das Eigentum ausgestaltende Gesetzgeber - besonderen verfassungsrechtlichen Schranken, denn das durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentumsrecht gehört in hervorgehobener Weise zu den von der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belangen (BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1 BvR 1402/01 - NVwZ 2003, 727). Eine wirksame städtebauliche Planung setzt deshalb voraus, dass sich hinreichend gewichtige städtebauliche Allgemeinbelange für sie anführen lassen (BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 4 BN 1.13 - ZfBR 2013, 573 Rn. 17). Sollen Grundstücke von einer bisher zulässigen Bebauung ganz ausgeschlossen werden, muss der Eingriff in die nach früherem Recht entstandenen Rechte durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein. Die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, müssen so schwerwiegend sein, dass sie Vorrang haben vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts, das durch die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG gesichert wird (BVerfG, Beschluss vom 22. Februar 1999 - 1 BvR 565/91 - NVwZ 1999, 979 <980>).

18

Diese Anforderungen stehen der Festsetzung eines Bauverbots auf einer bislang überbaubaren Grundstücksfläche entgegen, wenn sich für diese Planung keinerlei städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelange anführen lassen. Von diesen rechtlichen Maßstäben hat sich der Verwaltungsgerichtshof leiten lassen. Revisionsrügen sind insoweit nicht erhoben.

19

bb) Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner rechtlich zutreffend für die Prüfung des Abwägungsergebnisses den 29. Juni 1961, den Tag des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960, in den Blick genommen (UA S. 10).

20

Seine Ausführungen lassen die Absicht erkennen, aus den Gründen, die den Oberbürgermeister der Beklagten im Jahre 1935 bewogen haben könnten, den klägerischen Grundstücken das durch den Stadtbauplan 1929/17 eingeräumte Baurecht wieder zu entziehen, sowie aus den Gründen, die sich heute für ein vollständiges Bauverbot anführen lassen, indizielle Rückschlüsse auf die im Zeitpunkt der Überleitung für die Unbebaubarkeit sprechenden städtebaulichen Gründe zu ziehen. Solche städtebaulichen Gründe konnte der Verwaltungsgerichtshof für keine der genannten Zeitpunkte feststellen und deshalb nur festhalten, dass die Beklagte "auf Nachfrage" weder in der Lage gewesen sei, auf das Baugrundstück bezogene individuelle Gründe für die Erweiterung des Bauverbots zu benennen, noch anhand der Situation am Tag der mündlichen Verhandlung Gründe darzutun, die einer Bebauung aus städtebaulichen Erwägungen im Wege stehen könnten.

21

Eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) durch diese indizielle Tatsachenermittlung hat die Beklagte nicht geltend gemacht (zur Rügefähigkeit BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <273>). Alternativen zu dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeschlagenen Weg, die für ein überleitungsfähiges Abwägungsergebnis im Jahre 1961 sprechenden städtebaulichen Gründe indiziell zu ermitteln, hat sie - wie auch in der Revisionsverhandlung deutlich geworden ist - offensichtlich selbst nicht gesehen. Die Beklagte hat auch nicht geltend gemacht, dass der Verwaltungsgerichtshof unter Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfügbare Erkenntnismittel nicht ausgeschöpft oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ihren Vortrag unberücksichtigt gelassen hätte. An das Ergebnis der Tatsachenermittlung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Senat deshalb gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).

22

cc) Die Rüge der Beklagten, Bundesrecht sei verletzt, weil der Verwaltungsgerichtshof überhaupt in eine Entscheidung nach Beweislast eingetreten sei und ihr die Beweislast für die Nichterweislichkeit hinreichender städtebaulicher Gründe auferlegt habe, bleibt ohne Erfolg.

23

Der zugrunde liegende Vorwurf der Beklagten, der Verwaltungsgerichtshof habe materielle Fehler des Stadtbauplans 1935/63 und seiner Festsetzungen ohne begründeten Anlass mehr oder weniger spekulativ unterstellt, ist unberechtigt. Er lässt sich nicht mit der angeführten Entscheidung des Senats (BVerwG, Beschluss vom 1. April 1997 - 4 B 206.96 - Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 35 LS) begründen. In diesem Beschluss hat es der Senat als verfehlt angesehen, beim Fehlen der Planurkunde gleichsam "ungefragt" in eine Suche nach Fehlern in der Vorgeschichte und Entstehungsgeschichte eines Bebauungsplans einzutreten. Darum geht es hier aber nicht. Denn die Kläger haben sich ausdrücklich auf eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG als Hemmnis für die Überleitung des Stadtbauplans 1935/63 berufen. Die Suche des Verwaltungsgerichtshofs nach Fehlern im Abwägungsergebnis war deshalb nicht "ungefragt". Abwägungsergebnisfehler hat der Verwaltungsgerichtshof auch nicht unterstellt. Eine Entscheidung zu Lasten der Beklagten hat er vielmehr erst getroffen, nachdem seine Suche nach städtebaulichen Gründen - aus seiner Sicht - ergebnislos geblieben war und er sich deshalb wegen eines non liquet zu einer Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen veranlasst gesehen hat.

24

dd) Eines Rückgriffs auf Beweislastgrundsätze hätte es vorliegend allerdings nicht bedurft. Der rechtliche Schluss des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Erweiterung des Bauverbots durch den Stadtbauplan 1935/63 nicht von gewichtigen, städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelangen getragen gewesen sei, daher am 29. Juni 1961 eine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dargestellt habe und deshalb nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 nicht überleitungsfähig gewesen sei, hätte sich auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen ziehen lassen.

25

Beweislastnormen sind hinter dem Tatbestandsmerkmal einer materiell-rechtlichen Norm stehende - geschriebene oder ungeschriebene - Hilfsnormen, deren Aufgabe es ist, eine Entscheidung zu ermöglichen, wenn die Tatsache, die das fragliche Tatbestandsmerkmal ausfüllen könnte, im Prozess ungewiss geblieben ist. Der Tatbestand der Beweislastnorm besteht einzig aus dem non liquet dieses Tatbestandsmerkmals (so z.B. Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2016, § 108 Rn. 90).

26

Von einer non liquet-Situation ist der Verwaltungsgerichtshof hier ohne Not ausgegangen, denn seine Tatsachenermittlung ist in Wahrheit nicht ergebnislos geblieben. Das hat seinen Grund im materiellen Recht: Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (BVerwG, Urteil vom 10. September 2015 - 4 CN 8.14 - BVerwGE 153, 16 Rn. 11). Die städtebaulichen Gründe, die sich in einer konkreten städtebaulichen Situation zur Rechtfertigung planerischer Festsetzungen anführen lassen, sind deshalb stets auch Ergebnis städtebaupolitischer Willensbildung. Sich einen entsprechenden Willen zu bilden und hierüber Auskunft zu geben, ist ausschließlich Sache der Gemeinde. Das Gericht darf daher fehlende städtebauliche Ordnungsvorstellungen und Zielsetzungen der Gemeinde nicht durch eigene Erwägungen zum städtebaulich Sinnvollen oder Wünschenswerten ersetzen. Damit stößt auch die gerichtliche Sachverhaltsermittlung an ihre Grenzen. Eine dem Beweis zugängliche Tatsachenfrage kann zwar die Frage sein, welches städtebauliche Ziel sich die Gemeinde zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt hatte. Die Formulierung städtebaulicher Zielsetzungen indes kann das Gericht der Gemeinde nicht abnehmen. Fehlt es hieran, steht damit auch fest, dass es städtebauliche Gründe, die sich zur Rechtfertigung einer bestimmten planerischen Lösung anführen lassen, nicht gibt.

27

Gemessen hieran ist die Tatsachenermittlung des Verwaltungsgerichtshofs nicht ergebnislos geblieben. Unbekannt und nicht mehr aufklärbar geblieben sind zwar die (historischen) Gründe, die im Jahre 1935 zur Erweiterung der Bauverbotsflächen und damit zur Aufhebung der Bebaubarkeit der klägerischen Grundstücke geführt haben. Insoweit ist der vom Verwaltungsgerichtshof beabsichtigte indizielle Rückschluss auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 zugunsten des Bauverbots anzuführenden Gründe tatsächlich gescheitert. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs war die Beklagte aber - auch auf Nachfragen in der mündlichen Verhandlung - nicht in der Lage, überhaupt städtebauliche Gründe für das Bauverbot anzuführen; dies gilt auch für den Zeitpunkt der Überleitung im Jahr 1961, wie die Beklagte in der Revisionsinstanz eingeräumt hat. Diese tatsächliche Feststellung trägt die auf § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 gestützte rechtliche Schlussfolgerung, dass das im Stadtbauplan 1935/63 festgesetzte Bauverbot auch im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes am 29. Juni 1961 eine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums der (Rechtsvorgänger der) Kläger war.

28

ee) Der Verwaltungsgerichtshof konnte nach alledem offenlassen, ob der Stadtbauplan 1935/63 - gemessen an dem im Zeitpunkt seines Erlasses geltenden Recht - wirksam war. Offenbleiben konnte ferner, ob der Plan - Rechtsnormqualität und anfängliche Gültigkeit unterstellt - über das Jahr 1949 hinaus fortgegolten hat, weil Art. 123 Abs. 1 GG, der bestimmt, dass vorkonstitutionelles Recht (nur) fortgilt, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht, im Vergleich zu § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 jedenfalls keine strengeren Anforderungen stellt.

29

2. Die fehlende Überleitung ist auch nicht nach § 244 Abs. 2 Satz 1 des Baugesetzbuches vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2191) - BauGB 1986 - unbeachtlich geworden. Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB 1986 auf altrechtliche Pläne, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 wegen eines nicht bebauungsplangemäßen Inhalts nicht übergeleitet wurden, unanwendbar ist.

30

§ 244 Abs. 2 BauGB 1986 bestimmte, dass Mängel der Abwägung von Flächennutzungsplänen und Satzungen, die vor dem 1. Juli 1987 bekanntgemacht worden sind, unbeachtlich sind, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind, sofern auf die Voraussetzungen der Geltendmachung der Mängel und die Rechtsfolgen durch gemeindliche Bekanntmachung hingewiesen worden ist. Mit dieser Überleitungsvorschrift erstreckte der Bundesgesetzgeber die Unbeachtlichkeitsregel des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB 1986 auch auf Pläne und Satzungen, die vor dem Inkrafttreten des Baugesetzbuches 1986 ortsüblich bekanntgemacht worden waren. Eine Anwendung dieser Vorschrift auf Pläne und Satzungen, die vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 am 29. Juni 1961 erlassen wurden und deren Überleitung nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 - wie vorliegend - an einem nicht bebauungsplanfähigen Abwägungsergebnis scheiterte, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht verneint.

31

Die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 10/6166 S. 135) weisen allerdings in eine andere Richtung: Der Ausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau war in seiner Beschlussempfehlung im Gesetzgebungsverfahren davon ausgegangen, "dass sich aufgrund der Überleitungsvorschrift die Wirkungen der §§ 214 und 215 (BauGB) auch auf Pläne erstreck(en), die vor dem Erlass des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes ergangen sind." Der Wortlaut der Vorschrift ("vor dem 1. Juli 1987 bekanntgemacht") steht dieser Sichtweise nicht entgegen. Schließlich werden als Sinn und Zweck des § 244 Abs. 2 BauGB 1986 angeführt, dass damit "für alle Pläne - gleich welchen Ursprungs und Datums - in Bezug auf die Angreifbarkeit der Abwägung gleichsam eine Generalbereinigung erreicht" werden sollte (Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 1. Aufl. 1988, § 244 Rn. 6). Alle diese Gründe sprechen dafür, dass auch altrechtlichen Plänen nach § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB 1986 nur noch bis zum 30. Juni 1994 entgegengehalten werden konnte, ihr Inhalt sei im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 nicht wirksam übergeleitet worden, weil ihr Inhalt als Abwägungsergebnis unverhältnismäßig gewesen sei (Gaentzsch a.a.O.).

32

Dieser Sichtweise hat der Verwaltungsgerichtshof unter Berufung auf Lemmel (in: Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, § 244 Rn. 8) entgegengehalten, dass altrechtliche Pläne, die die Voraussetzungen der Überleitung nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 nicht erfüllten, nicht nur an einem Abwägungsfehler, sondern auch an einem materiellen Verstoß gegen § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 leiden, der ihre Überleitungsfähigkeit ausgeschlossen habe. Es gehe in diesen Fällen also nicht um die Heilung von Fehlern eines Bebauungsplans, der durch Satzungsbeschluss (nach dem Bundesbaugesetz) für sich in Anspruch nehme, rechtswirksam zu sein, sondern um die rückwirkende Ermöglichung der Überleitung von Vorschriften und Plänen, die am 29. Juni 1961 nicht wirksam übergeleitet worden seien. Eine solche Regelung enthalte § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB 1986 nicht.

33

Dem schließt sich der Senat an. Dabei kann er (weiter) offenlassen, ob der Gesetzgeber die Unbeachtlichkeit auch bei schweren Mängeln im Abwägungsergebnis mit empfindlichen Beschränkungen der Eigentümerbefugnisse begrenzen darf, wie sie sich aus altrechtlichen Bauverboten ergeben können, oder ob der gesetzgeberische Entscheidungsspielraum insoweit an die Grenzen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG stößt (bisher offengelassen hinsichtlich § 215 Abs. 1 BauGB a.F., siehe zuletzt BVerwG, Urteil vom 21. März 2013 - 4 C 15.11 - Buchholz 406.12 § 23 BauNVO Nr. 6 Rn. 15 m.w.N.). Denn derart einschneidende Rechtswirkungen sind den betroffenen Eigentümern jedenfalls nur dann zuzumuten, wenn der Gesetzgeber dies mit der rechtsstaatlich gebotenen Eindeutigkeit bestimmt hat (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 24. März 2010 - 4 CN 3.09 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 178 Rn. 17 ; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - 4 C 4.00 - BVerwGE 115, 17 <26>). Daran fehlt es hier: Die Annahme des federführenden Ausschusses, die Überleitungsvorschrift erfasse auch Pläne, die vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 und des Städtebauförderungsgesetzes ergangen seien, ist im Wortlaut des § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB 1986 nicht hinreichend klar zum Ausdruck gekommen; denn Flächennutzungspläne und Satzungen, die vor dem 1. Juni 1987 bekanntgemacht worden sind, sind nicht notwendigerweise auch altrechtliche Vorschriften und Pläne, die vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 erlassen worden sind. Erst recht war der Vorschrift nicht mit der rechtsstaatlich gebotenen Klarheit zu entnehmen, dass auch Fehler im Abwägungsergebnis, die nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 einer Überleitung als Bebauungsplan entgegenstanden, nach Ablauf der Rügefrist des § 244 Abs. 2 Satz 1 BauGB 1986 unbeachtlich werden sollten und damit ursprünglich nicht überleitungsfähige altrechtliche Vorschriften und Pläne - in den Worten des Verwaltungsgerichtshofs - rückwirkend übergeleitet werden sollten.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.