Entscheidungsdatum: 10.04.2014
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. August 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
a) Die Beschwerde wirft als grundsätzlich klärungsbedürftige Frage auf:
Liegt ein Verstoß gegen § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB insbesondere im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Ermittlung und Berücksichtigung des relevanten Abwägungsmaterials sowie des Verbotes der Verlagerung von Konflikten auf nachgeordnete (Zulassungs-)Ebenen vor, wenn etwa nach dem Wechsel im laufenden Bauleitplanverfahren - insbesondere nach Durchführung der frühzeitigen Beteiligung nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 BauGB - von einer vorhabenbezogenen Bebauungsplanung hin zu einer Angebotsbebauungsplanung die Auswirkungen der durch die nunmehr avisierte Angebotsplanung (maximal) ermöglichten Vorhabenvariante nicht erneut und eingehend ermittelt und bewertet werden, sondern im Wesentlichen als Grundlage für die Beurteilung möglicher Auswirkungen und damit für die Abwägungsentscheidung nach wie vor die für die vorhabenbezogene Bebauungsplanung hinsichtlich eines konkreten Projektes eingeholten Untersuchungen, Gutachten etc. fungieren; mithin keine erneuten Gutachten, Untersuchungen etc. durchgeführt, sondern lediglich ergänzende Stellungnahmen eingeholt werden?
Sie schließt hieran die Frage an:
Reicht es für die Abwägung eines Angebotsbebauungsplanes, wenn der Plangeber seiner Planung und den zu erstellenden Unterlagen eine von ihm bzw. einem späteren Vorhabenträger als möglich erachtete - jedoch nicht die einzige und auch nicht unter Berücksichtigung der Festsetzungen maximale - Umsetzungsvariante als maßgebliche Ausgangsgrundlage zugrunde legt?
5 Einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde damit nicht auf. Die rechtsgrundsätzlichen Anforderungen des Abwägungsgebotes sind in der Rechtsprechung des Senats geklärt (Urteile vom 12. Dezember 1969 - BVerwG 4 C 105.66 - BVerwGE 34, 301 <309> und vom 5. Juli 1974 - BVerwG 4 C 50.72 - BVerwGE 45, 309 <314 f.>), ebenso die Anforderungen des Gebots der planerischen Konfliktbewältigung (Urteil vom 19. April 2012 - BVerwG 4 CN 3.11 - BVerwGE 143, 24 Rn. 19). Dass alle denkbaren Nutzungskonflikte schon bei der Aufstellung des Bebauungsplans durch planerische Festsetzungen gelöst werden, fordert das Abwägungsgebot nicht. Der Grundsatz, dass die durch die Bauleitplanung geschaffenen Probleme auch durch die Bauleitplanung gelöst werden müssen, wird durch den Grundsatz der planerischen Zurückhaltung eingeschränkt. Probleme, die noch während des Vollzugs des Bebauungsplans bewältigt werden können, brauchen nicht schon durch den Plan selbst gelöst werden (Urteil vom 18. September 2003 - BVerwG 4 CN 3.02 - BVerwGE 119, 45 <49>).
Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Änderungen eines Planungsentwurfs weitere Ermittlungen bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials notwendig machen, entzieht sich weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung. Dies gilt auch für den Fall, dass an die Stelle des Entwurfs eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans ein Angebotsbebauungsplan tritt. Die von der Beschwerde insoweit angestrebte Konkretisierung (Beschwerdebegründung S. 42) erforderte eine Beantwortung der Frage für einzelne, konkrete Fallgestaltungen nach Art eines Lehrbuchs. Dies ist nicht Aufgabe eines Revisionsverfahrens (Beschluss vom 23. Oktober 2012 - BVerwG 4 BN 35.12 - BRS 79 Nr. 1 = juris Rn. 4). Soweit die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe die von der Antragsgegnerin eingeholten ergänzenden Stellungnahmen für unzureichend halten müssen (Beschwerdebegründung S. 40), wendet sie sich allein gegen die tatrichterliche Würdigung, ohne grundsätzlichen Klärungsbedarf aufzuzeigen.
Auch die Beantwortung der zweiten Frage bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Das Oberverwaltungsgericht hat für das Revisionsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass die von der Antragsgegnerin zur Erforschung der Auswirkungen durchgeführten Maßnahmen für die Annahme ausreichten, auch ohne weitere planerische Vorsorge könnten die mit dem Anlagenbetrieb verbundenen Auswirkungen zureichend bewältigt werden (UA S. 16). Eine Anlage mit 1,5 MW sei gegenüber dem Planangebot nicht unterwertig, sondern könne als substantiell angesehen werden (UA S. 16). Das Oberverwaltungsgericht hat sodann hinsichtlich des Lärms (UA S. 17 f.), der Gerüche (UA S. 19) und des Störfallrechts (UA S. 22 ff.) im Einzelnen dargelegt, warum es die erhobenen Ermittlungen für ausreichend und eine Konfliktbewältigung für größere Anlagen im Zulassungsverfahren für möglich hält. Die Beschwerde zeigt keinen weiteren grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Sie knüpft ihre Überlegungen an den Wechsel vom Entwurf eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans zu einem Angebotsbebauungsplan an. Sie setzt sich aber nicht hinreichend damit auseinander, dass die Antragsgegnerin und nachfolgend das Oberverwaltungsgericht nicht die Auswirkungen einer Anlage mit 600 kW, die noch Gegenstand der ursprünglichen, vorhabenbezogenen Planung war, sondern die Auswirkungen einer leistungsstärkeren Anlage in den Blick genommen haben.
b) Als weitere Fragen grundsätzlicher Bedeutung sieht die Beschwerde an:
Ist ein planerisches Vorgehen mit den Vorgaben des § 50 BImSchG unter Berücksichtigung der dieser Vorschrift zugrunde liegenden Richtlinie 96/82/EG vereinbar - und statuiert in der Folge keinen Abwägungsfehler nach § 1 Abs. 7 BauGB - wonach ein Standort zwecks Ausweisung eines Sondergebietes zur möglichen Realisierung eines Störfallbetriebes (Biomasseanlage) aufgrund anderweitiger Kriterien zunächst ohne Berücksichtigung des Trennungsgebotes auserwählt und erst nachträglich im Hinblick auf die Vorgabe der Trennung unverträglicher Nutzungen etwa durch Aufnahme textlicher Festsetzungen hinsichtlich Wandstärken der Komponenten der zu realisierenden Vorhaben gerechtfertigt wird, oder gebieten insbesondere die europäischen Vorgaben der Richtlinie 96/82/EG, dass der Planungsträger zunächst das durch die Planung (maximal) Ermöglichte ermittelt und unter Zugrundelegung dessen die Standortwahl unter Berücksichtigung angemessener Abstände von vornherein an den Erfordernissen des Trennungsgebotes und der Richtlinie 96/82/EG misst und erst in einem zweiten Schritt andere Belange sowie gefahrenabwehrtechnische Maßnahmen in die Gesamtbetrachtung mit einbezieht?
Gebietet § 50 BImSchG i.V.m. der Richtlinie 96/82/EG bereits auf der Bebauungsplanebene das Erfordernis einer Standortalternativenprüfung zur europarechtskonformen Anwendung des Trennungsgebotes, insbesondere zur Bestimmung angemessener Abstände im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 96/82/EG?
Die Fragen führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Sie lassen sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Senats beantworten.
Die Antragsteller sehen mit ihrer ersten Frage Klärungsbedarf dahin, ob die von der planenden Gemeinde zu beachtende Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (ABl 1997 L 10/13) (Beschluss vom 16. Januar 2013 - BVerwG 4 B 15.10 - ZfBR 2013, 363 Rn. 12) fordert, zunächst isoliert die Lage eines Störfallbetriebes im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie zu bestimmen, und so die Ziele der Richtlinie mindestens vorrangig durch bestimmte Flächenzuordnungen zu verfolgen, während technische Anforderungen an die Anlage nur nachrangig als Korrektiv herangezogen werden könnten (Beschwerdebegründung S. 53). Die Frage ist zu verneinen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Wann im Sinne der von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie ein angemessener Abstand eingehalten wird, hängt vom Einzelfall ab. Zu den zu berücksichtigenden störfallspezifischen Faktoren können neben der Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Unfalls in einem unter die Richtlinie fallenden Betrieb sowie die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung oder die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung und die Leichtigkeit gehören, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - Slg. I 8311 - Tz. 44). Auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen können zu berücksichtigen sein, auch solche im Betriebsbereich (Urteil vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 - BVerwGE 145, 290 Rn. 18). Hieraus ergibt sich unmittelbar, dass die Gemeinde und nachfolgend das Normenkontrollgericht - wie geschehen - bei der Prüfung der Angemessenheit des Abstandes die festgesetzten technischen Vorkehrungen, namentlich die festgesetzten Wandstärken, von vornherein mit in den Blick nehmen konnten (UA S. 24), solchen Vorkehrungen also nicht die Funktion eines Korrektivs eines "an sich" unangemessenen Abstandes zukommt.
Auch die zweite Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Es gibt keine Verpflichtung einer Planungsbehörde, bei der Wahl zwischen mehreren Alternativstandorten denjenigen auszuwählen, bei dem das Unfallrisiko für Störfälle möglichst begrenzt wird (Beschluss vom 16. Januar 2013 a.a.O. Rn. 15). Angesichts der verschiedenen spezifischen Faktoren bei der Bestimmung des angemessenen Abstands und des den Mitgliedstaaten eingeräumten Wertungsspielraums ist auch nicht ersichtlich, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG für die Wahrung angemessener Abstände eine Alternativenprüfung erzwingen könnte, wenn bereits an dem ausgewählten Standort ein angemessener Abstand gewahrt wird.
2. Auch die Divergenzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führt nicht zur Zulassung der Revision.
a) Die Beschwerde meint, das angegriffene Urteil weiche vom Urteil des Senats vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 4 C 8.10 - (BVerwGE 138, 301) ab. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist indes nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
Das Oberverwaltungsgericht hat sich dem Senatsurteil vom 16. Dezember 2010 (a.a.O.) ausdrücklich angeschlossen (UA S. 10) und in Übereinstimmung mit diesem Senatsurteil der Sache nach angenommen, dass Soll-Vorschriften, die dem nachgeordneten Planungsträger bei der Einschätzung, ob ein atypischer Fall vorliegt, einen eigenen Abwägungsspielraum einräumten, keinen Verbindlichkeitsanspruch entfalten (a.a.O. Rn. 10). Dazu hat es auf die Festlegung des Zielrahmens durch positive und negative Abgrenzungskriterien abgestellt. Auch dies entspricht dem Senatsurteil vom 16. Dezember 2010 (a.a.O. Rn. 13). Soweit die Beschwerde dem Oberverwaltungsgericht vorwirft, es habe aus einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts die falschen Schlüsse gezogen (Beschwerdebegründung S. 72), rügt sie lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall. Dies führt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.).
b) Eine Divergenz zu dem Senatsurteil vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 - (BVerwGE 145, 290) legt die Beschwerde nicht dar. Wie die Beschwerde selbst einräumt, ist die genannte Entscheidung nicht zu § 50 Satz 1 BImSchG, sondern zu § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergangen, so dass eine Divergenz ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.