Entscheidungsdatum: 03.08.2011
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerin beimisst.
1.1 Mit der zur Reichweite der Tatbestandswirkung einer anderweitigen behördlichen Entscheidung (hier: Zielabweichungsbescheid) aufgeworfenen Frage (Beschwerdebegründung S. 13 - 16) wirft die Antragstellerin dem Oberverwaltungsgericht vor, es habe trotz Kenntnis der fehlenden Bestandskraft des zweiten Zielabweichungsbescheids vom 14. September 2010 diesem Bescheid volle Bindungs- bzw. Tatbestandswirkung beigemessen. Die Antragstellerin zeigt indes nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung maßgeblich mit der Bestandskraft des zweiten Zielabweichungsbescheids begründet hätte.
Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, mit den Zielabweichungsbescheiden vom 7. November 2006 und 14. September 2010 sei eine verbindliche Abweichung vom Integrationsgebot des LEP III und LEP IV sowie des RROP MW gewährt worden; die Frage der Rechtmäßigkeit der Zielabweichungsentscheidungen könne indessen angesichts der von diesen Entscheidungen ausgehenden Bindungswirkung im vorliegenden Verfahren nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung zum Gegenstand gemacht werden. Aus der Begründung erschließt sich, dass das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass dem Zielabweichungsbescheid vom 14. September 2010 kein über den Bescheid vom 7. November 2006 hinausgehender eigenständiger Regelungsgehalt hinsichtlich der Abweichung vom Integrationsgebot zukommt. Dass das Oberverwaltungsgericht von einer "Fortgeltung" des Zielabweichungsbescheids vom 7. November 2006 ausgeht, mithin der Zielabweichungsbescheid vom 14. September 2010 lediglich der geänderten Fassung des LEP IV Rechnung trägt, belegt insbesondere der Hinweis, dass sich diese Frage nicht im Hinblick auf das Beeinträchtigungsverbot stelle, weil der Bescheid vom 7. November 2006 insoweit keine Tatbestandswirkung entfalte. Unabhängig davon setzt sich die Antragstellerin nicht damit auseinander, dass das Integrationsgebot - wie der Senat mit Urteil vom 5. November 2009 - BVerwG 4 C 3.09 - (BVerwGE 135, 209 Rn. 14) angemerkt hat - ihr nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts unstreitig keine subjektiven Rechte vermittelt, so dass eine Anfechtungsklage insoweit schon an der Zulässigkeit scheitert. Unter diesen Umständen genügt es nicht, lediglich darauf hinzuweisen, dass eine Klage anhängig sei.
Im Zusammenhang mit dem Beeinträchtigungsverbot, das auch dem Schutz der hierdurch begünstigten benachbarten zentralen Orte diene, verneint das Oberverwaltungsgericht dagegen - unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 5. November 2009 - ausdrücklich eine Tatbestandswirkung des Zielabweichungsbescheids vom 7. November 2006 und weist darauf hin, dass sich die Frage der Fortgeltung für das LEP IV von vornherein nicht stelle und daher eine umfassende Überprüfbarkeit im Rahmen des Normenkontrollverfahrens anzunehmen sei. Auf den von der Antragstellerin angefochtenen Zielabweichungsbescheid vom 14. September 2010 kommt es insoweit nicht an.
1.2 Mit der Grundsatzrüge, die im Kern auf die Frage zielt, ob "… eine Beurteilung der schädlichen Auswirkungen einer Planung nicht mehr ausschließlich oder ganz überwiegend am Maßstab der zu erwartenden Umsatzumverteilung vorgenommen werden kann, sondern zwingend auch andere Parameter und Umstände herangezogen werden müssen" (Beschwerdebegründung S. 16 - 23), zeigt die Antragstellerin keinen Klärungsbedarf auf.
Kaufkraftabflüsse sind geeignet, die städtebaulich relevanten schädlichen Auswirkungen eines Vorhabens zu konkretisieren (Urteil vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 2.08 - BVerwGE 136, 10 Rn. 14; Beschluss vom 22. Dezember 2009 - BVerwG 4 B 25.09 - ZfBR 2010, 269 <270 f.>). In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass Marktgutachten eine taugliche Methode sind, um den durch das Vorhaben bedingten voraussichtlichen Kaufkraftabfluss anhand von branchenspezifischen Erfahrungswerten zur üblichen Flächenproduktivität zu prognostizieren (Urteile vom 17. Dezember 2009 a.a.O. und vom 11. Oktober 2007 - BVerwG 4 C 7.07 - BVerwGE 129, 307 Rn. 18, 21). Es gibt zwar auch andere Methoden, die sich im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten als geeignet erweisen können, um zu beurteilen, ob die ökonomischen Fernwirkungen eines Vorhabens die Funktionsfähigkeit eines zentralen Versorgungsbereichs beeinträchtigen können. Die Entscheidung, anhand welcher Methode ein voraussichtlicher Kaufkraftabfluss prognostisch ermittelt wird, obliegt aber grundsätzlich dem Tatsachengericht. Ebenso ist es allein Aufgabe des Tatsachengerichts festzustellen, ob ein Verträglichkeitsgutachten zur Bestimmung der interkommunalen Auswirkungen eines Einzelhandelsvorhabens verwertbar ist. Dass diese Grundsätze einer Fortentwicklung bedürften, zeigt die Antragstellerin auch mit ihrem Hinweis auf § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB und dessen Verhältnis zu § 1 Abs. 7 BauGB nicht auf. Ihr Vortrag reduziert sich auf den Vorwurf, ungeachtet der Obersätze, die das Gericht anführe, beschränke sich dessen "Gesamtbetrachtung" auf die Frage der konkreten Ermittlung und Bewertung der durch die Planung zu erwartenden Umsatzumverteilung; andere städtebauliche Belange würden nicht berücksichtigt. Der Sache nach greift sie lediglich die ausführlich begründete Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts an, das von einer - wenn auch nur mit Einschränkungen versehenen - grundsätzlichen Nachvollziehbarkeit der absatzwirtschaftlichen Auswirkungen bei einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Gutachten und anderen Erkenntnisquellen ausgegangen ist (UA S. 39).
1.3 Die Fragen, mit denen die Antragstellerin klären lassen will, ob auch erhebliche Umsatzumverteilungen von mehr als 10% bezogen auf einzelne Branchen (Sortimente) die Annahme schädlicher Auswirkungen zu begründen vermag (Beschwerdebegründung S. 23 - 26), entziehen sich rechtsgrundsätzlicher Klärung.
Die städtebaulichen Auswirkungen eines prognostizierten Kaufkraftabflusses zu beurteilen, ist den Tatsachengerichten überlassen (vgl. auch Beschlüsse vom 28. Dezember 2005 - BVerwG 4 BN 40.05 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 123 Rn. 19 und vom 22. Dezember 2009 a.a.O.). Es ist eine Frage der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall, ob - wie vom Oberverwaltungsgericht angenommen (UA S. 43 f.) - ungeachtet einer Überschreitung der 10%-Grenze in bestimmten Teilsortimenten im Rahmen der Gesamtbetrachtung davon auszugehen ist, dass die Auswirkungen sich noch im zumutbaren Bereich bewegen und den Betrieben im Bereich der Antragstellerin sowie dieser selbst hinreichende Möglichkeiten der Standortentwicklung bleiben.
1.4 Die Frage,
ob es mit Blick auf eine aktuelle Planung rechtfehlerfrei ist, bei der Beurteilung der Berücksichtigung der Belange von Nachbargemeinden gemäß § 2 Abs. 2 BauGB eine künftige Planung mangels prüfbaren Planungsstandes unberücksichtigt zu lassen, wenn diese künftige Planung vom Plangeber selbst im Rahmen seiner Abwägung sowie zum Zwecke der Begründung einer Zielabweichung untrennbar mit einer aktuellen Planung verknüpft wurde (Beschwerdebegründung S. 26 - 31),
beruht zum Teil auf Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist und erweist sich im Übrigen nicht als entscheidungserheblich.
Dass die im sog. bipolaren Konzept avisierte künftige Planung vom Plangeber selbst im Rahmen seiner Abwägung untrennbar mit der aktuellen, hier angefochtenen Planung verknüpft wurde, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Es hat vielmehr ausgeführt, dass das bipolare Konzept im Bebauungsplanverfahren erörtert und eine spätere Berücksichtigung in Aussicht gestellt worden sei. Die sukzessive Betrachtungsweise stelle jedenfalls vorliegend keinen relevanten Abwägungsfehler dar, weil die angebliche zweite Säule des bipolaren Konzepts keinen solchen Grad erreicht habe, dass sie bereits in diesem Stadium eine Zusammenrechnung beider Projekte rechtfertigen würde. Das Oberverwaltungsgericht stellt also nicht in Abrede, dass eine Einbeziehung von verschiedenen Vorhaben grundsätzlich geboten sein kann (UA S. 46). Wie auch das Oberverwaltungsgericht angemerkt hat, kann die Frage, ob eine kumulative oder sukzessive Betrachtungsweise geboten ist, indessen nicht allgemeingültig beantwortet werden. Unabhängig davon hat der Senat die Auffassung gebilligt, dass künftige Ansiedlungen jedenfalls dann nicht von der Prognose der Umsatzumverteilung erfasst werden können, wenn es keine konkret geplanten Vorhaben gebe (Urteil vom 29. April 2010 - BVerwG 4 CN 3.08 - ZfBR 2010, 575 <576>;
1.5 Die Frage:
"Gehört die Berücksichtigung der Belange nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB ... zum Abwägungsprogramm nach § 1 Abs. 7 BauGB, u.a. mit der Folge der Anwendbarkeit des § 214 Abs. 3 BauGB, oder fallen diese Belange - entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur (objektiven) Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB - aus dem Abwägungsprogramm der Standortgemeinde heraus?" (Beschwerdebegründung S. 31 - 35)
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass die raumordnerische Funktionszuweisung der Antragstellerin als Belang im Rahmen der Abwägung überwunden worden sei, sondern hat festgestellt, dass die Funktion der Antragstellerin als Mittelzentrum und mit den Teilfunktionen als Oberzentrum auf der Grundlage der prognostizierten Umverteilungen nicht nachhaltig beeinträchtigt werde (UA S. 49).
1.6 Die Frage, ob sich eine Gemeinde auch im Verhältnis zu einer in einem benachbarten Land gelegenen Gemeinde auf ihre raumordnerische Funktionszuweisung berufen kann (Beschwerdebegründung S. 35 - 40), würde sich ebenfalls nicht stellen. Die Antragstellerin zeigt nicht auf, dass diese Frage, die das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich offen gelassen hat, entscheidungserheblich wäre. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 1.5 verwiesen.
1.7 Die Fragen zur Ergebnisrelevanz i.S.d. § 214 Abs. 1 BauGB (Beschwerdebegründung S. 41 - 46) entziehen sich rechtsgrundsätzlicher Klärung.
Ob die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, bestimmt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Wie das Oberverwaltungsgericht ausgeführt hat, kann die Frage, ob ein möglicher Einfluss anzunehmen ist, wenn bestimmte Belange methodisch nicht einwandfrei ermittelt, beschrieben oder bewertet worden sind, von dem Gewicht des in Rede stehenden Belangs in der konkreten Situation, aber auch von dem Maß der verursachten Abweichung bei den der Prognose zugrunde gelegten Daten abhängen (UA S. 43). Mit Blick auf die ausführliche Begründung kann auch keine Rede davon sein, dass das Oberverwaltungsgericht nur auf den Gesichtspunkt der betriebswirtschaftlichen Tragfähigkeit abgestellt hat. Der Sache nach wendet sich die Antragstellerin nur gegen die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, die Fehler seien in ihren materiellen Auswirkungen nicht gravierend genug, um sich auf das Ergebnis des Verfahrens auszuwirken.
1.8 Die Grundsatzrügen zur Bestimmtheit der "FOC-Sortimentsklauseln", insbesondere des Begriffs "Markenartikel" (Beschwerdebegründung S. 46 - 52), erschöpfen sich in dem Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe seine Auffassung, dass grundsätzlich eine Überprüfung des Warenangebots möglich sei, so dass diesen Festsetzungen die Bestimmtheit nicht abgesprochen werden könne, nicht begründet. Klärungsbedarf wird damit nicht aufgezeigt.
Es ist eine Frage der Auslegung des dem Landesrecht angehörenden Bebauungsplans, ob der Plangeber hinreichend klar zum Ausdruck bringt, welche Regelung mit welchem Inhalt normative Geltung beansprucht und ob sie sich als vollziehbar erweist (vgl. dazu auch Beschluss vom 9. Februar 2011 - BVerwG 4 BN 43.10 - ZfBR 2011, 374 <375 f.>). Soweit die Antragstellerin geltend macht, es bestehe ein Bedürfnis für qualifizierte Anforderungen an die Bestimmtheit von Sortimentsbeschränkungen bei einem Factory-Outlet-Center (FOC), scheitert die Rüge an der hinreichenden Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, denn nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts könnte ein Mangel allenfalls zur Unwirksamkeit einzelner Textfestsetzungen führen, nicht jedoch der Planung insgesamt. Mit dem Einwand, eine Planung ohne Sortimentsbeschränkungen sei mit dem Beeinträchtigungsgebot sowie dem Gebot der interkommunalen Abstimmung nicht vereinbar, macht die Antragstellerin der Sache nach nur geltend, dass der Mangel die Planung insgesamt erfasse.
2. Ebenso wenig führen die Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Zulassung der Revision.
2.1 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe es versäumt, zur Höhe der Umsatzumverteilungen Beweis zu erheben (Beschwerdebegründung S. 52 - 57), scheitert schon daran, dass die Antragstellerin darauf verzichtet hat, einen Beweisantrag zu stellen. Sie legt auch nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht, das von einer - wenn auch nur mit Einschränkungen versehenen - grundsätzlichen Nachvollziehbarkeit der absatzwirtschaftlichen Auswirkungen bei einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Gutachten und anderen Erkenntnisquellen ausgeht (UA S. 39), Anlass zu weiterer Sachaufklärung von Amts wegen gehabt hätte. Der Einwand, der Hinweis des Oberverwaltungsgerichts auf das Zahlenwerk im Gutachten J. stelle eine unzulässige Wahrunterstellung dar, erschöpft sich in Angriffen auf die tatrichterliche Beweiswürdigung. Dass das Oberverwaltungsgericht Anlass gehabt hätte, an der Verwertbarkeit des Gutachtens J. zu zweifeln, zeigt sie nicht auf.
2.2 Der Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht gemäß § 86 VwGO auch deswegen verletzt, weil es die Problematik der Auswirkungen der Planung auf die in ihrer Innenstadt befindlichen Magnetbetriebe ausgeklammert und keine Ermittlungen hierzu veranlasst habe (Beschwerdebegründung S. 57 - 61), scheitert ebenfalls daran, dass die Antragstellerin darauf verzichtet hat, einen Beweisantrag zu stellen. Der Sache nach wiederholt die Antragstellerin hier nur den bereits als Grundsatzrüge (unter 1.2) erhobenen Vorwurf einer unzutreffenden Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts. Ein Verfahrensfehler wird damit nicht aufgezeigt.
2.3 Mit Blick auf den nach Einlegung der Beschwerde ergangenen Beschluss vom 5. April 2011 zur Berichtigung des Rubrums und den Berichtigungsvermerk vom 30. März 2011 auf der Sitzungsniederschrift besteht kein Anlass mehr, auf die von der Antragstellerin erhobene Besetzungsrüge einzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.