Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.12.2017


BVerwG 21.12.2017 - 4 BN 12/17

Antragsbefugnis bei Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
21.12.2017
Aktenzeichen:
4 BN 12/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:211217B4BN12.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 25. Januar 2017, Az: 8 S 2051/15, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bebauungsplan, der für ein ca. 175 m mal 200 m großes Areal ein allgemeines Wohngebiet (§ 4 BauNVO) festsetzt. Nicht zulässig sind abweichend von § 4 Abs. 2 BauNVO Schank- und Speisewirtschaften und Anlagen für kirchliche, kulturelle und sportliche Zwecke sowie abweichend von § 4 Abs. 3 BauNVO Anlagen für Verwaltungen, Gartenbaubetriebe und Tankstellen. Das Oberflächenwasser von Dächern, befestigten Terrassen und Erschließungsstraßen im Plangebiet soll vom Schmutzwasser getrennt gesammelt und in Rohrleitungen und einem offenen Wassergraben in ein Regenrückhaltebecken im Norden des Plangebiets geleitet werden; von dort ist eine gepufferte Einleitung in den nördlich des Plangebiets verlaufenden R.bach vorgesehen.

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Der Antragsteller, dessen Wohngrundstück südöstlich an das Plangebiet angrenzt, befürchtet insbesondere Beeinträchtigungen durch abfließendes Oberflächenwasser (Überschwemmungsgefahr), weil die Baugrundstücke der südlichen Bebauungsreihe des Bebauungsplans um bis zu 1,80 m über seinem Grundstück lägen, sowie unzumutbare Lärm- und Geruchsimmissionen.

3

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag wegen fehlender Antragsbefugnis abgewiesen. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde zumisst.

5

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 4. August 2016 - 4 BN 12.16 - NVwZ 2016, 1646 Rn. 4).

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Die Beschwerde hält folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:

1. Kann die Verletzung des subjektiven Rechts gemäß § 1 Abs. 7 BauGB wegen planbedingter Oberflächenwasserproblematik des Plangebiets (Überflutungsgefahr eines tiefer liegenden Grundstücks) wegen Gefälles offensichtlich ausscheiden, wenn der entscheidende Verwaltungsgerichtshof selbst im Normenkontrollverfahren (hier Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO) es als erforderlich ansieht, bezüglich des betroffenen Grundstücks (des Antragstellers) von der Antragsgegnerin "eine Stellungnahme zur Oberflächenwasserproblematik anzufordern"?

2. Besteht nicht die Antragsbefugnis bereits dann, wenn sich die Antragsgegnerin - wenn auch verspätet und inhaltlich unrichtig und unvollständig - mit der im Rahmen der Offenlage nach § 3 Abs. 2 BauGB abgegebenen Stellungnahme des Antragstellers nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB auseinandersetzt und damit zu erkennen gibt, dass die Belange des Antragstellers nicht offensichtlich unberücksichtigt nach § 1 Abs. 7 BauGB bleiben können?

3. Liegt die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO dann vor, wenn der Antragsteller während der Offenlage nach § 3 Abs. 2 BauGB substantiiert unter Benennung von konkreten sich aus dem Planentwurf ergebenden Tatsachen seine Belange (z.B. zur Überschwemmungsgefahr seines Grundstücks oder zu Lärm- und Geruchsimmissionen) darlegt und sich die planende Gemeinde - wenn auch unzureichend - im Ansatz damit im Abwägungsvorgang auseinandersetzt?

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Die auf die Anforderungen an die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO zielenden Fragen führen, soweit sie überhaupt einer verallgemeinerungsfähigen Klärung zugänglich sind, nicht zur Zulassung der Revision. Sie sind in der Rechtsprechung bereits beantwortet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. November 2016 - 4 BN 16.16 - ZfBR 2017, 154 Rn. 7). Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Ist ein Bebauungsplan Gegenstand der Normenkontrolle und der Betroffene nicht Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (stRspr, BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <220 ff.>). Abwägungserheblich sind dabei aber nur private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. An Letzterem fehlt es bei geringwertigen oder mit einem Makel behafteten Interessen sowie bei solchen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solchen, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2015 - 4 CN 5.14 - NVwZ 2015, 1457 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt auch für die von der Beschwerde in den Blick genommene Oberflächenwasserproblematik (BVerwG, Urteil vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 13) sowie eine etwaige (nachteilige) Veränderung der Immissionssituation (zu Verkehrslärm siehe etwa BVerwG, Beschluss vom 11. August 2015 - 4 BN 12.15 - BRS 83 Nr. 49). Einen hierüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

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2. Die Verfahrensrügen nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bleiben ebenfalls erfolglos.

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a) Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn das Normenkontrollgericht die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt und damit die prozessuale Bedeutung dieser Vorschrift verkennt (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juli 2013 - 4 BN 13.13 - BRS 81 Nr. 64 Rn. 6 und vom 11. November 2015 - 4 BN 39.15 - ZfBR 2016, 156 Rn. 4). Das ist hier nicht der Fall.

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Der Verwaltungsgerichtshof hat die vom Antragsteller geltend gemachten privaten Belange in den Blick genommen und nicht in Abrede gestellt, dass diese abwägungserheblich im Sinne von § 1 Abs. 7 BauGB sein können. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde hat er aber nicht geprüft, ob die Antragsgegnerin diese Belange möglicherweise fehlerhaft behandelt hat; auch hat er insofern dem Antragsteller keine entsprechende Darlegungspflicht auferlegt. Vielmehr ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass die vom Antragsteller angeführten Belange unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen allenfalls geringfügig beeinträchtigt seien und daher die Antragsbefugnis nicht zu begründen vermögen. Das gelte auch für die planbedingte Zunahme von Lärmimmissionen durch die im Bebauungsplan festgesetzten Erschließungsstraßen sowie etwaige Beeinträchtigungen durch abfließendes Oberflächenwasser von den Baugrundstücken der südlichen Bebauungsreihe. Dass diese Einschätzung unzutreffend ist, legt die Beschwerde nicht substantiiert dar. Es ergibt sich auch nicht aus der Formulierung auf Seite 9 des Abdrucks des angegriffenen Urteils, wonach die "fehlerhafte Behandlung eines in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigenden privaten Belangs" ausgeschlossen werden könne. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat schon im darauffolgenden Satz klargestellt, dass die geltend gemachten Belange unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen "nicht abwägungserheblich" seien.

11

Soweit der Antragsteller rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe im Eilverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO die Antragsgegnerin aufgefordert, zur Oberflächenwasserproblematik im südöstlichen Bereich des Plangebiets Stellung zu nehmen, daher könne dieser Belang nicht nur von untergeordneter Bedeutung sein bzw. nicht offensichtlich als nicht abwägungserheblich betrachtet werden, vermag er hiermit nicht durchzudringen. Zutreffend ist zwar, dass die Prüfung, ob das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist, nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorgenommen werden (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <218 f.>) und nicht in einem Umfang sowie in einer Intensität erfolgen darf, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641 = juris Rn. 8). Das Normenkontrollgericht ist daher insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären (BVerwG, Beschluss vom 14. September 2015 - 4 BN 4.15 - ZfBR 2016, 154 Rn. 10). Hiergegen hat der Verwaltungsgerichtshof aber nicht verstoßen. Ziel des gerichtlichen Hinweises vom 11. Oktober 2016 war es offensichtlich, die von der Antragsgegnerin angestoßene Diskussion um die Antragsbefugnis des Antragstellers und dessen hierzu erfolgte Stellungnahme durch eine Äußerung der Antragsgegnerin zum Abschluss zu bringen. Dass das Gericht widerstreitendes Vorbringen des Antragsgegners, auf dessen Grundlage sich die maßgeblichen Tatsachenbehauptungen in der Antragsschrift als offensichtlich unrichtig erweisen, nicht ausblenden muss, sondern auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftverkehrs darüber befinden kann, ob es einen abwägungserheblichen und schutzbedürftigen Belang des Antragstellers geben kann, ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juli 2013 - 4 BN 13.13 - ZfBR 2014, 159 Rn. 4 und vom 14. September 2015 - 4 BN 4.15 - ZfBR 2016, 154 Rn. 10). Das gilt umso mehr, wenn das Gericht - wie hier - auf seine Aufforderung keine weiteren Sachinformationen erhalten oder verwertet hat.

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Auch aus dem von der Beschwerde angeführten Urteil des Senats vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - (BVerwGE 153, 174) ergibt sich nicht, dass das Normenkontrollgericht die Anforderungen an die Antragsbefugnis überspannt haben könnte. Der Antragsteller legt nicht dar, dass der vorliegende Fall mit dem entschiedenen identisch oder doch zumindest vergleichbar ist. Mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs, wonach das Plangebiet nicht nur nach Südosten abfalle, sondern auch nach Norden und dass eine Fassung und Abführung des Oberflächenwassers aus dem bebauten Bereich in das tiefer liegende Rückhaltebecken im Norden des Plangebiets grundsätzlich möglich sei (UA S. 14), setzt er sich nicht auseinander.

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b) Soweit die Beschwerde dem Normenkontrollgericht vorwirft, die Problematik der Oberflächenentwässerung bzw. der Überschwemmungsgefahr für das Grundstück des Antragstellers sowie etwaiger Lärm- und Geruchsbelästigungen im Rahmen der Antragsbefugnis nicht weiter aufgeklärt zu haben, wird damit ein Verfahrensfehler nicht aufgezeigt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Wie bereits ausgeführt, ist das Normenkontrollgericht nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Damit scheidet schon tatbestandlich eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO aus (BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 2015 - 4 BN 30.14 - BauR 2015, 967 = juris Rn. 7 und vom 14. September 2015 - 4 BN 4.15 - ZfBR 2016, 154 Rn. 15).

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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.