Entscheidungsdatum: 27.02.2018
1. § 246 Abs. 10 BauGB ist auf die Nutzungsänderung von baulichen Anlagen anwendbar.
2. Eine Nutzungsänderung unter Anwendung von § 246 Abs. 10 BauGB bedarf nach § 246 Abs. 17 BauGB keiner Befristung.
Der Kläger, Eigentümer eines in einem Gewerbegebiet gelegenen Grundstücks, wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Nutzungsänderung eines Bürogebäudes zu einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbegehrende und Flüchtlinge. Seine Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben (VG Karlsruhe, Urteil vom 23. Juni 2015 - 4 K 2006/15 -; VGH Mannheim, Beschluss vom 17. Mai 2017 - 5 S 1505/15 - DVBl 2017, 1052 = BauR 2017, 1499 = ZfBR 2017, 684 = NVwZ-RR 2017, 910).
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.
I. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).
1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob § 246 Abs. 10 BauGB auf Nutzungsänderungen anwendbar ist.
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil sie sich mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>, vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450> und vom 31. Juli 2017 - 4 B 12.17 - NVwZ-RR 2017, 967 Rn. 5): § 246 Abs. 10 BauGB ist auf die Nutzungsänderung von baulichen Anlagen anwendbar.
Nach dem am 26. November 2014 in Kraft getretenen § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB (BGBl. I S. 1748) kann bis zum 31. Dezember 2019 in Gewerbegebieten für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Der Wortlaut der Norm ist nicht auf die Errichtung baulicher Anlagen beschränkt, sondern gilt für alle Vorhaben nach § 29 Abs. 1 BauGB und damit auch für Nutzungsänderungen. Die passive Formulierung ("... kann befreit werden ...") folgt dem Vorbild des § 31 Abs. 2 BauGB, der auf Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen gleichermaßen Anwendung findet, während der Gesetzgeber den Anwendungsbereich vergleichbarer Vorschriften auf bestimmte Arten von Vorhaben beschränkt hat, so etwa in § 246 Abs. 8 und 13 Satz 1 BauGB. Die Gesetzgebungsmaterialien bieten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, § 246 Abs. 10 BauGB solle auf Nutzungsänderungen keine Anwendung finden (BT-Drs. 18/2752 S. 11 f.). Sie widerspräche auch dem Ziel des Gesetzgebers, möglichst zeitnah Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge zu schaffen (BT-Drs. 18/2752 S. 1) (im Ergebnis ebenso OVG Münster, Beschluss vom 29. Juni 2015 - 7 B 536/15 - juris Rn. 11; Decker, in: Jäde/Dirnberger, BauGB - BauNVO, 8. Aufl. 2017, § 246 BauGB Rn. 41; zu eng Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 246 Rn. 22 <"Errichtung">).
Abweichendes folgt nicht aus § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Danach kann bis zum 31. Dezember 2019 für eine auf längstens drei Jahre zu befristende Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage u.a. in einem Gewerbegebiet in eine Aufnahmeeinrichtung, eine Gemeinschaftsunterkunft oder eine sonstige Unterkunft für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die durch Art. 6 Nr. 2 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) eingefügte Norm ermöglicht befristete Nutzungsänderungen für Unterkünfte von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden über § 246 Abs. 10 BauGB hinaus in solchen Gewerbegebieten, in denen Anlagen für soziale Zwecke weder als Ausnahme zugelassen werden können noch allgemein zulässig sind (BT-Drs. 18/6185 S. 54). Es spricht aber nichts dafür, dass diese Regelung Nutzungsänderungen dem Anwendungsbereich des § 246 Abs. 10 BauGB entziehen wollte.
2. Die Beschwerde möchte grundsätzlich klären lassen,
ob als Standort für Einrichtungen nach § 246 Abs. 10 BauGB ein ausgewiesenes Gewerbegebiet in Betracht kommt, das, unabhängig von der Frage, ob dort Anlagen für soziale Zwecke allgemein oder jedenfalls ausnahmsweise zulässig sind, nach seiner Zweckbestimmung, wie sie u.a. in der Begründung zu dem Bebauungsplan zum Ausdruck kommt, von vornherein nicht auf Anlagen für soziale Zwecke angelegt ist.
Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie wäre nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass der Bebauungsplan nach seiner Zweckbestimmung nicht auf Anlagen für soziale Zwecke angelegt ist, sondern ihn dahin ausgelegt, dass Anlagen für soziale Zwecke nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden können (UA S. 12 f.). Diese Auslegung wäre nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO auch für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend.
Kein Klärungsbedarf besteht ferner für die Frage, ob ein Vorhaben nach § 246 Abs. 10 BauGB der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebietes entsprechen muss. Dies verlangt die Norm nicht. Der Gesetzgeber wollte die unter § 246 Abs. 10 BauGB fallenden Anlagen in Gewerbegebieten unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen, obwohl die Rechtsprechung wohnähnliche Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbewerber vielfach nicht als Anlagen für soziale Zwecke angesehen habe, die in Gewerbegebieten als Ausnahme zugelassen werden könnten (so BT-Drs. 18/2752 S. 12 m.w.N.). Eigenheiten des jeweiligen Gewerbegebietes haben Behörden und Gerichte bei der Prüfung in den Blick zu nehmen, ob das Vorhaben unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. So ist der Verwaltungsgerichtshof vorgegangen (UA S. 13 ff.; ebenso Ziff. 2.3.3 der Hinweise zur bauplanungsrechtlichen Beurteilung von Standorten für Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in den verschiedenen Gebietskulissen, beschlossen durch die Fachkommission Städtebau am 15. Dezember 2015, abgedruckt bei Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2017, § 246 BauGB Anh. II).
3. Die Beschwerde sieht schließlich grundsätzlichen Klärungsbedarf,
ob eine auf der Grundlage von § 246 Abs. 10 BauGB erteilte Nutzungsänderung im Hinblick auf die Bewahrung des Gebietscharakters befristet werden muss.
Dies führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sich die Antwort aus dem Gesetz ergibt. Nach dem durch Art. 6 Nr. 2 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) eingefügten § 246 Abs. 17 BauGB bezieht sich die Befristung bis zum 31. Dezember 2019 in § 246 Abs. 10 BauGB nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Zulassungsverfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Nach dieser als klarstellend beabsichtigten Vorschrift (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 56) verlangt der Gesetzgeber unter den Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB keine Befristung der jeweiligen Zulassungsentscheidung (so schon zuvor Battis/Mitschang/Reidt, NVwZ 2014, 1609 <1611>; Scheidler, BauR 2015, 1414 <1423>; zweifelnd VGH Mannheim, Beschluss vom 11. März 2015 - 8 S 492/15 - NVwZ-RR 2015, 637 Rn. 21). Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Sie zeigt auch keine Anhaltspunkte auf, dass die so bewirkte Einschränkung des Gebietserhaltungsanspruchs höherrangigem Recht widersprechen könnte.
II. Die Beschwerde legt eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dar.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Die Beschwerde macht eine Divergenz zu Aussagen aus dem Senatsurteil vom 2. Februar 2012 - 4 C 14.10 - (BVerwGE 142, 1 Rn. 17, 21) geltend. Diese Aussagen betreffen indes die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und nicht die Voraussetzungen einer Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB und sind damit nicht in Anwendung der vom Verwaltungsgerichtshof angewandten Rechtsvorschrift getroffen. Hiervon unabhängig hat der Verwaltungsgerichtshof - wie von der Beschwerde gefordert - angenommen, dass die Nutzung eines Gebäudes für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden mit dem Typus eines Gewerbegebietes nicht zu vereinbaren sei, so dass diese Nutzung dort weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig sei (UA S. 9, 15).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.