Entscheidungsdatum: 08.03.2013
Sparkassen-Rot
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 MarkenRL folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Art. 3 Abs. 1 und 3 MarkenRL einer Auslegung des nationalen Rechts entgegen, wonach bei einer abstrakten Farbmarke (hier: Rot HKS 13), die für Dienstleistungen des Finanzwesens beansprucht wird, eine Verbraucherbefragung einen bereinigten Zuordnungsgrad von mindestens 70 % ergeben muss, damit angenommen werden kann, dass die Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat?
2. Ist Art. 3 Abs. 3 S. 1 MarkenRL dahin auszulegen, dass es auch dann auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Marke - und nicht auf den Zeitpunkt ihrer Eintragung - ankommt, wenn der Markeninhaber im Rahmen der Verteidigung gegen einen Antrag auf Ungültigerklärung der Marke geltend macht, dass die Marke jedenfalls über drei Jahre nach der Anmeldung, aber noch vor der Eintragung infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt habe?
3. Für den Fall, dass es auch unter den oben genannten Voraussetzungen auf den Zeitpunkt der Anmeldung ankommt:
Ist die Marke bereits dann für ungültig zu erklären, wenn ungeklärt ist und nicht mehr geklärt werden kann, ob sie zum Zeitpunkt der Anmeldung infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat? Oder setzt die Ungültigerklärung voraus, dass durch den Nichtigkeitsantragsteller nachgewiesen wird, dass die Marke zum Zeitpunkt der Anmeldung keine Unterscheidungskraft infolge ihrer Benutzung erlangt hat?
In der Beschwerdesache
…
…
betreffend die Marke 302 11 120
hat der 33. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts durch den Vorsitzenden Richter Bender, die Richterin Grote-Bittner und den Richter am Amtsgericht Dr. Wache auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2013
beschlossen:
I.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken vom 22. Oktober 2008 (ABl. EU Nr. L 299 vom 8.11.2008, S. 25) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie einer Auslegung des nationalen Rechts entgegen, wonach bei einer abstrakten Farbmarke (hier: Rot HKS 13), die für Dienstleistungen des Finanzwesens beansprucht wird, eine Verbraucherbefragung einen bereinigten Zuordnungsgrad von mindestens 70 % ergeben muss, damit angenommen werden kann, dass die Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat?
2. Ist Art. 3 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie dahin auszulegen, dass es auch dann auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Marke - und nicht auf den Zeitpunkt ihrer Eintragung - ankommt, wenn der Markeninhaber im Rahmen der Verteidigung gegen einen Antrag auf Ungültigerklärung der Marke geltend macht, dass die Marke jedenfalls über drei Jahre nach der Anmeldung, aber noch vor der Eintragung infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt habe?
3. Für den Fall, dass es auch unter den oben genannten Voraussetzungen auf den Zeitpunkt der Anmeldung ankommt:
Ist die Marke bereits dann für ungültig zu erklären, wenn ungeklärt ist und nicht mehr geklärt werden kann, ob sie zum Zeitpunkt der Anmeldung infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat? Oder setzt die Ungültigerklärung voraus, dass durch den Nichtigkeitsantragsteller nachgewiesen wird, dass die Marke zum Zeitpunkt der Anmeldung keine Unterscheidungskraft infolge ihrer Benutzung erlangt hat?
II.
Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens zu 1. ausgesetzt.
I.
Gegenstand des beim Bundespatentgericht anhängigen Verfahrens ist ein Antrag auf Ungültigerklärung einer abstrakten (konturlosen) Farbmarke.
1. Wortlaut des anwendbaren nationalen Rechts:
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 des deutschen Markengesetzes (im Folgenden nur als „MarkenG“ bezeichnet) hat folgenden Wortlaut:
„Von der Eintragung ausgeschlossen sind Marken, denen für die Waren oder Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt.“
Damit ist Art. 3 Abs. 1 b) der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken vom 22. Oktober 2008 (im Folgenden nur als „die Richtlinie“ bezeichnet) in nationales Recht umgesetzt worden.
§ 8 Abs. 3 MarkenG hat folgenden Wortlaut:
„Absatz 2 Nr. 1 (…) findet keine Anwendung, wenn die Marke sich vor dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung infolge ihrer Benutzung für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt hat.“
Damit ist Art. 3 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden. Die „Verkehrsdurchsetzung“ entspricht der „Erlangung von Unterscheidungskraft durch Benutzung“.
§ 37 Abs. 2 MarkenG lautet wie folgt:
„Ergibt die Prüfung, dass die Marke zwar am Anmeldetag (§ 33 Abs. 1) nicht den Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 oder 3 entsprach, dass das Schutzhindernis aber nach dem Anmeldetag weggefallen ist, so kann die Anmeldung nicht zurückgewiesen werden, wenn der Anmelder sich damit einverstanden erklärt, dass ungeachtet des ursprünglichen Anmeldetages und einer etwa nach § 34 oder § 35 in Anspruch genommenen Priorität der Tag, an dem das Schutzhindernis weggefallen ist, als Anmeldetag gilt und für die Bestimmung des Zeitrangs im Sinne des § 6 Abs. 2 maßgeblich ist.“
„(1) Die Eintragung einer Marke wird auf Antrag wegen Nichtigkeit gelöscht, wenn sie entgegen § (…) 8 eingetragen worden ist.
(2) Ist die Marke entgegen (…) 8 Abs. 2 Nr. 1 (…) eingetragen worden, so kann die Eintragung nur gelöscht werden, wenn das Schutzhindernis auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Löschung besteht.“
Die in dieser Vorschrift vorgesehene Löschung der Marke wegen Nichtigkeit entspricht der Ungültigerklärung der Marke, wie sie in Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie vorgesehen ist.
2. Eintragung der verfahrensgegenständlichen Marke
Der Markeninhaber, der D… e.V., hat am 7. Februar 2002 eine konturlose Farbmarke
Rot (HKS 13)
für eine Reihe von Waren und Dienstleistungen als Kollektivmarke angemeldet.
Das Deutsche Patent- und Markenamt (im Folgenden: „DPMA“) hat mit Beschluss vom 4. September 2003 die Anmeldung zurückgewiesen, da die Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG gegeben seien. Der Markeninhaber hat Erinnerung eingelegt, ein demoskopisches Gutachten der Ipsos GmbH vom 24. Januar 2006 über eine Ende November und Anfang Dezember 2005 durchgeführte Verkehrsbefragung vorgelegt und die Anmeldung auf bestimmte Dienstleistungen der Klasse 36 beschränkt.
Das DPMA hat daraufhin mit Beschluss vom 28. Juni 2007 den angefochtenen Beschluss aufgehoben. Es hat ausgeführt, dass für die noch verbleibenden Dienstleistungen aufgrund des vorgelegten Gutachtens davon auszugehen sei, dass sich die Marke mit einem Grad von 67,9 % im Verkehr durchgesetzt habe (§ 8 Abs. 3 MarkenG).
Die Marke ist am 11. Juli 2007 für die Dienstleistungen der Klasse 36
Finanzwesen, nämlich Retail - Banking (Bankdienstleistungen für Privatkunden), insbesondere Kontoführung, Durchführung des Zahlungsverkehrs (Girogeschäft), Ausgabe von Debit- und Kreditkarten, Abwicklung von Geldgeschäften mit Debit- und Kreditkarten, Anlage- und Vermögensberatung, Beratung zu und Vermittlung von Geldanlagen, Wertpapiergeschäft, Depotgeschäft, allgemeine Geldberatung, Vermittlung von Versicherungen, Beratung zu und Vermittlung von Bausparverträgen, Kreditberatung, Kreditgeschäft, Kreditvermittlung
eingetragen worden.
3. Löschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt:
Am 19. Oktober 2009 haben die Löschungsantragstellerinnen in zwei separaten Anträgen die vollständige Löschung der Marke beantragt.
Sie haben geltend gemacht, die Marke habe nicht eingetragen werden dürfen. Die Farbe Rot sei im Bereich der Finanzdienstleistungen nicht unterscheidungskräftig, da sie von zahlreichen Anbietern verwendet werde. Die strengen Voraussetzungen, unter denen eine Farbe als Herkunftshinweis verstanden werden könne, seien nicht erfüllt.
Es bestehe ein erhebliches Bedürfnis, die Farbe Rot für alle Wettbewerber freizuhalten. Rot sei eine besonders ausdrucksstarke und werbewirksame Farbe, die deshalb in der Werbung sehr häufig - auch von anderen Anbietern in anderen Bereichen - eingesetzt werde. Es handle sich nach Blau um die beliebteste Farbe im Bankensektor. Werde die Farbe Rot der freien Verwendung durch alle Wettbewerber entzogen, so liege darin für die Sparkassen ein unzulässiger Wettbewerbsvorteil. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass Rot eine Grundfarbe sei, und dass den Anbietern nur eine beschränkte Auswahl an Farben zur Verfügung stehe.
Außerdem seien die Voraussetzungen der Verkehrsdurchsetzung nicht erfüllt gewesen. Da für die Farbe Rot ein besonders starkes Freihaltebedürfnis bestehe, sei eine Verkehrsdurchsetzung von 67,9 % keineswegs ausreichend. Vielmehr sei eine nahezu einhellige Durchsetzung erforderlich, wie sie vorliegend zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen sei. Aber auch von einem Durchsetzungsgrad von 67,9 % könne nicht ausgegangen werden; das Gutachten vom 24. Januar 2006 sei fehlerhaft.
Die Löschungsantragstellerinnen haben dem DPMA weitere Unterlagen zur Verkehrsdurchsetzung vorgelegt, namentlich mehrere demoskopische Gutachten und gutachterliche Stellungnahmen.
Der Markeninhaber ist dem Löschungsantrag entgegengetreten.
Er hat vorgebracht, dass die Farbe Rot (HKS 13) im Bereich des Retail - Banking unterscheidungskräftig sei. Es gebe eine Branchenübung, wonach die relevanten Wettbewerber farblich codiert auftreten. (Beispielsweise sei Grün der Dresdner Bank zuzuordnen, und Blau der Deutschen Bank.)
Zudem sei die Verkehrsdurchsetzung hinreichend nachgewiesen. Der nachgewiesene Durchsetzungsgrad reiche aus. Das der Eintragung der Marke zugrundeliegende Gutachten sei nicht fehlerhaft. Die Annahme der Verkehrsdurchsetzung werde auch dadurch gestützt, dass die Farbe Rot (HKS 13) von den Sparkassen bereits seit über 50 Jahren verwendet werde. Das rote Sparkassenbuch, das historische Kernprodukt der Sparkassen, werde seit 1940 in der Werbung immer wieder in roter Farbe abgebildet. Seit den 60er Jahren werde die Farbe Rot zur großflächigen Gestaltung von Werbeträgern verwendet. Für die auf die Farbe Rot abstellenden Werbemaßnahmen seien stets erhebliche finanzielle Aufwendungen eingesetzt worden. Auch im Verhältnis zum Werbeaufwand anderer Wettbewerber seien erhebliche Mittel für diese Werbemaßnahmen aufgewendet worden.
Der Markeninhaber hat gemeint, dass die Eintragung der Marke ein begünstigender Verwaltungsakt sei, der nur unter engen Voraussetzungen zurückgenommen werden könne. Diese engen Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Zur Verkehrsdurchsetzung hat der Markeninhaber ein weiteres Gutachten der IPSOS GmbH über eine im Juni 2011 durchgeführte Verkehrsbefragung vorgelegt.
Das DPMA hat die Verfahren über die beiden Löschungsanträge miteinander verbunden.
Mit Beschluss vom 24. April 2012 hat das DPMA die Löschungsanträge zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die angegriffene Marke zwar nicht unterscheidungskräftig sei. Die Verkehrsdurchsetzung sei jedoch durch das Gutachten und die übrigen vom Markeninhaber vorgelegten Unterlagen nachgewiesen. Die verwendete Fragestellung sei nicht zu beanstanden; der nachgewiesene Zuordnungsgrad sei als ausreichend anzusehen.
4. Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht:
Die Löschungsantragstellerinnen wenden sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des DPMA.
Sie stimmen der Markenabteilung zwar darin zu, dass die angegriffene Marke keine Unterscheidungskraft habe. Dagegen wiederholen und vertiefen sie ihre Auffassung, wonach die Verkehrsdurchsetzung nicht nachgewiesen sei. Das Gutachten vom 24. Januar 2006 leide an etlichen Mängeln. Außerdem sei eine Verkehrsdurchsetzung von weit über 50 % zu fordern, da es um einen besonders gängigen und werbewirksamen Farbton gehe.
Die Löschungsantragstellerinnen meinen, dass die Feststellungslast im Löschungsverfahren beim Markeninhaber liege. Das entspreche der europäischen Rechtsprechung und den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, da andernfalls die nach Art. 49 und 56 AEUV geschützte Niederlassungsfreiheit beeinträchtigt werde.
Sie legen ein weiteres demoskopisches Gutachten des IfD Allensbach über eine im März 2012 durchgeführte Verkehrsbefragung über die Bekanntheit der Farbe Rot im Zusammenhang mit Geldinstituten vor.
Die Löschungsantragstellerinnen beantragen,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 24. April 2012 mit dem Aktenzeichen 302 11 120.4/36 - S 270/09 Lösch aufzuheben und die Löschung der deutschen Marke 302 11 120 „Farbmarke Rot (HKS 13)“ anzuordnen.
Der Markeninhaber beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er führt aus, dass die Feststellungslast bei den Löschungsantragstellerinnen liege; ihn selbst treffe auch keine sekundäre Darlegungslast.
Die von den Löschungsantragstellerinnen vorgelegten Gutachten des IfD Allensbach seien ungeeignet und mit demoskopischen Minimalstandards nicht vereinbar. Bereits das Fehlen einer erläuternden Einleitung verunsichere die Befragten. Die gestellten Fragen seien nicht geeignet, die Voraussetzungen der Verkehrsdurchsetzung zu klären.
Dem von den Löschungsantragstellerinnen beantragten Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH tritt der Markeninhaber entgegen. Die Feststellungslast gehöre zum nationalen Verfahrensrecht, das nicht harmonisiert sei; außerdem seien die von den Löschungsantragstellerinnen genannten Vorlagefragen nicht entscheidungserheblich.
II.
Die Entscheidung der Sache hängt von der Beantwortung der oben im Entscheidungstenor formulierten gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsfragen ab (EuGH vom 21.2.2013, C-561/11 (Nr. 26 und 27) - FCI, noch nicht in der Sammlung).
1. Markenfähigkeit:
Bei der angegriffenen Marke handelt es sich um eine abstrakte Farbmarke; geschützt wird also eine Farbe als solche ohne räumliche Begrenzung. Eine solche Marke kann im Sinne des Art. 2 der Richtlinie grundsätzlich abstrakt unterscheidungskräftig sein, wenn sie nach einem international anerkannten Kennzeichnungscode bezeichnet ist (EuGH Slg. 2003, I-3793 - Libertel). Das trifft hier zu, weil die Farbe nach dem anerkannten HKS-Farbfächer mit dem Farbton „HKS 13“ (entspricht RAL 3020 „Verkehrsrot“) ausreichend bezeichnet ist.
2. Originäre Unterscheidungskraft:
Eine abstrakte Farbmarke ist nur unter außergewöhnlichen Umständen originär unterscheidungskräftig, namentlich dann, wenn die Zahl der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet wird, sehr beschränkt und der maßgebliche Markt sehr spezifisch sind (EuGH a. a. O. (Nr. 66) - Libertel). Das trifft hier nicht zu. Auf dem Markt für Finanzdienstleistungen, die gegenüber Privatkunden erbracht werden, sind zahlreiche Banken tätig. Die wichtigsten Farben (namentlich Rot, Blau und Gelb) werden jeweils von mehreren Banken verwendet, auch von solchen Banken, die wirtschaftlich nicht miteinander verbunden sind. Ob die Behauptung des Markeninhabers zutrifft, wonach nur einige wenige Banken besonders bekannt sind und vom angesprochenen Publikum an ihren Farben erkannt werden, ist eine Frage, die die Erlangung von Unterscheidungskraft durch Benutzung betrifft. Die originäre Unterscheidungskraft der Marke kann mit dieser Erwägung nicht bejaht werden.
3. Unterscheidungskraft durch Benutzung:
Es kommt deshalb darauf an, ob die angegriffene Marke durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat.
a) Allgemeine Grundsätze zur Ermittlung des Durchsetzungsgrades:
Ob eine Marke durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, ist aufgrund einer Gesamtschau der Gesichtspunkte zu beantworten, die zeigen können, dass die Marke über die Eignung verfügt, die fraglichen Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Dienstleistung damit von den Leistungen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Neben dem von der Marke gehaltenen Marktanteil, der Intensität, Dauer und Verbreitung der Benutzung und dem einschlägigen Werbeaufwand können auch die Ergebnisse von Verkehrsbefragungen berücksichtigt werden (vgl. EuGH Slg. 1999, I-2779 (Nr. 49 ff.) - Chiemsee).
Nach deutscher Rechtsprechung ist in der Regel eine Verbraucherbefragung erforderlich. Ohne eine solche kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden, dass die Marke durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt habe. Insbesondere bei Farbmarken, die ihrer Natur nach stets nur zusammen mit anderen Kennzeichen benutzt werden, wird eine Verbraucherbefragung für erforderlich gehalten.
Eine Verbraucherbefragung ist nach den in der deutschen Rechtsprechung und Literatur anerkannten Grundsätzen (Pflüger GRUR 2004, 652, 654 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Auflage § 8 Rn. 350; Ströbele in Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Auflage § 8 Rn. 547 ff.) in drei Stufen aufzubauen: Erstens wird gefragt, ob das Zeichen den befragten Personen bekannt ist. Zweitens werden diejenigen Personen, die das Zeichen kennen, weiter gefragt, ob das Zeichen als Hinweis auf die Herkunft einer Ware oder Dienstleistung von irgendeinem bestimmten Unternehmen verstanden wird oder nicht. Um welches Unternehmen es sich handelt, wird an dieser Stelle noch nicht gefragt. Schließlich wird an diejenigen Personen, die das Zeichen als betrieblichen Herkunftshinweis verstehen, eine dritte Frage gerichtet: Es wird gefragt, wie das Unternehmen heißt, auf welches das Zeichen hinweist.
Die Antwort auf die erste Frage ergibt den sogenannten Bekanntheitsgrad des Zeichens. Die Antwort auf die zweite Frage ergibt den Kennzeichnungsgrad; und mit der dritten Frage wird der Zuordnungsgrad ermittelt.
Für die Frage, ob das Zeichen durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, ist der Kennzeichnungsgrad maßgeblich. Von dem ermittelten Kennzeichnungsgrad werden aber diejenigen Personen abgezogen, die auf die dritte Frage das Zeichen einem konkreten dritten Unternehmen zugeordnet haben, das zu dem Anmelder bzw. Markeninhaber nicht in Verbindung steht (sogenannte Fehlzuordnungen). Aus dieser Korrektur ergibt sich der bereinigte Zuordnungsgrad (im Folgenden auch als „Durchsetzungsgrad“ bezeichnet), der nach der in Deutschland herrschenden Auffassung für die Anwendung des § 8 Abs. 3 MarkenG maßgeblich ist.
b) Im vorliegenden Fall erforderlicher Durchsetzungsgrad:
Im vorliegenden Fall liegen Besonderheiten vor, die dafür sprechen, für die Annahme einer durch Benutzung erlangten Unterscheidungskraft einen überragenden Durchsetzungsgrad von deutlich mehr als zwei Dritteln, somit von über 70 % zu fordern.
aa) Geringe Eignung eines Farbtons als Herkunftshinweis im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen:
Die Anforderungen an den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung sind umso höher, je weniger sich das betreffende Zeichen nach seinem spezifischen Charakter als Herkunftshinweis eignet (EuGH a. a. O. (Nr. 50) - Chiemsee; BGH GRUR 2010, 138 (Nr. 41) - Rocher).
Vorliegend könnte zu berücksichtigen sein, dass die verfahrensgegenständliche konturlose Farbmarke im Bereich der hier relevanten Finanzdienstleistungen besonders schwer als Herkunftshinweis durchzusetzen ist. Eine (konturlose) Farbe wird am ehesten dort als Herkunftshinweis verstanden werden, wo der Verbraucher keine Wortzeichen benötigt, um zwischen verschiedenen Angeboten zu wählen. Das trifft beispielsweise auf Waren zu, die an ihrer Form und ihrem Aussehen erkannt werden können und deren Kauf keine genaueren Informationen über ihre Eigenschaften voraussetzt. Der Verbraucher kann eine solche Ware unter Umständen aufgrund der Farbe auswählen und kaufen, ohne den auf die Ware oder auf die Verpackung aufgedruckten Text lesen zu müssen. Dasselbe ist auch bei Dienstleistungen möglich, wenn sie mit der Verwendung bestimmter, ohne Schriftzeichen erkennbarer Gegenstände verbunden sind.
Dagegen liegt die Annahme eher fern, dass eine konturlose Farbmarke für Dienstleistungen des Finanzwesens als Herkunftshinweis verstanden wird.
Einmal sind solche Dienstleistungen in der Regel nicht mit der Verwendung bestimmter Gegenstände verbunden, die für den Verbraucher erkennbar sind und ihn auf die Art der angebotenen Dienstleistung hinweisen. Außerdem sind Finanzdienstleistungen in der Regel komplex gestaltet und werden deshalb zusammen mit ausführlichen, mündlichen oder schriftlichen Informationen angeboten. Wer Geld anlegen oder ein Darlehen aufnehmen will, wer einen Bausparvertrag oder eine Versicherung abschließen will, wird grundsätzlich kein Angebot annehmen, ohne sich über nähere Einzelheiten zu informieren. In diesem Bereich wird der Verbraucher also in der Regel keine Auswahlentscheidung allein aufgrund einer Farbe treffen. Vielmehr ist er auf ausführliche schriftliche oder mündliche Informationen angewiesen. Deshalb liegt die Annahme nahe, dass das Publikum in diesem Bereich vor allem auf schriftliche Informationen achtet und eine konturlose Farbe nicht als Herkunftshinweis versteht, sondern als Gestaltungsmittel, wie es von jedem Anbieter verwendet werden kann.
bb) Geringe Eignung des in Frage stehenden Farbtons als Herkunftshinweis:
Bei dem Farbton HKS 13
handelt es sich nicht um eine außergewöhnliche und seltene Farbe, die geeignet wäre, dem Publikum besonders aufzufallen und aus diesem Grund als Herkunftshinweis verstanden zu werden. Vielmehr ist es weithin und in vielen Waren- und Dienstleistungsbereichen üblich, diesen Farbton und verwechselbar ähnliche rote Farbtöne in der Werbung zu verwenden. In Deutschland geschieht das beispielsweise in erheblichem Umfang durch große und bekannte Anbieter wie die Deutsche Bahn, die Bildzeitung, Coca-Cola, Marlboro, Mac Donald’s, Vodafone, Mitsubishi und E.ON edis. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass das Publikum daran gewöhnt ist, den Farbton als reines Gestaltungsmittel wahrzunehmen, und dass deshalb der Erlangung von Unterscheidungskraft durch Benutzung besondere Schwierigkeiten entgegenstehen. Es kommt nicht darauf an, dass die dargestellten Beispiele aus anderen Waren- und Dienstleistungsbereichen stammen; denn auch die Kennzeichnungsgewohnheiten aus anderen Bereichen können die Vorstellung des Publikums beeinflussen und eine Gewöhnung an Farben als Gestaltungsmittel bewirken.
cc) Besondere Bedeutung der Ergebnisse von Verbraucherbefragungen:
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist zwar - neben dem Durchsetzungsgrad als Ergebnis der Verbraucherbefragung - zu berücksichtigen, dass die mit dem Markeninhaber verbundenen Sparkassen über einen erheblichen Marktanteil verfügen und bereits seit mehreren Jahrzehnten mit erheblichem Aufwand Werbung treiben, wobei sie ganz überwiegend den hier relevanten Rotton HKS 13 verwendet haben und weiter verwenden. Die für diese Werbung verwendeten Geldbeträge haben nach dem Vortrag des Markeninhabers auch im Verhältnis zu dem Werbeaufwand anderer Unternehmen ein erhebliches Ausmaß erreicht.
Diese Umstände können jedoch deshalb unerheblich sein, weil sich dieser Aufwand auf Werbemaßnahmen bezieht, in denen der Farbton Rot (HKS 13) nicht allein, sondern ganz überwiegend, wenn nicht immer zusammen mit dem Schriftzug „Sparkasse“ oder mit dem „Sparkassen-S“ verwendet worden ist, also in Kombination mit einem anderen, auf die Sparkassen hinweisenden Zeichen. Der für solche Werbemaßnahmen betriebene Aufwand sagt nichts darüber aus, ob es den Sparkassen gelungen ist, den Farbton Rot (HKS 13) auch für sich allein, also ohne die Kombination mit anderen Zeichen, als Marke für ihre Dienstleistungen durchzusetzen. Deshalb können hier die Ergebnisse der von den Beteiligten vorgelegten Verbraucherbefragungen von entscheidender Bedeutung sein, da sich diese Befragungen allein auf den Farbton (HKS 13) beziehen, und nicht auf die Kombination des Farbtons mit einem anderen Zeichen.
dd) Bedenken, die sich aus den vorgelegten Verbraucherbefragungen ergeben:
Der Markeninhaber hat zwar insgesamt vier Verbraucherbefragungen (zwei Befragungen der Ipsos GmbH und zwei Befragungen der Pflüger Rechtsforschung) vorgelegt, aus denen sich jeweils ein Durchsetzungsgrad von über 60 % ergibt. Dagegen haben die Löschungsantragstellerinnen zwei Verbraucherbefragungen des Instituts für Demoskopie Allensbach vorgelegt, von denen eine einen Durchsetzungsgrad von 47 % ergibt, und die andere einen Durchsetzungsgrad von nur 1 %. Die Unterschiede sind durch die unterschiedliche Formulierung der Fragen begründet, was (unter starker Verkürzung der Befragungen und der von den Beteiligten hierzu vorgebrachten Argumente) wie folgt zusammengefasst werden kann:
- In den vom Markeninhaber vorgelegten Befragungen ist danach gefragt worden, ob der Farbton Rot (HKS 13) als „Hinweis“ entweder auf ein bestimmtes Geldinstitut oder auf die Gesamtheit der von einem Geldinstitut üblicherweise angebotenen Dienstleistungen verstanden wird. Dabei hat sich ein Durchsetzungsgrad von mehr als 60 % ergeben.
- In einer von den Löschungsantragstellerinnen vorgelegten Befragung ist gefragt worden, ob Dienstleistungsangebote eines Geldinstituts, die in dem Farbton Rot (HKS 13) gestaltet sind, von einem bestimmten Anbieter „stammen“. Dabei hat sich ein Durchsetzungsgrad von 47 % ergeben.
- In einer von den Löschungsantragstellerinnen vorgelegten Befragung ist nicht allgemein nach den Dienstleistungen eines Geldinstituts, sondern konkret nach Verbraucherkrediten gefragt worden. Dabei hat sich ein Durchsetzungsgrad von 1 % ergeben.
Die beiden zuletzt genannten Gutachten sind - entgegen der Auffassung des Markeninhabers - in ihrer Methodik und Fragestellung im Wesentlichen nicht zu beanstanden. Wenn sich bei der Frage nach einem „Hinweis“ auf einen bestimmten Anbieter und bei der Frage, ob die Dienstleistungen von einem bestimmten Anbieter „stammen“, sehr unterschiedliche Werte ergeben haben, so ist das auf den Umstand zurückzuführen, dass ein „Hinweis“ auch ein vages, für sich genommen nicht verlässliches Indiz sein kann. Die Befragten, die den Farbton für einen „Hinweis“ auf einen bestimmten Anbieter gehalten haben, können damit gemeint haben, dass angesichts der Farbe eine gewisse Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass das Angebot einem bestimmten Unternehmen zuzuordnen ist. Dagegen werden die Befragten, für die Angebote in dem Farbton von einem bestimmten Anbieter „stammen“, den Farbton als sicheren und verlässlichen Herkunftshinweis verstanden haben. Die zuerst genannte Möglichkeit würde nicht ausreichen, um der Marke eine durch Benutzung erlangte Unterscheidungskraft zuzusprechen; denn eine Marke soll dem Verbraucher „sofort und mit Gewissheit“ den Schluss auf die Herkunft der Ware oder Dienstleistung von einem bestimmten Anbieter gestatten (vgl. EuGH, Urteil vom 6.9.2012, C-96/11 (Nr. 40) - Schokoladenmaus).
Es dürfte nicht möglich sein, diese Fragen durch eine weitere Verbraucherbefragung aufzuklären; denn eine solche Befragung darf nicht mit zu vielen Fragen und Nachfragen überladen werden. Vielmehr müssen die bereits vorliegenden Befragungen ausgewertet werden. Alle oben genannten Verbraucherbefragungen haben eine gewisse Aussagekraft. In ihrer Gesamtheit sind sie dahingehend zu bewerten, dass zwar über 60 % der Verbraucher den Farbton als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen verstehen, dass jedoch Zweifel daran, ob damit ein sicherer und verlässlicher Hinweis oder nur ein mehr oder weniger vages Indiz gemeint ist, nicht ausgeräumt werden können.
Außerdem bleiben Zweifel daran, ob die Mehrheit der Verbraucher den Farbton als Hinweis auf die Herkunft konkreter Dienstleistungen von einem bestimmten Unternehmen versteht, oder ob sie den Farbton nur als Hinweis auf ein Unternehmen (und damit notwendigerweise auch auf das von solchen Unternehmen üblicherweise angebotene „Dienstleistungsbündel“) wahrnimmt. Im zuletzt genannten Fall wäre der Farbton möglicherweise ein Unternehmenskennzeichen. Dagegen wäre er wohl keine Marke, weil es die Funktion einer Marke ist, auf die Herkunft konkreter einzelner Dienstleistungen hinzuweisen. Auch bei diesen Zweifeln ist nicht ersichtlich, wie sie durch eine erneute, anders formulierte Verbraucherbefragung geklärt werden können.
Ein Durchsetzungsgrad von über 60 % könnte nicht ausreichen, um ein ausreichendes Gegengewicht zu den dargestellten Zweifeln zu bilden; auch deshalb könnte ein wesentlich höherer Durchsetzungsgrad zu fordern sein.
ee) Vergleich mit dem sonst auf dem konkreten Markt erreichbaren Durchsetzungsgrad:
Der zu fordernde Durchsetzungsgrad könnte davon abhängen, was sonst auf dem in Frage stehenden Markt möglich und von anderen Marken erreicht worden ist. Auf dem Markt für Privatkunden-Bankdienstleistungen werden die Anbieter üblicherweise an ihrem Namen oder an bestimmten, häufig verwendeten Bildzeichen erkannt. Solche Bildzeichen sind beispielsweise
für die Sparkassen das „Sparkassen-S“:
für die Volksbanken ein stilisiertes „V“:
für die Deutsche Bank ein Schrägstrich im Quadrat:
für die Commerzbank das „gelbe Band“:
für die Santander Consumer Bank ein Flammensymbol:
Der Markt wird von wenigen großen Anbietern geprägt, auch wenn es daneben viele kleinere Wettbewerber gibt. Die Dienstleistungen sind für die gesamte Bevölkerung von großer praktischer Bedeutung, und für sie wird umfassend und intensiv geworben. Die oben dargestellten Bildzeichen haben deshalb einen sehr hohen Bekanntheitsgrad und dürften nahezu der gesamten deutschen Bevölkerung als Herkunftshinweise bekannt sein. Soll ein Farbton - trotz der soeben dargestellten Hindernisse - gleichrangig neben diesen Bildzeichen als Herkunftshinweis etabliert werden, dann kann erwartet werden, dass er einen damit vergleichbaren Durchsetzungsgrad erreicht.
ff) Zusammenfassung:
Es bedarf besonders aussagekräftiger Nachweise, um die angedeuteten Schwierigkeiten zu überwinden und den Schluss zu gestatten, dass sich die verfahrensgegenständliche konturlose Farbmarke als Hinweis auf die Herkunft von Finanzdienstleistungen bei den Verbrauchern durchgesetzt hat. Ein Durchsetzungsgrad von über 50 % wird unter diesen Umständen nicht ausreichen. Stattdessen wird eine überragende, den Wert von zwei Dritteln noch deutlich übersteigende Durchsetzung erforderlich sein, also eine Durchsetzung zu mindestens 70 %.
Diese Frage betrifft nicht nur eine Beweisregel, die dem nationalen Recht vorbehalten bleibt. Der Gerichtshof hat zwar ausgesprochen, dass das Vorliegen von Unterscheidungskraft nach Maßgabe des nationalen Rechts durch eine Verbraucherbefragung geklärt werden könne (EuGH a. a. O. (Nr. 53) - Chiemsee). Die hier gestellte Frage betrifft jedoch nicht nur die Art und Weise, wie eine Verbraucherbefragung einzuholen und zu würdigen ist. Vielmehr kann ein einheitlicher Standard für die Ungültigerklärung von Marken nur dann gewährleistet werden, wenn die Frage im Anwendungsbereich der Richtlinie einheitlich beantwortet wird.
In der Sache gibt es zu der Frage, welcher Durchsetzungsgrad vorliegen muss, damit eine konturlose Farbmarke als unterscheidungskräftig angesehen werden kann, keine gefestigte Rechtsprechung.
Der Gerichtshof hat ausgesprochen, dass es nicht nur auf generelle und abstrakte Angaben, wie bestimmte Prozentsätze ankomme (EuGH a. a. O. (Nr. 52) - Chiemsee). Danach kann es möglicherweise zwar nicht nur, aber auch - neben den anderen Kriterien - auf bestimmte, im Einzelfall zu bestimmende Prozentsätze ankommen.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird es nicht zulässig sein, die Höhe des Prozentsatzes nach dem Grad des Freihaltebedürfnisses zu bestimmen, also für besonders freihaltebedürftige Zeichen einen hohen Prozentsatz zu fordern und für weniger freihaltebedürftige Zeichen einen geringen Prozentsatz ausreichen zu lassen (EuGH a. a. O. (Nr. 44 bis 48) - Chiemsee). Daher wird es nicht darauf ankommen, ob Rot für die Wettbewerber in dem relevanten Markt eine „besonders wichtige“ und deshalb besonders freihaltebedürftige Farbe ist. Umgekehrt kann nicht deshalb ein besonders geringer Durchsetzungsgrad ausreichen, weil die Marke im Verletzungsprozess nur einen geringen Schutzumfang habe.
Dagegen kann es möglich und geboten sein, die Höhe des geforderten Prozentsatzes von tatsächlichen Besonderheiten des Zeichens und der geschützten Dienstleistungen abhängig zu machen, wie sie nach Auffassung des Senats hier vorliegen (oben II. 3. b)). Zur Höhe solcher Prozentsätze und zu der Frage, welche Argumente in diesem Zusammenhang maßgeblich sein können, hat sich der Gerichtshof - soweit ersichtlich - noch nicht geäußert.
4. Maßgeblicher Zeitpunkt:
Die Entscheidung über den Löschungsantrag hängt weiter davon ab, ob das Zeichen zum Zeitpunkt seiner Anmeldung Unterscheidungskraft durch Benutzung erlangt haben muss, oder ob es auf den Zeitpunkt ihrer Eintragung ankommt.
a) Nationale deutsche Regelung:
Nach der nationalen deutschen Regelung ist die Eintragung der Marke zu löschen,
- wenn die Marke vor dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung keine Unterscheidungskraft durch Benutzung erlangt hat (§§ 8, 50 Abs. 1 MarkenG);
- und wenn sie im Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag keine Unterscheidungskraft durch Benutzung erlangt hat (§ 50 Abs. 2 S. 1 MarkenG).
Das zuerst genannte Erfordernis entspricht der Regelung in Art. 3 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie. Die deutsche gesetzliche Regelung ist dahin auszulegen, dass Deutschland von der Befugnis des Art. 3 Abs. 3 S. 2 der Richtlinie, wonach eine erst nach der Anmeldung oder Eintragung erworbene Unterscheidungskraft ausreichen kann, keinen Gebrauch gemacht hat.
Der Wortlaut des § 8 Abs. 3 MarkenG spricht zwar dafür, dass es nach deutschem Recht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung ankommt, dass also eine erst nach der Anmeldung, aber noch vor der Eintragung erworbene Unterscheidungskraft ausreicht. Die Vorschrift ist jedoch im Zusammenhang mit § 37 Abs. 2 MarkenG zu verstehen. § 37 Abs. 2 MarkenG setzt voraus, dass eine angemeldete Marke nur dann eingetragen werden kann, wenn sie zum Zeitpunkt der Anmeldung unterscheidungskräftig gewesen ist. Für den Fall, dass die Marke erst nach der Anmeldung Unterscheidungskraft erworben hat, sieht § 37 Abs. 2 MarkenG ausdrücklich eine Verschiebung des Zeitrangs vor, die das Einverständnis des Anmelders voraussetzt. Die Verschiebung des Zeitrangs entspricht im Ergebnis einer Zurücknahme der Anmeldung und einer erneuten, späteren Anmeldung der Marke. Soll die Marke mit dem Zeitrang des Anmeldetages eingetragen werden, so muss sie also am Anmeldetag unterscheidungskräftig gewesen sein (Ströbele a. a. O. § 8 Rn. 534). Insgesamt ist die deutsche Gesetzeslage deshalb dahin auszulegen, dass die Marke dem Art. 3 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie entsprechend bis zur Anmeldung Unterscheidungskraft erworben haben muss. Das gilt für das Anmeldeverfahren ebenso wie für das Löschungsverfahren, da es keinen Grund für eine unterschiedliche Behandlung gibt.
Die deutsche Regelung bedarf der richtlinienkonformen Auslegung.
Ist der Zeitpunkt der Eintragung (hier: Juli 2007) maßgeblich, so ist festzustellen, dass der wohl erforderliche Durchsetzungsgrad von 70 % (oben II. 3 b)) nicht erreicht worden ist. Das dürfte sich aus den vorgelegten Gutachten sicher ergeben. Diese Gutachten sind nach vorläufiger Bewertung des Senats nicht so fehlerhaft, dass sie gar nicht geeignet wären, Aussagen über den Durchsetzungsgrad des in Frage stehenden Zeichens zu stützen.
Kommt es dagegen auf den Zeitpunkt der Anmeldung (hier: Februar 2002) an, so ist weiter zu prüfen, ob aus den vorgelegten Gutachten Rückschlüsse auf den Anmeldezeitpunkt gezogen werden können. Ein solcher Rückschluss soll zwar grundsätzlich möglich sein. Er ist hier aber problematisch, weil von der Anmeldung der Marke bis zur ersten Verkehrsbefragung rund dreieinhalb Jahre vergangen sind. In diesem Zeitraum könnten sich erhebliche Veränderungen vollzogen haben. Insbesondere könnten infolge der Liberalisierung des Bankwesens weitere Geldinstitute in den deutschen Markt eingetreten sein und denselben Farbton oder ähnliche Farbtöne verwendet haben. Die Wahrnehmung des Zeichens durch das Publikum könnte sich deshalb verändert haben; die Bekanntheit und Verkehrsgeltung des Zeichens könnten geschwächt worden sein. Aus diesem Grund kann möglicherweise aus dem Umstand, dass der erforderliche Durchsetzungsgrad im November 2005 und danach nicht erreicht worden ist, nicht geschlossen werden, dass ihn die Marke auch zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung nicht erreicht hat.
b) Gemeinschaftsrecht:
Für das Nichtigkeitsverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (Gemeinschaftsmarkenverordnung) hat der Gerichtshof entschieden, dass es nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung ankommt. Vielmehr ist maßgeblich, ob zum Zeitpunkt der Anmeldung Eintragungshindernisse vorgelegen haben (EuGH vom 5.10.2004, C-192/03 P, Slg. 2004 I-08993 (Nr. 40) - BSS; EuGH vom 23.4.2010, C-332/09; Slg. 2010 I-00049 (Nr. 41 ff.) - FLUGBÖRSE).
Das könnte auf die Markenrichtlinie zu übertragen sein. Sind am Anmeldetag die Eintragungsvoraussetzungen erfüllt, dann verdient der Anmelder Schutz und darf nicht dadurch benachteiligt werden, dass diese Voraussetzungen im Lauf des Anmeldeverfahrens entfallen. Sind die Eintragungsvoraussetzungen dagegen am Anmeldetag nicht gegeben, und treten sie erst später ein, so darf der Anmelder nicht dadurch begünstigt werden, dass die Marke mit der Priorität des Anmeldetages eingetragen wird, obwohl die Voraussetzungen zu jenem Zeitpunkt nicht vorgelegen haben. In einem solchen Fall kann er seine Anmeldung zurücknehmen und die Marke erneut anmelden. Nach deutschem Recht kann er von der Möglichkeit der Zeitrangverschiebung nach § 37 Abs. 2 MarkenG Gebrauch machen; die Rechtsfolgen entsprechen denjenigen einer Rücknahme des Eintragungsantrages in Verbindung mit einer neuen Anmeldung.
5. Feststellungslast:
Die Entscheidung hängt weiter davon ab, wie zu entscheiden ist, wenn bestimmte, entscheidungserhebliche Tatsachen nicht mehr geklärt werden können (Feststellungslast).
a) Entscheidungserheblichkeit:
Kommt es auf den Zeitpunkt der Markenanmeldung an, so dürfte der Sachverhalt ungeklärt und eine Aufklärung nicht mehr möglich sein. In diesem Fall ist über die Feststellungslast zu entscheiden.
Ist dagegen der Zeitpunkt der Eintragung der Marke maßgeblich, dann dürfte durch die vorgelegten Gutachten geklärt sein, welchen Grad an Verkehrsdurchsetzung die Marke erreicht hat. In diesem Fall ist, wenn ein Durchsetzungsgrad von mindestens 70 % zu fordern ist, der Beschwerde stattzugeben und die Löschung der Marke anzuordnen. Denn es dürfte feststehen, dass dieser Durchsetzungsgrad nicht erreicht worden ist. Reicht dagegen ein Durchsetzungsgrad von unter 70 % aus, dann dürfte der Löschungsantrag unbegründet sein.
b) Gemeinschaftsrecht:
Die Frage nach der Feststellungslast ist durch Auslegung der Richtlinie in Verbindung mit dem primären Gemeinschaftsrecht zu beantworten, wie sie dem Gerichtshof im Rahmen seiner Kompetenz nach Art. 267 AEUV zusteht.
Bestimmungen über die Art und Weise der Feststellung der Verwechslungsgefahr, insbesondere über die Beweislast, sollen zwar Sache nationaler Verfahrensregeln sein, die von der Richtlinie nicht berührt werden sollten (so Erwägungsgrund 11 Satz 5 der Richtlinie). Daraus kann jedoch nicht allgemein geschlossen werden, dass die Regelung der Beweislast den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt. Vielmehr ist die genannte Begründungserwägung einschränkend auszulegen.
Beweislastregeln gehören dann zum nicht von der Richtlinie geregelten Verfahrensrecht, wenn sie nur die Art und Weise der Beweisführung betreffen. Das Verfahrensrecht kann Bestimmungen darüber enthalten, welche Partei die Beweismittel zu bezeichnen hat, welche Beweismittel in Betracht kommen, wie genau diese bezeichnet werden müssen und ob das Gericht dafür eine Frist setzen kann, nach deren Ablauf keine weiteren Beweisangebote berücksichtigt werden. Ebenso kann geregelt werden, ob sich eine Partei vor Gericht äußern muss, und welche Folgen ihr Schweigen hat. Das sind Regeln über die Art und Weise des Verfahrens, wie sie nicht von der Richtlinie vorgegeben werden.
Davon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, welche Partei die Verantwortung dafür trägt, dass ein bestimmter, materiellrechtlich relevanter Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann. Diese Frage geht über die Art und Weise des Verfahrens hinaus; sie ist aus dem Sinn und Zweck und aus dem Zusammenhang des materiellen Rechts (also hier der Richtlinie) zu beantworten. Somit steht sie in einem engen, untrennbaren Zusammenhang mit dem materiellen Recht. Aus diesem Grund wird die Beweislast im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht überwiegend als Frage des materiellen Rechts qualifiziert (Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Auflage Rn. 2340; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Auflage S. 1058 f.; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Auflage § 9 Rn. 62). Das ist nicht nur im deutschen Internationalen Privatrecht, sondern im Recht der meisten Länder, beispielsweise Frankreichs und Spaniens, anerkannt (Nagel/Gottwald a. a. O. § 9 Rn. 62 ff.). Ebenso vertritt die herrschende Meinung für das UN-Kaufrecht, dass es - zumindest implizit - auch Fragen der Beweislast regle, diese also nicht dem nationalen Verfahrensrecht überlasse (Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, UN-Kaufrecht, 5. Auflage CISG Art. 4 Rn. 49 m. w. N.).
Vorliegend bestimmt die Regelung der Feststellungslast mit über die Reichweite des einer Marke gewährten Schutzes und ist deshalb - dem Sinn der Richtlinie entsprechend - in allen Mitgliedstaaten einheitlich zu gestalten. Erwägungsgrund 11 Satz 5 der Richtlinie ist einschränkend dahin zu verstehen, dass es sich bei einer solchen Regelung nicht um eine den Mitgliedstaaten vorbehaltene „Bestimmung über die Art und Weise“ der Feststellung der in Frage stehenden normativen Voraussetzungen handelt.
Dem entspricht es, dass der Gerichtshof die Frage nach der Beweislast bereits als zulässigen Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens erkannt hat, weil nur so ein einheitlicher Schutz in den Mitgliedstaaten gewährleistet werden könne (EuGH vom 8.4.2003, C-244/00 (Nr. 31 ff.) , Slg. 2003, I-3078 - Van Doren; EuGH vom 18.10.2005, C-405/03 (Nr. 73), Slg. 2005, I-8761 - Class International/Colgate-Palmolive).
Zudem ergibt sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs auch aus primärem Gemeinschaftsrecht. Wird die Feststellungslast in Fällen wie dem vorliegenden dem Löschungsantragsteller auferlegt, so führt dies zu einer rechtserheblichen Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56, 57 AEUV; vgl. zur Warenverkehrsfreiheit EuGH vom 8.4.2003, C-244/00 (Nr. 37 f.), a. a. O. - van Doren; ausführlich Generalanwältin Stix-Hackl, Schlussantrag vom 18.6.2002 zu C-244/00 (Nr. 76 ff.), Slg. 2003, I-3053 - van Doren). Wenn auch zu Unrecht eingetragene Marken den registerrechtlichen Schutz behalten, weil die Voraussetzungen der Unrechtmäßigkeit von dem Löschungsantragsteller nachzuweisen sind und wegen Zeitablaufs nicht mehr nachgewiesen werden können, dann könnte damit ein Hindernis für den Marktzugang errichtet werden.
In der Sache hat der Gerichtshof zur Gemeinschaftsmarkenverordnung entschieden, dass eine angemeldete Marke erst dann eingetragen werden kann, wenn der Nachweis erbracht ist, dass sie durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat (EuGH vom 22.6.2006, C-25/05 (Nr. 86) - Wicklerform, Slg. 2006, I-05719; EuGH vom 24.5.2012, C-98/11 (Nr. 60) - Schokoladenhase). Auch im Nichtigkeitsverfahren nach Art. 52 der Gemeinschaftsmarkenverordnung ist es Sache des Markeninhabers, geeignete und hinreichende Beweismittel zum Nachweis dafür vorzulegen, dass die Marke Unterscheidungskraft durch Benutzung erlangt hat (EuG vom 9.3.2011, T 190/09 (Nr. 46), Slg. 2011, II-00044 - 5 HTP).
Auch diese Rechtsprechung könnte auf die Markenrichtlinie zu übertragen sein. Nach Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie sind die Nichteintragung einer Marke und die Ungültigerklärung einer eingetragenen Marke von denselben Voraussetzungen abhängig. Daher ist es konsequent, die Feststellungslast sowohl im Eintragungsverfahren als auch im Löschungsverfahren denselben Regeln zu unterwerfen. Beruft sich der Anmelder im Eintragungsverfahren oder der Markeninhaber im Löschungsverfahren darauf, dass seine originär nicht unterscheidungskräftige Marke durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt habe, dann ist es angemessen, ihm dafür die Feststellungslast aufzuerlegen. Im Löschungsverfahren wird er dadurch auch unter Berücksichtigung der seit der Eintragung verstrichenen Zeit nicht unangemessen benachteiligt. Hat er bereits im Eintragungsverfahren ausreichende Beweismittel vorgelegt, so werden diese im Regelfall auch im Löschungsverfahren als Nachweis ausreichen. Hat er im Eintragungsverfahren keine ausreichenden Nachweise vorgelegt, und ist die Marke dennoch eingetragen worden, so fällt das in den Verantwortungsbereich des Markeninhabers.